Der Rhein ist 90 Kilometer kürzer als allgemein gedacht
Ein Biologe entdeckt, dass der Rhein 90 Kilometer kürzer ist als Wissenschaft und sämtliche Nachschlagewerke bisher annahmen. Ein Aprilscherz? Keineswegs: http://www.sueddeutsche.de/wissen/940/507105/text/.
Update am 1. April: Heribert Illig weist auf einen weiteren SZ-Artikel zum Thema mit bemerkenswerten Einzelheiten hin. Der Artikel trägt den aus unserer Sicht vielsagenden Untertitel Jahrhundert-Irrtum. Offenbar hat sich der 90 km-Fehler ab den 20-er Jahren des vorigen Jahrhunderts in die Lexika, Atlanten und Schulbücher eingeschlichen. Lehrreich ist es zu sehen, wie kreativ die Behörden mit den Längenangaben umgegangen sind:
“Die offiziellen Stromkilometer ab Konstanz übertreiben die Länge um 1,2 Kilometer. An drei Stellen am Hoch- und Oberrhein stehen die Kilometertafeln zum Beispiel zu eng. In Stein, Roxheim und Bingen gibt es ‘kurze Kilometer’, weil dort einzelne deutsche Länder an ihren Grenzen schon mit der Beschilderung angefangen hatten und nicht mehr alles ändern wollten, als 1939 das einheitliche System kam.”
Aufschlussreicher noch der Westermann-Schulbuchverlag:
“Dessen Autoren haben die Differenz zwischen 1230 und 1320 Kilometern, die doch eindeutig auf Fehlern bei den Angaben zwischen Quelle und Bodensee beruht, über den ganzen Fluss verteilt und machen nun alles falsch. So ist Angabe über die Mündung in den Bodensee zehn Kilometer zu groß, die über Schaffhausen 29. In Straßburg summiere sich die Differenz auf 38 Kilometer, in Mainz auf 51, in Bonn auf 62, an der Mündung auf 87.”
Wir kennen das zur Genüge. Archäologen “karolingisieren” ihre Funde (Illig), Dendrochronologen reißen ihre frühmittelalterlichen Baumreihen auseinander (Otte), “C14-Jahre” entsprechen nicht den wirklichen Jahren (Blöss/Niemitz) und Astronomen hantieren mit einem Delta-T, das der langen Mittelalterchronologie zuliebe einen unerklärten Sprung macht (Beaufort). Aber der Zeitfluss ist nun mal kein wirklicher Fluss, der sich immer wieder nachmessen lässt. Der so gebliebene Interpretationsspielraum öffnet der Beliebigkeit Tür und Tor, und so werden alte und neue Mittelalterchronologie bis auf weiteres neben einander existieren.
Update am 2. April: Franz Siepe macht auf den Ursprung der oben genannten Zeitungsmeldung aufmerksam. Die Urheberschaft der Idee liegt beim Biologen Bruno P. Kremer, der in der Zeitschrift Rheinische Heimatpflege 1/2010 unter dem Titel Wie lang ist eigentlich der Rhein? den Anstoß zu dieser Diskussion gegeben hat.