Klaus Weissgerber
24. August 1936 – 8. Juni 2012
Ein Nachruf von Heribert Illig
Wer die Zeitensprünge der letzten 15 Jahre durchblättert, erkennt bald, dass mein produktivster Mitarbeiter Dr. Klaus Weissgerber aus Ilmenau gewesen ist. Er war eng an diesen Ort gebunden: dort geboren, dort von 1975 bis 2004 freier Rechtsanwalt und dort plötzlich und friedlich gestorben. Er hinterließ seine Frau, seinen Sohn und die Tochter seiner Frau aus erster Ehe.
Sein Lebensradius reichte freilich weit über Ilmenau hinaus. Von seinen Interessensphären können hier nur Jurisprudenz und Geschichtswissenschaft angesprochen werden. Für den Brotberuf studierte er Jus in Jena und arbeitete danach als Notar und als Rechtsanwalt in Schleiz und Hildburghausen, bis er die Praxis seines Vaters in Ilmenau übernehmen konnte. ‘Nebenbei’ wurde er 1981 an der Humboldt-Universität Berlin in Geschichte promoviert – in unserer Gruppierung ein eher seltener Umstand. Für dieses Fach wollte er auch seine umfangreichste Publikation gedruckt sehen: eine Regentenliste aller Zeiten und Länder, bei der es nicht allein um die obersten Potentaten gehen sollte, sondern auch um die Besetzung nachrangiger Ebenen und um zusätzliche Details. Dafür beschäftigte er sich in breitestem Maße mit Geschichtsabläufen. Zu Hilfe kamen ihm seine Sprachkenntnisse, die sich neben Latein, Englisch und Französisch auf Russisch, Ungarisch und selbst Georgisch erstreckten. Doch sein weit gediehenes Projekt geriet in der Wende zur Makulatur. Der Verlag geriet in Insolvenz – und kein anderer Verlag zeigte damals Interesse.
Nachdem ihn alles Geschriebene interessierte, stieß er auch auf die Eichborn-Bücher von Gunnar Heinsohn und mir, worauf er sich für die Zeitensprünge interessierte und stark engagierte. Im dritten Heft von 1996 schrieb er den ersten Artikel für dieses Periodikum, weitere 73 sollten folgen. Bezeichnenderweise lautete der Auftakt Erste Bemerkungen zur altägyptischen Geschichte, mit dem Zusatz Aegyptiaca I. So war ein kraftvoller Anfang gesetzt und Weiteres zu gewärtigen. Dass es so viel werden würde, war damals nicht abzusehen. Andererseits hätte es gerne noch viel mehr werden können, lauteten doch sein Hauptüberschriften Aegyptiaca, Aethiopica, Asiatica, Hellenica, Hethiter, Indica, Islamica, Sinaica, Slavica, ohne dass deswegen die Thüringer oder Georgier, Bulgaren, Russen oder Ungarn abseits geblieben wären. Apropos Ungarn: Auf Wunsch des Budapester Verlages Allprint schrieb er 2003 das Buch Magyarok a kitalált középkorban. Újraírt történelem, das naturgemäß auf Ungarisch mehr Leser fand als die deutsche Ursprungsfassung. Darin behob er den ungarischen ‘Minderwertigkeitskomplex’, erst drei Jahrhunderte nach den Slawen in den Westen vorgestoßen zu sein und dann ein Land genommen zu haben, das kein anderer hätte haben wollen. Er fand heraus, dass Árpád bereits um 600 seine Magyaren in die pannonische Tiefebene geführt hatte und erwies sich hier wie auch sonst als entschiedener Vertreter der 297-jährigen Phantomzeit.
Gerade die Aegyptiaca lagen ihm sehr am Herzen. Als er sich entschloss, von der ersten Dynastie bis zu den Ptolemäern eine komplette, kritisch datierte Pharaonenliste zu erstellen, plagte ihn die Sorge, ihren Druck nicht mehr zu erleben. Er schrieb wie entfesselt, zeitweilig warteten drei lange Beiträge von ihm darauf, ins Heft gerückt zu werden. Dieses Vorhaben war mit dem Heft 3/2010 abgeschlossen. Danach wollte er sich zurückziehen, um seit langem verfolgte Buchprojekte abzuschließen. Aus Gesprächen weiß ich, dass es ihm um den Kennedy-Mord und noch ungeklärte Indizien ging, weiter um eine Biographie des jungen Stalin und um eine Untersuchung über das Schicksal der letzten Bourbonen-Kinder. Derartige Geschehnisse beschäftigten ihn; so hatte er prompte, wohlfundierte Antworten parat, wenn Kaspar Hauser oder die Dunkelgräfin von Hildburghausen – ihrer Exhumierung stimmte der Stadtrat drei Wochen nach Weissgerbers Tod endlich zu – zum Thema wurden, aber auch zu der Frage, ob es sich bei Tito um eine einzige Person oder um eine später ausgetauschte handelte. Ihn hat es gereizt, in rätselhaften Fällen alle Mutmaßungen aus ihrer üblichen Vernebeltheit zu konkreten Indizien zu verdichten, zu kondensieren. So gewann er das Material, das wirkliche Beschäftigung lohnte.
Viele Autoren der Zeitensprünge werden bestätigen können, dass er – wenn er sich ein Thema wählte – keine einzige Stimme aus der Zeitschrift unberücksichtigt ließ, alle Äußerungen bis hin zum kurzen Leserbrief systematisch abarbeitete und prüfte. Hier war ein Ideal erfüllt: Wissenschaft als lebhafte Auseinandersetzung mit allem einschlägigen Material. Am Anfang eines Artikels sichtete Weissgerber zunächst seine eigene riesige Bibliothek und sein Archiv, um als erstes die Literaturliste zu erstellen. Deren Länge konnte sogar dem Herausgeber zu viel werden, der sonst eher zu umfangreicher Quellenarbeit ermuntert. Damit war bei Weissgerber auch schon ein guter Teil der geistigen Arbeit geleistet, wusste er doch dank seines exzellenten Gedächtnisses genau, was er wo bereits gelesen hatte – und vor allem wusste er, welche Gedanken von ihm selbst und welche von anderen stammten. Auch da war er unbestechlich.
Sein wohlfundiertes Urteil wird uns fehlen; seine Beiträge der Zeitschrift und ihren Lesern ohnehin.
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