Diese Seite drucken Diese Seite drucken

von Andreas Otte

Ein kritischer Prüfstein für eine Phantomzeit im Mittelalter ist die Kalenderrechnung. Unstrittig ist, dass Papst Gregor XIII. 1582 eine Kalenderkorrektur durchführte, indem er auf den 4.10.1582 direkt den 15.10.1582 folgen ließ und damit den zuvor datumsmäßig auf dem 10.3. liegenden astronomisch bestimmten Frühlingspunkt, den Tag der Tagesundnachtgleiche, wieder auf den 21. März setzte. Gleichzeitig änderte er die bis dahin gültige Julianische Schaltregel. Wodurch war diese Korrektur notwendig geworden?

Julius Caesar hatte Anfang des Jahres 45 v.Chr. mit Hilfe ägyptisch/griechischer Gelehrter eine Kalenderreform durchgeführt. Er hatte das Durcheinander im mondzyklen-orientierten römischen Kalender mittels eines neuen Sonnenkalenders zu beenden versucht. Dazu wurde ein sehr langes Jahr 46 v.Chr. eingelegt, um den Tag der Frühlings-Tagundnachtgleiche wieder in den Frühling zu bringen (gemäß ägyptisch/griechischer Tradition auf den 21.3.) und anschließend die Jahreslänge auf 365 1/4 Tage festgelegt. Das geeignete Mittel zur Erreichung einer mittleren Jahreslänge von 365 1/4 Tagen waren sogenannte Schalttage, d.h. alle vier Jahre hatte ein Jahr 366 Tage, sonst nur 365 Tage. Diese Reform wurde jedoch nicht korrekt umgesetzt (es wurde bereits nach 3 Jahren geschaltet) und so musste Kaiser Augustus 8 v.Chr. nochmals eingreifen durch Streichung von bisher drei zuviel eingefügten Schalttagen.

Leider aber ist das astronomische Jahr nicht genau 365 Tage, 6 Stunden lang, sondern 365 Tage, 5 Stunden, 48 Minuten und 46 Sekunden. Der Julianische Kalender, so fortschrittlich er war, machte also einen Fehler von knapp 12 Minuten pro Jahr, die sich im Laufe der Zeit aufaddierten. Nach 128,19 Jahren addiert sich der Fehler zu einem ganzen Tag. Gregor XIII. änderte die Schaltregel so ab, dass das Jahr nunmehr 365 Tage, 5 Stunden, 49 Minuten und 12 Sekunden lang war, was nur noch einen Fehler von 26 Sekunden pro Jahr bedeutet. Wenn Gregor XIII. 1582 aber nur 10 Tage wegfallen ließ, dann korrigierte das einen Fehler der im Laufe von ca. 1282 Jahren im Julianischen Kalender angefallen war. Die chronologische Differenz zwischen Caesars und Gregors Reform beträgt aber fast 1627 Jahre. Was ist hier los?

In der Bulle “Inter Gravissimas” hat Papst Gregor XIII. als Grund für die 10 Tage angegeben, dass der auf dem ersten Konzil von Nicäa als Frühlingspunkt festgelegte 21.3. wieder Frühlingspunkt werden sollte. Aber kann das wirklich sein? War der 21.3. wirklich der astronomische Frühlingspunkt im Jahre 325 n.Chr.? Die noch erhaltenen Konzilsunterlagen und die zugehörige Korrespondenz lassen diesen Schluss jedenfalls nicht zu. Zu Nicäa wurde unter anderem über eine einheitliche Art diskutiert, den Ostertermin zu bestimmen (erster Sonntag nach dem ersten Frühlingsvollmond), ohne Erfolg übrigens, denn Ostern wurde weiterhin zu unterschiedlichen Zeiten gefeiert. Von einer Festlegung des Frühlingspunktes keine Spur. Gregor XIII. bezieht sich hier auf etwas, das nach den Konzils-Quellen nicht stattgefunden hat. Allerdings muss man ihm zu Gute halten, dass in späteren Zeiten das Konzils-Ergebnis so interpretiert wurde, wie er es wiedergibt. Das ist aber kein Nachweis dafür, dass zu Nicäa astronomisch wirklich der 21.3. der Frühlingsanfangspunkt war. Es ergibt sich also: Die Nennung des 21.3. beim Konzil von Nicäa ist nicht zu belegen und selbst wenn sie zu belegen wäre, würde diese Nennung nichts über die tatsächliche astronomische Situation zu dieser Zeit aussagen.

