von Heribert Illig (Zeitensprünge 3/2006)
Die Länge der Phantomzeit wird derzeit heftig diskutiert. Ihre rechnerische Negierung durch Voigt [2006, 741], Birkens Eintreten für 304 Jahre [ab 2005, 467], Korths Kasseler Plädoyer für 299 Jahre, Zoltán Hunnivári’s 200 Jahre (mit einer Leerzeit zwischen 880 und 1080 laufen sie gewissermaßen “außer Konkurrenz” [2006]) und Neusels Vorschlag von 219 Jahren [2006, 713] bezeugen die dringliche Suche nach der richtigen Intervall-Länge.
Die Vorgabe “297 Jahre” ist gewissermaßen ein Fossil. Im Heft 4/1992 [79] sprach ich erstmals von den Eckjahren 614 und 911, im März 1994 [93] nannte ich nicht mehr 296, sondern erstmals 297 Jahre [vgl. 1/99, 94]. Diese Zahl habe ich bis zum Überdruss als Arbeitshypothese bezeichnet. Hat sie darüber hinaus noch einen Wert? Vor den weiteren Ausführungen ist darauf hinzuweisen, dass das Problem mit der gregorianischen Kalenderkorrektur nur Auslöser war für die mittlerweile dominante Fragestellung: Warum widersprechen die Ausgrabungsbefunde des frühen Mittelalters den alten Schriften fundamental?
Länge weit über 297 Jahre ?
Die Phantomzeit ist nicht beliebig zu verlängern. Christoph Pfister [1999] hat das unfreiwillig dokumentiert. Er präsentierte die Kirche St-Prex westlich von Lausanne mit 8 Ausbaustufen und insgesamt 10 Bauphasen, die für spätrömisch bis hochromanisch um 1200 stehen. Pfister wollte zunächst diese 10 Bauphasen aus 800 Jahren auf knappe 200 Jahre zusammendrängen [ebd., 164] – das hätte alle 20 Jahre einen Um- oder Neubau bedeutet!? Er untermauerte das mit der Kathedrale von Genf, auf deren Terrain seit 350 drei Baptisterien und mehrere Kirchen gebaut worden sind, die bis zum Kathedralbau von 1150 ein völlig unübersichtliches Gewirr von Grundmauern hinterlassen haben, die allesamt von ihm umdatiert werden müssten. Im Grunde geht er von einer 1.000-jährigen Phantomzeit aus [ebd., 142], womit auch noch die restlichen 200 Jahre samt Spätantike und Frühromanik entfallen müssten.
Im “Bayernbuch” [2002] stellten Anwander und ich die Pfarrkirche von Gundelfingen (4 Bauten vom 8. bis 12. Jh.) vor, dazu die 7 Bauphasen am Platz der Sola-Basilika von Solnhofen (630-840) und die verwirrende Vielfalt unterm Dom von Eichstätt (5 bis 6 Kirchen; 740-1350). Diese Bauphasen brauchen einfach Zeit: Christliche Bauten lassen sich nicht nach Belieben der Antike zuschieben, Vorstufen der Romanik nicht einfach in die Hochromanik übertragen; und romanische Bauten lassen sich nicht ohne weiteres zu römischen “umfunktionieren”.
Insofern trägt Pfisters Ansatz so wenig wie der von Autoren, die ebenfalls 1.000 Jahre und zum Teil noch mehr vorschlagen; die maximale Länge der Phantomzeit, die sich dem Archäologen “überall” zeigt, mag der große Osterzyklus von 532 Jahren vorgeben. Einstige Prämisse für die Spanne von 297 Jahren war mir die Unzahl von archäologisch und literarisch belegten Bauten Kaiser Justinians (gest. 565) [vgl. Illig 1997, 133]. Die byzantinische Baulücke zwischen 611 und 907/08 steht hier unten als Nr. 13.
Sticht L = 0 als mathematisches Argument ?
Astronomisch wird ein Vielfaches aus 4, 7 und 19 verlangt. Topper hat 1996 nachgerechnet, dass sich aus den 297 julianischen Jahren von 614-911 glatte 15.497 Wochen ergeben. Damit wären Wochentagssequenz und Schaltrhythmus berücksichtigt; doch er hat widerrufen [Topper 2006].
Die fehlende Berücksichtigung von Sonne und Mond – der metonische Zyklus mit 19 Jahren – hat 1997 der Mediävist Werner Bergmann [1997, 484 ff.] als Argument gegen mich gebracht. Damals antwortete ich:
“Mein Intervallvorschlag von 297 Jahren ist nicht astronomisch ermittelt; er ist aber, wie ich nie verhehlt habe, nachbesserbar, z.B. auf 304 Jahre (19 x 4 x 4). Mit dem 19er-Zyklus bleibt der Mond in der richtigen Position, womit Bergmanns Einwand Genüge getan wäre. Zuvor will allerdings geklärt sein, ob die bislang tradierten astronomischen Angaben der Zeit vor 614 ohne Nachbesserung mit den heutigen Rückrechnungen übereinstimmen” [Illig 1997, 513].
Erst 2005 konnte Ulrich Voigt, der sich schon 1996 kritisch geäußert hatte, den Kalenderstein von Ravenna präsentieren und ihm 2006 den Stein des Hippolyt zur Seite stellen. Diese Steine sind nicht wirklich datiert, ihre Zahlenangaben entsprechen laut Voigt den heutigen Rückrechnungen. Hier kann ein Zirkelschluss versteckt sein. Denn unser aus Chroniken abgeleitetes Zeitgerüst ist erst ab 1887 durch Theodor von Oppolzer astronomisch über Finsternisrückrechnungen mit der Antike verkoppelt und in den folgenden Jahrzehnten feinjustiert worden. Der Jesuit Franz Xaver Kugler [1922] hat noch nach Ginzels dreibändigem Monumentalwerk [1906/1914] ein umfangreiches Werk über Datierungsprobleme bis einschließlich Paulus vorgelegt. Hier im Heft [Illig 2006, 550] wird auf das Werk von Johann Jahn – von 1800 – hingewiesen, in dem die Lebensdaten von Julius Caesar und damit das Einführungsjahr des Julianischen Kalenders noch um 3 Jahre gegenüber unseren Rückrechnungen abweichen. Nachdem der Stein des Hippolyt laut Voigt “als ältestes Monument christlicher Kalenderkunst geehrt” wird [Voigt 2006, 742], darf man voraussetzen, dass v. Oppolzer, Ginzel et Co. ihn hinreichend berücksichtigt und in ihr Gesamtsystem eingepasst haben. Insofern könnte es so sein, dass Voigts Rückrechnungen nur ältere Justierungen nachrechnend bestätigen. Das gilt insbesondere für seine Mondrückrechnung bis 222, die dann zwangsläufig ins Schwarze trifft.
Auf eine Ungereimtheit war bereits nach dem Kasseler Vortrag hinzuweisen:
“Andererseits ist der 18. märz (ghipp = -3) das komputistische Äquinoktialdatum der Tafel, der frühestmögliche Termin für den Ostervollmond: Eine interessante Konstellation!” [Voigt 2006, 743].
Was hier euphemistisch als “interessante Konstellation” erwähnt wird, schlägt unserem Wissen um das Äquinoktialdatum direkt ins Gesicht. Es sei daran erinnert, dass die Kirche seit sehr früher Zeit Wert darauf legte, dass der erste Mond nach der Frühlingstagundnachtgleiche auf den 22. 3. fällt. Frank [2005, 9] hat das durch Quellenstudium im Vatikan untermauert. Was folgte daraus? Die Wahrscheinlichkeit, dass der 21. 3. als Frühlingspunkt (Tagundnachtgleiche, Äquinoktie) 325 auf dem ersten Konzil von Nicäa festgelegt worden wäre, wie es kurante Lehrmeinung immer noch glauben machen will, liegt noch näher bei Null. Denn die Einführung anno 325 wird ja zur Begründung dafür postuliert, dass bei Cäsars Kalendereinführung der Frühlingspunkt auf den 25. 3. gelegt worden sei. Ein 22. 3. als Frühgrenze für den ersten Frühlingsvollmond korrespondiert jedoch nur mit einem 21. 3., nicht mit einem 25. 3. Olaf Pedersen [37] ist offenbar bereit gewesen, Ostermonde am 18. 3. zu akzeptieren, indem er mutmaßte, Hippolyt habe dieses Datum für die Äquinoktie gewählt, weil da für die Römer die Sonne in den Widder (Aries) wechselte. In diesem Fall hätte Hippolyt nicht nur Bezug auf einen heidnischen Kaiser genommen, sondern noch nicht einmal die christlichen Ostergrenzen gekannt.
Voigt hat außerdem Anatolius von Laudicea aus dem 3. Jh. in die Diskussion eingebracht, der die Tage vom 19. bis 22. März einschließlich der Äquinoktie zurechnete. Doch dessen Ostertafel funktioniert nur, wenn das Äquinoktium auf dem julianischen 21. März gelegen hat [Voigt 2005, 446]. Daraus ist also nichts für einen 18. März als Äquinoktie zu gewinnen. Dasselbe gilt für Voigts rhetorische Frage: “Ist es da nicht überaus wahrscheinlich, dass an dieser Stelle verstärkt astronomisch gedacht wurde?” [ebd. 445] Damals zeigte sich jedoch – aus heutiger Sicht – kein großes Interesse, das Äquinoktium durch präzise Beobachtungen festzulegen. Das könnte theoretisch nur der Rückgriff auf die jüdische Angewohnheit leisten, den 14. Nisan (Passah) auch vor die Äquinoktie zu setzen [ebd., 444].
Es wird schwierig bleiben, die Tagundnachtgleiche am 18. März hinreichend zu motivieren. Doch andernfalls hätte man im frühen 3. Jh. bereits gewusst, dass der Frühlingspunkt (wegen der Präzession) im Kalender rückwärts läuft. Dazu hätte man sehr genau zum Himmel schauen müssen, belief sich doch die Abweichung damals noch auf keine 2 Tage (das Abendland wurde erst 1.000 Jahre später unruhig, weil das Äquinoktialdatum, genauer der daran gekoppelte Ostervollmond aus dem Ruder lief).
Wir wissen, dass das Zurückfallen dieses Datum erst 961 von einem Araber beobachtet worden ist [Illig 1999, 53 f.]. Ein 18. 3. bedeutet gegenüber dem von Voigt zu vertretenden 25. 3. eine Abweichung von 7 [Tagen] x 128 [Jahren] = 896 Jahren gegenüber Cäsar respektive 4 x 128 = 512 Jahre gegenüber Nicäa (hier herrscht für einen Moment Einigkeit, auch wenn unsere Fraktion davon ausgeht, dass der Frühlingspunkt von Cäsar bis gegen 1200 immer auf dem 21. 3. gelegen ist und dass im weiteren Verlauf rund 300 Jahre entfallen müssen). Das geht nimmermehr mit dem Jahr 222 für Kaiser Alexander zusammen, allenfalls mit dem von Voigt alternativ allein zugelassenen Jahr 838. In diesem Zeitbereich gäbe es ab 869 die Mitkaiserschaft durch einen Alexander, den Voigt übergeht, weil er nur an weströmische Kaiser denkt. Dieser Alexander regiert ab 912, also aus meiner Sicht in Realzeit ein gutes Jahr lang allein. Da wir aber den 838 aus meiner Sicht noch rund 300 Jahre hinzuzählen müssen, kommen wir in den Bereich von drei Kaisern namens Alexios. Der erste regiert von 1081 bis 1118; Alexios II. ist ab 1172 Mitkaiser, ab 1180 Alleinherrscher [Matz 48]. Grote [440] kennt außerdem noch einen Mitkaiser Alexios neben Johannes II.; dieser Mitkaiser hält seine Position von 1123 bis 1142.
Ob einer von ihnen als Begründer einer Ära oder zumindest als Kandidat zur Fixierung der Zeitrechnung betrachtet worden ist? Dieses Verdienst kommt unter römischen Kaisern nur Diokletian zu; die nach ihm benannte Ära hat das Startjahr 284, auf das sich pikanterweise Dionysius Exiguus bezogen hat [Ekrutt 54], da es ja die christliche Ära noch nicht gab: Er setzte das 248. Jahr nach Diokletian mit dem 532. nach Christus gleich. Auf alle Fälle würde zwingend ein christlicher Kaiser gebraucht, wie auch Voigt [2006, 742] zu erkennen gibt. Birken [2006b, 763] schlägt als “Alexander” den Borgia-Papst Alexander vor, dem mit dem Stein des Hippolyts eine Hommage dargebracht worden sein könnte. In diesem Fall hätte man vielleicht aus der Quersumme 16 von Alexanders Pontifikatsantritt (1492) einen “ansonsten in der antiken Astronomie unbekannten Zyklus von 16 Jahren” [Pedersen 37] erfunden, der allenfalls an die Verdopplung der griechischen Oktaëteris erinnert.
Voigt versucht eine mathematisch klare, saubere Rechnung zu präsentieren, die allerdings nur mit Mühen zu erhalten ist. Dazu gehört nicht nur das “interessante” Äquinoktialdatum und der unchristliche Kaiser Alexander, sondern auch das doppelte Zeitintervall von 56 Jahren. Der Metonische Zyklus ergibt sich aus der (nur fast) präzisen “Gleichführung” von Sonne und Mond binnen 19 Jahren (1 Fehlertag innerhalb 310 Jahren [Frank 2006, 187]), doch 3 x 19 ergeben 57, nicht 56 Jahre. In diesem einen Jahr verschiebt sich der Mond gegenüber der Sonne um 11 Tage, was für eine Osterberechnung tödlich wäre. Um einen neuen solchen Zyklus zu beginnen, bräuchte es mehr als nur den eintägigen “Mondsprung” zur Justierung. Voigt wird in seinem angekündigten Buch sicher erklären, warum er 56er-Zyklen über fast 1.300 Jahre bis 1510 aufaddiert und wieder zurückrechnet (vgl. auch Birken [2006b, 752]).
Birken spricht davon, dass unter Konstantin VII. eine Zeitverlängerung ungleich 532 Jahre die Weiterverwendung des bislang benutzten Osterkalenders unmöglich machte, also einen neuen Osterkalender erzwang [2006b, 753]. Er erwähnt auch eine ältere Quelle, derzufolge nach Beda die Osterrechnung zurück bis ins Jahr 1 v. Chr. neu kalkuliert worden ist [2006b, 751]; heutige Spezialisten sprechen davon, dass Beda selbst so weit zurückrechnete). Genauso wird es heute gemacht: Es wird von der gegenwärtig messbaren astronomischen Situation zurückgerechnet! Deshalb sind Manipulation, die kürzer als 532 Jahre ausfielen, irgendwann vor Konstantins oder Ottos Zeiten zu erwarten. So wäre es sinnvoll, Überlegungen anzustellen, wie beim Vordrehen der Uhr z.B. durch den rückwirkenden Einschub oder das Nichtzählen eines bereits vergangenen Tages die Rechnung “korrekt” gemacht werden konnte. Da niemand weiß, ob das Jahr von Caesars Kalendereinführung ein Schaltjahr war oder nicht, weiß auch niemand, wie zumindest bis zum Abschluss von Augustus – Korrekturen geschaltet worden ist [vgl. Illig 1999, 43]. Hier ließe sich rückwirkend ein Schalttag platzieren oder auch eliminieren. Und ab wann ist die Reihe der Schalttage zuverlässig bekannt? Jäh verflüchtigen sich unsere Haltepunkte und wir greifen kalendarisch neuerlich in Watte.
Schließlich: Auch eine ringsum saubere Rechnung brächte die archäologische Lücke nicht zum Verschwinden, sie könnte die These erfundener Zeit tadeln und ihren Ersatz durch eine bessere These verlangen, aber den Befund nicht obsolet machen (das könnte nur eine Theorie, die Archäologie und Kalenderrechnung optimal zum Gleichklang bringt).
Empirische Intervallnachweise
Das Streichen nachweislich erfundener Zeit gilt bei den Autoren dieser Zeitschrift als gute Lösung – oft klärt sich so der Verlauf von Geschichte besser als innerhalb der konventionellen Chronologie. Denken wir nur an Ungarn, für das Weissgerber gezeigt hat, wie durch das Streichen von Zeit die Grundprobleme entfallen: wieso die pannonische Tiefebene fast ein Jahrhundert unbewohnt geblieben wäre und wieso ein Ranken- und Greifenvolk postuliert werden musste, das den alten Chronisten entgangen ist. Bei diesem Beispiel ergibt sich obendrein, dass Árpáds in der postulierten Phantomzeit liegendes Landnahmedatum von 896 um ziemlich genau 297 Jahre in die Realzeit verschoben werden kann, womit Ungarn, Awaren und Slawen in der zweiten Hälfte des 6. Jhs. dichte Einwanderungs- und Eroberungswellen bilden. Das steht wiederum in Einklang mit den archäologischen Befunden in Ungarn.
Es bot sich also an, unsere bisherigen Veröffentlichungen daraufhin zu prüfen, wo sich einigermaßen klare Zeitabstände präzisieren lassen. Das bedeutete vorrangig eine Literaturarbeit, weil die archäologischen Datierungen selbstverständlich der herrschenden Lehre angepasst worden sind, aber keine Kehrtwendung weg von der Archäologie und zurück zu den Chronikinhalten. Vielmehr kann die Archäologie ihre Befunde nur dann jahrgenau datieren, wenn sie sich auf Chronikwissen stützt. Insofern ist sie hier unterrepräsentiert. (Das ändert nichts daran, dass gerade die archäologischen Befunde quer durch die Alte Welt eine Phantomzeit dringend nahe legen.) Für das Jahrestreffen in Kassel habe ich die einschlägigen Hinweise zusammengestellt.
Für die einstigen Chronisten war wesentlich einfacher, einen vorhandenen Zeitrahmen samt Regenten und Handlungsstrang einfach zu verdoppeln oder bestimmte Ereignisse zu duplizieren. Wieso? Erinnern wir uns z.B. an die Niederlage der Baiern 610 gegen die Awaren. Bald darauf soll – wie auch sonst in Mitteleuropa – ein Höhenflug erfolgen: Die mit den regierenden Agilolfinger verwandten Karolinger übernehmen das Ruder, bauen den ersten Kanal Europas, machen Regensburg zeitweilig zu ihrer Hauptstadt, vernichten die Awaren und überhöhen das Baiernland auf Frankenart. Doch nach diesem Höhenflug muss die Geschichte da weitergehen, wo sie nach 610 weiterging, also wie nach einer Niederlage. Da bietet es sich an, eine weitere Schlacht zu imaginieren, bei der (noch einmal?) der komplette Hochadel Bayerns samt eines Teils der Geistlichkeit untergeht. Das war die Schlacht von Pressburg, 907 (s.u. Nr. 18). Nachdem beide Schlachten im Abstand von 297 Jahren in den Geschichtsbüchern verzeichnet sind, wären wir schlecht beraten, dies zu übersehen.
Insofern präsentiere ich mit aufsteigender Intervall-Länge 50 bislang durch unseren Autorenkreis publizierte Belege (Zitationen: Urheber mit direktem Heftverweis; angesprochene Bücher werden in der Literaturliste geführt). Dabei wird nicht zuletzt der sog. Zeitsaum deutlich: Weissgerber hat in verschiedenen Arbeiten – immer im Zusammenhang mit der ungarischen Landnahme – folgende Distanzen gefunden: 276 Jahren (Nr. 3), 298 J. (Nr. 28), 300 J. (Nr. 38), 304 J. (Nr. 43) und 311 J. (Nr. 44). Weissgerber selbst stellt die von ihm gefundenen Zahlen hintan, weil er sie für chronik- und zufallsabhängig hält, und tritt unbeirrt für eine Phantomzeitlänge von 297 Jahren ein. Dies äußerte er vor Kassel, als ich die wichtigsten Befunde mit ihren Entdeckern abstimmte.
- Manfred Neusel plädiert aus Chroniken für 219 Jahre [1/04, 96; 3/06, 713].
- Zwischen Septuaginta und Vulgata klafft eine Lücke von 270 Jahren, das seien neun Menschenalter – eine Vorgabe für Christen [Illig 1999, 176].
- Der ungarische König Stephan I. wird nach der Ungarischen Bilderchronik 699 geboren; die übrigen Chronisten sehen sie bei 975; 276 J. [Weissgerber 3/01, 432; 2003, 29].
- In der Schweiz treten zwei Bischöfe namens Theodul auf: 519 und 805; 286 J. [Keller, 4/97, 668].
- Die Tang-Zeit könnte sinnvoll um 288 Jahre verschoben werden [Zeller 1/02, 98] (allerdings von Weissgerber [2/02, 365-392] anders gelöst);
- Ein arabisches Astrolab mit Jahreszahl 1253 muss von der Präzession her von 963 stammen; ca. 290 J. [Illig, 1/04, 174].
- Zwei Invasionen auf Ceylon können gleichgesetzt werden: 1214 und 1505/06; das schlägt auf die Zeit davor durch; 291/92 J. [Rade 1/99, 105]
- Zwischen den Startpunkten von Alexanderära (-323) und Alexandrinischer Ära (-30) liegen 293 Jahre, die bei Umrechnungen zu Verwechslungen führen konnten [Illig 1/93, 62; 1999, 179].
- Priscus besiegt 601 die Awaren an der Theiß, wo 895 die Ungarn siegen; 294 J. [Zeller 1/93, 74].
- Konstantin III. wird 611 geboren, sein vermutliches Alter Ego Konstantin VII. 895; 294 J. [Illig 4/92, 138].
- Geschichts- und Fundlücke in West- und Mitteljava von 927 bis 1222; 295 J. [Rade, 2/98, 276].
- Franken besiegen die Awaren 566, die Ungarn 862; 296 J. [Friedrich 1/01, 61; 2006 korrigiert].
- Der byzantinische “Baustopp” wird durch die Eckjahre 611 und 907/08 begrenzt; 296/97 J. [Illig 1/97].
- Sonnenfinsternis bei Gregor von Tours, rückgerechnet für den 4. 10. 590, eingebracht von Prof. Wolfhard Schlosser. Zum 20. 10. 887 ein klar stimmigeres Äquivalent; 297 J. [Illig 2/97, 261; Simmering-Film].
- Hl. Cuthbert stirbt 687; 698 wird entdeckt, dass sein Leichnam nicht verwest, worauf ihn Mönche bis 995 herumtragen, um ihn vor den Dänen zu schützen; 297 J. [Siepe 1/01, 141].
- Unter Ostgotenkönig Theoderich wurden 498 zwei konkurrierende Päpste gewählt. 795 wurde Leo III. unter König Karl gewählt, doch von der Partei des verstorbenen Papstes bekämpft; 297 J. [Illig 4/02, 659].
- dito: Theoderich ordnet 501 eine Untersuchung gegen Symmachus an, Karl 799 eine gegen Papst Leo III.; 298 J. [Illig 4/02, 660].
- dito: Beide Päpste werden rehabilitiert; 502 bzw. 800; 298 J. [Illig 4/02, 660]
- Baiern erleiden zwei schwere Niederlagen: 610 gegen die Awaren, 907 bei Pressburg gegen die Ungarn [Anwander 4/00, 685]; 297 J. (vgl. Nr. 44).
- Werden die neun Generationen Differenz zwischen Septuaginta und Vulgata nicht mit 30, sondern 33 Jahren (Lebenszeit Jesu) gerechnet, ergeben sich 297 Jahre [Illig 1999, 176]
- Die gleichlangen Regierungszeiten von Heinrich I. (919-936) und Dagobert II. (622-639) folgen sich nach 297 J., ebenso die gleichlangen Regierungszeiten von Heinrichs Schwiegersohn Ludwig IV. (Frankreich, 936 – 954) und Dagoberts Sohn Chlodwig II. (639 – 657, Westfranken) [Neusel 3/06, 714].
- Prof. Thomas Frenz fand heraus, dass Johannes von Fiore bei seinem Zeitmodell 297 Jahre ins frühe Mittelalter einfügen muss, um seine Konkordanz zwischen AT und NT zu bewältigen [Illig, 1/04, 93] (vgl. Nr. 37).
- Zwischen Alexanders Tod (-323) und Oktavians Erhöhung zum Augustus (-27) liegen 296/97 Jahre; eine mögliche Verwechslung brächte eine entsprechende Verschiebung [Illig 1999, 179].
- Die Relationen mit 297 Sonnenjahren: 325-622 / 614-911 und mit 297 Mondjahren: 325-614 / 622-911 [Illig 3/03, 562]. Die Relation ist nicht mit den 300 islamischen Jahren konstruiert (s. Nr. 35).
- Zeitrechnung in West- und Mitteljava ab +375, in Ostjava ab +78; 297 J. [Rade 2/98, 296].
- Awaren rücken ab 565 nach Westen vor, Ungarn ab 862; 297 J. [Friedrich 1/01, korrigiert 2006].
- Landnahme der Ungarn 598 bzw. 895 (laut Konstantin VII.); 297 J. [Zeller 2/96, 186].
- Die ungarische Landnahme wird 898 angesetzt, der Ungarischen Bilderchronik gemäß jedoch 600; 298 J. [Weissgerber 3/01, 424; 2003, 28].
- Gemeinsamkeiten zeigen sich zwischen dem Frankenreich des 7. wie 10. Jhs. Insbesondere wird Ost- und Westfranken sowohl 613 wie 911 kurzfristig geeinigt; 298 J. [Heinsohn 4/01, 642; Wirsching 3/04, 581].
- Wird mit dem Stern von Bethlehem eine Konjunktion zwischen Jupiter und Saturn beschrieben, dann findet dieses Ereignis nicht nur -7, sondern auch +292 statt; 298 J. [Dehn/Illig/Klamt 2/03, 345].
- Aus der Apokalypse lässt sich laut Morosow eine Himmelskonstellation samt Erdbeben auf 395 fixieren; das Buch beschreibt jedoch das Ende der Regierungszeit von Domitian (gest. 96). Das ergibt 298/99 Jahre [Illig 1999, 182; zuvor Gabowitsch mit ca. 300 Jahren; 4/97, 676].
- In der Dendrochronologie ergibt sich über Weiserjahre ein Wiederholungsintervall von 299 Jahren [Korths Vortrag in Kassel].
- Die Gottesmutter hilft den Byzantiner sowohl 626 wie 924/26; 298/300 J. [Siepe 2002, 110].
- Theoderich wie Karl zelebrieren einen feierlichen Einzug (adventus) in Rom, der eine 500, der andere 800; 300 J. [Illig 4/02, 660].
- Der Koran spricht davon, dass die Siebenschläfer 300 (Sonnen-)Jahre geschlafen haben [Topper 1/94, 49; 3/03, 558].
- Mohammed erobert 630 Mekka und verwüstet die Kaaba; dasselbe geschieht 930; 300 J. [Lüling; vgl, 3/03, 568].
- Prof. Frenz gibt später die Diskrepanz bei Johannes von Fiore mit genau 300 Jahren an [Illig 1/04, 94] (vgl. Nr. 22).
- Theophylaktos Simokattes sieht 598 drei Stämme aus Skythien ins Karpatenbecken eindringen; 898 üblicherweise ungarische Landnahme; 300 J. [Weissgerber 2003, 170].
- Karls-Epik (Rolandslied) entsteht um 1100, gegenüber Fakten um 800; ca. 300 J. [Siepe, 2/98, 312; 3/98, 447].
- Leonardo Bruni (- 1444) sieht nur 700 Jahre vom Untergang Roms bis zum Florentiner Aufbruch; ca. 300 J. [Siepe 2/98, 306].
- Figureninitialen treten um 800 und erneut um 1100 auf; ca. 300 J. [Siepe 2002, 132].
- Zwei analoge Angriffe: 992 durch das ostjavanische Reich Sumatra, 1293 China auf Java; 301 J. [Rade 2/98, 284].
- Widukind kennt Karl d. Gr. nicht, zählt vor 955 (Lechfeld) 200 Jahre zurück bis Katalaunische Felder (451); ca. 304 J. [Weissgerber 3/99, 490].
- Baiern erleiden ihre Niederlage von 610 de facto 596; später 907; 311 J. [Weissgerber, 2003, 181] (s. Nr. 19).
- Die Diskrepanz zwischen Seleukidenära -312 und Christi Geburt beträgt 312 J. [Heinsohn laut Illig 1999, 177].
- Der Impetus zum karolingischen Reichskalender von 789 wird für Arno Borst erst 1120 fortgesetzt; max. 331 J. [Illig 3/97, 336].
- Der Historiker Moses Khorenatsi sieht sich 750 nach Alexander, seine späteren Kollegen sehen ihn bei 1100 n. A.; max. 350 J. [Heinsohn 1/96, 58].
- In Byblos fehlen Schichten zwischen 637 und 1098; max. 361 J. [Heinsohn, 1/98, 113].
- Ghiberti überspringt in seiner Kunstgeschichte 382 Jahre [Siepe 2/98, 315].
- Fr. Engels (Über den Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staates) spricht dreimal von 400 dunklen Jahren [Welcker 1/98, 118].
Es haben sich kontinuierlich 37 Hinweise für das Intervall zwischen 290 und 301 Jahren gefunden (weitere können in unseren Publikationen enthalten sein). Nicht alle sind wirklich präzis, doch manche Zahlen sind durchaus gewichtig. Deutlich wird, dass die Verteilungskurve tatsächlich bei 297 Jahren ihren Höhepunkt hat, der sich bis 301 “dehnt”. Das spricht deutlicher gegen 304 als zum Beispiel gegen eine Länge von 360 oder 219 Jahren, denn unsere Suche war durch meine Vorgabe von 297 oder “rund 300 Jahren” beeinflusst, so dass Hinweise auf stark abweichende Intervall-Längen viel weniger beachtet worden sein könnten.
Die 56 Zahlenangaben (6 Doppelnennungen, weil auch Chronikwissen) entstammen folgenden Bereichen:
29 | Chronikwissen: | Nr. 1, 3, 7, 9, 10, 11, 12, 13, 16, 17, 18, 19, 21, 25, 26, 27, 28, 29, 31, 34, 35, 36, 38, 39, 42, 43, 44, 46, 47 |
9 | Ära-Berechnungen: | 2, 8, 20, 22, 23, 24, 25, 37, 45 |
5 | Astronomie: | 6, 14, 30, 31, 46 |
4 | Abweichende (Kunst-)Geschichtsschreibung der Neuzeit: | 40, 41, 49, 50 |
3 | Archäologie: | 11, 13, 48 |
3 | Legenden: | 4, 15, 33 |
2 | Phantomzeitberechnungen: | 1, 5 |
1 | Biologie: | 32 |
So ergibt sich eine Phantomzeit von ca. 297 Jahren aus durchaus unterschiedlichen, unabhängigen Betrachtungen. Zu bedenken ist, dass auch die Chroniken keineswegs ganz eng aufeinander abgestimmt entstanden sind, weshalb sich etwa die Jahreszahlen aus Java (Nrn. 11, 25, 42) aus Diskrepanzen zwischen indischen, chinesischen und arabischen Chronologien ergeben.
Im Disput mit Andreas Birken
In der Kasseler Diskussion hat sich Birken gegen dieses Verfahren ausgesprochen; er tut es auch hier im Heft [2006b, 749]. Nachdem es darum geht, interdisziplinär verschiedene Blickwinkel zusammenzuführen, wäre es jedoch eine unverständliche Selbstbeschränkung, solche aufgespürten Intervall-Längen einfach zu ignorieren, sprich einer astronomischen Betrachtung zu opfern, die sich ohne hinreichenden Grund für autark hält.
Birken [2006b, 749, 1. Absatz] erinnert an den von mir ins Spiel gebrachten Zeitsaum [z.B. 1999, 81]. Er entsteht, weil einst zusammenhängende Geschichtsinhalte in zwei Richtungen auseinander gerissen und angepasst worden sind, was jetzt wieder rückgängig gemacht werden muss. Die verschiedenen Intervall-Längen können das Problem widerspiegeln, aber gleichwohl in ihrer Häufung einen Hinweis auf die tatsächliche Länge geben.
Er scheint sich in einem Dilemma gefangen zu haben. Einerseits plädiert er für den unveränderlichen 7-Tage-Rhythmus: “selbstverständlich wurde durchgehend jeden siebten Tag der Sonntagsgottesdienst gehalten, und freitags gab’s Fisch” [Birken 2006a, 185]. Andererseits hat er sich für ein Phantomzeitintervall von 304 Jahren entschieden [Birken 2/05, 457], womit ihm der wöchentliche, selbstverständliche Fischtag gleich wieder verloren geht. Insofern genießt die Zahl 304 zunächst keine höhere Präferenz als die 297.
Die Zahl 297 ist immer als Platzhalter für die tatsächliche Phantomzeitlänge benutzt worden, was ich auch weiterhin empfehle, so lange kein wirklich hartes Argument eine bestimmte Länge fordert und “zementiert”. Ich verweise auf Korths 299 Jahre, die über die Dendrochronologie gewonnen sind und in ihrem Bereich genauso zwingend wirken wie der Ostermond für Birken. Wir wissen aus der Physik, dass die C14-Spezialisten mühsam lernen mussten, dass ein C14-Jahr nicht zwangsläufig einem Kalenderjahr entspricht. So könnten sich auch hier zunächst verschiedene Intervall-Längen ergeben, je nachdem, ob mit astronomischen, physikalischen, biologischen oder chronikalen Hilfsmitteln argumentiert
wird.
*
Zum Ausklang ein Zitat, dem zu entnehmen ist, was bei einer Kalenderreform alles zu beachten ist und wie sich alles fügt, so es gut gemacht wird (aufgespürt von Peter Hahn als einem Kenner alter Schriften): Die
“Nachforschung in den Werken neapolitanischer Chronisten, eines Celano, Eugenio, Cappaccio, hat mich zu der weiteren Entdeckung geführt, daß bis ins vorige Jahrhundert [18. Jh.] Neapel viele Blutheilige hatte. Da besaß man das Blut St. Stefani, das der durch die Vandalen vertriebene Bischof Gaudiosus von Afrika mitgebracht hatte. Im Jahre 1561 wurde es von neuem entdeckt, und als ein Priester Lucianus den Namen des S. Stephanus anrief, ward es flüssig und wiederholte dies jedesmal am Todestage des Märtyrers. Als Papst Gregor den Kalender veränderte, fügte sich das Blut gelehrig in die neue Ordnung” [Trede 1909, 72 f.; Hvhg. H.I.].
Literatur
Birken, Andreas (2005): Das porphyrne Fundament der Mittelalterthese; in: Zeitensprünge 17 (2) 465-471
– (2006a): Österliche Kalendertricks; in: Zeitensprünge 18 (1) 185 f.
– (2006b): Phantomzeit und Osterrechnung; in: Zeitensprünge 18 (3) 748-764
Ekrutt, Joachim (1972): Der Kalender im Wandel der Zeiten; Stuttgart
EuS = Hauptartikel: Heribert Illig: Enthält das frühe Mittelalter erfundene Zeit? Stellungnahmen von Gerd Althoff, Werner Bergmann, Michael Borgolte, Helmut Flachenecker, Gunnar Heinsohn, Theo Kölzer, Dietrich Lohrmann, Jan van der Meulen, Wolfhard Schlosser; Replik von H. Illig; in: Ethik und Sozialwissenschaften. Streitforum für Erwägungskultur 8 (4) 481-520
Frank, Werner (2005): 21. März – Datum der Frühlingstagundnachtgleiche zu Zeiten Caesars, des 1. Nicaea-Konzils und der Gregorianischen Kalenderreform 1582; in: Zeitensprünge 17 (1) 4-14
– (2006): Stellungnahme zu Ulrich Voigt; in: ZS 18 (1) 187 f.
Ginzel, Friedrich Karl (1906/ 1911/ 1914): Handbuch der mathematischen und technischen Chronologie. 3 Bände; Leipzig
Grote, Hermann (1877): Stammtafeln; Leipzig (Reprint 1990, Leipzig)
Heinsohn, Gunnar (1996): Die Wiederherstellung der Geschichte Armeniens und Kappadokiens; in: Zeitensprünge 8 (1) 38-68
Hunnivári, Zoltán (2006): Forradalom a kronológiában. 200 éves idöcsúszás; Budapest
Illig, Heribert (1994): Hat Karl der Große je gelebt? Gräfelfing
– (1997): Zur Abgrenzung der Phantomzeit. Eine Architekturübersicht von Istanbul bis Wieselburg; in: Zeitensprünge 9 (1) 132-143
– (1999): Wer hat an der Uhr gedreht? München
– (2006): Chronologie aus Sicht von 1800 – Johann Jahn; in: Zeitensprünge 18 (13) 547-550
Jahn, Johann (1800): Biblische Archäologie. II. Theil. Politische Alterthümer. I. Band; Wien
Kugler, Franz Xaver (1922): Von Moses bis Paulus. Forschungen zur Geschichte Israels; Münster
Matz, Klaus-Jürgen (52001): Wer regierte wann? München
Neusel, Manfred (2006): Das Rhein-Main-Gebiet im frühen Mittelalter. Versuch einer alternativen Chronologie; in: Zeitensprünge 18 (3) 713-740
Oppolzer, Theoder Ritter von (1887): Canon der Finsternisse; Wien
Pedersen, Olaf (1983): The Ecclesiastical Calendar and the Life of the Church; in: G.V. Coyne: Gregorian reform of the calendar. Proceedings of the Vatican Conference to commemorate its 400th anniversary, 1582-1982; Specola Vaticana
Pfister, Christof (1999): Zur langen Baugeschichte des Mittelalters. Kritik an der überlieferten Chronologie und Versuch einer Neubetrachtung; in Zeitensprünge 11 (1) 139-166
Siepe, Franz (2002): Fragen der Marienverehrung. Anfänge · Frühmittelalter · Schwarze Madonnen; Gräfelfing
Simmering-Film = 300 Jahre erstunken und erlogen? Über Zweifel an unserer Zeitrechnung (1996); TV-Film von Klaus Simmering für den MDR
Trede, Theodor (1909): Bilder aus dem religiösen und sittlichen Volksleben Süditaliens; Gotha
Topper, Uwe (1996): – [Leserbrief]; in: Zeitensprünge 8 (3) 398
– (2006): Der Zeitsprung von 297 Jahren ist widerlegt; http://www.cronologo.net/pages/voigtrechnungdt.htm
Weissgerber, Klaus (2003): Ungarns wirkliche Frühgeschichte. Árpád erobert schon 600 das Karpatenbecken; Gräfelfing
Voigt, Ulrich (1996): – [Leserbrief Zeitrechnung]; in: Zeitensprünge 8 (2) 242 f.
– (2005): Über die christliche Jahreszählung; in Zeitensprünge 17 (2) 420-454
– (2006): L = 0; in: Zeitensprünge 18 (3) 741-747
EINFÜHRUNG
Der “Hungarische Kalender” ist eine Art der Zeitrechnung – bis zur offiziellen Anerkenntnis eine Hypothese – nach der der Julianische Kalender im Jahre 154 nach unserer Zeitrechnung (n.u.Z.) durch Julius Cäsar eingeführt wurde. Der hierfür offiziell anerkannte, in breiten Kreisen unterrichtete Zeitpunkt ist das Jahr 45 vor Christus (BC).
Die einzige Möglichkeit diese Differenz zu erklären ist: es existieren 1198 Jahre überflüssige Geschichte, oder etwas drastischer ausgedrückt, wir haben 198 Jahre “erfundene Geschichte” auf unserer astronomischen Zeitachse. Lassen Sie mich betonen, dass sich Schüler heutzutage ca. 200 Jahre erfundene Geschichte einprägen müssen, da sie ein Bestandteil des Lehrplans während der Schulpflicht ist.
Im “Hungarischen Kalender” ist das Jahr 154 n.u.Z. als Startpunkt für den Julianischen Kalender durch eine einfache Zurückrechnung der Primär-Äquinoktien (Frühlings-Tagundnachtgleichen) gegeben und die “Neue Chronologie” wird durch historische Sonnenfinsternisse untermauert.
Eine Grundlage des “Hungarischen Kalenders” ist, dass der Frühlingspunkt (der Zeitpunkt des Primär-Äquinoktiums) sowohl zu Beginn des Julianischen Kalenders (154 n.u.Z.), als auch zur Zeit der Korrektur durch Augustus (208 n.u.Z.) auf ned 21. März fällt. Dies kann rechnerisch bewiesen werden.
Der “Hungarische Kalender” beantwortet die Frage, warum Papst Gregor XIII. im Jahr 1582 (richtiger Weise) nur 10 Tage korrigiert hat. Weiterführend stellt die “Hungarischer Kalender” Hypothese auch die Behauptung auf, dass Jesus Christus im Jahr 194 n.u.Z. geboren wurde (wenn er tatsächlich im Alter von 33 Jahren starb).
Der “Hungarische Kalender” setzt die Phantomzeit (ca. 200 Jahre) zwischen die Jahre 880 und 1080 der offiziellen Chronologie. Das bedeutet gleichzeitig, dass das Jahr 880 nach Christus (AD) mit dem Jahr 1080 n.u.Z. zusammenfällt (etwas veranschaulichter: wenn in Geschichtsbüchern von den Jahren 880 AD und 1080 AD geschrieben wird, ist von einunddemselben Jahr die Rede).
Da keine Zeit vorhanden ist, kann es auch keine historischen Ereignisse geben, auch wenn sie unterrichtet werden. Daraus erkennt man auch, dass dieses Missverständnis, oder bewusste Manipulation in der römischen/vatikanischen Version der katholischen Zeitrechnung stattgefunden hat.
Hiermit möchte ich folgendes detailliert erläutern.
Bis 880 AD, anders geschrieben 1080 n.u.Z., stimmt die relative Chronologie! Ab 1080 ist die Zeitrechnung in Ordnung und wir schreiben heute das Jahr 2006 n.u.Z.
Wie war es möglich 200 fiktive Jahre in unsere Zeitgeschichte einzufügen?
Wie konnte diese Manipulation so lange unentdeckt bleiben?
Wie verlief der Prozess der Umgestaltung des Kalenders?
Wann wurde unsere Geschichte mit ausgedachten Ereignissen gefüllt?
Wer muss für immer aus unseren Geschichtsbüchern gelöscht werden?
Dieses Werk versucht auf die oben genannten Fragen, und des weiteren auf ähnliche, aufregende Fragen Antworten zu finden.
Gibt es das Buch auch auf Deutsch oder Englisch?
HUNNIVÁRI, hungarian and English:
Sorry…
Once more:
Hunnivári:
http://www.osservatorioletterario.net/200ev.pdf
.
Link fixed, Thanks.
“” Illig / Voigt””
Topper hat 1996 nachgerechnet, dass sich aus den 297 julianischen Jahren von 614-911 glatte 15.497 Wochen ergeben. […] doch er hat widerrufen [Topper 2006].
Nein, Topper hat die Zahl 15.497 überhaupt nicht widerrufen. Er hat (wenn auch erst nach vielen Jahren) eingesehen, dass es nicht genügt, wenn die Phantomzeit eine glatte Zahl von Wochen umfasst. 1996 habe ich das in den Zeitensprüngen vorgetragen, und manchmal dauert es eben lange, bis sich einfache Überlegungen mitteilen. Die Formulierung Illigs hört sich so an, als ob er damit auch heute noch Schwierigkeiten hätte.
Mich stört die Formulierung “Hat widerrufen”, denn es geht hier nicht um Glaubensbekenntnisse, sondern um Sachverhalte.
Illig: “Diese Steine [Ravenna / Rom] sind nicht wirklich datiert, ihre Zahlenangaben entsprechen laut Voigt den heutigen Rückrechnungen. Hier kann ein Zirkelschluss versteckt sein.”
Nanu? Ist es denn nicht möglich, die vorliegenden Rückrechnungen zu überprüfen und sachlich beurteilen?
Immerhin stammt die gesamte Argumentation aus dem 17. Jahrhundert, nämlich von den beiden italienischen Astronomen Cassini und Bianchini!
Es reicht nicht hin, einen Zirkelschluss ins Blaue hinein zu vermuten, man muss schon den Finger auf die Wunde legen können.
Illig: “Theodor von Oppolzer /Franz Xaver Kugler / Johann Jahn”
Ich verstehe überhaupt nicht, was diese Hinweise mit einem möglichen Zirkelschluss bei Bianchini / Cassini zu tun haben.
Illig : “Nachdem der Stein des Hippolyt laut Voigt “als ältestes Monument christlicher Kalenderkunst geehrt” wird […], darf man voraussetzen, dass v. Oppolzer, Ginzel et Co. ihn hinreichend berücksichtigt und in ihr Gesamtsystem eingepasst haben.”
Darf man das? Ginzel nennt Hippolytus nicht im Index. Ich behaupte: Er hat ihn in keiner Weise berücksichtigt.
Es ist ja, wie man bei Scaliger (1595) und Ideler (1826) sehen kann, ein gewaltiger Unterschied zwischen “als ältestes Monument ehren” und “sachlich ernstnehmen” oder gar “verstehen”.
Illig: “Insofern könnte es so sein, dass Voigts Rückrechnungen nur ältere Justierungen nachrechnend bestätigen.”
Nanu? Ist es also nicht möglich, die vorliegende Rückrechnung sachlich zu überprüfen?
Illig :”eine Ungereimtheit”
Gemeint ist der 18. märz, der auf der Passatafel des Hippolytus als frühester Termin für den Ostervollmond gesetzt ist. Ungereimt ist dieses Datum allerdings dann, wenn es als astronomisches Äquinoktialdatum interpretiert wird. Man muss aber bedenken, dass auch der 21. märz auf der Tafel eine zentrale Rolle spielt, und sogar in Verbindung mit dem 5. april. Die Sache ist insgesamt komplexer als es auf den ersten Blick scheint.
Illig: “Olaf Pedersen [37] ist offenbar bereit gewesen, Ostermonde am 18. 3. zu akzeptieren, indem er mutmaßte, Hippolyt habe dieses Datum für die Äquinoktie gewählt, weil da für die Römer die Sonne in den Widder (Aries) wechselte.”
Die Ansicht Peddersens stammt von Eduard Schwartz (1905) und wurde bereits von Bucherius (1633) vertreten. Eine immerhin sinnvolle Spekulation!
Illig: “In diesem Fall hätte Hippolyt nicht nur Bezug auf einen heidnischen Kaiser genommen, sondern noch nicht einmal die christlichen Ostergrenzen gekannt.”
“Auf alle Fälle würde zwingend ein christlicher Kaiser gebraucht,”
Die christlichen Ostergrenzen, die sich schließlich überall durchgesetzt haben, existierten zur Zeit des Severus Alexander noch nicht, was man eben aus diesem ältesten Monument christlicher Osterkalkulation erkennen kann.
Der heidnische Kaiser hatte offenbar ein offenes Ohr für die Christen. Eusebius schreibt, dass es nach seinem Tode eine Verfolgung der christlichen Höflinge gab und dass seine Mutter mit Origenes verkehrte.
Die Tafel des Hippolytus ist vermutlich viel römischer als es auf den ersten Blick erscheinen mag, d.h. sie war dem nicht-christlichen Kaiser verständlich.
Erstens handelt es sich um den Julianischen Kalender.
Zweitens war die 7tägige Woche bereits seit Hadrian römisch.
Drittens handelt es sich bei dem 8jährigen Mondzyklus wahrscheinlich um eine römische (vor-christliche) Errungenschaft. Der 13. april (=Iden des april), mit dem die Tafel als Vollmondsdatum beginnt, entspricht (ich folge hier der Argumentation Hunnivaris) einer römischen Erwartung: Iden als Vollmond, Kalenden als Neumond. Unterstellt man den Römern, dass sie einen 8jährigen Mondzyklus hinsichtlich des 19jährigen Mondzyklus zu schalten wussten (was laut Livius I, 19 zutrifft), dann springt ins Auge, dass auch im Jahr 1 des Julianischen Kalenders ( 45. v. Chr.) der astronomische Vollmond auf den Iden des april war. Die Passatafel des Hippolytus konnte also auch einem nicht-christlichen Herrscher gut gefallen, denn indirekt wurde er hier mit Julius Caesar in Verbindung gebracht. Francesco Bianchini, der das gemerkt hat, wusste natürlich, dass zwischen dem Jahr 1 des Julianischen Kalenders und dem Jahr 1 Alexander genau 266 ( = 28 x 19) Jahre verflossen waren. Die Tafel des Hippolytus bestätigt insofern die Behauptung Paul von Middelburgs (1513), dass die Römer den 19jährigen Mondzyklus kannten.
Illig: “Kaiser Alexander: ab 869 / ab 912 / Alexios von 1081 bis 1118 / von 1123 bis 1142”
Nur der erste passt zur Rückrechnung.
Illig: “Da wir aber den 838 aus meiner Sicht noch rund 300 Jahre hinzuzählen müssen,”
Der Schluss beruht auf einem Missverständnis, denn das Jahr 838, auf welches die Rückrechnung aufmerksam macht, ist ausgehend von einem gegenwärtigen Jahr (durch fortlaufende Subtraktion von 56) gewonnen. Es unterliegt also keinerlei Phantomzeiteffekt.
Illig: “Voigt versucht eine mathematisch klare, saubere Rechnung zu präsentieren, die allerdings nur mit Mühen zu erhalten ist. ”
Warum nicht einfach: Voigt präsentiert eine mathematisch klare und saubere Rechnung”?
Illig: “Voigt wird in seinem angekündigten Buch sicher erklären, warum er 56er-Zyklen über fast 1.300 Jahre bis 1510 aufaddiert und wieder zurückrechnet.”
Das ist bereits hinreichend erklärt.
Ulrich Voigt
Voigt’s in einem seltsam gereizten Ton geschriebener Kommentar scheint überhaupt keinen Widerspruch zulassen zu wollen. Illigs Warnung vor der Gefahr der Zirkelschlüssigkeit ist für Voigt ein rotes Tuch. Für ihn ist alles glasklar: Weil die Hippolytstatue im dritten nachchristlichen Jahrhundert entstanden ist und heutige Rückrechnung mit dieser Datierung übereinstimmt, ist die FZT erledigt. Im Grunde hätte die FZT gar nicht formuliert werden dürfen, weil schon Cassini und Bianchini so argumentierten und rechneten wie Voigt heute. Wo sollte denn in dieser Argumentation, die von so großen und namhaften Gelehrten gestützt wird, ein Zirkelschluss versteckt sein können?
Dass es gute Gründe gibt, die Lage ganz anders zu beurteilen, wird von Voigt entweder völlig ausgeblendet oder nicht anerkannt. Eine Abwägung zwischen den Gründen, die für die FZT sprechen, und solchen, die ihr entgegenstehen, sucht man bei Voigt vergeblich. Voigt sieht nur die Einwände gegen die FZT und ist davon überzeugt, dass sie stichhaltig sind. Folglich nimmt er es Illig übel, dass dieser ein paar Dinge dann doch ein wenig anders sieht. Voigt ist zornig und beleidigt, dass ihm bis jetzt nicht Recht gegeben wurde, und formuliert seinen Kommentar entsprechend als Frontalangriff, der Illig auch persönlich treffen soll.
Indes: ein wenig Besinnung täte der Auseinandersetzung gut. Sie würde zumindest helfen, einige Missverständnisse zu vermeiden, die sich sonst nur allzu leicht einstellen. Und sie könnte Voigt eventuell zeigen, dass die Cassini-Bianchini-Voigt-Argumentation so umwerfend stark, wie sie bei ihm dank geschicktem rhetorischem Vorgehen erscheint, nun auch wieder nicht ist. Genaues Rechnen ist wichtig, aber es kann die Deutung materieller und dokumentarischer Überreste nicht ersetzen. Die folgenden Bemerkungen wollen dies zeigen und Voigt’s Ausführungen dadurch relativieren, dass sie einen Teil des Kontextes in Erinnerung rufen, in dem sich die gegenwärtige Diskussion bewegt.
Schauen wir uns doch die beiden Prämissen des Voigt’schen Anti-FZT-Schlusses mal genauer an – also (1) „Die Hippolytstatue stammt aus dem dritten nachchristlichen Jahrhundert“ und (2) „Die Rückrechnung bestätigt diese Datierung“. Die stärkere der beiden Prämissen ist zweifellos Prämisse (2): die Übereinstimmung zwischen den an die Hippolytstatue angebrachten Tafeln und heutiger Rückrechnung. Nun wäre zu dieser Übereinstimmung Einiges zu sagen – unter anderem dass sie keineswegs zwingend ins dritte Jahrhundert verweist (wie Voigt selbst zugibt). Viel schwerer wiegt aber, dass gerade Übereinstimmungen dieser Art vollständig frei konstruierbar sind: Wer den Julianischen Kalender und die relevanten Monddaten kennt, kann für jede beliebige Zeit vor 1582 n. Chr. stimmige Mond-, Oster- und Passatafeln erstellen.
Voigt hält dem entgegen, dass die Tafeln auf der Hippolytstatue Eigentümlichkeiten aufweisen, die ein Fälscher des 16. Jahrhunderts nie hätte bedenken können, weil sie für die Antike einzigartig seien. In seinem letzten ZS-Artikel heißt es zum Beispiel: „In der Tat ist der Gebrauch von 14 Passa = Ostervollmond vollkommen singulär.“ [S. 745] Offenbar verdrängt Voigt damit die doch ziemlich naheliegende Deutung, dass gerade eine solche Singularität ein Hinweis auf Fälscherfantasie sein könnte. Zwar ist auch letztere Deutung keineswegs zwingend. Sie zeigt aber wohl, dass Voigt’s Hervorheben von Echtheitsargumenten einseitig ist, und dass sein Vorgehen nicht der Logik, sondern der Rhetorik verpflichtet ist. Dasselbe gilt etwa für die 112-jährige Ostertafel, die im ganzen Mittelalter nicht auftauche und deshalb auch für die Hippolytstatue nicht hätte erfunden werden können.
Was Voigt generell nicht wahr haben möchte, ist die Möglichkeit, dass die Geschichte so mancher vergangener Epoche ein Produkt der Fantasie sein könnte und nachträglich konstruiert wurde. An keiner Stelle rechnet er mit diesem Einwand. Die Möglichkeit systematischer und kollektiv betriebener Geschichtsfälschung erscheint ihm derart absurd, dass er sie erst gar nicht in Erwägung zieht. Dabei hat doch die bisherige Entwicklung der FZT gezeigt, dass gerade diese Möglichkeit der Realität unter Umständen sehr viel näher ist, als wir uns das noch vor nicht allzu langer Zeit vorstellen konnten.
Als im Jahre 1986 der große Historikerkongress über das Thema „Fälschungen im Mittelalter“ stattfand, konnte noch niemand ahnen, in welche Richtung sich die Dinge bei einigen Wissenschaftlern entwickeln würden, die mit dem Werk des Psychoanalytikers Immanuel Velikovsky näher vertraut waren. Dass die durch den Kongress nachdrücklich in Erinnerung gebrachte systematische mittelalterliche Fälschungstätigkeit auch zur Erfindung dreier Jahrhunderte hat führen können, erschien zunächst als eine Hypothese jenseits von Gut und Böse. Inzwischen ist der Gedanke dem allgemeinen Bewusstsein nicht mehr ganz so fremd. Unsicher bleiben aber nach wie vor der genaue Umfang und vor allem die Motivation des massenhaften Fälschens.
Allerdings ist bei aller Ungewissheit nicht zu übersehen, dass das Fälschen hauptsächlich im kirchlich-klösterlichen Bereich vonstatten ging. Das soll nun nicht als Anklage oder Kriminalisierung der mittelalterlichen Kirche missverstanden werden (wenn die FZT Recht hat, irrt etwa auch Karl-Heinz Deschner und wären 300 Jahre kirchliche Kriminalgeschichte zu streichen). Vom Feststellen der Fälschungstätigkeit bis zur moralischen Rechtfertigung oder Verurteilung ist immer noch ein weiter Weg, den die FZT nicht gehen möchte. Die FZT hält lediglich fest, dass gerade innerhalb der Kirche exzessiv gefälscht wurde – und dass dieses Fälschen eine Tendenz hatte: Es ging nicht zuletzt um das Rückdatieren von Schriften, Kulturobjekten und Ereignissen jeder Art.
Über die Frage, warum dieses Rückdatieren den kirchlichen Stellen so wichtig war, lässt sich nach wie vor trefflich streiten. Zweifellos ging es um Besitz- und Geltungsansprüche. Der Historiker Ignaz Döllinger hat die These vertreten (und der Mediävist Horst Fuhrmann ist ihm darin gefolgt), dass auf diese Weise der Romprimat der Westkirche gegen Konstantinopel durchgesetzt wurde. Diese These wird im Lichte der FZT nicht unbedingt unwahrscheinlicher. Dass die Behauptung des Romprimats durch eine künstlich nach hinten verlängerte Geschichte der Westkirche nicht gerade geschwächt wird, leuchtet ein. Wenn das zugegeben wird, ist in unserem Zusammenhang zu fragen, ob denn das mittelalterliche Erfinden westlicher Kirchengeschichte mit dem Untergang Konstantinopels und dem Einsetzen der Renaissance aufgehört hat, oder ob sich auch im 16. Jahrhundert noch Spuren kirchlicher Fälschungstätigkeit finden lassen.
Vor diesem Hintergrund – den Voigt vollständig ausblendet – wäre nun die Haltbarkeit der ersten Voigt’schen Prämisse zu diskutieren: die Behauptung, die Hippolytstatue sei eine Statue des dritten Jahrhunderts. Es ist nicht zu überlesen, dass das Zutreffen dieser These Voigt sehr wünschenswert erscheint. Indes geht er mit keinem Wort auf die Umstände der Entdeckung und späterer tendenziöser Ergänzung der Statue ein. Dass die Statue nicht immer den bärtigen Hippolyt gezeigt hat: von Voigt erfährt man das nicht. Dass es Gründe für die Annahme gibt, es handelte sich bei der Statue ursprünglich um eine Frau (wie Margherita Guarducci plausibel macht): bei Voigt wird das nicht diskutiert. Dass der Archäologe und Architekt Pirro Ligorio die Hippolytstatue für Hippolyt II. ergänzt hat, jenen Sohn der Lucrezia Borgia, der mehrmals versucht hat, Papst zu werden: für Voigt kein Thema. Wo Voigt’s Vertrauen in das gesellschaftliche und kulturelle Milieu herkommt, in dem die Hippolytstatue entdeckt und ergänzt wurde, bleibt dem Leser der Voigt’schen Ausführungen verborgen.