Wenn zu Caesars Zeiten der 21.3. als Frühlingspunkt festgelegt wurde, dann war dieser Punkt um 325 n.Chr. (Nicäa) bereits auf den 18.3. gewandert. Dann kann der 21.3. in Nicäa nicht der Frühlingspunkt gewesen sein, es sei denn man hätte gleich auch noch eine Kalenderreform durchgeführt, die sofort und überall gegriffen hätte. Dafür gibt es aber nun wirklich überhaupt keine Hinweise.

Gelegentlich wird argumentiert, der Erlass des Augustus zur Korrektur der falsch angewendeten Schaltregel wäre nicht ausgeführt worden, aber dieses hätte den Verschiebungseffekt nur verstärkt und nicht etwa aufgehoben.

Es könnte auch sein, dass als Frühlingspunkt zu Caesars Zeiten nicht der 21.3. festgelegt wurde. Es gibt mehrere Stränge der Frühlingspunkt-Berechnung, die parallel genutzt wurden, darunter auch das alte römische Modell mit dem 25.3. als Frühlingspunkt. Der ägyptisch/griechische Einfluß auf die Reform, der Geburtstag des Augustus und die Einteilung der Sonnenuhr des Augustus sprechen aber eindeutig für den 21.3. im Zusammenhang mit dem Julianischen Kalender.

Eine andere mögliche Erklärung kann man relativ sicher ausschliessen. Eine externe Beeinflussung der Erdumlaufbahn und damit eine Änderung der astronomischen Jahreslänge seit der Zeitenwende liegt wohl nicht vor, wir hätten Berichte von den begleitenden (gewaltigen) Katastrophen.

Was also bleibt? Am wahrscheinlichsten scheint tatsächlich die These, dass in Wirklichkeit nicht so viel Zeit zwischen den Reformen verstrichen ist, wie man uns mit der konventionellen Chronologie glauben machen will. Diese These stimmt mit der vorhandenen Evidenz bestens überein, außer mit der Bulle des Papstes und der begleitenden Literatur. Diese liefert aber kaum die erforderliche historische und gar keine verwertbare astronomische Evidenz. Die astronomische Evidenz ist aber die entscheidende.

Warum könnte sich Gregor XIII. also auf Nicäa bezogen haben? Es gibt ein einfaches Erklärungsmodell: Jeder halbwegs gebildete Mensch (auch schon damals) konnte nachrechnen, dass der einzig sinnvolle Bezug auf die Einführung des Julianischen Kalenders das Chronologie-Problem sofort offenkundig gemacht hätte. Es handelt sich also um eine einfache Rückrechnung, eine etwas hilflose Verschleierungstaktik wenn man so will, man hat einfach nach einem Konzil gesucht, dem man den Bezug unterschieben konnte. Nur wer wirklich weiter denkt, der merkt, dass dieser Nicäa-Bezug nicht funktionieren kann, bzw. das eigentliche astronomische Problem nicht löst.

Ca. 300 Jahre zuviel in unserer Zeitrechnung, dass erscheint auf den ersten Blick unmöglich, aber es gibt weitere Hinweise, die nichts mit der Kalenderfrage zu tun haben und ebenfalls in diese Richtung weisen. Das ist Thema der anderen Beiträge.

Literatur

Illig, Heribert (20035): Wer hat an der Uhr gedreht? Wie 300 Jahre Mittelalter erfunden wurden, Ullstein Verlag München
Illig, Heribert (20047): Das erfundene Mittelalter. Hat Karl der Große je gelebt?, Ullstein Verlag München
Frank, Werner (2002): Welche Gründe gab es für die Autoren der Gregorianischen Kalenderreform 1582, die Frühlings-Tagundnachtgleiche auf den 21. März zurückzuholen?, in Zeitensprünge, Jahrgang 14, Heft 4, Seite 646-655