Zwar ist die zweifelhafte Hippolytstatue nicht Voigt’s einziges Argument, aber sie ist das wichtigste. Es ließe sich noch so manches über sie sagen – wie auch über den ebenso dubiosen Hippolyt selbst, den sie darstellen soll. Bei Voigt sind aber Zweifel nicht vorgesehen. Stattdessen gibt’s Polemik und viel genaues Rechnen. Gegen Letzteres ist nun selbstverständlich nichts einzuwenden – im Gegenteil. Voigt ist sicherlich darin zuzustimmen, dass das genaue Durch- und Nachrechnen der Beziehungen zwischen den vielen Oster- und Mondtafeln schöne und auffällige Stimmigkeiten und Unstimmigkeiten zutage bringt. Nur macht dieses Rechnen allein die historische Realität der Tafeln nicht plausibler. Denn die Frage bleibt nach wie vor, ob Voigt nicht lediglich eine großartige und glanzvolle nachfantomzeitliche Wunschfantasie rechnerisch bestätigt. Solange Voigt diese Frage bzw. diejenigen, die mit dieser Frage an Geschichte herantreten, nicht ernster nimmt, als er es bis jetzt tut, solange wird es ihm nicht gelingen, die FZT zu widerlegen.
Bedauerlich, wie hier versucht wird, die Diskussion zu emotionalisieren. An meiner Darstellung kann das nicht liegen, weder hier auf dem Forum, noch in dem Aufsatz L=0.
Diesen Aufsatz kann man einsehen auf http://www.jesus1053.com/ > Eigenverlag für jeden Autor > Ulrich Voigt > Länge L der Phantomzeit.
Auf dem genannten Forum jesus1053 gelte ich übrigens für manche als „Illigianer“, was ich akzeptiere. Ein Illigianer ist jemand, der die Frage nach einer Phantomzeit innerhalb der letzten zwei Jahrtausende für sinnvoll erachtet. Die Antwort L=0 setzt voraus, dass L sinnvoll definiert ist.
JB unterstellt mir die Ansicht: „Im Grunde hätte die FZT gar nicht formuliert werden dürfen,“
Das Gegenteil ist wahr, denn die FZT hat starke Gründe für sich. Ich habe nie etwas anderes behauptet.
JB unterstellt mir die Ansicht: „Wo sollte denn in dieser Argumentation, die von so großen und namhaften Gelehrten gestützt wird, ein Zirkelschluss versteckt sein können?“
Das unterstellt, dass ich nur einer Autorität folge. Dabei liefere ich eine vollständige Argumentation.
JB analysiert meine Argumentation hinsichtlich ihrer Voraussetzungen: „die beiden Prämissen des Voigt’schen Anti-FZT-Schlusses mal genauer an – also (1) „Die Hippolytstatue stammt aus dem dritten nachchristlichen Jahrhundert“ und (2) „Die Rückrechnung bestätigt diese Datierung“.“
Erstens geht es überhaupt nicht um einen Anti-sonstwas-Schluss, sondern einfach nur um einen Schluss. Die Frage lautet nicht: Wie bringe ich die FZT zu Fall? Sondern: Auf welches Jahr passt diese Ostertafel?
Zweitens ist (1) keineswegs eine Voraussetzung meines Schlusses, sondern ein Ergebnis. Man muss sich schon recht anstrengen, dies zu verwechseln.
JB möchte „Voigt’s Ausführungen dadurch relativieren“
Mit anderen Worten: Gegen Voigts Argument ist an sich kein Kraut gewachsen …
JB schreibt: „Genaues Rechnen ist wichtig, aber es kann die Deutung materieller und dokumentarischer Überreste nicht ersetzen.“
Nanu? Wo, bitte hätte ich versucht, das vorliegende Objekt durch eine Rechnung zu ersetzen?
JB bemängelt: „Eine Abwägung zwischen den Gründen, die für die FZT sprechen, und solchen, die ihr entgegenstehen, sucht man bei Voigt vergeblich.“
„Indes geht er mit keinem Wort auf die Umstände der Entdeckung und späterer tendenziöser Ergänzung der Statue ein.“
Das war auch für die gestellte Frage nicht notwendig.
JB: „die Übereinstimmung zwischen den an die Hippolytstatue angebrachten Tafeln und heutiger Rückrechnung. Nun wäre zu dieser Übereinstimmung Einiges zu sagen – unter anderem dass sie keineswegs zwingend ins dritte Jahrhundert verweist (wie Voigt selbst zugibt).“
Die Tafeln sind nicht an der Statue angebracht, sondern in den Thronsockel eingearbeitet.
Der Ausdruck „wie Voigt selbst zugibt“ ehrt mich, so als würde ich diese Dinge verwalten. Er stört mich aber auch, denn er passt nicht in einen wissenschaftlichen Disput. Die Tafel lässt zwei Möglichkeiten zu, mehr nicht. Das ist ein enorm aussagekräftiger Befund, über den man dann vertieft nachdenken soll. Es geht aber gewiss nicht einfach darum, sich eine besonders genehme Antwort herauszusuchen!
JB behauptet: „Viel schwerer wiegt aber, dass gerade Übereinstimmungen dieser Art vollständig frei konstruierbar sind: Wer den Julianischen Kalender und die relevanten Monddaten kennt, kann für jede beliebige Zeit vor 1582 n. Chr. stimmige Mond-, Oster- und Passatafeln erstellen.“
Oh oh. Ich bitte darum, eine Reihe solcher Übereinstimmungen einmal vorzulegen. „Wer den Jullianischen Kalender kennt“ – eine typische Formulierung, Ahnungslose einzuschüchtern!
„Denn die Frage bleibt nach wie vor, ob Voigt nicht lediglich eine großartige und glanzvolle nachfantomzeitliche Wunschfantasie rechnerisch bestätigt.“
Na ja, so eine Frage kann man leicht beliebig hinwerfen. Wenn man mich aber damit kritisieren möchte, muss man sich schon etwas mehr anstrengen und nachweisen, dass ich wirklich nicht mehr leiste als eine Wunschphantasie zu bedienen. Aber dafür müsste man schon argumentieren, statt zu polemisieren.
Grundsätzlich ist es überhaupt nicht verwerflich, ein Ergebnis beweisen zu wollen, das man sich zugleich auch wünscht, sondern normal.
Ulrich Voigt schrieb:
“Die Tafel lässt zwei Möglichkeiten zu, mehr nicht. Das ist ein enorm aussagekräftiger Befund, über den man dann vertieft nachdenken soll.”
Diese Aussage ist ein gutes Beispiel für Ihre Argumentation und Rhetorik, die wie eine im klaren Sonnenlicht glänzende Wolke frei über allen irdischen Dingen schwebt.
Mit den “zwei Möglichkeiten” meinen Sie die Jahre 222 n. Chr. und 838 n. Chr. Dass die Tafel nur diese beiden Möglichkeiten zulässt, soll ein “enorm aussagekräftiger Befund” sein.
An dem Befund ist aber ganz und gar nichts “enorm aussagekräftig”, soweit es um die Frage nach der Länge der FZ geht – es sei denn, Sie gehen von vorneherein von der Bedingung aus, die Tafel sei vorhochmittelalterlich.
Aber selbst beim Zutreffen dieser Bedingung wäre die Tafel immer noch sehr weit davon entfernt “enorm aussagekräftig” zu sein. Denn in der relevanten Hinsicht “enorm aussagekräftig” wird die Tafel einzig und allein durch den Bezug auf einen bereits unabhängig von der Tafel bekannten und datierten Kaiser Alexander oder einen ebensolchen Papst Hippolyt.
Also erst das Zutreffen von mindestens zwei empirischen Bedingungen macht die Tafel “enorm aussagekräftig” im Hinblick auf L. Das heißt selbst wenn Bedingung (1): “Die Tafel sei im Ganzen oder im wesentlichen vorhochmittelalterlich” der historischen Realität entsprechen sollte, wäre immer noch Bedingung (2): “Die Tafel stammt aus der Zeit eines traditionell ins 3. Jh. datierten Kaisers Alexander” plausibel zu machen.
Wenn Sie aber in Ihrem Kommentar zu einer Bedingung, die (2) ganz ähnlich ist, schreiben, diese sei “keineswegs eine Voraussetzung meines Schlusses, sondern ein Ergebnis”, wird der Ihnen vorgeworfene Zirkelschluss mit Händen greifbar.
Zunächst geht es darum, das Kopfjahr der Tafel zu lokalisieren, wofür es genau zwei Möglichkeiten gibt, 222 und 838.
Zieht man die Ostertafel zu Ravenna mit hinzu, für deren Kopfjahr es nur eine einzige Möglichkeit gibt, nämlich 532, und bedenkt den zyklischen Zusammenhang der beiden Tafeln, so scheidet 838 als Möglichkeit aus.
Dasselbe passiert, wenn man (mit Cassini) auch noch den Osterneumond als astronomisch passende Größe fordert.
Dieser Schluss ergibt sich zwingend, wenn man voraussetzt, dass die Woche und die Schalttage kontinuierlich durchliefen, denn die Tafel zeigt eine 7tägige Woche und eine 4jährige Schaltung.
Die einzige Möglichkeit, diesem Schluss zu entgehen, besteht darin, eben diese Voraussetzungen aufzugeben, wie es z.B. Hunnivari tut, der sich vorstellt, Innozenz III. habe die Schaltung um 2 Jahre verschoben.
Die weitere Voraussetzung ist dann die, dass die Tafel in etwa aus der Zeit ihres Kopfjahres stammt. Diese Voraussetzung wurde von jb verwechselt mit der Voraussetzung, sie stamme aus dem 3. Jahrhundert.
Natürlich wäre es durchaus möglich, dass die Tafel viel später entstanden ist und auf dieses Jahr 222 nur zurückgerechnet wurde. Und es ist geboten, diese Möglichkeit ernsthaft zu prüfen. Mit anderen Worten: Man sollte sich auf die Suche machen nach einer Zeit und einer Situation, in der dieses Artefakt als rückgerechnetes Etwas Sinn macht. Alle Anstrengungen, die in dieser Richtung unternommen wurden, endeten aber bislang im Unsinn.
Da genügt der Hinweis auf die bekannte Tatsache, dass im Mittelalter viel gefälscht wurde, überhaupt nichts. Wenn man aber nun keine Möglichkeit findet, die Tafeln irgendwo sinnvoll unterzubringen, ist es geboten, sie dorthin zu datieren, wo sie von ihrem Inhalt hert hingehören, nämlich in die Nähe ihres Kopfjahres.
Dann erst, wenn man sich diesem Schluss stellt, wird der Name Alexander (der auf der Tafel als basileus, autokrator und kaiser bezeichnet wird) interessant. Und jetzt wird es auch interessant, dass ganz unabhängig von der Tafel für das Jahr 222 bereits ein Kaiser Alexander in Rom überliefert ist, denn jetzt erfährt eine schwer zu beurteilende Überlieferung plötzlich eine Stütze.
Und wo, bitte, steckt hier der Zirkelschluss?
Sie kommen mit dieser Methode nicht durch, Herr Voigt! Sie ist zu gewaltsam, braucht zu viel rhetorischen Aufwand.
Es ist doch offensichtlich, dass Ihre Argumentation an der Echtheit der Hippolytstatue hängt. Nur wenn die in deren Sockel eingemeißelte Ostertafel wirklich und nachweislich im 3. Jh. n. Chr. entstanden wäre, wäre der Schluss „L = 0“ zwingend.
Um diesen Schluss ziehen zu können (und Sie möchten ihn ziehen), erklären Sie jeden bisher geäußerten Zweifel an der Echtheit der Statue kurzerhand für „nicht ernst gemeint“ (wie in der Diskussion im Forum) oder gar, wie gerade in Ihrem Kommentar, zum „Unsinn“.
Die Umstände der „Entdeckung“ (in Wirklichkeit Fälschung) der Hippolytstatue interessieren Sie offenbar nicht im Geringsten. Dass wir uns hier im Dunstkreis des Borgia-Clans bewegen, ist Ihnen völlig gleichgültig. Hinweise darauf tun Sie pauschal als „Fantasien“ ab (wie kürzlich im Forum). Sie verlassen sich blind auf den holländischen Gelehrten Smetius, der Ihrem Kronzeugen Ligorio ein angeblich unbedingt zu respektierendes „sehr gut“ ausgestellt hat.
In der Sicht einer kritischen Epigrammatik, die erst zwei Jahrhunderte nach Smetius einsetzt, fällt das Urteil über Ligorio freilich sehr viel weniger erfreulich aus. Nicht nur der deutsche Epigraphiker Wilhelm Henzen (1816-1887) lässt an Ligorio kein gutes Haar. Schon ein Jahrhundert früher sahen das italienische Kollegen genauso: „Modern critical research in the field of epigraphy began with the detection of those forgeries (especially of the very extensive and skilful ones of Pirro Ligorio, the architect to the house of Este) by Maffei, Olivieri and Marini.“ [http://www.1911encyclopedia.org/Inscriptions]
Obwohl gelegentlich andere Stimmen laut werden, hat sich die Meinung über Ligorio auch ein Jahrhundert nach Henzen nicht wirklich verändert, wie ein Zitat aus Ernst Meyers „Einführung in die lateinische Epigraphik“ (Darmstadt 1973) zeigen darf:
„Das große Interesse an den Inschriften und das Entstehen großer öffentlicher und privater Inschriftensammlungen rief auch die Fälscher auf den Plan. Die älteren Sammlungen – vor allem diejenige Muratoris – enthielten viele Fälschungen, und auch im heutigen Inschriftencorpus wird jeder Band durch eine Zusammenstellung der gefälschten Inschriften eingeleitet, die den älteren Bearbeitern oft erhebliche Schwierigkeiten bereiteten. Für die Stadt Rom nehmen die Fälschungen sogar einen ganzen Band für sich allein in Anspruch. Der berühmteste Name unter diesen Fälschern ist der Neapeler Architekt Pirro Ligorio (1530-1586), der in seinem umfangreichen Schrifttum Tausende von Inschriften erfand, die noch sehr lange nachher Unheil anrichteten …“
[http://www.tu-berlin.de/fb1/AGiW/Auditorium/HiHwAltG/SO5/Meyer.htm]
In diesem Sumpf steckt die Hippolytstatue, an deren Echtheit Ihre Argumentation für „L = 0“ hängt.
Also wenig Grund zum Vertrauen ins irdische Fundament Ihrer hehren Schlüsse. Ich gebe Ihnen nur in einem einzigen Punkt Recht: Zu einer finalen Destruktion Ihrer Position wäre ein sehr viel gründlicheres Vorgehen notwendig, als ich es hier demonstriere. Es hätte zum Beispiel von einer genauen Beschreibung der Hippolytstatue und einer wortgetreuen Wiedergabe der einschlägigen Smetius-Stellen auszugehen. (Vielleicht liefern Sie uns dieses Material in Ihrem demnächst erscheinenden Bianchini-Buch?) An einer solchen Destruktion ist mir aber gar nicht gelegen. Sollen Sie es doch noch ein bisschen weiter versuchen können. Lehrreich ist das allemal.
jb: “… wenn die in deren Sockel eingemeißelte Ostertafel wirklich und nachweislich im 3. Jh. n. Chr. entstanden wäre, wäre der Schluss „L = 0“ zwingend.”
Na bitte!
jb: “Sie kommen mit dieser Methode nicht durch, Herr Voigt! Sie ist zu gewaltsam, braucht zu viel rhetorischen Aufwand.”
Ein alter Trick, dem “Gegner” die eigenen Sünden anzulasten … Die Methode, die ich anwende, nennt sich seit van der Waerden die astronomische Methode und hat weder etwas mit Gewaltsamkeiten, noch mit Rhetorik zu tun. Und schon gar nicht mit “zu viel”.
jb: “Es ist doch offensichtlich, dass Ihre Argumentation an der Echtheit der Hippolytstatue hängt.”
Ja, das stimmt, wie ja auch umgekehrt die Gegenargumentation an der Falschheit des Objekts hängt.
Die Frage ist insofern die:
Wo findet man für diese Tafeln ein historisches Umfeld, in das sie hineinpassen?
Und diese Frage muss gestellt werden (1) unter der Annahme, dass es sich um ein genuines Artifakt handelt, nämlich um eine Ostertafel aus der Umgebung ihres Kopfjahres, (2) unter der Annahme, dass es sich um rückgerechnete Tafeln handelt, die aus irgendwelchen Sekundärgründen ersonnen und hergestellt wurden.
Gegenwärtig ist es so, dass sich ad (1) in der Tat ein sinnvolles Umfeld in der Zeit findet, die man als späte Severerzeit bezeichnet, d.h. die Tafeln passen hervorragend zu dem, was man immer schon über die soziale und geistige Umgebung des Kaisers Alexander Severus für wahr gehalten hat, und dass ad (2) sich nur abenteuerliche (um nicht zu sagen: hahnebüchene) Ad-hoc-Phantasien auftun.
jb: “Die Umstände der „Entdeckung“ (in Wirklichkeit Fälschung) der Hippolytstatue / Ligorio / Dunstkreis des Borgia-Clans”
Dazu empfehle ich die sorgfältig abwägende und detaillierte Darstellung in:
Allen Brent: “Hippolytus and the Roman church in the third century: communities in tension before the emergence of the monarch-bishop”, Leiden 1995.
jb zitiert aus Ernst Meyers „Einführung in die lateinische Epigraphik“ (Darmstadt 1973)
Ebendort liest man über Smetius:
“Die ältesten gedruckten Sammlungen lateinischer Inschriften waren diejenigen von Ravenna, Augsburg, Mainz und Rom, denen 1534 die erste allgemeine Sammlung des Petrus Apianus von Ingolstadt folgte. Diese ersten Drucke beruhten nur auf den älteren Sammlungen, die sie zudem durch Druckfehler und sonstige Nachlässigkeiten noch verschlechterten. Neu angelegte Sammlungen und Neufunde vermehrten die Zahl der bekannten Inschriften erheblich, vor allem aber entwickelten um die Mitte des 16. Jahrhunderts einige junge Niederländer eine bedeutend bessere Technik des Abschreibens von Inschriften, indem sie die Form der Buchstaben angaben, die Zeilentrennungen und vor allem die Lücken im Text genau beachteten, die durch Bruch oder Unleserlichkeit infolge Abscheuerung des Steins entstanden waren, und damit überhaupt erst brauchbare Abschriften solcher Inschriften lieferten. In früherer Zeit hatte man sich darum wenig gekümmert, Textlücken unbeachtet gelassen oder willkürlich ergänzt, ohne wirklich Erhaltenes und Ergänztes zu unterscheiden. So entstand nun auch die erste große sorgfältig gearbeitete und geschriebene Inschriftensammlung der lateinischen Inschriften Europas von Martin Smetius, die nach seinem Tode erheblich vermehrt durch Justus Lipsius 1588 herausgegeben wurde. Sie umfaßte bereits gegen 4000 Inschriften nach Sachgruppen geordnet. Ihr folgte 1603 in einem mächtigen Großfolioband die auf Veranlassung Scaligers durch Janus Gruterus herausgegebene Sammlung, zu der Scaliger selber außer viel von ihm beigesteuerten Material die Indices schrieb und die zum ersten Mal die Bezeichnung Corpus verwandte. Sie blieb für lange Zeit bis zum Erscheinen des heutigen Corpus die maßgebliche und mit ihren über 12 000 Inschriften als vollständig geltende Sammlung, war aber ziemlich unkritisch gearbeitet und vor allem ebenfalls noch nach inhaltlichen und großenteils unpraktischen Kriterien geordnet, die die Benutzung erschwerten.”
jb: “Zu einer finalen Destruktion Ihrer Position wäre ein sehr viel gründlicheres Vorgehen notwendig, als ich es hier demonstriere.”
Fröhliche Wissenschaft! Es geht nicht um die Aufhellung von Sachverhalten, sondern um die Demolierung von “Positionen”.
Und welch wunderbare Rhetorik: “Finale Destruktion”!
jb: “Es hätte zum Beispiel von einer genauen Beschreibung der Hippolytstatue und einer wortgetreuen Wiedergabe der einschlägigen Smetius-Stellen auszugehen.”
Die Smetius-Stelle ist abgedruckt in Scaligers Abhandlung “Hippolyti Episcopi Canon Paschalis cum Commentario Iosephi Scaligeri” (1595) und in sämtlichen Ausgaben des “Opus de Emendatione Temporum” ab 1598.
Zu den Inschriften selbst gibt es eine vorzüglich sorgfältige Arbeit von Marco Buonocore in ders.: “Le iscrizioni latine e greche”, Cità del Vaticano 1987.
Ulrich Voigt schrieb:
jb: “Sie kommen mit dieser Methode nicht durch, Herr Voigt! Sie ist zu gewaltsam, braucht zu viel rhetorischen Aufwand.”
Ulrich Voigt: „Ein alter Trick, dem ‚Gegner‘ die eigenen Sünden anzulasten … Die Methode, die ich anwende, nennt sich seit van der Waerden die astronomische Methode und hat weder etwas mit Gewaltsamkeiten, noch mit Rhetorik zu tun.“
Auf rhetorische Klötze gehören rhetorische Keile, Herr Voigt! Ich streite nicht ab, dass ich gegen Sie (auch) rhetorische Mittel einsetze. Dass Sie aber Ihr eigenes Vorgehen so missverstehen, als würden Sie nur saubere wissenschaftliche Methodik anwenden, deutet für mich auf mangelhafte Selbstwahrnehmung hin. Es macht mir Ihre Position noch weniger glaubwürdig, als sie mir ohnehin erscheint. (Ich schreibe „Ihre Position“, nicht „Ihre Person“. Denn Ihrer Person zolle ich großen Respekt. Ich bewundere den Mut, mit dem Sie hier traditionelles Wissen zu verteidigen versuchen. Schon allein deshalb wünschte ich mir gelegentlich, Sie hätten Recht. Ich kann es leider nur nicht mehr glauben.)
Urich Voigt schrieb:
jb: “Es ist doch offensichtlich, dass Ihre Argumentation an der Echtheit der Hippolytstatue hängt.”
Ulrich Voigt: „Ja, das stimmt, wie ja auch umgekehrt die Gegenargumentation an der Falschheit des Objekts hängt.
Die Frage ist insofern die:
Wo findet man für diese Tafeln ein historisches Umfeld, in das sie hineinpassen?
Und diese Frage muss gestellt werden (1) unter der Annahme, dass es sich um ein genuines Artifakt handelt, nämlich um eine Ostertafel aus der Umgebung ihres Kopfjahres, (2) unter der Annahme, dass es sich um rückgerechnete Tafeln handelt, die aus irgendwelchen Sekundärgründen ersonnen und hergestellt wurden.
Gegenwärtig ist es so, dass sich ad (1) in der Tat ein sinnvolles Umfeld in der Zeit findet, die man als späte Severerzeit bezeichnet, d.h. die Tafeln passen hervorragend zu dem, was man immer schon über die soziale und geistige Umgebung des Kaisers Alexander Severus für wahr gehalten hat, und dass ad (2) sich nur abenteuerliche (um nicht zu sagen: hahnebüchene) Ad-hoc-Phantasien auftun.“
Ein gutes Beispiel für Ihr angeblich rhetorikfreies Vorgehen! (Gestatten Sie mir dazu eine kleine Anmerkung am Rande: „Hahnebüchen“ schreibt sich ohne h. Das Wort hat nichts mit dem Hahn, wohl aber mit der Hagebuche zu tun.)
Aber lassen wir das. Selbstverständlich ist für die ganze Diskussion die Echtheitsfrage entscheidend, wer hat denn je etwas anderes behauptet. Bei einer Fälschung der Hippolytstatue sind allerdings viele Fälschungsmöglichkeiten und -grade denkbar. Ich hatte darauf schon in der Forumsdiskussion hingewiesen, Sie wollten das nur partout nicht zur Kenntnis nehmen. Das ist ein Punkt, wo bei Ihnen die Logik unter der Rhetorik leidet: Sie verbannen Fälschungsvorwürfe generell ins Reich der Fantasie, brauchen sich auf diese Weise nicht genauer anzuschauen, wie ein Fälscher hätte vorgehen können, und können eben dadurch behaupten, es sei unmöglich gewesen, die betreffende Fälschung vorzunehmen – ein sich selbst bestätigender Zirkelschluss.
Demgegenüber liste ich hier mal einige Optionen auf, die im Zusammenhang der Echtheitsfrage sinnvoll erscheinen:
(1) Alles ist echt, und Erzfälscher Ligorio hat die Hippolytstatue einfühlsam in etwa so ergänzt, wie sie im 3. Jh. ausgesehen hat.
(2) Die Hippolytstatue stellte ursprünglich etwas anderes dar (zum Beispiel, wie aufgrund einer Zeichnung von Ligorio selbst vermutet, eine Frau). Alle Sockel-Inschriften – also die Erwähnung eines basileus Alexander, die Liste der Hippolytschriften und die Oster- und Passatafel seien aber echt und stammen aus dem 3. Jh.
(3) Wie Option (2), nur dass nicht alle Sockel-Inschriften echt sind. Hier gibt es mehrere Sub-Optionen – zum Beispiel dass eine echte antike Ostertafel hergenommen und im 16. Jh. in den Sockel der Statue eingemeißelt wurde.
(4) Nicht nur die Statue ist gefälscht, sondern auch alle Sockel-Inschriften. Diese sind sämtlich völlig frei erfunden und von Ligorio am Sockel angebracht worden.
Sie optieren allem Anschein nach für Möglichkeit (1), nur dass Sie Ligorio vermutlich nicht als Fälscher sehen. Möglichkeit (2) scheint mir selbstwidersprüchlich: Wenn die Hippolytstatue ursprünglich nicht Hippolyt darstellte, ist mindestens auch die Liste seiner Schriften später hinzugefügt worden. Möglichkeit (3) entspricht meiner Einschätzung. Möglichkeit (4) ist die Position, die Sie als einzige gegnerische Position wahrnehmen. Indem Sie Möglichkeit (4) ausschließen, meinen Sie, dem Fälschungsverdacht generell entronnen zu sein.
Im übrigen würde mich interessieren, wie Sie Ihre Behauptung begründen wollen, dass sich für die Hippolytstatue „in der Tat ein sinnvolles Umfeld in der Zeit findet, die man als späte Severerzeit bezeichnet“. Nicht zuletzt bin ich gespannt auf weitere Beispiele von Marmorstatuen aus dem frühen 3. Jh., die christliche Bischöfe darstellen …
jb: “Ich bewundere den Mut, mit dem Sie hier traditionelles Wissen zu verteidigen versuchen.”
Es geht um das Prinzip. Positionen darf man nicht leichtfertig aufgeben, sondern man soll so lange an ihnen festhalten, wie dies vernünftig möglich ist. Aus demselben Grund verstehe ich auch, dass hier hartnäckig die These L > 0 verteidigt wird.
jb: „Hanebüchen“
Danke.
jb: “Optionen”:
“(1) Alles ist echt, und Erzfälscher Ligorio hat die Hippolytstatue einfühlsam in etwa so ergänzt, wie sie im 3. Jh. ausgesehen hat.”
Dies wird von niemandem mehr vertreten und gehört ins 19. Jahrhundert. Warum sollte ich etwas offensichtlich Falsches vertreten wollen?
Option (1) scheidet aus.
“(2) Die Hippolytstatue stellte ursprünglich etwas anderes dar (zum Beispiel, wie aufgrund einer Zeichnung von Ligorio selbst vermutet, eine Frau). Alle Sockel-Inschriften – also die Erwähnung eines basileus Alexander, die Liste der Hippolytschriften und die Oster- und Passatafel seien aber echt und stammen aus dem 3. Jh.”
Dies wird allgemein (auch von mir) angenommen. Keineswegs gibt es damit ein Problem mit den Inschriften, die sich nämlich durchaus nicht alle so eindeutig mit den bei Eusebius überlieferten Titeln decken. Die Schriften könnten auch zu einer bestimmten Schule gehören, der man “Hippolytus” zuordnen kann. Dazu ausführlich vor allem Allen Brent! Ein Autor ist in dem Schriftenverzeichnis nicht vermerkt.
Ich kann nichts Fragwürdiges an Option (2) sehen. Dass man 1565 die lädierte Figur entfernt hat und durch einen “Hippolytus” ersetzt hat, tangiert doch die Inschriften gar nicht!
Der Vorgang war vielmehr der, dass man aus der Ähnlichkeit der verzeichneten Schriften mit den von Eusebius her bekannten Schriften des Hippolytus von Rom schloss, dass dies eben seine Schriften sein müssten und dann im Stile der eigenen Gegenwart meinte, dass dort doch eigentlich ein marmorner Hippolytus sichtbar sein solle.
Ligorio war tatsächlich nicht so sehr Fälscher, als vielmehr Verfälscher, er versuchte nämlich, die Dinge so zu restaurieren, wie sie eigentlich hätten gewesen sein müssen, kurz, er idealisierte die Dinge.
Bei der männlichen Figur ist das offensichtlich. Aber Inschriften sind etwas ganz anderes!
jb: “Wenn die Hippolytstatue ursprünglich nicht Hippolyt darstellte, ist mindestens auch die Liste seiner Schriften später hinzugefügt worden.”
Das Argument verstehe ich überhaupt nicht.
“(3) Wie Option (2), nur dass nicht alle Sockel-Inschriften echt sind. Hier gibt es mehrere Sub-Optionen – zum Beispiel dass eine echte antike Ostertafel hergenommen und im 16. Jh. in den Sockel der Statue eingemeißelt wurde.”
Na ja, wenn man eine antike Ostertafel hatte und sie auf diesen Sockel kopierte, warum hat man dann das Original weggeworfen, ja, versteckt? Schon wieder so eine phantastische Idee! Außerdem hätte die Kopie dann denselben Informationswert wie das Original.
Und wie steht es mit Teilen der Inschrift? Wie, bitte sehr, soll ich mir das technisch vorstellen? Haben Sie das Objekt schon einmal vor Augen gehabt? Ich habe die Passatafel an jeder Stelle nicht nur angeschaut, sondern abgetastet, nämlich zusammen mit S. Buonocore. Wenn man da einen Namen entfernt hätte oder einen Buchstaben und durch einen neuen ersetzt, so würde man das unfehlbar spüren. Man würde darüber stolpern! Marmor ist ja schließlich keine Knetmasse! – Ich halte die Option (3) für abwegig.
“(4) Nicht nur die Statue ist gefälscht, sondern auch alle Sockel-Inschriften. Diese sind sämtlich völlig frei erfunden und von Ligorio am Sockel angebracht worden.”
Das halte ich für die einzige Denkmöglichkeit. Die ganze Überlegung reduziert sich also auf die Optionen (2) und (4). Und etwas anderes hatte ich auch vorher nicht ernstnehmen können.
U.V.: “Ich habe die Passatafel an jeder Stelle nicht nur angeschaut, sondern abgetastet.”
Das muss ich wohl etwas präzisieren. Wir haben eine Steinabreibung vorgenommen, was sich wegen der rauen und unebenen Oberfläche als ziemlich schwieriges Unterfangen herausstellte. Die Prozedur dauerte eine ganze Stunde. Es ist klar, dass man dabei ein Gefühl für diese Oberfläche bekommt. Ausgeschlossen, dass da jemand etwas hätte hineinverbessern können!
Dass die Inschrift “aus einem Guss ist”, kann man im übrigen auch sehen.
Wie auch immer man das Objekt datiert, in jedem Falle steht es singulär da. Weder aus dem 3. Jahrhundert, noch aus dem 16. Jahrhundert ist Vergleichbares erhalten.
Wenn ich sage, dass die Tafeln zu dem Wissen passen, das für die Zeit der Severer vorliegt, dann rede ich von ihrem gedanklichen Gehalt, namentlich von ihrem Bezug zum Inkarnationsjahr und zum Todesjahr Christi,zur Zahl 5500 des Julius Africanus, zum Jahr 1 des Julianischen Kalenders, zum (zukünftigen) Jahr 532, zur römischen Osterregel und zur Hervorhebung des Namens “Alexander”.
Also gut, Möglichkeit (1) scheidet aus. Sie optieren für Möglichkeit (2), die mir zuerst als selbstwidersprüchlich erschien, und die ich jetzt – nach Ihrer Erläuterung – nur noch für höchst unwahrscheinlich halte. Mir ist Möglichkeit (3) – die Sie für abwegig erachten – nach wie vor am plausibelsten. Möglichkeit (4) – die einzige, mit der Sie rechnen – scheint mir dagegen uninteressant.
Beschränken wir uns deshalb auf die Möglichkeiten (2) und (3), weil es im Rahmen unserer kleinen Auseinandersetzung nur für sie Fürsprecher gibt.
Dazu jetzt im Einzelnen:
Sie schreiben zu Möglichkeit (2) Folgendes: „Dies wird allgemein (auch von mir) angenommen. Keineswegs gibt es damit ein Problem mit den Inschriften, die sich nämlich durchaus nicht alle so eindeutig mit den bei Eusebius überlieferten Titeln decken. Die Schriften könnten auch zu einer bestimmten Schule gehören, der man ‚Hippolytus‘ zuordnen kann. Dazu ausführlich vor allem Allen Brent! Ein Autor ist in dem Schriftenverzeichnis nicht vermerkt.
Ich kann nichts Fragwürdiges an Option (2) sehen. Dass man 1565 die lädierte Figur entfernt hat und durch einen ‚Hippolytus‘ ersetzt hat, tangiert doch die Inschriften gar nicht!
Der Vorgang war vielmehr der, dass man aus der Ähnlichkeit der verzeichneten Schriften mit den von Eusebius her bekannten Schriften des Hippolytus von Rom schloss, dass dies eben seine Schriften sein müssten und dann im Stile der eigenen Gegenwart meinte, dass dort doch eigentlich ein marmorner Hippolytus sichtbar sein solle.“
Offenbar bewegen auch Sie (bzw. die Forschung, auf die Sie sich berufen) sich hier im Bereich der Fantasie. Die Frage ist deshalb, wie plausibel die betreffenden Fantasien sind. Gehen wir von der skizzierten Hypothese aus, dass die auf dem Sockel erwähnten Schriften einem antiken Hippolyt oder einer Hippolytschule zuzuordnen seien, die antike Statue aber nicht Hippolyt selbst dargestellt hat. Folgende Fragen stellen sich dann:
(a) Wen hat die Statue denn wohl dargestellt? War es eine Frau, wie Guarducci aufgrund einer Zeichnung Ligorios vermutet? Warum hat man zu Lebzeiten Hippolyts am Sockel einer Statue, die ihn nicht selbst darstellt, „seine“ Schriften und „seine“ Ostertafel angebracht? Welche halbwegs plausible Antworten wären auf diese Fragen vorstellbar?
(b) Sind aus dem 3. Jh. weitere Marmorstatuen mit christlichen Inschriften – insbesondere Ostertafeln – bekannt? Oder ist die Hippolytstatue eine „Singularität“?
(c) Gibt es für die griechischen Titel, die dem auf dem Sockel erwähnten Alexander beigegeben werden, Parallelen aus dem 3. Jh.? Basileus in Verbindung mit autokrator findet sich sonst erst im Byzanz des 10. Jahrhunderts. Allerdings war da kaisar schon längst kein Kaisertitel mehr.
Zu Möglichkeit (3) schreiben Sie: „Na ja, wenn man eine antike Ostertafel hatte und sie auf diesen Sockel kopierte, warum hat man dann das Original weggeworfen, ja, versteckt? Schon wieder so eine phantastische Idee!“
Würde ich auf der Ebene Ihrer Rhetorik antworten, dann müsste ich Ihnen jetzt grenzenlose Naivität unterstellen. Sprechen wir aber ernsthaft miteinander, dann muss ich Sie darauf hinweisen, dass der Vorgang des Kopierens unter Vernichtung des Originals nichts Ungewöhnliches ist – ganz im Gegenteil. Aus der Sicht traditioneller Geschichtswissenschaft ist er zum Beispiel für frühmittelalterliche Urkunden sogar das Normale. Aus der Sicht der FZT gilt das zwar nicht mehr generell (sie hält die Kopien häufig für reine Erfindungen), aber etwa immer noch für sämtliche griechische Minuskelhandschriften, die irgendwann Majuskelhandschriften ersetzen mussten.
Weiter schreiben Sie zu Möglichkeit (3): „Außerdem hätte die Kopie dann denselben Informationswert wie das Original.“ Hier unterstellen Sie, dass die Kopie das Original nicht variiert hätte – eine keineswegs zwingende Voraussetzung. Im Gegenteil könnte eine Abänderung des Originals dessen Vernichtung erklären.
Schließlich schreiben Sie zu Möglichkeit (3): „Und wie steht es mit Teilen der Inschrift? Wie, bitte sehr, soll ich mir das technisch vorstellen? Haben Sie das Objekt schon einmal vor Augen gehabt? Ich habe die Passatafel an jeder Stelle nicht nur angeschaut, sondern abgetastet, nämlich zusammen mit S. Buonocore. Wenn man da einen Namen entfernt hätte oder einen Buchstaben und durch einen neuen ersetzt, so würde man das unfehlbar spüren. Man würde darüber stolpern! Marmor ist ja schließlich keine Knetmasse!“
Hier wird es natürlich hochspannend. Das vermutlich beeindruckende sinnliche Erlebnis, die Passatafel der Hippolytstatue eigenhändig zu berühren, wird Ihnen selbstverständlich niemand nehmen können und wollen. Hier haben Sie vor jedem nur theoretisch argumentierenden Kritiker einen uneinholbaren Vorsprung. Die Frage stellt sich gleichwohl, was dieser Vorsprung im Zusammenhang unserer Debatte bedeutet. Hier bräuchte ich von Ihnen zwei Informationen, um sinnvoll weiter überlegen zu können:
(a) Gehe ich richtig in der Annahme, dass sich aus der unmittelbaren Beobachtung der Statue bzw. des Sockels nicht ableiten lässt, ob die betreffenden Inschriften antik oder nachmittelalterlich sind?
(b) Schließt die unmittelbare Beobachtung aus, dass zwar der erwähnte Kaisername antik ist, die übrigen Inschriften aber zu einem späteren Zeitpunkt hinzugefügt wurden?
Ich warte zuerst einmal die Antwort auf diese beiden Fragen ab, bevor ich fortfahre.
jb: “Zu Möglichkeit (2):
(a) Wen hat die Statue denn wohl dargestellt? War es eine Frau, wie Guarducci aufgrund einer Zeichnung Ligorios vermutet? Warum hat man zu Lebzeiten Hippolyts am Sockel einer Statue, die ihn nicht selbst darstellt, „seine“ Schriften und „seine“ Ostertafel angebracht? Welche halbwegs plausible Antworten wären auf diese Fragen vorstellbar?
(b) Sind aus dem 3. Jh. weitere Marmorstatuen mit christlichen Inschriften – insbesondere Ostertafeln – bekannt? Oder ist die Hippolytstatue eine „Singularität“?
(c) Gibt es für die griechischen Titel, die dem auf dem Sockel erwähnten Alexander beigegeben werden, Parallelen aus dem 3. Jh.? Basileus in Verbindung mit autokrator findet sich sonst erst im Byzanz des 10. Jahrhunderts. Allerdings war da kaisar schon längst kein Kaisertitel mehr.”
ad (a)
Dazu Clemes Scholten im RAC, Artikel “Hippolytus”: “Ursprüngliche Verwendungsabsicht, Aufstellungsort, Hersteller bzw. Benutzer bleiben im Dunkeln.”
Guarducci dachte an eine epikuräische Philosophin, die als Sophie umgedeutet und dergestalt verchristlicht wurde. Vinzent (2004) stellt sich eine Art “Roma” (=Sophia) vor und erinnert an die mythische Amazone namens “Hippolyte” und ihren Sohen “Hippolytus”, Brent deutet gar die Möglichkeit einer weiblichen Christusfigur an.
“Unser” Winckelmann glaubte noch an das Portät des Bischofs Hippolytus, er (und mit ihm Generationen von Kunstgeschichtlern) ist auf den Augenschein gründlich hereingefallen.
Heute geht die communis opinio deutlich in Richtung “weibliche Figur”. An das Porträt eines christl. Würdenträgers glaubt heute niemand mehr. Möglich ist, dass bereits das Frontispiz Bianchinis (1697), bei dem ja auf der Passatafel des Hippolytus eine Frau sitzt, mit einer solchen Überlegung zu tun hat. Eine Äußerung Bianchinis (1703) zeigt Zweifel an der üblichen Ansicht, dass dort “Hippolytus” säße.
Der Vorgang war demnach der, dass eine fertige Statue (“Sitzende (?weibliche) Person auf dem Thron”) beschriftet wurde. Die Schrift passt nicht gut auf die Struktur der Plastik, was ebenfalls hierfür spricht. Stilistische Vorbilder für den Thron (“Löwentatzen”) findet Guarducci im 3. vorchr. Jahrhundert bei den Epikuräern. Über den Zusammenhang der epikuräischen Philosophenschulen und den Christen im Rom der Severerzeit handelt Allen Brent (1995).
Eine Merkwürdigkeit ist das Objekt allemal!
ad (b)
Meines Wissens handelt es sich um eine Singularität. Brent bringt die Abbildung einer Statue aus dem Lateran Museum, die ins 3. Jahrhundert datiert wird und die (nach seiner Deutung) einen weiblichen Christus darstellt.
ad (c)
Das müsste man über Münzen und Inschriften eigentlich beantworten können. Ich bin im Moment trotzdem überfragt. “autokrator” und “basileus” befindet sich auf der Passatafel, “kaisar” auf der gegenüberliegenden Ostertafel.
jb: “dass der Vorgang des Kopierens unter Vernichtung des Originals nichts Ungewöhnliches ist – ganz im Gegenteil. Aus der Sicht traditioneller Geschichtswissenschaft ist er zum Beispiel für frühmittelalterliche Urkunden sogar das Normale.”
Wir sprechen hier nicht über Urkunden, sondern über steinerne Objekte. Oder soll ich glauben, dass Pirro Ligorio im Besitz von schriftlichen Quellen war, die über die legendäre Ostertafel des ebenfalls legendären Hippolytus von Rom informieren und die ihn so sehr störten, dass er sie vernichten ließ, um an ihrer Stelle eine veränderte Fassung in Marmor herstellen zu lassen? Ein solches schriftliches Dokument wäre nur in seinem Privatbesitz gewesen, denn sonst hätte man doch davon gehört. Die Paulina (1513) z.B. kennt nur den Bericht des Eusebius, aus dem sich die vorliegende Tafel eben nicht herleiten lässt.
jb: ”
(a) Gehe ich richtig in der Annahme, dass sich aus der unmittelbaren Beobachtung der Statue bzw. des Sockels nicht ableiten lässt, ob die betreffenden Inschriften antik oder nachmittelalterlich sind?
(b) Schließt die unmittelbare Beobachtung aus, dass zwar der erwähnte Kaisername antik ist, die übrigen Inschriften aber zu einem späteren Zeitpunkt hinzugefügt wurden?”
ad (a)
Eine schwierige Frage, der ich als Nicht-Epigraphiker nicht gewachsen bin. Man wird ja immer unterstellen können, dass ein geschickter Fälscher jede beliebige Schrift exakt wiedergeben kann.
ad (b)
Ja, und zwar (nach meinem Dafürhalten) mit 100% Sicherheit. Reisen Sie nach Rom und schauen Sie sich das Objekt unter dieser Frage ruhig selbst an. Versuchen Sie, sich den Arbeitsvorgang einer solchen Fälschungstat vorzustellen. Sie werden dann einsehen, dass die Option (3) nicht möglich ist.
Fazit: Um die übliche Option (2) zu vermeiden, müssen Sie sich doch dazu aufraffen, (4) zu vertreten.
Ulrich Voigt: „Der Vorgang war demnach der, dass eine fertige Statue (‚Sitzende (?weibliche) Person auf dem Thron‘) beschriftet wurde.“
Einig können wir uns vermutlich noch darüber sein, dass Ligorio 1551 der Öffentlichkeit eine zerstörte Statue vorgestellt hat, die auf ihrem Sockel die bekannten Inschriften trug und wenig später zum bärtigen Hippolyt ergänzt wurde. Über alles Weitere gehen die Ansichten auseinander:
Echtheitshypothese:
1. Die Inschriften sind in der Antike am Sockel der fertigen Statue angebracht worden.
2. Darüber, was die Statue ursprünglich darstellte, gibt es relativ wilde Vermutungen: a. Hippolyt selbst (Winckelmann u. a.); b. Roma, Sophia, mythische Amazone Hippolyte (Vinzent); c. weiblicher Christus, Sophia (Brent); d. epikureische Philosophin (Guarducci).
3. Warum der Sockel so beschriftet wurde, wie er beschriftet wurde, wäre nur dann wirklich klar, wenn ursprünglich ein Hippolyt drauf gesessen war. Die communis opinio sagt aber heute etwas anderes, so dass weitere relativ wilde Vermutungen über das Motiv der Beschriftung nötig sind.
Fälschungshypothese:
1. Die Inschriften sind im 16. Jh. am Sockel der Reststatue angebracht worden.
2. Was die Statue ursprünglich darstellte, ist deshalb nicht von Bedeutung.
3. Das Motiv der Beschriftung ergibt sich zwanglos aus dem Umstand, dass Ligorios wichtigster Auftraggeber nach 1550 – der intrigante Kardinal Hippolyt II., Sohn der Lucrezia Borgia – das Papstamt anstrebte und die Statue eines antiken Vorbildes Hippolyt gut brauchen konnte. Ligorio, als Erfinder antiker Inschriften hinreichend bekannt, wird sich für einen solchen Auftrag nicht zu schade gewesen sein.
Einwände gegen die Echtheitshypothese:
1. Die relativ beliebigen und sich untereinander widersprechenden Fantasien über das ursprüngliche Aussehen der Statue und das Motiv der Beschriftung.
2. Eine christliche Marmorstatue vor Konstantin dem Großen ist in hohem Maße unwahrscheinlich.
3. Die Titel autokrator, basileus und kaisar überraschen im 3. Jh. n. Chr. (Wobei es mich allerdings wundern würde, wenn sich bei Brent et al. keine Lösung für dieses Problem findet.)
Einwände gegen die Falschheitshypothese:
1. Die Inschriften können nicht frei erfunden worden sein.
2. Ligorio kannte kein Griechisch.
Einwand 2 scheint mir nicht entscheidend, weil es für Ligorio wohl kaum ein Problem war, sich Hilfe bei philologisch gebildeten Freunden zu besorgen. Auch Einwand 1 kann die Fälschungshypothese nicht zu Fall bringen, weil Ligorio bzw. sein gebildeter Ratgeber sich leicht mehr oder weniger abgeänderter Vorlagen bedient haben kann. (Zu bedenken ist dabei, dass ein Verändern der Vorlagen nahe liegt, um deren Gebrauch zu vertuschen.) Weil zugleich die Einwände gegen die Echtheitshypothese stehen, neigt sich die Waage für mich im Augenblick deutlich zum Vorteil der Fälschungsvermutung. (Möglicherweise handelt es sich bei einer solchen Einschätzung am Ende um eine Geschmacksfrage.)
Ulrich Voigt: „‘autokrator‘ und ‚basileus‘ befindet sich auf der Passatafel, ‚kaisar‘ auf der gegenüberliegenden Ostertafel.“
Im Byzanz des 10. Jh. heißt der Kaiser „autokrator“ und „basileus“, der oder die Thronfolger werden „kaisar“ genannt. Ist es vorstellbar, dass es sich bei den Angaben auf der Passatafel und denen auf der Ostertafel um zwei verschiedene Personen handelt?
Ulrich Voigt: „Wir sprechen hier nicht über Urkunden, sondern über steinerne Objekte. Oder soll ich glauben, dass Pirro Ligorio im Besitz von schriftlichen Quellen war, die über die legendäre Ostertafel des ebenfalls legendären Hippolytus von Rom informieren und die ihn so sehr störten, dass er sie vernichten ließ, um an ihrer Stelle eine veränderte Fassung in Marmor herstellen zu lassen? Ein solches schriftliches Dokument wäre nur in seinem Privatbesitz gewesen, denn sonst hätte man doch davon gehört. Die Paulina (1513) z.B. kennt nur den Bericht des Eusebius, aus dem sich die vorliegende Tafel eben nicht herleiten lässt.“
Ein geschickter Fälscher schreibt seine Quellen nicht einfach ab. Zum Teil kopiert er, zum Teil erfindet er. Er lässt sich nicht in die Karten schauen.
Ulrich Voigt: „Fazit: Um die übliche Option (2) zu vermeiden, müssen Sie sich doch dazu aufraffen, (4) zu vertreten.“
Nicht ganz, insofern Option (4) so formuliert war, dass die Inschriften völlig frei erfunden wären – was ich nicht glaube. Wohl übernehme ich jetzt Ihre Ansicht, dass alle Inschriften aus derselben Zeit stammen. Aber so voraussetzungsreich, wie sie sind, hätten sie im 16. Jh. nicht ohne gründliche Kenntnis damals bekannter, nicht selten ja auch fantastischer Literatur über die Antike erstellt werden können. In diese mussten sie sich organisch einfügen. Das geschah am besten, indem sie teils Bekanntes wiederholten und bestätigten, teils Neues hinzufügten und Vertrautes weiterentwickelten: rückwärtsgewandte schöpferische Fantasie eben.
jb: “Wohl übernehme ich jetzt Ihre Ansicht, dass alle Inschriften aus derselben Zeit stammen. Aber so voraussetzungsreich, wie sie sind, hätten sie im 16. Jh. nicht ohne gründliche Kenntnis damals bekannter, nicht selten ja auch fantastischer Literatur über die Antike erstellt werden können. In diese mussten sie sich organisch einfügen. Das geschah am besten, indem sie teils Bekanntes wiederholten und bestätigten, teils Neues hinzufügten und Vertrautes weiterentwickelten: rückwärtsgewandte schöpferische Fantasie eben.”
Dann hatte jener ehrgeizige Hippolytus (Borgia) also Ratgeber, die ein tieferes Wissen der frühchristlichen Gegebenheiten besaßen als Middelburg, Scaliger, Petavius, Bucherius, Noris, Bianchini, Van der Hagen, Ideler, Schwartz, Grumel und Strobel zusammengenommen, denn diese Unbekannten schafften es, ein Objekt zu entwerfen, das sich organisch in einen Zusammenhang einfügt, den diese hervorragenden späteren Forscher nur ansatzweise zu entwirren imstande waren. Eigenartig, dass sie Unbekannte blieben! Unbekannte Meister mit unbekannten Quellen im Dienste einer besonders lächerlichen Fälschungsaktion. Ihrem mutmaßlichen Auftraggeber Hippolytus gelang es übrigens keineswegs, Papst zu werden, vielmehr galt er in Rom als lächerliche Person, der man schließlich verbieten musste, sich weiterhin um das Papstamt zu bewerben. Die Tage der Borgias waren halt schon vorbei.
Ulrich Voigt:
„Dann hatte jener ehrgeizige Hippolytus (Borgia) also Ratgeber, die ein tieferes Wissen der frühchristlichen Gegebenheiten besaßen als Middelburg, Scaliger, Petavius, Bucherius, Noris, Bianchini, Van der Hagen, Ideler, Schwartz, Grumel und Strobel zusammengenommen, denn diese Unbekannten schafften es, ein Objekt zu entwerfen, das sich organisch in einen Zusammenhang einfügt, den diese hervorragenden späteren Forscher nur ansatzweise zu entwirren imstande waren.“
Fälschungszusammenhänge zu entwirren ist nun mal ein mühsames Geschäft. Es wird nicht gerade dadurch erleichtert, dass Fälschungen irrtümlicherweise für authentisch gehalten werden.
Ihr Einwand geht – auf Ihrer angeblich so rhetorikfreien Ebene gesprochen – völlig an der Sache vorbei. Um die Fälschungshypothese widerlegen zu können, müssten Sie diese zunächst einmal ernst nehmen. Das tun Sie aber nicht. Täten Sie es, dann würden Sie nicht übersehen, dass ein Fälscher die vermeintliche Realität erst schafft, die der spätere Forscher zu verstehen sucht. Ein Fälscher leistet etwas vollkommen anderes als der Wissenschaftler, der auf ihn hereinfällt.
Das Grundproblem der Auseinandersetzung scheint mir zu sein, dass die von Ihnen genannten Forscher (wie auch Sie selbst) zwar in dem Sinn kritisch vorgehen, dass sie gelegentlich bei einzelnen Objekten fragen, ob diese gefälscht sein könnten. Hier wird dann durchaus nach allen Maßstäben wissenschaftlicher Redlichkeit geprüft und geurteilt. Keiner der genannten Wissenschaftler (auch Sie nicht) rechnet aber mit der Möglichkeit kollektiver historischer Fantasien, die sich sozusagen über die Köpfe der einzelnen Fälscher hinweg – und durchaus organisch zusammenhängend – entwickeln.
Tut man das aber, wird zum Beispiel erkennbar, dass das Hochmittelalter die Antike ausschließlich aus kirchlicher Perspektive erfindet, während seit Beginn der Renaissance die Auseinandersetzung zwischen weltlichen und kirchlichen Antike-Fantasien läuft – mit allen Mitteln, derer sich ein vorkritisches und nicht vorrangig an historischer Wahrheit interessiertes Zeitalter nun mal bedient.
Ulrich Voigt:
„Eigenartig, dass sie Unbekannte blieben! Unbekannte Meister mit unbekannten Quellen im Dienste einer besonders lächerlichen Fälschungsaktion.“
Fälscher haben es nun mal so an sich, dass sie unbekannt bleiben wollen. In diesem Bereich kämpft keiner mit offenem Visier. Dabei können sich hinter der Maske durchaus bekannte Namen verstecken. Einem Ligorio kam die Epigraphik erst zwei Jahrhunderte später auf die Schliche. Wer sagt denn, dass Smetius nicht sein Komplize war? Auch dessen Inschriftensammlung wird nicht unbedingt nachgesagt, dass sie in historisch-kritischer Absicht entstanden sei.
Ulrich Voigt:
„Ihrem mutmaßlichen Auftraggeber Hippolytus gelang es übrigens keineswegs, Papst zu werden, vielmehr galt er in Rom als lächerliche Person, der man schließlich verbieten musste, sich weiterhin um das Papstamt zu bewerben. Die Tage der Borgias waren halt schon vorbei.“
Diese lächerliche Person hat aber wohl Herrn Ligorio mit dem Bau seiner Villa und der Gestaltung seines Gartens einschließlich Brunnen und Statuen beauftragt. Das passt dann irgendwie nicht ganz ins Bild, oder?
jb: “Keiner der genannten Wissenschaftler (auch Sie nicht) rechnet aber mit der Möglichkeit kollektiver historischer Fantasien, die sich sozusagen über die Köpfe der einzelnen Fälscher hinweg – und durchaus organisch zusammenhängend – entwickeln.··”
Die Konsequenz, die sich einstellt, wenn man nur dieses eine unscheinbare Objekt zur Fälschung erklären möchte, wird damit deutlich: Man muss den gesamten (“organischen”) Zusammenhang, in den es nun einmal hineingehört, ebenfalls zur Fälschung erklären. Da bedarf es nur noch eines ganz kleinen Schrittes (des Nachdenkens), um die Position Illigs endgültig zu verlassen und den extremen “Chronologiekritikern” im Stile Fomenkos beizutreten, die ja in der Tat das gesamte Umfeld spätantiker Ostertafeln, Brücken, Straßen, Grundmauern, Münzen und Gemmen ins 16. / 17. Jahrhundert verfrachten.
Ulrich Voigt:
„Die Konsequenz, die sich einstellt, wenn man nur dieses eine unscheinbare Objekt zur Fälschung erklären möchte, wird damit deutlich: Man muss den gesamten (‚organischen‘) Zusammenhang, in den es nun einmal hineingehört, ebenfalls zur Fälschung erklären.“
Das trifft so nicht zu. Zwei Dinge sind hier (meiner Ansicht nach) zu bedenken:
1. Wenn wir von kollektiven Fantasien über die Vergangenheit sprechen, meinen wir Gebilde, in denen sich Wahres und Falsches – auf dem ersten Blick oft ununterscheidbar – vermischen. Wissenschaftliche Analyse kann versuchen, die Spreu vom Weizen zu trennen. Das ist das ganz normale Geschäft kritischer Geschichtswissenschaft und kommt etwa zum Tragen bei einer Kritik der Mythen, die ein Volk im Laufe der Geschichte über sich selbst entwickelt hat.
Aus der Sicht der FZT wären die hier zum Einsatz kommenden kritischen Methoden verstärkt auf das Bild anzuwenden, das sich Hochmittelalter und Renaissance von der eigenen Vergangenheit gemacht haben, und das unsere heutigen Vorstellungen immer noch entscheidend prägt. Eine solche Verschärfung kritischer Vergangenheitsbetrachtung bedeutet aber mitnichten, dass gleich pauschal jedes überlieferte Objekt zur Fälschung erklärt wird.
2. Auch bisherige Geschichtswissenschaft weiß längst vom massenhaften Fälschen im Mittelalter und Renaissance. Allerdings scheut sie sich bislang, das Thema systematisch zu behandeln und Werke zu veröffentlichen, die einen Überblick über sämtliche bekannte Fälschungen verschaffen bzw. versuchen, Motive und Tendenzen herauszuarbeiten. Man wird deshalb auch kaum behaupten wollen, dass es ihr gelungen wäre, das „große Fälschen“ der Mönche und Humanisten zu verstehen. Der 1986-er Kongress ist innerhalb der akademischen Geschichtswissenschaft selbst (mit wenigen Ausnahmen) ohne Folgen geblieben, der Ansatz ist dort völlig verpufft. Die FZT knüpft dagegen an diesen Kongress an und sucht nach übergreifenden Tendenzen und Motiven. Das bedeutet aber nicht, dass sie einfach alles, was ihr nicht ins Konzept passt, ohne weitere Prüfung zur Fälschung erklären kann. Wohl gibt es freilich Einiges, das bislang über jeden Verdacht erhaben war oder sich gegen gelegentlich geäußerte Zweifel halten konnte, jetzt aber verstärkt in die Schusslinie gerät.
Ulricht Voigt:
„Da bedarf es nur noch eines ganz kleinen Schrittes (des Nachdenkens), um die Position Illigs endgültig zu verlassen und den extremen ‚Chronologiekritikern‘ im Stile Fomenkos beizutreten, die ja in der Tat das gesamte Umfeld spätantiker Ostertafeln, Brücken, Straßen, Grundmauern, Münzen und Gemmen ins 16. / 17. Jahrhundert verfrachten.“
Eben nicht. Die fomenkistische Rasenmähermethode ist vielleicht ein willkommenes Verfahren für Geister, die es gerne einfach haben. Sie mag wohl unter Mathematikern und Naturwissenschaftlern mehr Anhänger finden als unter Geisteswissenschaftlern. In der historischen Wissenschaft ist es dagegen unbedingt erforderlich, zu differenzieren und das Einzelne zu achten und beachten.
Das bedeutet dann zum Beispiel, dass aus einem größeren und gezielteren Misstrauen dem tradierten Antike-Bild gegenüber keinesfalls abgeleitet werden kann, die Antike hätte es gar nicht gegeben. Nicht anders als kritische Geschichtswissenschaft das immer getan hat, ist auch unter der Prämisse der FZT weiterhin zu versuchen, Wahres vom Falschen zu trennen. Sogar aus einer eventuellen Vergeblichkeit dieses Versuches ließe sich nicht auf eine Nichtexistenz der Antike schließen. Letztere Behauptung ist nicht mehr kritisch, sondern ersetzt nur alte Dogmen durch einen neuen, diesmal fomenkistischen Glaubenssatz.
jb: “Das trifft so nicht zu.”
= Es trifft eben doch zu, nur nicht so.
Wenn man die Chronologieforschung kritisiert, weil sie keinen generellen Fälschungsverdacht hinsichtlich ihrer Quellen gestellt hat, dann doch nur deshalb, weil man selbst diese sog. Quellen als ebensoviele Fälschungen ansieht. Der Zusammenhang, in den sich die vorliegende Passatafel des Hippolytus so organisch einfügt, ist nach dieser Ansicht ein großartiges Fälschungsprodukt. Und nur mit diesem sehr weitgehenden Schluss lässt sich dann auch die Tafel des Hippolytus verneuzeitlichen.
Das war es, was ich betonen wollte: Die gesamte spätantike Komputistik und Chronologie wird hier als neuzeitliches Produkt gedeutet, denn anders lässt sich dieses eine Objekt in Rom nicht verneuzeitlichen.
Nun muss man aber darüber nachdenken, womit die frühchristliche (=neuzeitlich gefälschte) Osterkomputation organisch zusammenhängt, ich denke etwa an die Kuppelstruktur des Pantheon. Es gibt also eine Kettenreaktion, die man gar nicht so schnell übersehen kann.
Mein Gefühl sagt mir: Es wird bei sorgfältiger Überlegung kein Halten geben, bis man an dem Nullpunkt angekommen ist, der heutzutage durch z.B. Fomenko oder Pfister gegeben ist.
Ulrich Voigt:
„Wenn man die Chronologieforschung kritisiert, weil sie keinen generellen Fälschungsverdacht hinsichtlich ihrer Quellen gestellt hat, dann doch nur deshalb, weil man selbst diese sog. Quellen als ebensoviele Fälschungen ansieht.“
Das wäre nur der Sprung vom einen Extrem ins andere: von „alles echt“ zu „alles falsch“. Dieser Schluss erscheint mir keineswegs zwingend.
Die Rede von hochmittelalterlichen und humanistischen kollektiven Fantasien über die Antike besagt zunächst einmal nur, dass nicht lediglich mit vereinzelten Fälschungen, sondern mit einem oder mehreren Fälschungskomplexen zu rechnen ist. Letztere sind Diplomatik oder Epigraphik längst bekannt, die FZT vermutet nur weitere solche Komplexe. Die Forschung sollte m. A. n. versuchen, solche einzelne Fälschungszusammenhänge nach Thema, Tendenz und Motiv zu isolieren.
Auch wäre wohl an mehrere Fälschungswellen zu denken – etwa eine griechisch-byzantinische des 10. Jahrhunderts, eine lateinisch-hochmittelalterliche und eine humanistische.
Ulrich Voigt:
„Der Zusammenhang, in den sich die vorliegende Passatafel des Hippolytus so organisch einfügt, ist nach dieser Ansicht ein großartiges Fälschungsprodukt. Und nur mit diesem sehr weitgehenden Schluss lässt sich dann auch die Tafel des Hippolytus verneuzeitlichen.“
Ich würde eher so verfahren, dass mehrere Möglichkeiten unterschieden werden, zwischen denen eine Entscheidung bis auf weiteres offen bleiben kann. Unter der Prämisse der FZT könnte das zum Beispiel so aussehen:
1. Sämtliche laut Überlieferung antike Ostertafeln sind echt, sie sind von der nachfzlichen Forschung nur zeitlich falsch (um ca. 3 Jahrhunderte verschoben) eingeordnet worden. Nur vereinzelt wurde diesem Material eine nachfzliche Fälschung aufgepfropft.
2. Ein authentischer antiker Grundstock ist nach der FZ mehr oder weniger systematisch um viele antikisierende Eigenprodukte erweitert worden.
3. Die Tradition der Erstellung von Ostertafeln ist zwar antik, aber antike Ostertafeln sind nicht mehr original erhalten. Es gibt allerdings viele nachfzliche Kopien, von denen vermutet werden kann, dass sie die Originale mehr oder weniger getreu wiedergeben.
4. Wie 3, nur dass die getreue Wiedergabe durch die Kopien nicht mehr als verbürgt betrachtet wird.
5. Es hat zwar eine Antike, aber nie antike Ostertafeln gegeben.
6. Es hat nie eine Antike gegeben.
Die Liste der Möglichkeiten ließe sich weiter differenzieren (z. B. durch die theoretischen Möglichkeiten, dass zwar antike griechische, nicht aber antike lateinische Ostertafeln im Original erhalten sind, oder dass es zwar antike griechische, aber nie antike lateinische Ostertafeln gegeben hat).
Erst mit Punkt 6 wären wir bei Fomenko/Pfister angelangt. Er scheint mir nach wie vor absurd (insbesondere unter stratigraphischem und kunsthistorischem Gesichtspunkt). Im Zusammenhang mit meinem Almagest-Artikel für die ZS (ZS 1/2002) musste ich feststellen, dass Fomenko mit dem historischen Material nachlässig und lieblos umgeht. (Im Anhang zum besagten Artikel habe ich kurz darüber berichtet.)
Ulrich Voigt:
„Das war es, was ich betonen wollte: Die gesamte spätantike Komputistik und Chronologie wird hier als neuzeitliches Produkt gedeutet, denn anders lässt sich dieses eine Objekt in Rom nicht verneuzeitlichen.
Nun muss man aber darüber nachdenken, womit die frühchristliche (=neuzeitlich gefälschte) Osterkomputation organisch zusammenhängt, ich denke etwa an die Kuppelstruktur des Pantheon. Es gibt also eine Kettenreaktion, die man gar nicht so schnell übersehen kann.“
Vorerst scheinen mir die obigen Möglichkeiten 1 und 2 die plausibelsten zu sein. Insofern bliebe es für mich vorstellbar, dass das Pantheon ein wirklich antikes Gebäude ist.
Ulrich Voigt:
„Mein Gefühl sagt mir: Es wird bei sorgfältiger Überlegung kein Halten geben, bis man an dem Nullpunkt angekommen ist, der heutzutage durch z.B. Fomenko oder Pfister gegeben ist.“
Ich gestehe Ihnen gerne zu, dass die Rede von kollektiven hochmittelalterlichen und humanistischen Fantasien über die Antike eine neue Qualität der Kritik mittelalterlicher und humanistischer Quellen einführt. Da aber sinnvoll versucht werden kann, solche Fantasien auf ihren möglichen Realitätsgehalt zu prüfen, sehe ich zur fomenkistischen Resignation keinen Grund.
Allerdings fürchte ich, dass Sie darüber hinaus insofern Recht haben, als viele historisch Interessierte auf die Kränkung durch die FZT mit einem Übertritt ins Fomenko-Lager reagieren könnten.
jb: “Die Liste der Möglichkeiten ließe sich weiter differenzieren.”
Das will ich gerne glauben. Ich sehe nur überhaupt nicht, dass es irgendwo gelungen sei, eine der vielen Denkmöglichkeiten konkret in Erkenntnis umzusetzen, d.h. bei irgendeiner der überlieferten Ostertafeln gefälschte Elemente definitiv nachzuweisen oder irgendwie wahrscheinlich zu machen.
Ich befasse mich schon seit einigen Jahren mit dem Material “spätantike Ostertafel” und sehe deutlich, dass sämtliche Tafeln zusammen, mögen sie auch noch so unterschiedlich gestrickt sein, ein stimmiges Gesamtgefüge darstellen. Eine isolierte Tafel, die z.B. mit ihrem Kopfjahr “irgendwo” fußt, wäre mir fälschungsverdächtig, nur ist mir eine solche Tafel nie begegnet. Einzelne Tafeln herauszubrechen wäre schwierig und überdies fruchtlos, da jede einzelne für sich die gesamte Chronologie trägt. Das ist es eben, was die Chronologiekritik bislang vollkommen unterschätzt hat!
Das Gesamtgefüge zu verjüngen, ist (soweit ich das beurteilen kann), nur auf der Grundlage Hunnivaris möglich, also mit L=190, wofür aber die stattgefundene Verschiebung der Schaltjahre um 2 Jahre zunächst einmal nachgewiesen werden müsste. Wenn dies gelänge, könnte ich mich vielleicht mit L=190 anfreunden, es ist mir aber auf keinen Fall zugänglich, hier einer bloßen Phantasie zu folgen.
Daneben gibt es meines Erachtens nur noch die radikale Alternative, sämtliche Ostertafeln für Produkte der Neuzeit zu erklären, so wie es die radikale Chronologiekritik im Umfeld Fomenkos ja konsequenter Weise auch tatsächlich tut. Nur: Woher stammen denn dann diese Ostertafeln? Dafür hat einstweilen niemand eine auch nur halbwegs plausible Antwort.
Ulrich Voigt:
jb: “Die Liste der Möglichkeiten ließe sich weiter differenzieren.”
Ulrich Voigt: „Das will ich gerne glauben. Ich sehe nur überhaupt nicht, dass es irgendwo gelungen sei, eine der vielen Denkmöglichkeiten konkret in Erkenntnis umzusetzen, d.h. bei irgendeiner der überlieferten Ostertafeln gefälschte Elemente definitiv nachzuweisen oder irgendwie wahrscheinlich zu machen.“
Es hat sich bis jetzt doch noch überhaupt niemand an den Versuch gemacht, das unter der Prämisse der FZT zu tun. Und wo es ansatzweise gemacht wurde – wie jetzt mit Ihrer Hilfe bei Hippolyts Tafel –, wird sofort erkennbar, wie problematisch sowohl die Umstände der „Entdeckung“ der Tafel als auch die Versuche zur Einordnung der betreffenden Statue in einen antiken Zusammenhang sind.
Ulrich Voigt:
„Ich befasse mich schon seit einigen Jahren mit dem Material ‚spätantike Ostertafel‘ und sehe deutlich, dass sämtliche Tafeln zusammen, mögen sie auch noch so unterschiedlich gestrickt sein, ein stimmiges Gesamtgefüge darstellen. Eine isolierte Tafel, die z.B. mit ihrem Kopfjahr ‚irgendwo‘ fußt, wäre mir fälschungsverdächtig, nur ist mir eine solche Tafel nie begegnet.“
In einem früheren Kommentar (23. März 2007 um 01:36) schrieb derselbe Ulrich Voigt zur angeblichen „Stimmigkeit des Gesamtgefüges“, dass die „hervorragenden späteren Forscher“ Middelburg, Scaliger, Petavius, Bucherius, Noris, Bianchini, Van der Hagen, Ideler, Schwartz, Grumel und Strobel jenen Zusammenhang „nur ansatzweise zu entwirren imstande waren“.
Soviel diesmal zu Ihrer glänzenden Rhetorik …
Versuchen wir, bei alledem ernst zu bleiben und gehen wir davon aus, dass seit dem frühen 11. Jahrhundert in zahlreichen europäischen Klosterskriptorien an der „Stimmigkeit“ jenes Gesamtgefüges gearbeitet wurde, dann hatten die Mönche bis zur „Entdeckung“ der Hippolytstatue im Jahre 1551 mehr als fünf Jahrhunderte Zeit, das anschließend so mühsam zu entwirrende Gesamtbild zu erzeugen.
Ulrich Voigt:
„Einzelne Tafeln herauszubrechen wäre schwierig und überdies fruchtlos, da jede einzelne für sich die gesamte Chronologie trägt.“
Dieser Satz klingt ein wenig widersprüchlich. Ich gehe einmal davon aus, dass Sie meinen, alle bekannten Ostertafeln würden sich auf dieselbe Chronologie beziehen.
Ulrich Voigt:
„Das ist es eben, was die Chronologiekritik bislang vollkommen unterschätzt hat!“
Ich glaube nicht, dass die Chronologiekritik hier etwas unterschätzt hat. Im Gegenteil hätte es sie wohl eher überrascht, wenn es anders gewesen wäre – müsste man den Verwaltern der Tradition doch sonst ein ungenaues und unzuverlässiges Arbeiten bescheinigen. Größere, für die Tradition problematische Widersprüche sind bestenfalls zu erwarten in heute nicht mehr beachteten Handschriften, die in irgendwelchen abgelegenen Klosterskriptorien vor sich hin faulen.
Ulrich Voigt:
„Das Gesamtgefüge zu verjüngen, ist (soweit ich das beurteilen kann), nur auf der Grundlage Hunnivaris möglich, also mit L=190, wofür aber die stattgefundene Verschiebung der Schaltjahre um 2 Jahre zunächst einmal nachgewiesen werden müsste.“
Na, sehen Sie, geht doch.
Ulrich Voigt:
„Daneben gibt es meines Erachtens nur noch die radikale Alternative, sämtliche Ostertafeln für Produkte der Neuzeit zu erklären, so wie es die radikale Chronologiekritik im Umfeld Fomenkos ja konsequenter Weise auch tatsächlich tut.“
Wer die gesammelten Ostertafeln wie einen monolithischen Block behandelt, kann diesen dann freilich nur noch für insgesamt entweder antik oder neuzeitlich erklären.
Aus der Sicht des Historikers ginge es dagegen eher um das Eruieren und Unterscheiden von Traditionen und Entwicklungen, derer es ja nun wirklich mehrere gibt. Kritisch betrachtet wären diese einzelnen Traditionen (etwa orientalische, römische, dionysische) ebenso viele potentielle Fälschungskomplexe. Ohne weiteres spricht nichts gegen die Möglichkeit, dass einige der Traditionen im Großen und Ganzen echt und antik, andere dagegen im Großen und Ganzen gefälscht und nachfzlich sind.
Ulrich Voigt:
„Nur: Woher stammen denn dann diese Ostertafeln? Dafür hat einstweilen niemand eine auch nur halbwegs plausible Antwort.“
Diese Frage stellt sich doch bei antiken Ostertafeln genauso wie bei nachfzlichen. Immerhin sind die wichtigsten Skriptorien und/oder Fälschungszentren der NachFZ dem Mediävisten bekannt. „Ein produktives Skriptorium hatte viele Kontakte, oft auch zu weit entfernten Klöstern. Handschriften wurden von einem Kloster zum anderen entlehnt und dienten als Vorlage für die Schreiber, wobei Quellenzeugnisse die oft systematische Suche nach Texten belegen.“ [O. Mazal im LexMA, Art. „Skriptorium“]
Zum Problem der Stimmigkeit des Gesamtgefüges, von dem ich sage, dass es bislang nur ansatzweise entwirrt worden sei, schrieb August Strobel (Texte zur Geschichte des frühchristlichen Osterkalendrs, Münster 1984, S.146):
Die Geschichte der altkirchlichen Osterkomputation stellt sich für den heutigen Betrachter als eine weithin wirre und undurchsichtige Angelegenheit dar. Ein solcher Eindruck täuscht. In Wahrheit unterliegt die Geschichte der Osterberechnung einer ziemlich strengen Gesetzmäßigkeit, über die man Klarheit gewissen sollte.
Und in der Tat: Von allen genannten Forschern ist Strobel damit am weitesten gekommen, indem er nämlich den generellen zyklischen Rückbezug auf das jeweils geglaubte Todesjahr Christi nachwies. Ich wiederum habe herausgefunden, dass sich diese Erkenntnis Strobels auf derselben breiten Linie ergänzen lässt durch den zyklischen Vorausbezug auf “unser” Jahr 532. Erst dadurch erweist sich die euphorische Aussage Strobels als wirklich bewiesen. Zu mir sagte Strobel: “Sie sind der einzige, der mir überhaupt geantwortet hat.”
Ulrich Voigt schrieb am 31. März 2007:
„Zum Problem der Stimmigkeit des Gesamtgefüges, von dem ich sage, dass es bislang nur ansatzweise entwirrt worden sei, schrieb August Strobel (Texte zur Geschichte des frühchristlichen Osterkalenders, Münster 1984, S. 146):
Die Geschichte der altkirchlichen Osterkomputation stellt sich für den heutigen Betrachter als eine weithin wirre und undurchsichtige Angelegenheit dar. Ein solcher Eindruck täuscht. In Wahrheit unterliegt die Geschichte der Osterberechnung einer ziemlich strengen Gesetzmäßigkeit, über die man Klarheit gewinnen sollte.
Und in der Tat: Von allen genannten Forschern ist Strobel damit am weitesten gekommen, indem er nämlich den generellen zyklischen Rückbezug auf das jeweils geglaubte Todesjahr Christi nachwies.“
In Ihrem ersten rhetorikfreien Kommentar legen Sie dankenswerterweise die Karten auf den Tisch. August Strobel ist es, der hinter dem Ganzen steckt.
Wie Sie wissen, ist der Theologe August Strobel (1930-2006) für uns beide ein gemeinsamer Bezugspunkt. Als ich – lange bevor ich Illig kennen lernte, und angeregt durch Arno Borst, der sich mehrfach an zentraler Stelle auf Strobel beruft – dessen „Ursprung und Geschichte des frühchristlichen Osterkalenders“ (Berlin 1977) entdeckte, hielt ich es für das Gründlichste, was bis dahin über christliche Chronologie geschrieben worden war. Zwar war ich nach einer ersten Lektüre noch nicht von der Richtigkeit der Hauptthese überzeugt: Strobel wollte nachweisen, dass Jesus am 7. April 30 gekreuzigt wurde. Mir schien dagegen die Datierung durch seinen Gegner Fotheringham plausibler. Aber nach einer zweiten Lektüre, einige Jahre später, änderte sich das: Ich musste Strobel Recht geben. Mit Strobels Position waren (so meine damalige Auffassung) die zahlreichen Widersprüche der ungeheuren Materialfülle, die er gesichtet hat, am ehesten zu erklären – allerdings ausdrücklich mit ebendieser Einschränkung „am ehesten“, denn viele Fragen blieben.
Erst Illigs „Erfundenes Mittelalter“ öffnete mir die Augen für das ganze Ausmaß, in dem ältere Geschichte gefälscht wurde – oder zumindest gefälscht worden sein könnte. Die sechs Bände über den 1986-er Fälschungskongress der Historiker, später Velikovsky, Heinsohn, Weißgerber, Martin, Topper, die Fomenkisten, Detering, Bruno Bauer, Drews, Carotta und andere taten ein Übriges. Auch Vermittler wie Günter Lelarge und Christoph Marx seien hier dankend erwähnt.
Aus der Perspektive dieser radikalen Infragestellung von Geschichte werden die Grenzen des Strobelschen Vorgehens sichtbar. Denn Strobel rechnet zwar durchaus mit systematischen Irrtümern, die falsche Traditionen begründen. Er erkennt mir aller Klarheit, dass „viele dieser chronologisch-kalendarischen Traditionen und Angaben eklatante Ungenauigkeiten, Fehler und Widersprüche“ enthalten (ebd. S. 11). Aber nie denkt er an die Möglichkeit, dass die Tradition, für die er sich letztendlich selbst entscheidet, das Ergebnis systematischen Irrens und Fälschens sein könnte. Strobels Grundüberzeugung ist, dass von den vielen bekannten und widersprüchlichen Traditionen über das Leben und Sterben Jesu doch wenigstens eine die historische Wahrheit erzählen müsse. Methodisch geht es dann folgerichtig nur noch darum, diese eine Tradition zu finden. Dieser Aufgabe hat sich Strobel gewidmet.
Ulrich Voigt:
„Ich wiederum habe herausgefunden, dass sich diese Erkenntnis Strobels auf derselben breiten Linie ergänzen lässt durch den zyklischen Vorausbezug auf ‘unser’ Jahr 532. Erst dadurch erweist sich die euphorische Aussage Strobels als wirklich bewiesen. Zu mir sagte Strobel: ‘Sie sind der einzige, der mir überhaupt geantwortet hat.’“
Strobels Worte klingen fast wie ein Vermächtnis und verpflichten wohl in gewisser Weise. Dennoch scheint es mir empfehlenswert, Strobels Werk nicht nur vereinzelt kritisch, sondern radikalkritisch gegenüber zu treten und einen grundsätzlich anderen Ansatz zu wählen. Wer das tut, erkennt, wie problematisch Strobels Vorgehen vom methodischen Standpunkt ist. Ich hoffe in der nächsten Zeit Gelegenheit zu haben, einige der sich aus Strobels Voreingenommenheit ergebenden Probleme, sofern sie Anhaltspunkte für eine Kritik aus fzlicher Perspektive bieten, anzusprechen.
Wie im vorigen Kommentar angekündigt, wollte ich hier einige Ansatzpunkte für eine Strobel-Kritik aus fzlicher Sicht referieren. Ich beziehe mich dabei auf Strobels „Ursprung und Geschichte des frühchristlichen Osterkalenders“ (Berlin 1977). Strobel versucht in diesem Buch den Nachweis, dass Jesus am Freitag, dem 7. April des Jahres 30 n. Chr., gekreuzigt wurde. Er bedient sich exegetischer, historischer, astronomischer und besonders komputistischer Argumente. Letzteren ist der Hauptteil der Arbeit gewidmet.
Wer ein solches Anliegen hat, sieht sich Bergen von Material gegenüber, die völlig Anderes nahelegen. Er muss sich durchkämpfen und mit den zahlreichen Widersprüchen fertig werden. Das beginnt schon mit den Unvereinbarkeiten zwischen dem Johannes-Evangelium und den drei Synoptikern. Strobel entscheidet sich in dieser alten theologischen Streitfrage weitgehend für Johannes. Er gehört damit zu jenem Typus von Theologen, über den Albert Schweitzer mehr als ein halbes Jahrhundert früher schreiben konnte, dass „ein geistreicher Kopf, der auf Johannes eingeschworen ist, immer tausend Wege findet, um die synoptischen Angaben mit den johanneischen zu vereinigen und sich zuletzt gar noch mit Haut und Haaren für die Stelle zu verbürgen, wo der ausgefallene Abendmahlsbericht eingeschaltet werden muß“. [Albert Schweitzer, Geschichte der Leben-Jesu-Forschung, Tübingen 1906/1984, S. 124]
Damit ist Strobels Vorgehen treffend charakterisiert. Immer wieder gelingt es ihm, Widersprüche zu seiner Position nicht nur als unbedeutend erscheinen zu lassen, sondern sie sogar in Argumente für den eigenen Standpunkt zu verwandeln. Diese rhetorische Methode, die im übrigen auch Voigt häufig praktiziert, ist nicht mit Dialektik zu verwechseln. Dialektik verharmlost die Widersprüche nicht, sondern treibt sie gerade umgekehrt auf die Spitze, um die Lösung in einem neuen, dritten Standpunkt zu suchen.
Hier eine Kostprobe von Strobels Rhetorik [S. 429]:
„Als Ergebnis unserer bisherigen Untersuchung schälte sich von verschiedenen Seiten her heraus, daß die frühchristliche Kalenderüberlieferung mit ihrer daraus resultierenden Osterfestpraxis auf einen Ausgangspunkt zurückgeführt werden kann, der identisch ist mit dem 7. April 30 n. Chr., dem Todestag Jesu. Die Gemeinde wußte sich in diesem Geschehen, das das Heil der Welt umschließt, gegründet und sah sich verpflichtet, sein Gedächtnis in der alljährlichen Osterfeier auch terminlich zu bewahren. Das ebenfalls relativ früh bezeugte Konkurrenzdatum 25. März 29 n. Chr., das historisch keinerlei Anhalt hat, erweist sich unschwer als ein sekundärer spekulativer Ableger der erwähnten ursprünglichen Überlieferung. Die Bindung der ältesten kirchlichen Gruppen an den 7. April 30 n. Chr. kann man nicht nur dem kalendergeschichtlichen Prozeß, sondern auch zahlreichen ältesten Quellen und Fakten entnehmen, die insgesamt ein erstaunlich eindeutiges Ergebnis zu Tage fördern, das jeder Skepsis glatt entgegensteht. Sichere Feststellungen lassen sich bereits für das ausgehende 2. Jahrhundert n. Chr. treffen, und selbst für die erste Hälfte dieses Jahrhunderts sind gewisse Folgerungen unumgänglich. In diesen Jahrzehnten tritt erstmals die für die frühchristliche Osterkomputation auf lange Zeit wichtige 84jährige Osterperiode, deren Kopfjahr elementar mit 46/47 n. Chr. verbunden ist, in das Licht der Geschichte des Osterfestes und zwar im Raume der quartadecimanischen Kirche des Ostens. Erstaunlich mutet weiter die Genauigkeit an, mit der die ältesten 8jährigen und 19jährigen Zyklen des 2. und 3. Jahrhunderts über das entscheidende Basisjahr 30 n. Chr. verlaufen, um immer wieder die entscheidenden Apriltage (5. bis 7. April) oder ihre sekundäre Abwandlung (25. März) zu reproduzieren.“
Strobel schafft es in diesem kurzen Abschnitt, mindestens drei alternative Ansätze für Jesu Todestag (25. März 29 n. Chr., 46/47 n. Chr., 5. April), die in klarem Widerspruch zu seiner eigenen These vom 7. April 30 n. Chr. stehen und mit denen sich durchaus gewichtige antike Traditionen verbinden, zu zweifelsfreien Bestätigungen für eben jene These umzudeuten! Das hat gewiss theologische Klasse, ist aber zur Klärung historischer Fragen nicht ohne weiteres geeignet – vor allem wenn man bedenkt, dass im zitierten Text längst nicht alle kursierenden Auffassungen über die chronologische Einordnung Jesu (mitsamt den entsprechenden Ostertraditionen und -tafeln) erwähnt wurden. Freilich ist obiger Absatz nur eine Zusammenfassung und gibt Strobel an anderer Stelle teilweise detaillierte Begründungen für sein Vorgehen. Diese vermögen es aber doch nicht, den Gesamteindruck zu verdrängen.
Ein weiteres Beispiel, das zugleich auf die Hippolyt-Diskussion zurückführen mag, die hier vorrangig zu führen ist [S. 123]:
„Eigentlicher Fixpunkt [des Hippolyt’schen Osterzyklus, JB], von dem aus sekundär das Geburtsdatum in den Zyklus einbezogen wurde, war ohne Zweifel der Todestermin. Ist aber seine periodische Auswertung bis Hippolyt allezeit richtig erfolgt? Für 30 n. Chr. spricht, daß die Differenz zwischen dem Beginn des Zyklus (d. i. 222 n. Chr.) und dem vorzuziehenden Todesjahr Jesu durch 8 bzw. 16 ohne Rest teilbar ist. Wir scheinen damit wiederum auf 30 n. Chr. gewiesen zu sein (222 n. Chr. – 192 = 30 n. Chr.). Da für Hippolyt indessen der 25. März (29 n. Chr.) nach ausdrücklichem Vermerk des Pinax [Strobel meint den Sockel der vorgeblichen Hippolytstatue, JB] den Todestag Christi bezeichnet, wobei dieser mit dem letzten Jahr der zweiten Sedecennitas verbunden ist, sollte die Rechnung wohl richtiger lauten: 222 n. Chr. – 1 = 221 n. Chr. = 12 × 16 + 29 n. Chr. Dennoch sind diese Zahlen im vermuteten Sinne aufschlußreich. Hippolyt dürfte auf sein 1. Zyklusjahr (= 222 n. Chr.) gekommen sein durch eine ihm vorliegende andere Aufgliederung der Zeit nach Christi Tod, die zahlenmäßig so dargestellt werden kann: 30 n. Chr. + 16 + 2 × 84 + 8 = 222 n. Chr. Wahrscheinlich entsprach Hippolyt bei diesem Ansatz zwei bereits vor ihm gebräuchlichen Rechnungen mit Hilfe der 8- und 84jährigen Periode, die beide zweifellos auf 30 n. Chr. gründeten, die aber im Blick auf das Datum 25. März n. Chr. modifiziert wurden.“
Hier besteht das Kunststück darin, den Beginn des Hippolyt’schen Osterzyklus (222 n. Chr.) auf das von Hippolyt anvisierte Todesjahr Jesu (29 n. Chr.) dadurch zu beziehen, dass vom ersteren einzig und allein deshalb ein Jahr abgezogen wird, weil sonst die Rechnung nicht stimmen würde! Mit dieser Methode lässt sich natürlich alles passend machen.
Die FZT erlaubt eine bessere Erklärung. Da Hippolyts Ostertafel nicht die einzige mit einer 112jährigen Periode ist, liegt die Vermutung nahe, dass Ligorio und Konsorten eine solche Tafel mit anderem, wohl zu 29 n. Chr. passendem Kopfjahr kannten und sie auf das Jahr 222 umschrieben. Sie taten dies für Kardinal Hippolyt II, jenen Sohn der Lucrezia Borgia, der selbst der nächste Papst Hippolyt werden wollte. Dass bei ihrer Manipulation der periodische Bezug zu 29 n. Chr. verloren ging, konnte ihnen noch nicht auffallen, weil vor Strobel niemand von solchen Bezügen wusste.
jb: “In Ihrem ersten rhetorikfreien Kommentar …”
Hm, warum denn so grob?
jb: “… legen Sie dankenswerterweise die Karten auf den Tisch. August Strobel ist es, der hinter dem Ganzen steckt.”
Nein, so einfach ist das dann auch wieder nicht. Den Vorausbezug auf das Jahr 532 hatte ich, als ich auf Strobel stieß, schon längst ausgearbeitet. Nur deshalb, weil dem so ist, fiel es mir so leicht den Kerngedanken Strobels zu verstehen.
Es handelt sich bei Strobels “Rückbezug” und Voigts “Vorausbezug” um zwei komplementäre Ergebnisse, die unabhängig voneinander begründet werden können (und müssen) und sich dann gegenseitig stützen.
Ich habe seitdem mit mehreren Leuten gesprochen, die Strobels Buch “kannten”; kein einziger hatte diesen Gedanken (des zyklischen Rückbezugs der Ostertafeln auf ein “Todesjahr Christi”) überhaupt wahrgenommen, geschweige denn verstanden. Die herausragende Bedeutung einer solchen Einsicht für die Erforschung der christlichen Komputistik und Chronologie ist ja ohnehin nur ersichtlich, wenn man sich hinreichend in dieser Sache auskennt. Soweit ich weiß, spielt diese Erkenntnis in der Nach-Strobelschen Forschung (von mir einmal abgesehen) überhaupt keine Rolle; er ist einfach “nicht angekommen”.
Jeder aber, der Strobel gelesen hat, weiß, dass er den 7. april 30 als Todestag Christi behauptet.
Zwischen Strobel und mir ist der Unterschied der, dass es Strobel in der Tat vorrangig um dieses Datum ging, wofür die Auswertung der Ostertafeln ihm letztlich nur Mittel zum Zweck war. Ich dagegen interessiere mich für Chronologie, wofür das historische Todesdatum Christi, wenn es denn so klar zu erkennen wäre, nur ein Baustein sein kann.
jb: “Als ich – lange bevor ich Illig kennen lernte, und angeregt durch Arno Borst, der sich mehrfach an zentraler Stelle auf Strobel beruft – dessen „Ursprung und Geschichte des frühchristlichen Osterkalenders“ (Berlin 1977) entdeckte, hielt ich es für das Gründlichste, was bis dahin über christliche Chronologie geschrieben worden war.”
Moment. Habe ich da etwas übersehen? Arno Borst berief sich “mehrfach an zentraler Stelle” auf Strobel? Wo denn?? Bitte um Aufklärung!!
In Borst, Die karolingische Kalenderreform, findet man Strobel im Literaturverzeichnis und in einer belanglosen Fußnote zu Dionysius Exiguus, nicht im Index rerum et personarum.
In Borst, Der karolingische Reichskalender, findet sich Strobel überhaupt nicht.
Der zentrale Gedanke Strobels hat nach meiner (bisherigen) Meinung Borst überhaupt nicht erreicht.
Borst / Strobel
Für Borst beginnt die Geschichte der Komputistik mit Dionysius Exiguus, den er an den Beginn des Mittelalters setzt (Z.B. Schriften zur Komputistik Bd. 1, II.1. “Geschichte der Komputistik”). Indem er dann Beda Venerabilis als verbesserten Dionysius Exiguus nimmt, gelingt es ihm, die mittelalterliche Komputistik als gleichsam autochthone Erscheinung zu definieren. Über Hippolytus von Rom hat Borst nichts zu sagen.
Für Strobel sitzt Dionysius Exiguus am Ende einer jahrhundertelangen Entwicklung und ist aus diesem Grunde für die Frage nach einem eventuell “noch vorhandenen” Wissen um das Todesjahr Christi fast ohne Interesse. Über Beda Venerabilis hat Strobel nichts zu sagen.
Weder Strobel, noch Borst hat besonderes Interesse an Dionysius Exiguus, aber Strobel kann doch mit ihm etwas anfangen.
Dass Strobel die mittelalterliche Komputistik ausklammert, ist vollkommen in Ordnung, denn sie bringt für seine Frage nichts.
Dass aber Borst die spätantike Komputistik ausklammert, bedeutet, dass er sein Gebäude auf Sand baut. Die autochthone mittelalterliche Komputistik ist nämlich eine Chimäre: Zwar stammt aus dem Mittelalter ein technisches Vokabular, aber keine einzige tragende Definition. Die gesamte mittelalterliche Komputistik ist eine Adaption der spätantiken Komputistik.
In der deutschen Wikipedia wird Komputistik als mittelalterliche Komputistik definiert, weil man Borst für kompetent hält.
Ulrich Voigt am 25. April 2007 um 00:39:
„Hm, warum denn so grob?“
Pardon, war nicht so gemeint. Sie setzen m. A. n. Rhetorik als Methode ein. Ich wollte darauf aufmerksam machen, dass Sie das in Ihrem vorigen Kommentar einmal nicht taten.
Ulrich Voigt:
„Es handelt sich bei Strobels ‚Rückbezug‘ und Voigts ‚Vorausbezug‘ um zwei komplementäre Ergebnisse, die unabhängig voneinander begründet werden können (und müssen) und sich dann gegenseitig stützen.“
In Ordnung. Ihre Forschungsleistung geht in der Tat deutlich über Strobel hinaus. Strobel und Voigt haben ihre je eigene, sich ergänzende, höchst anerkennenswerte Originalität.
Gleichwohl: Strobels Rückbezug der Ostertafeln auf das vermutete Todesdatum Jesu und Voigts Vorausbezug dieser Tafeln auf das Jahr 532 haben zwei Dinge gemein. Denn nach Anwendung des rechnerischen Scharfsinns auf das gesammelte Material ordnet sich dieses für beide zu einer weitgehend einheitlichen, geschlossenen und widerspruchsfreien Tradition (Voigt in den ZS 2/2005, S. 444 zu den Ostertafeln: „… alle hängen sie eng zusammen und bilden insgesamt ein stimmiges Geflecht“). Außerdem gilt für beide, dass diese Tradition zwischen Jesus und Dionysius Exiguus nach primitiven Anfängen letztlich zur Entdeckung der 532-Jahr-Periode gelangt ist.
Freilich: ein wichtiger Unterschied liegt darin, dass für Voigt die frühen Ostertafeln nicht nur die 532jährige Periode antizipieren, sondern sogar das Jahr 532 n. Chr. vorwegnehmen –
heißt es doch in den ZS 2/2005 auf S. 450: „Ich behaupte […], dass man zu Beginn des 4. Jh. A. D. die Ostertafeln von ihrem Christusbezug gelöst hat, um sie in den 532-jährigen großen Osterzyklus einzufügen, der mit dem Jahr 0 beginnt.“ Also für Voigt beziehen sich die späteren Ostertafeln nicht mehr auf Jesu Todesdatum. Sie beziehen sich sogar überhaupt nicht mehr auf Jesus.
Allerdings zeigen solche Verschiebungen, dass es mit der einen widerspruchsfreien Tradition nicht weit her ist. Für eine historisch verantwortbare Erforschung der Ostertafeln erscheint es deshalb sinnvoller, jene dogmatische Prämisse fallen zu lassen. Es wäre von eben der Vielzahl unterschiedlicher Ostertraditionen auszugehen, die sich dem unbefangenen Forscherblick darbietet (etwa mehrerer jüdischer, „quartadecimanischer“, koptischer, ebionitischer und gnostischer Traditionen). Diese Traditionen verwendeten alle ihre je eigenen Ostertafeln mit unterschiedlichst angesetzten Kopfjahren, Frühjahrsäquinoktien und Osterzyklen. Aus dieser Perspektive erscheint der 532jährige Zyklus als später Versuch einer Harmonisierung, der sich durchsetzen konnte, weil Strobels „Großkirche“ ihn – aus sicherlich gutem komputistischen Grund – irgendwann adoptiert hat. Zur Durchsetzung mag sich die Kirche dabei der üblichen Mittel bedient haben, darunter nicht zuletzt die rückdatierte Fälschung.
Ulrich Voigt:
„Ich habe seitdem mit mehreren Leuten gesprochen, die Strobels Buch ‚kannten‘; kein einziger hatte diesen Gedanken (des zyklischen Rückbezugs der Ostertafeln auf ein ‚Todesjahr Christi‘) überhaupt wahrgenommen, geschweige denn verstanden.“
Das mag daran liegen, dass für Strobel selbst die Erforschung der Ostertafeln nur Mittel zum Zweck war. Auch wirkt seine Argumentation im Teil über die Ostertafeln streckenweise sehr konstruiert: etwa die Behauptung der Abhängigkeit einer ursprünglichen, aber dennoch für ketzerisch gehaltenen christlichen („quartadecimanischen“) Tradition, die das Passa am 25. März feiert, von einer Tradition, die den 7. April als Todesdatum Jesu versteht. (Die umgekehrte Abhängigkeit erscheint doch als mindestens so plausibel, wenn man bedenkt, dass der 7. April sich zum 25. März wie die luna XIV zu einem mit dem Neulicht zusammenfallenden Frühjahrsäquinoktium verhält.)
Ulrich Voigt:
„Die herausragende Bedeutung einer solchen Einsicht für die Erforschung der christlichen Komputistik und Chronologie ist ja ohnehin nur ersichtlich, wenn man sich hinreichend in dieser Sache auskennt. Soweit ich weiß, spielt diese Erkenntnis in der Nach-Strobelschen Forschung (von mir einmal abgesehen) überhaupt keine Rolle; er ist einfach ‚nicht angekommen‘.“
Das sehe ich auch so (einschließlich der Einfügung in Klammern, mit der Sie zurecht auf Ihre eigene Leistung hinweisen). Zugleich meine ich allerdings, dass es gute Gründe gibt, weshalb Strobel nicht „angekommen“ ist. Es verhält sich nicht ganz unähnlich wie beim Jesusfilm von Mel Gibson. Sowohl Strobel als auch Gibson gehen allzu selbstverständlich von der historischen Realität eines gekreuzigten Jesus von Nazareth aus und treiben diese Auffassung auf die Spitze: ein zumindest aus wissenschaftlicher Sicht bedenkliches Vorgehen.
Ulrich Voigt:
„Der zentrale Gedanke Strobels hat nach meiner (bisherigen) Meinung Borst überhaupt nicht erreicht.“
Doch, der zentrale Gedanke Strobels eben schon. Für Strobel kam es ja nicht auf die Ostertafeln, sondern auf Jesu historische Realität und chronologische Einordnung an. Borst übernimmt (in „Computus. Zeit und Zahl in der Geschichte Europas“) Strobels Forschungsergebnis. Dieses legt er seiner Auffassung von der Geschichte des Christentums und damit auch seiner Rekonstruktion der Geschichte des Mittelalters zugrunde.
Ulrich Voigt am 25. April 2007 um 11:24:
„Über Hippolytus von Rom hat Borst nichts zu sagen.“
In diesem Fall ist das vermutlich nur kluge Vorsicht.
Ulrich Voigt:
„Die autochthone mittelalterliche Komputistik ist nämlich eine Chimäre: Zwar stammt aus dem Mittelalter ein technisches Vokabular, aber keine einzige tragende Definition. Die gesamte mittelalterliche Komputistik ist eine Adaption der spätantiken Komputistik.“
Selbstverständlich knüpft die mittelalterliche Komputistik an ältere, nicht zuletzt auch byzantinische Traditionen an. Was aber spätantik und was mittelalterlich ist, ist aufgrund des massenhaften Fälschens oft nur noch schwer zu sagen. Borst mag dieses Problem klarer erkannt haben als Strobel und Voigt – auch wenn er mit seiner Einschätzung der Karolingerliteratur wohl immer noch ein wenig zu optimistisch war.
Ulrich Voigt:
„In der deutschen Wikipedia wird Komputistik als mittelalterliche Komputistik definiert, weil man Borst für kompetent hält.“
Es könnte aber auch daran liegen, dass Borst umsichtiger und weniger dogmatisch behauptend vorgeht als Strobel und Voigt.
Strobel / Borst
“Computus”? Dann bleibe ich also bei der schlichten Aussage, dass Borst überhaupt keinen einzigen Gedanken von Strobel übernommen hat, meine auch deutlich zu sehen, dass Borst sich mit Strobel gar nicht befasst hat.
Die Behauptung, dass Jesus am 7. april 30 geboren wurde, stammt nicht von Strobel, sondern wird schon lange gehandelt. Strobel hat sie nur neu begründet.
Von Kopfjahren der Ostertafeln und ihren wie auch immer gelagerten zyklischen Bezugsjahrem weiß Borst nichts.
Strobel / Voigt
jb: “Außerdem gilt für beide, dass diese Tradition zwischen Jesus und Dionysius Exiguus nach primitiven Anfängen letztlich zur Entdeckung der 532-Jahr-Periode gelangt ist.”
Nein, sowohl Strobel wie auch Voigt wenden sich gegen die allgemeine Ansicht, die christliche Komputistik entstamme primitiven Anfängen. Dabei geht es wesentlich um die Passatafel des Hippolytus. Strobel wendete sich gegen die generelle negative Einschätzung dieser Tafel. Ich gehe darin noch entschieden weiter als Strobel (1977), sogar weiter als Bianchini (1703).
Dass die 532jährige Periode bereits für Hippolytus und Julius Africanus vorausgesetzt werden muss, hat vor Voigt noch niemand ernsthaft behauptet, auch Strobel und Grumel nicht.
Zur Verschiebung des Anfangswerts der Mondtafeln vom 4. auf den 5. april und der damit gegebenen Verschiebung des zyklischen Rückbezugs in Alexandria schreibt jb: “Allerdings zeigen solche Verschiebungen, dass es mit der einen widerspruchsfreien Tradition nicht weit her ist.”
Dazu fällt mir nichts ein.
und weiter:
“Für eine historisch verantwortbare Erforschung der Ostertafeln erscheint es deshalb sinnvoller, jene dogmatische Prämisse fallen zu lassen.”
Aber es handelt sich keineswegs um eine Prämisse, sondern ganz klar um ein Ergebnis.
und dann:
“Es wäre von eben der Vielzahl unterschiedlicher Ostertraditionen auszugehen, die sich dem unbefangenen Forscherblick darbietet (etwa mehrerer jüdischer, „quartadecimanischer“, koptischer, ebionitischer und gnostischer Traditionen). Diese Traditionen verwendeten alle ihre je eigenen Ostertafeln mit unterschiedlichst angesetzten Kopfjahren, Frühjahrsäquinoktien und Osterzyklen.”
Ja, das wäre natürlich schön: Die bunte und widersprüchliche Vielfalt, aus der alles und nichts erschlossen werden kann. So lässt sich gemütlich jedwedes Süpplein kochen.
Aber nach Strobel / Voigt lässt sich das nur noch aufrechterhalten, indem man energisch die Augen schließt.
Ich sagte ja: Das strobelsche Ergebnis ist gar nicht so einfach einzusehen, denn es beruht auf einer genauen Analyse des gesamten Materials. Dem Laien erscheint oftmals vieles chaotisch und wirr, was dem Fachmann transparent ist. Wenn dieser Laie dann Professor mit Autorität ist, so wird er sein Nicht-Verstehen als den unbefangenen und verantwortungsvollen Blick des Experten ausgeben. Dazu gibt es inzwischen schon eine ganz nette (wenngleich belanglose) Literatur.
Grundsätzlich ist es auch interessant zu beobachten, dass die einen ununterbrochen das Chaos heraufbeschwören, die Streitigkeiten, Unterschiede und Widersprüche betonen, während die anderen versuchen, Strukturen zu erkennen und das Verbindende herauszuarbeiten.
Ich vergleiche das mit einem komplexen Kriminalfall. Die einen versuchen, die Unlösbarkeit zu betonen, die Widersprüche und Gegensätze, wobei sie sich nicht scheuen, Spuren zu verwischen, während die anderen versuchen, Täter festzunageln.
Und was ist nun Wissenschaft?
7. april / 25. märz
jb: “Die umgekehrte Abhängigkeit erscheint doch als mindestens so plausibel, wenn man bedenkt, dass der 7. April sich zum 25. März wie die luna XIV zu einem mit dem Neulicht zusammenfallenden Frühjahrsäquinoktium verhält.”
Ja, das ist ein Argument. Da gibt es aber noch sehr viel mehr zu beachten. Die Formnulierung “mindestens so plausibel” ist übereilt.
Strobel
jb: “Zugleich meine ich allerdings, dass es gute Gründe gibt, weshalb Strobel nicht „angekommen“ ist.”
Ich würde sagen: Der Hauptgrund liegt im mangelnden Sachverstand der meinungsbildenden sog. Experten.
Borst / Hippolytus
Ulrich Voigt: „Über Hippolytus von Rom hat Borst nichts zu sagen.“
jb: “In diesem Fall ist das vermutlich nur kluge Vorsicht.”
Eben!
Borst
Borst hat, wie allgemein bekannt, als Mediävist geradezu Titanisches geleistet. Wenn es aber um die gedankliche Analyse der Zusammenhänge geht, so läuft er meines Erachtens deshalb gegen eine Wand, weil er (1) Mathematik nicht ernst genug nimmt, (2) die Spätantike aus der Perspektive des Mittelalters betrachtet, (3) viel zu schnell ins Geistig-Tiefsinnige abdriftet, (4) wesentliche Forschungsergebnisse des 20. Jahrhunderts gar nicht an sich herangelassen hat (namentlich Grumel, Hartke und Strobel).
Strobel / Hippolytus
jb: “Hier besteht das Kunststück darin, den Beginn des Hippolyt’schen Osterzyklus (222 n. Chr.) auf das von Hippolyt anvisierte Todesjahr Jesu (29 n. Chr.) dadurch zu beziehen, dass vom ersteren einzig und allein deshalb ein Jahr abgezogen wird, weil sonst die Rechnung nicht stimmen würde! Mit dieser Methode lässt sich natürlich alles passend machen.”
Wie kann man Strobel nur so unterschätzen! Erstens ist der Bezug zum Todesjahr 29 auf der Tafel vermerkt, nämlich als Eintrag zum Jahr 32 Alexander (= 253 Christi): 253 – 29 = 2 x 112.
Zweitens beginnt die Mondtafel, die der Passatafel zugrunde liegt, nicht im Jahr 1 Alexander (= 222 Christi), sondern zwei Jahre davor (Anfangswert ist wie bei den Alexandrinern der 5. april), so dass das Jahr 0 Alexander (= 221 Christi) ganz selbstverständlich im Kalkül der Tafel vorausgesetzt ist. Nun ist hier der 25. märz das Passadatum, der zyklische Bezug geht also unmittelbar zum Jahr 29 Christi: 221 – 29 = 12 x 16. Wilhelm Hartke (1956) hat sogar versucht, die gesamte Konzeption der hippolytischen Passatafel aus den Tatsachen des Jahres 221 Christi, nämlich aus dem dort beobachteten taggenauen Vollmond des 25. märz herzuleiten. Nicht, dass ich dem zustimmen würde, diese taggenauen Daten spielen aber doch eine Rolle.
Strobel hat nun versucht, nachzuweisen, dass neben dem offensichtlichen Bezug zum Jahr 29 Christi auch noch ein versteckter Bezug zum Jahr 30 Christi vorliegt.
Borst, Computus. Zeit und Zahl in der Geschichte Europas, Berlin 2004 (1990)
Die Behauptung ist, dass Borst sich in diesem Buch an zwei zentralen Stellen auf Strobel bezieht, dessen zentralen Gerdanken aufgenommen habe bzw. dessen wesentliches Forschungsergebnis übernommen habe.
Ich habe mir dieses Buch also noch einmal hergeholt, um diese Behauptung zu überprüfen:
Im Index ist Strobel nicht erwähnt. In den Fußnoten finde ich ihn einmal, und zwar in Nr. 25), wo er neben Charles W. Jones und Hans Maier als “Übersicht für die christliche Frühzeit” empfohlen wird. Das ist ohne Inhalt.
Im Text selbst kann ich eine Erwähnung Strobels nicht ausfindig machen.
Über die vormittelalterliche Komputistik handelt Borst im Abschnitt “Weltzeit und Heilszeit in der römischen Antike”.
Borst schreibt (S. 24) in Hinbliuck auf die kalendarischen Festlegungen zur Zeit des Konzils von Nicaea, um nämlich zu erklären, warum dort keine wirklich klare Osterregelung beschlossen wurde:
“Denn die frömmsten Denker der frühen Christenheit sträubten sich gegen jede Verdinglichung der Zeit, fast wie Platon, waren aber auch konkreten Zahlen zutiefst abgeneigt. Von der kalendarischen Jahresordnung hielten sie wenig. Langfristige Berechnung förderte leicht den astrologischen Vorwitz, der sich in Gottes Pläne einmischte; kurzfristige Messung schien dem Menschen die Verfügung über seinen Augenblick vorzugaukeln. Nur irdische und nebensächliche Dinge ließen sich zählen und messen, die von Gott jedem Menschen zugeteilte Lebensdauer nicht, noch weniger die der Kirche bis zur Wiederkehr Christi verbleibende Heilszeit.”
Ich sagte ja, eine hervorstechende Schwäche dieses Autors ist das andauernde Abdriften in geistigen Tiefsinn. Die vorgelegten Aussagen beruhen nur auf Phantasie und stehen in krassestem Widerspruch zur historischen Realität. Sie passen aber gut in das Konzept, die Spätantike als dunkles Vorfeld des Mittelalters abzutun.
Um den Denkansatz Strobels in seinem Buch unterzubringen, hätte Borst das gesamten Konzept radikal verändern müssen.
Bei Borst kann man lernen (wie auch sonst bei so manchem), dass “viel zu wissen” noch lange nicht bedeutet “viel zu verstehen”.
Ulrich Voigt am 26. April 2007 um 01:28:
„Die Behauptung, dass Jesus am 7. april 30 geboren wurde, stammt nicht von Strobel, sondern wird schon lange gehandelt. Strobel hat sie nur neu begründet.“
Sie meinen die Behauptung, dass Jesus am 7. April 30 gestorben sei. (Entschuldigen Sie bitte diese Korrektur eines Verschreibers. Mir will scheinen, dass er nicht zufällig ist. Sie setzen auch sonst Geburt und Tod Jesu einander gleich: Nur so lässt sich Ihre Behauptung einer bruchlosen und widerspruchsfreien Tradition der Osterberechnung aufrechterhalten – siehe unten.)
Im übrigen übernimmt Borst Strobels Ansicht von Jesu Todesdatum deshalb, weil er Strobel für den gültigen Stand der Forschung hält. Dabei hat ihn nicht Strobels Methode, wohl aber das Ergebnis interessiert (siehe auch unten).
Ulrich Voigt:
„Nein, sowohl Strobel wie auch Voigt wenden sich gegen die allgemeine Ansicht, die christliche Komputistik entstamme primitiven Anfängen.“
Anscheinend stört Sie der Begriff „primitiv“. Er war von mir nicht abwertend gemeint, sondern im Hinblick auf die 532-jährige Tafel als vergleichsweise höherwertigen Endpunkt der Entwicklung gewählt. Ich stelle ihn aber gerne zur Disposition.
Ulrich Voigt:
„Dabei geht es wesentlich um die Passatafel des Hippolytus. Strobel wendete sich gegen die generelle negative Einschätzung dieser Tafel. Ich gehe darin noch entschieden weiter als Strobel (1977), sogar weiter als Bianchini (1703).“
Das ist unbestritten und unbestreitbar.
Ulrich Voigt:
„Dass die 532jährige Periode bereits für Hippolytus und Julius Africanus vorausgesetzt werden muss, hat vor Voigt noch niemand ernsthaft behauptet, auch Strobel und Grumel nicht.“
Sie meinen, dass sowohl Hippolytus als auch Julius Africanus den 28-jährigen Sonnenzirkel und den 19-jährigen Mondzyklus (28 x 19 = 532) kannten und bei der Erstellung ihrer Ostertafel bzw. Weltchronologie berücksichtigten.
Ulrich Voigt:
„Ja, das wäre natürlich schön: Die bunte und widersprüchliche Vielfalt, aus der alles und nichts erschlossen werden kann. So lässt sich gemütlich jedwedes Süpplein kochen.“
Eben nicht. Das Strobel-Voigt-Süpplein lässt sich ohne viele zusätzliche Ingredienzen und ohne das Weglassen vieler vorhandener Zutaten eben nicht kochen. Das spricht zwar für Strobel-Voigt‘sche Kreativität, nicht aber für ihre historische Genauigkeit. Strobel / Voigt sind hervorragende Köche, aber damit noch nicht ohne weiteres gute Historiker.
Ulrich Voigt:
„Aber nach Strobel / Voigt lässt sich das nur noch aufrechterhalten, indem man energisch die Augen schließt.“
Andersherum. Strobel / Voigt schließen energisch die Augen vor den zahlreichen Widersprüchen der frühen christlichen Traditionen – wie etwa auch vor den Forschungsergebnissen der so genannten theologischen Radikalkritik der Tübinger und Holländischen Schule (vgl. http://www.hermann-detering.de).
Strobel hat eine klare Vorstellung von der Geschichte des Christentums: Zuerst gab es für ihn den historischen Jesus und die vier Evangelien als Augenzeugenberichte. Anschließend entwickelten sich die einzelnen Gemeinden mit ihren je eigenen Traditionen. Diese wirkten im Laufe der Zeit auf den Text der jeweiligen Evangelien zurück und bedingten dort die Unterschiede zwischen Synoptikern und Johannes. Im Zuge dieser Entwicklung kam es zu immer größeren Abweichungen vom ursprünglichen Ansinnen Jesu und von der historischen Wahrheit über ihn, es entstanden die später so genannten Häresien. Der „Großkirche“ (Strobel) gelang es aber, die Häresien erfolgreich zu bekämpfen und Hüterin der historischen Wahrheit zu bleiben. Diese weist immer noch Widersprüche auf, aber die Aufgabe muss eben sein, diese Widersprüche im Rahmen der geschilderten kirchlichen Geschichtsauffassung zu lösen.
Vor dem Hintergrund dieser Geschichtsauffassung seien nun nach Strobel die verschiedenen Traditionen der Osterberechnung zu verstehen. Sie haben also alle einen gemeinsamen historischen Ausgangspunkt, nämlich das Leiden und Sterben Jesu. Die Traditionen verhalten sich zu diesem Ausgangspunkt wie die Äste eines Baumes zum Stamm. Ausgehend von diesem Stamm und den mit ihm gegebenen Fixpunkten seien sie bzw. die von ihnen implizierte Chronologie zu rekonstruieren.
Voigt pflichtet diesem Anliegen bei und ergänzt es um die These, dass ab einem gewissen Zeitpunkt nicht mehr das Todesdatum Jesu, sondern sein mutmaßliches Geburtsjahr oder – genauer noch – das auf dieses bezogene Jahr 532 n. Chr. zum Ausgangs- und Zielpunkt der Osterberechnung wurde. Mit letzterem Schritt löste sich die Osterberechnung sogar von ihrem vorrangigen Bezug auf Christus. Zwar gibt es seltsamerweise keine historischen oder theologischen Dokumente, die von diesem Übergang ausdrücklich Rechenschaft ablegen. Historisch ist er also nur schwer zu verorten. Lediglich aus den Eigentümlichkeiten späterer Ostertafeln lässt sich ableiten, dass er erfolgt ist.
Ein für die FZT wichtiger Aspekt dieser Voigt‘schen These ist der Umstand, dass Voigt einen Zusammenhang sieht zwischen dem Übergang zum neuen, sich am Jahr 532 orientierenden komputistischen Ansatz und der Weltchronologie des Julius Africanus, der ab Weltschöpfung rechnet und bis zu Christi Fleischwerdung 5500 Jahre zählt (vgl. ZS 2/2005, S. 429 und 447 ff.). Der durch astronomische Rückrechnung bestätigte Vollmond am 5. April des Jahres 532 (ein „idealer 15. Nisan“, weil er der erste Vollmond nach einem mit dem Frühlingsäquinoktium zusammenfallenden Neumond war) wiederholt nämlich den „Weltschöpfungsvollmond“ der Africanus-Ära! (Der Mond wurde selbstverständlich als Vollmond geschaffen. Die komputistische Rückrechnung lehrt, dass dies unter Voraussetzung des Julianischen Kalenders und des 19-jährigen Mondzyklus an einem 5. April geschehen sein muss …)
Der von Voigt behauptete Zusammenhang ist für die FZT deshalb wichtig, weil Illig wiederum einen Zusammenhang zwischen der byzantinischen Umstellung auf Schöpfungsära und der Einführung der FZ vermutet (vgl. „Wer hat an der Uhr gedreht?“, S. 127 ff.).
Ulrich Voigt:
„Grundsätzlich ist es auch interessant zu beobachten, dass die einen ununterbrochen das Chaos heraufbeschwören, die Streitigkeiten, Unterschiede und Widersprüche betonen, während die anderen versuchen, Strukturen zu erkennen und das Verbindende herauszuarbeiten.
Ich vergleiche das mit einem komplexen Kriminalfall. Die einen versuchen, die Unlösbarkeit zu betonen, die Widersprüche und Gegensätze, wobei sie sich nicht scheuen, Spuren zu verwischen, während die anderen versuchen, Täter festzunageln.
Und was ist nun Wissenschaft?“
Die methodische Nähe zwischen Geschichtsrekonstruktion und Kriminalistik ist mir auch schon aufgefallen. Wissenschaft kann in diesem Fall nur heißen, die eigenen Fantasien, Überlegungen und Hypothesen nicht als unumstößliche Wahrheiten zu verkaufen, sondern sie ergebnisoffen zur Diskussion zu stellen.
Ulrich Voigt:
[Polemisches gegen Borst]
Das lasse ich hier mal auf sich beruhen. Borst ist bestimmt zu kritisieren, aber Ihre Polemik halte ich für überzogen.
Ulrich Voigt am 26. April 2007 um 12:32:
„Wie kann man Strobel nur so unterschätzen! Erstens ist der Bezug zum Todesjahr 29 auf der Tafel vermerkt, nämlich als Eintrag zum Jahr 32 Alexander (= 253 Christi): 253 – 29 = 2 x 112.“
Sie schießen wieder mal übers Ziel hinaus! Dass Hippolyt von seinem Kopfjahr 222 aus auf das Todesjahr 29 abzielt, ist doch gerade das zu lösende Ausgangsproblem.
Ulrich Voigt:
„Zweitens beginnt die Mondtafel, die der Passatafel zugrunde liegt, nicht im Jahr 1 Alexander (= 222 Christi), sondern zwei Jahre davor (Anfangswert ist wie bei den Alexandrinern der 5. april), so dass das Jahr 0 Alexander (= 221 Christi) ganz selbstverständlich im Kalkül der Tafel vorausgesetzt ist.“
Das wiederholt doch nur den Strobelschen Rechentrick! So argumentierend ist ja auch das Jahr 220 noch „ganz selbstverständlich im Kalkül der Tafel vorausgesetzt“. Mit solchen Argumenten lässt sich jeden Bezug auf alles herstellen.
Ulrich Voigt:
„Strobel hat nun versucht, nachzuweisen, dass neben dem offensichtlichen Bezug zum Jahr 29 Christi auch noch ein versteckter Bezug zum Jahr 30 Christi vorliegt.“
Dieser „versteckte Bezug“ ist für Strobel gerade offensichtlich, weil er aus seiner Methode folgt, die Kopfjahre der Tafeln als wichtige Hinweise auf Jesu Todesjahr zu deuten. Aus der Sicht dieser Methode wird umgekehrt das auf der Hippolyt-Tafel vermerkte Jahr 29 zum Problem. (Lesen Sie noch mal das Strobelzitat in meinem Kommentar vom 21. April nach!)
Ulrich Voigt am 26. April 2007 um 16:43:
„Borst, Computus. Zeit und Zahl in der Geschichte Europas, Berlin 2004 (1990)
Die Behauptung ist, dass Borst sich in diesem Buch an zwei zentralen Stellen auf Strobel bezieht, dessen zentralen Gerdanken aufgenommen habe bzw. dessen wesentliches Forschungsergebnis übernommen habe.
Ich habe mir dieses Buch also noch einmal hergeholt, um diese Behauptung zu überprüfen:
Im Index ist Strobel nicht erwähnt. In den Fußnoten finde ich ihn einmal, und zwar in Nr. 25), wo er neben Charles W. Jones und Hans Maier als ‚Übersicht für die christliche Frühzeit‘ empfohlen wird. Das ist ohne Inhalt.
Im Text selbst kann ich eine Erwähnung Strobels nicht ausfindig machen.“
Mag sein, dass ich die Bedeutung von Strobel für Borst in der Erinnerung übertrieben habe (ist ja auch schon 17 Jahre her). Das könnte mit daran liegen, dass Borst auch Maier zitiert, der sich wiederum selbst auf Strobel beruft. Mir schien damals auf jeden Fall, dass für Borst der entscheidende Bezug zum aktuellen Forschungsstand über Strobel lief. Dabei hat er freilich mit den Details der Strobel‘schen Arbeit über die Ostertafeln nichts im Sinn – wie ich Ihnen gerne zugebe. Gleichwohl ist ihm Strobel wichtig zur Bestätigung der oben kurz angedeuteten Vorstellung von Geschichte und Chronologie des frühen Christentums, die Borst mit Strobel teilt.
jb: “Das Strobel-Voigt-Süpplein lässt sich ohne viele zusätzliche Ingredienzen und ohne das Weglassen vieler vorhandener Zutaten eben nicht kochen.”
Wenn das mehr sein soll als Rhetorik, dann müssten die Ingredienzien und Zutaten schon konkret benannt werden, am besten auch noch mit dem Zusatz “viele”, aber zumindest doch im Sinne von “es existiert eines”.
jb: “Strobel hat eine klare Vorstellung von der Geschichte des Christentums:”
Ja, das mag sein. Es stimmt auch, dass er diese Ansicht im wesentlichen einfach voraussetzt. Wenn man aber glaubt, dass sein Forschungsergebnis an diese Voraussetzung gebunden sei, so urteilt man vorschnell.
Ich z.B. arbeitete ursprünglich ohne vergleichbare Annahmen, indem ich nichts weiter tat, als die vorhandenen bzw. erschließbaren Oster- und Mondtafel auf mögliche zyklische Bezüge zu befragen, – und kam damit zu denselben Ergebnissen.
Die Realität, die man nicht voraussetzen muss, sondern offenkundig vor sich hat, ist gegeben durch das Geflecht von Mond- und Ostertafeln. Dass diese Tafeln über Zyklen zusammenhängen ist ein Ergebnis, keine Voraussetzung.
Tatsächlich war ich lange Zeit gedanklich so weit entfernt von irgendwelchen Annahmen über das frühe Christentum, dass ich gar nicht auf die Idee kam, nach einem zyklischen Rückbezug zu fragen und erst durch Strobel auf diese eigentlich doch ganz naheliegende Möglichkeit hingewiesen wurde.
Dass dieser Rückbezug kaum etwas anderes im Visier haben kann als den Tod oder die Geburt Christi, ist plausibel, wenn auch nicht zwingend.
jb: “Der von Voigt behauptete Zusammenhang ist für die FZT deshalb wichtig, weil […]”
… weil er eine eventuelle Verkürzung der Zeitleiste einigermaßen unbeschadet überstehen müsste.
Da dabei nicht nur die 19jährigen Mondtafeln und 532jährigen Ostertafeln involviert sind, sondern auch die 8jährigen Mondtafeln und 84jährigen bzw. 112jährigen Ostertafeln, und dann auch noch astronomisch genaue Vollmonds- bzw. Neumondsdaten (namentlich für die Jahre 220 bis 224 und für das Jahr 532) fehlt mir schlicht der Glaube daran, dass dies möglich sei.
Wenn dieses wunderschöne Gefüge nämlich zerstört würde, so müsste man schließen, dass sich diese Tafeln nur sinnvoll verhalten auf der Grundlage einer falschen Chronologie. Sie wären also allesamt, und zwar ganz im Stile der Topperschen “Großen Aktion”, gefälscht.
jb: “Dass Hippolyt von seinem Kopfjahr 222 aus auf das Todesjahr 29 abzielt, ist doch gerade das zu lösende Ausgangsproblem.”
Nein, das ist nur Dogmatik. Ausdrücklich ist auf der hippolyt. Tafel vermerkt, dass der (zyklische) Bezug zum Todesjahr von 32 Alexander (= 253 Christi) und dass der (zyklische) Bezug zum Inkarnationsjahr Christi con 2 Alexander (= 223 Christi) ausgeht. 36 Alexander entspricht in der Mondtafel des Hippolytus dem Jahr 0 Alexander (= 221 Christi). Ecco!
Die von Ihnen formulierte Aufgabe existiert gar nicht.
jb: “So argumentierend ist ja auch das Jahr 220 noch „ganz selbstverständlich im Kalkül der Tafel vorausgesetzt“. ”
Ganz richtig! Um das einzusehen, müssten Sie sich aber erst einmal in diese Tafel vertiefen. Den Gedanken daran, dass man hier beliebige Bezüge herstellen und begründen könnte, würden Sie dann schnell begraben.
Borst-Polemik
Ob ich übertreibe? So mag man mir das näher erklären! Vielleicht möchten Sie das Borst-Zitat, das ich angeführt habe, inhaltlich verteidigen? Mit Vergnügen würde ich Ihnen bei dem Versuch zuschauen.
Ich hätte auch keinerlei Schwierigkeit, mit einem Dutzend ähnlicher Beispiele aufzuwarten.
noch zu Borst
Auf der engl. Wikipedia, Artikel “year zero”, finde ich im Diskussionsteil folgende Aussage:
“Strange to say: To-day the authority of the philologist-historian, who does not understand mathematics, and does not even wish to understand it, nay, does every effort to avoid looking at mathematical structures (as represented in Germany by illustrious names like Grotefend, Krusch and Borst), is so overwhelming that even the mathematician-historian bends to it and refrains of opening his eyes and judge himself. This holds true notably for Germany, the Netherlands, and England, but (happily) much less so for France. Wikipedia, following what is generally believed to be sound knowledge, is only the victim of a (momentary) retrograde scientific development.”
Das, so scheint mir, ist sogar noch etwas radikaler formuliert.
jb: “Da Hippolyts Ostertafel nicht die einzige mit einer 112jährigen Periode ist, liegt die Vermutung nahe, dass Ligorio und Konsorten eine solche Tafel mit anderem, wohl zu 29 n. Chr. passendem Kopfjahr kannten und sie auf das Jahr 222 umschrieben. Sie taten dies für Kardinal Hippolyt II, jenen Sohn der Lucrezia Borgia, der selbst der nächste Papst Hippolyt werden wollte. Dass bei ihrer Manipulation der periodische Bezug zu 29 n. Chr. verloren ging, konnte ihnen noch nicht auffallen, weil vor Strobel niemand von solchen Bezügen wusste.”
Die Analyse der beiden einzigen 112jährigen Ostertafeln, von denen man Kunde hat, der des Hippolytus (Kopfjahr 222) und der des Ps.-Cyprianus (Kopfjahr 241), macht eher wahrscheinlich, dass diese abhängig ist von jener als umgekehrt. Dazu ausführlich Strobel (1984).
“Ligorio und Konsorten” hätten also aus dieser ausgesprochen heilsgeschichtlich orientierten und als komputistische Konstruktion inferioren Tafel des Ps.-Cyprian ein Kunstwerk hergestellt wie die Tafel des Hippolytus, mit dem sie die Forschung bis heute vor Rätsel zu stellen vermochten. Insebesondere schufen sie periodische Bezüge, von denen sie (da sie ja Strobel und Voigt noch nicht gelesen hatten) gar nichts wussten. Und das alles wiederum, um Hippolytus II. auf den Thron zu helfen! Wenn sie das wenigstens geschafft hätten!!
Ulrich Voigt:
jb: “Das Strobel-Voigt-Süpplein lässt sich ohne viele zusätzliche Ingredienzen und ohne das Weglassen vieler vorhandener Zutaten eben nicht kochen.”
Wenn das mehr sein soll als Rhetorik, dann müssten die Ingredienzien und Zutaten schon konkret benannt werden, am besten auch noch mit dem Zusatz “viele”, aber zumindest doch im Sinne von “es existiert eines”.
Das hatte ich doch getan, indem ich Strobels (massive) historische Prämissen benannte. Sie greifen das hier selbst noch mal auf:
Ulrich Voigt:
jb: “Strobel hat eine klare Vorstellung von der Geschichte des Christentums:”
Ja, das mag sein. Es stimmt auch, dass er diese Ansicht im wesentlichen einfach voraussetzt.
Sehen Sie.
Ulrich Voigt:
Wenn man aber glaubt, dass sein Forschungsergebnis an diese Voraussetzung gebunden sei, so urteilt man vorschnell.
Ich z.B. arbeitete ursprünglich ohne vergleichbare Annahmen, indem ich nichts weiter tat, als die vorhandenen bzw. erschließbaren Oster- und Mondtafel auf mögliche zyklische Bezüge zu befragen, – und kam damit zu denselben Ergebnissen.
Die Realität, die man nicht voraussetzen muss, sondern offenkundig vor sich hat, ist gegeben durch das Geflecht von Mond- und Ostertafeln. Dass diese Tafeln über Zyklen zusammenhängen ist ein Ergebnis, keine Voraussetzung.
Tatsächlich war ich lange Zeit gedanklich so weit entfernt von irgendwelchen Annahmen über das frühe Christentum, dass ich gar nicht auf die Idee kam, nach einem zyklischen Rückbezug zu fragen und erst durch Strobel auf diese eigentlich doch ganz naheliegende Möglichkeit hingewiesen wurde.
Dass dieser Rückbezug kaum etwas anderes im Visier haben kann als den Tod oder die Geburt Christi, ist plausibel, wenn auch nicht zwingend.
Also unterscheiden Sie sich methodisch von Strobel. Entsprechend entfernen Sie sich von seinen historischen Voraussetzungen, aber damit auch von historischen Bezügen überhaupt.
Ihr „Geflecht“ von Mond- und Ostertafeln wird dann zu einem axiomatischen System, dessen Axiome der Julianische Kalender sowie gewisse idealisierte astronomische Gegebenheiten (wie der 19-jährige Mondzyklus) sind.
Das ist aber – anders als Sie oben behaupten – eben nicht die (historische) Realität. Wie ein solches axiomatisches System mit der historischen (und astronomischen) Realität zusammenhängt, müsste dann zur Aufgabe historischer Forschung werden.
Ihr Ansatz könnte hochinteressant sein, wenn er konsequent verfolgt würde. Es wäre dann ein möglichst einfaches axiomatisches System zugrunde zu legen, das es erlaubte, beliebige Mond- und Ostertafeln zu generieren. Diese „idealen“ Mond- und Ostertafeln selbst wären sozusagen zeitlos, weil sie nur von den Systemvoraussetzungen abhängen. Sie ließen sich also historisch nicht einordnen. Allerdings wäre die Konstruktion einer Stufenfolge denkbar, die etwa einfachere von komplexeren Tafeln unterscheidet, in dem Sinn, dass letztere sich nur auf der Grundlage von ersteren entwickeln können. Ausgehend von diesem System wären dann die historisch überlieferten Mond- und Ostertafeln zu prüfen. Deren historische Einordnung wäre in dem Maße möglich, in dem sie entweder von den „idealen“ Tafeln abweichen oder weitere, von ihrem Charakter als „idealer“ Mond- bzw. Ostertafel unabhängige Merkmale aufweisen.
Mir will scheinen, dass Ihnen eigentlich schon ein solches methodisches Vorgehen vorschwebt, aber dass es in Ihren Artikeln und Diskussionsbeiträgen nicht selten durchkreuzt wird von einem plötzlichen Affekt gegen die FZT oder gegen „die Historiker“, der sich auf die sachliche Klärung historischer Zusammenhänge störend auswirkt.
Ulrich Voigt:
jb: “Der von Voigt behauptete Zusammenhang ist für die FZT deshalb wichtig, weil […]”
… weil er eine eventuelle Verkürzung der Zeitleiste einigermaßen unbeschadet überstehen müsste.
Ich sprach vom Zusammenhang zwischen der Neuorientierung der Kalenderberechnung am Jahr 532 n. Chr. (bzw. der damit einhergehenden Neuorientierung an Jesu Geburtsjahr) und der Weltchronologie des Julius Africanus. Dass Sie diesen Kontext so krude unterdrücken, ist zwar verständlich, führt aber in der Sache nicht weiter.
Ulrich Voigt:
Da dabei nicht nur die 19jährigen Mondtafeln und 532jährigen Ostertafeln involviert sind, sondern auch die 8jährigen Mondtafeln und 84jährigen bzw. 112jährigen Ostertafeln, und dann auch noch astronomisch genaue Vollmonds- bzw. Neumondsdaten (namentlich für die Jahre 220 bis 224 und für das Jahr 532) fehlt mir schlicht der Glaube daran, dass dies möglich sei.
Wenn dieses wunderschöne Gefüge nämlich zerstört würde, so müsste man schließen, dass sich diese Tafeln nur sinnvoll verhalten auf der Grundlage einer falschen Chronologie. Sie wären also allesamt, und zwar ganz im Stile der Topperschen “Großen Aktion”, gefälscht.
Letztere Behauptung ist eine, die Sie noch an keiner Stelle plausibel machen konnten.
Der Übergang von einer Osterberechnung, die sich an Jesu Todesjahr orientiert, zu einem Ansatz, der von Jesu Geburtsjahr bzw. dem Jahr 532 ausgeht, lässt sich im Rahmen einer „Großen Aktion“ nicht verstehen.
Hier greift nur entweder Ihre These, dass dieser Übergang im 3. nachchristlichen Jahrhundert erfolgt sei (heimlich, still und leise ohne öffentliche Diskussion und ohne theologische Legitimierung), oder die FZT.
Ulrich Voigt:
jb: “Dass Hippolyt von seinem Kopfjahr 222 aus auf das Todesjahr 29 abzielt, ist doch gerade das zu lösende Ausgangsproblem.”
Nein, das ist nur Dogmatik. Ausdrücklich ist auf der hippolyt. Tafel vermerkt, dass der (zyklische) Bezug zum Todesjahr von 32 Alexander (= 253 Christi) und dass der (zyklische) Bezug zum Inkarnationsjahr Christi con 2 Alexander (= 223 Christi) ausgeht. 36 Alexander entspricht in der Mondtafel des Hippolytus dem Jahr 0 Alexander (= 221 Christi). Ecco!
Die von Ihnen formulierte Aufgabe existiert gar nicht.
Zu dieser Ihrer Darstellung habe ich eine Frage: Sie sprechen vom Jahr „32 Alexander“, „2 Alexander“ und so weiter. Nach allem, was ich bislang über die Hippolyt-Tafeln in Erfahrung bringen konnte, wird der Name Alexander aber nur einmal auf der linken und einmal auf der rechten Seite des Sockels erwähnt, und zwar jeweils in der Überschrift der beiden Tafeln. Trifft diese Information zu?
Im übrigen haben Sie offenbar etwas missverstanden. Ich sprach von Strobel, dessen Methode und dessen selbstgestellter Aufgabe. Wir können das betreffende Zitat (siehe meinen Kommentar vom 21.04) gerne im Detail diskutieren. Strobel spricht dort vom Widerspruch zwischen dem vom Kopfjahr der Tafel (222 n. Chr.) implizierten Todesjahr Jesu (30 n. Chr.) und dem aus der Tafel selbst hervorgehenden Todesjahr 29 n. Chr. Deshalb versucht er zu erklären, wie Hippolyt „auf sein 1. Zyklusjahr (= 222 n. Chr.) gekommen sein“ könnte. Er äußert die Vermutung, dass hier „eine ihm [Hippolyt] vorliegende andere Aufgliederung der Zeit nach Christi Tod“ als das in den Tafeln selbst verwendete Schema zum Zuge gekommen sei.
Ulrich Voigt:
[Borst-Polemik]
Die Behauptung, Borst sei mathematisch unterbelichtet, halte ich für unbewiesen und deshalb auch für unverschämt. Was bei Borst aber in der Tat zum Tragen kommt, ist seine Ablehnung jeder Form von apriorischer Geschichtsschreibung. Nichts soll bei ihm vorschnell irgendwelchen glatten mathematischen oder anderen geschichtsphilosophischen Modellen und Theorien geopfert werden. Das ist allerdings gerade Borsts Stärke.
Seine Schwäche ist das große Vertrauen, das er in Schriftquellen setzt, und der daraus folgende Methodenprimat der Schriftquellenforschung. Diese Schwäche können Sie aber nicht kritisieren, denn Sie teilen sie ja mit Borst.
Ulrich Voigt:
Die Analyse der beiden einzigen 112jährigen Ostertafeln, von denen man Kunde hat, der des Hippolytus (Kopfjahr 222) und der des Ps.-Cyprianus (Kopfjahr 241), macht eher wahrscheinlich, dass diese abhängig ist von jener als umgekehrt. Dazu ausführlich Strobel (1984).
Sind Strobel in der Zwischenzeit Argumente eingefallen? In Strobel (1977) polemisiert er zwar unter Berufung auf M. Richard gegen die in der Forschung des öfteren vertretenen Auffassung des Cyprianus-Primats („unverständlich“, „unverzeihlicher Irrtum“), erläutert seine Meinung aber selbst nicht.
Ulrich Voigt:
“Ligorio und Konsorten” hätten also aus dieser ausgesprochen heilsgeschichtlich orientierten und als komputistische Konstruktion inferioren Tafel des Ps.-Cyprian ein Kunstwerk hergestellt wie die Tafel des Hippolytus, mit dem sie die Forschung bis heute vor Rätsel zu stellen vermochten.
Ich wüsste nicht, wo ich der These vom Cyprianus-Primat zugestimmt hätte. Meine eigene Vermutung, die Sie inzwischen längst kennen könnten, lautet, dass die Hippolyt-Tafeln von Ligorio & Co. vorgefunden und sekundär in Zusammenhang mit Alexander Severus gebracht wurden.
“Ligorio und Konsorten”
Der pseudo-cyprianische de pascha computus war Scaliger und Petavius noch nicht bekannt. In Rom hätte man also Zugang zu Texten gehabt, die im 17. Jh. in Oxford bzw. in Reims auftauchten, und nach Ansicht der heutigen “Chronologiekritiker” vermutlich dort überhaupt erst geschrieben wurden. Oder man hatte Zugang zu Texten, die seitdem ganz verschwunden sind und auch im 16. Jh. außerhalb dieses Fälscherkreises um Hippolyt II. nirgends bekannt wurden. Sehr phantastische Annahmen, fürwahr!
Meines Erachtens hätten diese Fälscher ihre Informationen nur aus Eusebius hist. eccl. ziehen können, damit aber die vorliegende Tafel niemals gefunden. Paul von Middelburg hatte bereits 1513 versucht, aus Eusebius auf den historischen Hippolytus zu schließen, “Ligorio und Konsorten” wären diesem (ihnen bekannten) Vorbild gefolgt, das schließlich ihrem Zweck (den Namen des Hippolytus bekannt zu machen) genügt hätte. Nein, sie dachten sich etwas aus, was man nimmermehr aus Eusebius schließen kann. Und warum? Um die Chronologieforschung vor ein interessantes Problem zu stellen?
jb: “Ihr „Geflecht“ von Mond- und Ostertafeln wird dann zu einem axiomatischen System, dessen Axiome der Julianische Kalender sowie gewisse idealisierte astronomische Gegebenheiten (wie der 19-jährige Mondzyklus) sind.”
Nanu? Halten Sie die Marmortafeln zu Ravenna und Rom für axiomatische Systeme? Ich halte sie für historische Realität.
jb: “Nach allem, was ich bislang über die Hippolyt-Tafeln in Erfahrung bringen konnte, wird der Name Alexander aber nur einmal auf der linken und einmal auf der rechten Seite des Sockels erwähnt, und zwar jeweils in der Überschrift der beiden Tafeln.”
“Erwähnt” ist das falsche Wort. Im Einleitungstext steht ausdrücklich “Jahr 1 Alexander” mit Hinweis auf die Ausgangsbedingung der Tafel (“Passa am 13. april, Samstag”). Das impliziert, dass die Jahre der Tafel nach Alexander zu zählen sind.
Strobel / Hippolytus
Ich stimme Strobel zu, dass hinter der Wahl des Kopfjahres 1 Alexander mehr stehen muss als nur der politische Anlass. Immerhin ist es beachtlich, dass es diesen zyklischen Bezug (222 – 30 = 12 x 16) gibt. Strobel kannte aber die Lösung Bianchinis nicht, die hier meines Erachtens viel mehr bedeutet, zumal sie einen Zusammenhang herstellt zwischen dem christlichen Kalender und der Chronologie der Römer: 222 – (-44) = 14 x 19 (= 532 / 2). In aller Regel erfüllen diese Kopfjahre mehrere Bedingungen, was Wilhelm Hartke (1956) zu der eigenartigen Formulierung veranlasste: „Phantasie und Glück verketten sich bei den mythologischen Chronologen oft sonderbar.“ Zwischen Strobel und Bianchini gibt es daher keinen Widerspruch.
jb: “[Strobel] äußert die Vermutung, dass hier „eine ihm [Hippolyt] vorliegende andere Aufgliederung der Zeit nach Christi Tod“ als das in den Tafeln selbst verwendete Schema zum Zuge gekommen sei.”
In der Tat ist die von Hippolytus vorausgesetzte Chronologie alles andere als einfach. Sie ist sogar noch komplexer als Strobel dachte.
Strobel berücksichtigte nicht den Bezug zu Julius Africanus. Er nahm nicht ernst, dass Mondtafel und Passatafel unterschiedlich anfangen, so dass man es mit mehreren “Kopfjahren” zu tun hat. Er ahnte nicht, dass Kenntnis des 19jährigen Zyklus (und sogar der dionysischen Mondtafel) für die Tafel vorausgesetzt werden muss. Er überlegte auch nicht, ob die Tafel eine christliche Jahreszählung impliziert, und, wenn Ja, welche. Strobels Interesse an Hippolytus war ein begrenztes, und letztlich blieb er doch gefangen in dem Bild, das nun einmal von “der Forschung” überall vertreten wird. Zwar ahnte er, dass damit etwas nicht stimmt, er fand aber keinen Hebel, das Bild wirklich zu ändern. Bianchini war ihm vollkommen unbekannt.
Mit meiner Lösung, die ich ihm 2005 schickte, war er übrigens auch nicht zufrieden, er hielt sie zurecht für einen ersten und noch vorläufigen Schritt. Inzwischen bin ich aber ein gutes Stück weiter gekommen, was ich ihm leider nicht mehr zeigen kann.
Borst
Ich wollte eigentlich nicht behaupten, dass Borst “mathematisch unterbelichtet” sei, denn das wäre wirklich unverschämt, sondern dass er über mathematische Objekte schreibt ohne sich auf Mathematik einzulassen.
Es geht nämlich nicht etwa darum, irgendetwas (wie Sie schreiben) einer mathematischen Theorie zu opfern, sondern darum, vorliegende (in den Quellen erkennbare und z.T. auch dedailliert ebendort erklärte) mathematische Strukturen festzustellen und auf ihre Implikationen hin zu durchdenken. Das wird unterlassen und statt dessen bietet man mir “Tiefsinn”. Welch ein Unterschied zu Venance Grumel und August Strobel!
Vor einiger Zeit schickte ich ein Manuskript “Über den Ursprung der christlichen Jahreszählung” an eine wissenschaftliche Zeitschrift in Berlin, deren Namen ich aus Höflichkeit nicht nennen möchte. Man lehnte es ab mit der Begründung: “Ihre Darstellung wimmelt ja nur so Mathematik. Das können wir unseren Lesern nicht zumuten.” Moderne Zeiten!
Ich weiß nicht wirklich, was apriorische Geschichtsschreibung ist, ich jedenfalls arbeite immer nur eng an den Quellen und versuche, mit möglichst wenigen Annahmen auszukommen. Bei Borst kritisiere ich, dass er weitreichende Phantasien entwickelt, die den vorliegenden Quellen krass widersprechen (wie z.B. die angebliche Abneigung der frühen Christen gegen Zahlen). Das hat mit “Vertrauen in die Schriftquellen” nichts zu tun.
Ulrich Voigt:
“Ligorio und Konsorten”
Der pseudo-cyprianische de pascha computus war Scaliger und Petavius noch nicht bekannt. In Rom hätte man also Zugang zu Texten gehabt, die im 17. Jh. in Oxford bzw. in Reims auftauchten, und nach Ansicht der heutigen “Chronologiekritiker” vermutlich dort überhaupt erst geschrieben wurden. Oder man hatte Zugang zu Texten, die seitdem ganz verschwunden sind und auch im 16. Jh. außerhalb dieses Fälscherkreises um Hippolyt II. nirgends bekannt wurden. Sehr phantastische Annahmen, fürwahr!
Meines Erachtens hätten diese Fälscher ihre Informationen nur aus Eusebius hist. eccl. ziehen können, damit aber die vorliegende Tafel niemals gefunden. Paul von Middelburg hatte bereits 1513 versucht, aus Eusebius auf den historischen Hippolytus zu schließen, “Ligorio und Konsorten” wären diesem (ihnen bekannten) Vorbild gefolgt, das schließlich ihrem Zweck (den Namen des Hippolytus bekannt zu machen) genügt hätte. Nein, sie dachten sich etwas aus, was man nimmermehr aus Eusebius schließen kann. Und warum? Um die Chronologieforschung vor ein interessantes Problem zu stellen?
Das alles betrifft aber nicht meine Vermutung, oder?
Mir fällt im Moment nichts Besseres ein, als diese zu wiederholen: Ich meine nicht, dass die Tafeln auf dem Sockel der Hippolytstatue nachantike Fälschungen sind. Es scheint mir aber sehr wohl möglich, dass sie erst nach der FZ, etwa von Ligorio, mit einem Kaiser Alexander in Verbindung gebracht wurden (dass also der jeweils einleitende Text eine Ergänzung durch Ligorio & Co. ist).
Ulrich Voigt:
Nanu? Halten Sie die Marmortafeln zu Ravenna und Rom für axiomatische Systeme? Ich halte sie für historische Realität.
Wo hätte ich das geschrieben? Ich hatte den Versuch gemacht, eine Methode darzustellen, die mir sinnvoll und richtig schien und die ich für die Ihrige hielt. Jetzt wollen Sie aber wohl zum Ausdruck bringen, dass Sie methodisch anders vorgehen.
Ulrich Voigt:
jb: “Nach allem, was ich bislang über die Hippolyt-Tafeln in Erfahrung bringen konnte, wird der Name Alexander aber nur einmal auf der linken und einmal auf der rechten Seite des Sockels erwähnt, und zwar jeweils in der Überschrift der beiden Tafeln.”
“Erwähnt” ist das falsche Wort. Im Einleitungstext steht ausdrücklich “Jahr 1 Alexander” mit Hinweis auf die Ausgangsbedingung der Tafel (”Passa am 13. april, Samstag”). Das impliziert, dass die Jahre der Tafel nach Alexander zu zählen sind.
Danke für diese Bestätigung. Es geht also nur aus der Einleitung zu den beiden Tafeln hervor, dass diese sich auf einen Alexander und dessen Jahr 1 (= 222 n. Chr.) beziehen.
Ulrich Voigt:
Ich stimme Strobel zu, dass hinter der Wahl des Kopfjahres 1 Alexander mehr stehen muss als nur der politische Anlass. Immerhin ist es beachtlich, dass es diesen zyklischen Bezug (222 – 30 = 12 x 16) gibt. Strobel kannte aber die Lösung Bianchinis nicht, die hier meines Erachtens viel mehr bedeutet, zumal sie einen Zusammenhang herstellt zwischen dem christlichen Kalender und der Chronologie der Römer: 222 – (-44) = 14 x 19 (= 532 / 2).
Und was soll bei diesem Zahlenspiel die Zahl 44 bedeuten?
Ulrich Voigt:
In aller Regel erfüllen diese Kopfjahre mehrere Bedingungen, was Wilhelm Hartke (1956) zu der eigenartigen Formulierung veranlasste: „Phantasie und Glück verketten sich bei den mythologischen Chronologen oft sonderbar.“
Ein Urteil, das für mich nachvollziehbar ist …
Ulrich Voigt:
Zwischen Strobel und Bianchini gibt es daher keinen Widerspruch.
Einen Widerspruch gibt es aber wohl zwischen Strobel und Strobel. Zumindest wäre eine Ostertafel, die sich auf zwei unterschiedliche Todesjahre einer und derselben Person bezieht, ein ziemlich schwer verdauliches Brot.
Ulrich Voigt:
Borst
Wie heute bekannt wurde, ist Arno Borst am 24. April im Alter von 81 Jahren verstorben. Die Reihen der „alten Garde“ lichten sich …
Ulrich Voigt:
Es geht nämlich nicht etwa darum, irgendetwas (wie Sie schreiben) einer mathematischen Theorie zu opfern, sondern darum, vorliegende (in den Quellen erkennbare und z.T. auch dedailliert ebendort erklärte) mathematische Strukturen festzustellen und auf ihre Implikationen hin zu durchdenken. Das wird unterlassen und statt dessen bietet man mir “Tiefsinn”. Welch ein Unterschied zu Venance Grumel und August Strobel!
Borsts Tiefsinn empfinde / empfand ich in der Tat auch als störend und als Ablenkung von der Sache. Und Strobel fand ich zumindest spannender als Borst. Aber mir scheint zum Beispiel nicht, dass Borst weniger gründlich gearbeitet hätte als Strobel. Sein Interesse war nun mal ein anderes und wohl auch ein sehr viel breiteres. Außerdem gibt er Strobel im Ergebnis offenbar Recht.
Hätte Borst Strobel und die Ostertafeln genauer studiert, wäre ihm vielleicht jener merkwürdige Übergang aufgefallen, den nun erst Voigt entdeckt hat: nämlich der Übergang von einer Osterberechnung, die sich an Jesu Todesjahr orientiert, hin zu einem komputistischen Ansatz, der Jesu Geburtsjahr bzw. das Jahr 532 in den Mittelpunkt stellt.
Ulrich Voigt:
Vor einiger Zeit schickte ich ein Manuskript “Über den Ursprung der christlichen Jahreszählung” an eine wissenschaftliche Zeitschrift in Berlin, deren Namen ich aus Höflichkeit nicht nennen möchte. Man lehnte es ab mit der Begründung: “Ihre Darstellung wimmelt ja nur so Mathematik. Das können wir unseren Lesern nicht zumuten.” Moderne Zeiten!
Wenn das der wirkliche Grund war, war die Ablehnung in der Tat sehr problematisch. Ich vermute aber eher, dass man Sie nicht verstanden hat.
Ulrich Voigt:
Ich weiß nicht wirklich, was apriorische Geschichtsschreibung ist, ich jedenfalls arbeite immer nur eng an den Quellen und versuche, mit möglichst wenigen Annahmen auszukommen.
Sie beschränken sich aber auch auf den sehr engen Bereich der Komputistik. Das genügt nicht, um letztgültige Aussagen über die chronologische Einordung antiker und frühmittelalterlicher Geschichte treffen zu können. Gleichwohl treten Sie mit diesem Anspruch auf.
Borst
Ich habe auch gerade von seinem Tod gehört. Es wird mir recht eigenartig, dass ich mich just zu diesem Zeitpunkt so scharf gegen seine Arbeiten zur Komputistik ausgesprochen habe.
jb: “(dass also der jeweils einleitende Text eine Ergänzung durch Ligorio & Co. ist).”
Dazu muss ich mich auch wiederholen: Schauen Sie sich das Objekt in natura an und versuchen Sie sich ernsthaft vorzustellen, man habe die einleitenden Sätze im 16. Jh. hinzugefügt. Danach können wir hierüber weiterdiskutieren.
jb: ” Und was soll bei diesem Zahlenspiel die Zahl 44 bedeuten?”
Die Gleichung 222 – (-44) = 14 x 19 beschreibt einen zyklischen Bezug und ist doch kein Zahlenspiel!
-44 (= 45 v. Chr.) ist das Jahr der Inaugurierung des Julianischen Kalenders durch Julius Caesar. Bianchini interessierte sich für den Zusammenhang zwischen diesem ältesten christlichen Kalender und dem Kalenderwesen der Römer. Mit einer solchen Frage wäre er heute sogleich ganz vorne am Forschungsstand. Den Zusatz (= 532 / 2) hat er allerdings nicht gesehen, da er nicht darauf vorbeitet war, hier auf die Zahl 532 zu treffen.
jb: “Einen Widerspruch gibt es aber wohl zwischen Strobel und Strobel. Zumindest wäre eine Ostertafel, die sich auf zwei unterschiedliche Todesjahre einer und derselben Person bezieht, ein ziemlich schwer verdauliches Brot.”
Und warum? Die in den Ostertafeln verankerten Todes- oder Inkarnationsjahre Christi waren seitens der Komputisten nicht als historische Daten gemeint, sondern als kalendarische Repräsentanten, die zwar in einer gewissen Nähe zur historischen Realität zu liegen hatten, aber dann ihren eigenen Bedingungen unterlagen. Erst moderne Naivität unterstellt, Dionysius Exiguus (um das bekannteste Beispiel zu nehmen) habe geglaubt, Jesus von Nazareth sei im Jahr 754 u.c. geboren worden. In “Das Jahr im Kopf” unterscheide ich daher zwischen dem historischen Jesus und dem Kalenderjesus (analog zur Unterscheidung zwischen dem astronomischen Mond und dem Kalendermond) Der dionysische Kalenderjesus wird tatsächlich am 25. märz 1 A.D. (Freitag) inkarniert und am 25. dez. 1 A.D. (Sonntag) geboren. Am 25. märz 31 A.D. (Sonntag) ist seine Wiederauferstehung in wunderbarer Harmonie zu seiner Inkarnation.
Von daher ist der Gedanke, dass Hippolytus neben seinem kalendarischen Todesjahr 29 auch noch einen versteckten Bezug zum historischen Todesjahr verankert hätte, überhaupt nicht abwegig. Er entspräche sogar der komplexen Anlage dieser Tafel.
jb: “Wenn das der wirkliche Grund war, war die Ablehnung in der Tat sehr problematisch. Ich vermute aber eher, dass man Sie nicht verstanden hat.”
Na ja, das gibt sich wohl die Hand. Die Zeitschrift war mir übrigens von Strobel empfohlen worden. Er hielt sie für die einzige Zeitschrift in Deutschland, bei der meine Arbeiten eine Chance hätten. Ohne seinen Rat hätte ich den Text dort überhaupt nicht eingereicht, denn ich mache mir keine Illusionen über die Gegebenheiten.
Der Grund, weshalb Strobel sich über den Kontakt mit mir so sehr gefreut hatte, war ja schließlich der, dass er 1977 ein Buch veröffentlicht hatte, das zwar äußerlich ein Erfolg war, insofern es überall bekannt wurde und sich gut verkaufte, das ihn aber im übrigen allein stehen ließ. Strobel hat keine einzige Reaktion auf seine Arbeit ernstnehmen können. “Sind alles nette Burschen”, so drückte er sich über seine Rezensenten aus, “sie verstehen nur nichts.” Strobel hat sich daher ja auch bald nach 1977 ganz anderen Themen zugewendet und ist erst im Gespräch mit mir wieder auf sein altes Thema zurückgekommen. Plötzlich wurden die alten Fragen wieder lebendig und das ganze Gebäude geriet in Bewegung.
jb: “Sie beschränken sich aber auch auf den sehr engen Bereich der Komputistik. Das genügt nicht, um letztgültige Aussagen über die chronologische Einordung antiker und frühmittelalterlicher Geschichte treffen zu können. Gleichwohl treten Sie mit diesem Anspruch auf.”
Solange komputistische Belange für die FZT günstig schienen, galten sie im Kreise der FZT als relevant. Jetzt heißt es plötzlich überall: “Was sollen uns diese rein mathematischen Überlegungen?!” Ach ja, die liebe Wissenschaft! Meines Erachtens mag ein Objekt oder ein Thema noch so eng und begrenzt sein. Immer wird man als Wissenschaftler Schlüsse ziehen dürfen; und wie weit diese tragen, kann man so im Vorwege gar nicht ermessen. Ein einziges Haar hat schon so manchen Täter überführt.
Außerdem: Komputistik ist kein enges Thema, das zumindest kann man bei Borst lernen.
Ulrich Voigt:
Borst
Ich habe auch gerade von seinem Tod gehört. Es wird mir recht eigenartig, dass ich mich just zu diesem Zeitpunkt so scharf gegen seine Arbeiten zur Komputistik ausgesprochen habe.
Ich hoffe, Sie machen sich keine Vorwürfe. Wenn doch, wäre Borsts Tod vielleicht eine Gelegenheit zur Wiedergutmachung.
Ulrich Voigt:
jb: “(dass also der jeweils einleitende Text eine Ergänzung durch Ligorio & Co. ist).”
Dazu muss ich mich auch wiederholen: Schauen Sie sich das Objekt in natura an und versuchen Sie sich ernsthaft vorzustellen, man habe die einleitenden Sätze im 16. Jh. hinzugefügt. Danach können wir hierüber weiterdiskutieren.
Ich meine freilich nicht, dass sich die Tafeln unabhängig vom einleitenden Text schon auf dem Sockel befunden hätten! Wie ich schon mal erklärt hatte, gehe ich nach einer entsprechenden Auskunft Ihrerseits davon aus, dass sämtliche Texte auf dem Sockel der Hippolytstatue gleichzeitig angebracht wurden.
Mir scheint es vielmehr plausibel, dass der Sockel unbeschriftet war, als die Statue im 16. Jh. entdeckt wurde. Sie stellte ja auch etwas anderes als Hippolyt dar. Weil aber Kardinal Hippolyt II. eine entsprechende Statue in Auftrag gegeben hatte, wurden Texte am Sockel angebracht, die sich auf Hippolyt beziehen ließen: ein für die damalige Zeit übliches Vorgehen. Erst jetzt wurde die vermutlich anderweitig bekannte Ostertafel, deren literarische Vorlage dann „verloren gegangen ist“ (eine ebenfalls übliche Methode), mit dem Einleitungstext verbunden. Dieser lässt die Tafel mittels Kaiser Alexander als die des zeitgenössischen Hippolyt erscheinen.
So ein mögliches Szenario. Eine von vielen anderen Möglichkeiten wäre, dass schon die literarische Vorlage den Zusammenhang von Einleitung und Tafel enthielt. Laut FZT müsste die Vorlage dann nachfzlich, also etwa ein Produkt der konstantinischen Aktion gewesen sein.
Damit solche Möglichkeiten mitberücksichtigt sind, formuliere ich meine Vermutung allgemein: Die Ostertafel der Hippolytstatue ist als solche, ohne Einleitung, ein antiker Text. Erst nach der FZ wurde die Einleitung hinzugefügt, die sie auf das Jahr 222 n. Chr. bezieht. Beide, Tafel und Einleitung, wurden irgendwann nach der FZ auf den Sockel der späteren Hippolytstatue angebracht.
Hinweise auf Fälschungsvorgänge sind: (1) Die Texte am Sockel der heutigen Hippolytstatue und die ursprüngliche Statue (eine Frau) passen nicht zusammen. (2) Die Statue entstand im Auftrag des Borgia-Kardinals Hippolyt II., der Papst werden wollte. (3) Ligorio ist als „Erfinder“ antiker Texte berüchtigt. (4) Smeets, der die Texte „geprüft“ hat, gilt als unkritischer Philologe. (5) Wie Strobel gezeigt hat, folgen Tafel und Einleitungstext unterschiedlichen komputistischen Überlegungen oder gar Traditionen.
In diesem Zusammenhang wird die 2-Jahres-Differenz zwischen Mond- und Ostertafel vielleicht zu einem Indiz dafür, dass sie nicht immer zusammengehörten? Hier muss ich den Experten fragen: Ist eine solche Differenz üblich? Gibt es weitere Beispiele? Schließlich weist Strobel darauf hin, dass Mond- und Ostertafel auch sonst schlecht (oder sogar überhaupt nicht) harmonieren.
Ulrich Voigt:
Die Gleichung 222 – (-44) = 14 x 19 beschreibt einen zyklischen Bezug und ist doch kein Zahlenspiel!
-44 (= 45 v. Chr.) ist das Jahr der Inaugurierung des Julianischen Kalenders durch Julius Caesar. Bianchini interessierte sich für den Zusammenhang zwischen diesem ältesten christlichen Kalender und dem Kalenderwesen der Römer. Mit einer solchen Frage wäre er heute sogleich ganz vorne am Forschungsstand. Den Zusatz (= 532 / 2) hat er allerdings nicht gesehen, da er nicht darauf vorbeitet war, hier auf die Zahl 532 zu treffen.
Darüber, dass eine christliche Ostertafel einen Bezug zu Divus Julius legt, wird sich Carotta freuen.
Ihre Entdeckung, dass -44 genau zwischen dem Beginn der Seleuciden=Alexander-Ära und dem Jahr 1 Alexander Severus liegt, ist hochinteressant und lässt tief blicken. Bei der Festlegung dieser Jahreszahlen war wohl ein Komputist am Werk. Aus fzlicher Sicht wäre hier zuerst an die porphyrogennetische Aktion des frühen 10. Jh. zu denken. Meine eigenen Überlegungen haben mich dazu geführt, eine bedeutende Fälschungswelle auch schon im 6. Jh. des Kaisers Justinian zu vermuten.
Ulrich Voigt:
Erst moderne Naivität unterstellt, Dionysius Exiguus (um das bekannteste Beispiel zu nehmen) habe geglaubt, Jesus von Nazareth sei im Jahr 754 u.c. geboren worden. In “Das Jahr im Kopf” unterscheide ich daher zwischen dem historischen Jesus und dem Kalenderjesus (analog zur Unterscheidung zwischen dem astronomischen Mond und dem Kalendermond) Der dionysische Kalenderjesus wird tatsächlich am 25. märz 1 A.D. (Freitag) inkarniert und am 25. dez. 1 A.D. (Sonntag) geboren. Am 25. märz 31 A.D. (Sonntag) ist seine Wiederauferstehung in wunderbarer Harmonie zu seiner Inkarnation.
Gegen diesen durchaus interessanten Gedanken möchte ich – was Sie nicht überraschen wird – Zweifel anmelden.
Da mir fast alles, was die Evangelien berichten, als Produkt religiöser Fantasie erscheint, glaube ich ohne eindeutigen Nachweis nicht, dass es je nötig war, einen historischen von einem anderen Jesus zu unterscheiden. Eher war Dionysius‘ „Kalenderjesus“ ein idealisierter historischer Jesus. Neben diesem war dann aber wohl kaum Platz für einen „realistischen“ historischen Jesus. Wo ein Text ein solches Nebeneinander zeigt, würde ich zuerst einmal nachträgliche Textüberarbeitung vermuten. Aber vielleicht können Sie mich vom Gegenteil überzeugen.
Ulrich Voigt:
Von daher ist der Gedanke, dass Hippolytus neben seinem kalendarischen Todesjahr 29 auch noch einen versteckten Bezug zum historischen Todesjahr verankert hätte, überhaupt nicht abwegig. Er entspräche sogar der komplexen Anlage dieser Tafel.
Welche Entsprechung gibt es zwischen dem von Strobel/Voigt vermuteten doppelten Jesus und der „komplexen Anlage“ der Tafel?
Ulrich Voigt:
Solange komputistische Belange für die FZT günstig schienen, galten sie im Kreise der FZT als relevant. Jetzt heißt es plötzlich überall: “Was sollen uns diese rein mathematischen Überlegungen?!”
Ich muss mich missverständlich ausgedrückt haben. Natürlich sind komputistische Überlegungen außerordentlich wichtig. Hier liegen vermutlich noch viele Schätze vergraben, die dank kritischer Auswertung mithelfen können, Geschichte zu rekonstruieren – ob nun im Sinne der FZT oder nicht. Gleichwohl erscheinen komputistische Argumente aus der Sicht der FZT nicht als die wichtigsten (das waren sie nie) und schon gar nicht als die einzig entscheidenden.
Soweit komputistische Erkenntnisse der FZT widersprechen, ist zu fragen, wo der Fehler steckt. Soweit sie die FZT bestätigen, sind sie das Tüpfelchen auf dem i. Entsprechend erlaubt eine Situation, in der sämtliche historische Disziplinen die Plausibilität der FZT nahe legen, und dann außerdem auch noch komputistisches Wissen zu einer fast sicheren Bestätigung der FZT zu führen scheint, die Aussage: „Eine Haaresbreite trennt uns von der absoluten Sicherheit.“
Ulrich Voigt:
Außerdem: Komputistik ist kein enges Thema, das zumindest kann man bei Borst lernen.
Das ist schon richtig. Dann muss man sie aber auch so umfassend wie Borst betreiben. Aus der Sicht der FZT heißt das nicht zuletzt: Man darf nicht die Augen vor möglichen Fälschungen bzw. vor der Möglichkeit systematischer komputistischer Geschichtskonstruktion schließen.
jb: “Wenn doch, wäre Borsts Tod vielleicht eine Gelegenheit zur Wiedergutmachung.”
Ich bitte Sie! Was muten Sie mir da zu!!??
jb: “Die Ostertafel der Hippolytstatue ist als solche, ohne Einleitung, ein antiker Text.”
Na bitte, wir kommen uns doch schon näher! Wenn die Tafel antik ist oder (was auf dasselbe hinausläuft, von einer antiken Vorlage abgeschrieben), und sich Bianchini – Cassini – NASA in ihren Mondtafeln nicht irren, dann ist 222 n. Chr. das Kopfjahr der Tafel. Bianchini schrieb dazu vor 310 Jahren: “222 n. Chr. = 1696 – 1474 n. Chr.”
Das passt nun wunderbar zu dem, was man ganz unabhängig von dieser Tafel herkömmlicherweise über die römische Kaiserzeit denkt, nämlich zu dem Regierungsantritt des Kaisers Alexander Severus im Jahr 222 A.D.
Mag “Alexander” auch später hinzugefügt sein, das soll mich jetzt einmal nicht kümmern, dann stehen wir immer noch vor einer christlichen Tafel in Rom mit dem Kopfjahr 222 (= 1696 – 1474) n. Chr. Angenommen nun, es gäbe eine Phantomzeit von L = 300 Jahren (nur um ein abgerundetes Beispiel zu geben), dann befände sich dieses Kopfjahr ein Jahrhundert vor Augustus, der ja, im Gegensatz zu besagtem Kopfjahr, um L = 300 Jahre näher an uns heranrückt.
jb: ” Erst nach der FZ wurde die Einleitung hinzugefügt, die sie auf das Jahr 222 n. Chr. bezieht.”
Nicht die Einleitung führt zu dem Jahr 222 n. Chr., sondern die Tafel selbst. Das habe ich lang und breit begründet. Die Einleitung führt nur zu 222 A.D.
jb: “(1) Die Texte am Sockel der heutigen Hippolytstatue und die ursprüngliche Statue (eine Frau) passen nicht zusammen.”
Nanu? Wie wollen Sie das beurteilen?
“(2) Die Statue entstand im Auftrag des Borgia-Kardinals Hippolyt II., der Papst werden wollte.”
Das ist nur Ihre Behauptung, für die Sie als Argument nur die sonderbare Namensgleichheit in der Hand haben. Ähnlich hat Pfister “begründet”, dass Dionysius Exiguus = Dionysius Petavius.
“(3) Ligorio ist als „Erfinder“ antiker Texte berüchtigt.”
Dazu empfehle ich noch einmal die differenzierte Darstellung bei Allen Brent (1995).
“(4) Smeets, der die Texte „geprüft“ hat, gilt als unkritischer Philologe.”
Nein, im Gegenteil! Smetius gilt als der erste wirklich sorgfältige Kopierer und Editor antiker Inschriften, ein Meilenstein auf dem Weg zu einer wissenschaftlichen Epigraphik.
“(5) Wie Strobel gezeigt hat, folgen Tafel und Einleitungstext unterschiedlichen komputistischen Überlegungen oder gar Traditionen.”
Strobel bezieht sich nur auf die Tafel. “1 Alexander” war für ihn vollkommen nebensächlich. Unterschiedliche komputistische Ansätze sind in der Tafel selbst integriert.
jb: “In diesem Zusammenhang wird die 2-Jahres-Differenz zwischen Mond- und Ostertafel vielleicht zu einem Indiz dafür, dass sie nicht immer zusammengehörten? Hier muss ich den Experten fragen: Ist eine solche Differenz üblich? Gibt es weitere Beispiele? Schließlich weist Strobel darauf hin, dass Mond- und Ostertafel auch sonst schlecht (oder sogar überhaupt nicht) harmonieren.”
Der Hinweis auf Strobel beantwortet die Frage. Solche Diskrepanzen sind üblich. Die dionysische Ostertafel sticht hervor durch ihre Harmonie mit der Mondtafel. Der Chronologieforscher ist aber gut beraten, immer beide Kopfjahre zu berücksichtigen, die der Ostertafel und die der ihr zugrunde liegenden Mondtafel.
Dieser Unterschied war in den Zeiten, als die Chronologieforschung hauptsächlich von astronomisch-mathematisch gebildeten Leuten betrieben wurde, noch selbstverständlich. In den Händen der Philologen-Historiker wurde er zunehmend verwischt und unkenntlich gemacht.
Vielleicht war es Krusch, der damit anfing, da bin ich mir jetzt nicht sicher. Krusch hätte die Tafel des Hippolyt so beschrieben: “Im Jahr 1 Alexander hat sie ihr Kopfjahr, dann besitzt sie zwei saltus lunae, einen nach dem zweiten und einen nach dem sechsten Jahr.” Das stimmt dann zwar, hilft aber nicht weiter. Ich beschreibe statt dessen so: “Im Jahr 1 Alexander hat die Ostertafel ihr Kopfjahr. Die 8jährige Mondtafel hat zwei saltus lunae, einen nach ihrem vierten und einen nach ihrem achten Jahr, sie hat also auch zwei Anfangswerte, den 5. april und den 21. märz. Ihr Kopfjahr ist -1 Alexander.”
jb: “Da mir fast alles, was die Evangelien berichten, als Produkt religiöser Fantasie erscheint, glaube ich ohne eindeutigen Nachweis nicht, dass es je nötig war, einen historischen von einem anderen Jesus zu unterscheiden.”
Die Unterscheidung ist zwingend notwendig:
(1) Es gibt eine antike theologische Literatur, die nach den historischen Lebensdaten fragt, eine Literatur, die schon zur Zeit Clemens von Alexandria reichhaltig war. Und hier geht es nur um wenige Kandidaten, unter denen das Jahr 754 u.c. nie auftaucht.
(2) Man entnimmt der Weltchronologie von Anianus und Panodorus, dass in der Tat seitens der Komputisten und Chronologen mit den Lebensdaten “Christi” (=Kalenderjesus) ziemlich frei jongliert wurde, um bestimmte Wochentage und Kalenderdaten für Weltschöpfung, Inkarnation und Tod bzw. Wiederauferstehung herzustellen.
Noch einmal: Naivität ist hier eine moderne Errungenschaft, keine antike Tatsache. Es scheint mir sogar fast so zu sein, dass die Ansicht, der historische Jesus sei im Jahr 1 A.D. geboren, eine Phantasie sei, die am Ende des 20. Jahrhunderts auftauchte, als man wie verrückt nach irgendwelchen Argumenten gesucht hat, um zu begründen, dass die christliche Ära mit dem Jahr 1 anfängt und dass ein Jahr 0 Unsinn sei.
jb: “Welche Entsprechung gibt es zwischen dem von Strobel/Voigt vermuteten doppelten Jesus und der „komplexen Anlage“ der Tafel?”
Die Antwort würde hier zu weit führen. Sie hängt damit zusammen, dass Hippolytus auch zwei verschiedene christliche Jahreszählungen in sich birgt.
jb :” [Komputistik ist kein enges Thema] Das ist schon richtig. Dann muss man sie aber auch so umfassend wie Borst betreiben.”
Ja, Borst hat sehr weiträumig geforscht. Man muss sich aber nicht blenden lassen. Borst, wie so viele andere, nur noch intensiver, erarbeitete sich ein umfangreiches Wissen und Verstehen der Komputistik aus einem Berg von mittelalterlichen Quellen. Nun fußen diese Quellen alle ohne Ausnahme auf Beda Venerabilis de temporum ratione, dem das gesamte Mittelalter nur noch technische Kleinigkeiten hinzugefügt hat. Beda wiederum steht auf dem Rücken von Dionysius Exiguus, und hier beginnt das Problem, an dem Borst und so viele andere dann gescheitert sind: Man denkt: “Na ja, Dionysius ist eine einfache und noch nicht ganz ausgefeilte Vorstufe zu Beda. Rechnen wir ihn zum frühen Mittelalter hinzu, so ist er praktisch so etwas wie ein unvollkommener Beda, eine eigentlich herzlich unwichtige Vorstufe. Wenn wir Beda verstehen, brauchen wir über Dionysius nicht mehr wirklich nachzudenken.”
Ein folgenschwerer Gedankenfehler, der dazu führt, dass die gesamte spätantike Komputistik als bedeutungslose Vorstufe ins Abseits geraten ist. Tatsächlich aber verhält es sich so, dass das gesamte Mittelalter, incl. Beda, keine einzige tragende Definition der Komputistik gefunden hat, sonderen nur ein gewisses technisches Know-How. Daneben wurden aber ganz wesentliche Strukturen der spätantiken Tafeln übersehen bzw. nicht mehr verstanden, und das gilt bereits für Beda Venerabilis. Durch Studium des mittelalterlichen Materials lässt sich die christliche Komputistik daher niemals verstehen, so dass Grumel und Strobel, die umgekehrt vom antiken Material ausgingen, nie das leiseste Bedürfnis hatten, sich mittelalterliche Dokumente näher anzuschauen.
Noch schlimmer: Wenn man sich einmal das mittelalterliche Begriffsarsenal angeeignet hat, und dann denkt, man könne damit auch die spätantiken Ostertafeln beschreiben, läuft man gegen eine Wand.
Das Begriffsarsenal, mit dem ich spätantike Tafeln analysiere, habe ich nicht aus dem Mittelalter herantransportiert, sondern an Ort und Stelle aus dem spätantiken Material (namentlich der ravennatischen Tafel) selbst erst aufgebaut.
Der Grund, weshalb es zu dieser kolossalen Fehleinschätzung der spätantiken Komputistik gekommen ist, liegt in der Tatsache, dass Beda diesen wunderschönen 532jährigen Osterzyklus aufgeschrieben hat. Hätte man gewusst, dass diese Zahl auch schon Hippolytus von Rom bekannt war, wäre man gewiss vorsichtiger geworden.
Ulrich Voigt:
jb: “Wenn doch, wäre Borsts Tod vielleicht eine Gelegenheit zur Wiedergutmachung.”
Ich bitte Sie! Was muten Sie mir da zu!!??
War nur ein kleiner Versuch … :-)
Ulrich Voigt:
Na bitte, wir kommen uns doch schon näher! Wenn die Tafel antik ist oder (was auf dasselbe hinausläuft, von einer antiken Vorlage abgeschrieben), und sich Bianchini – Cassini – NASA in ihren Mondtafeln nicht irren, dann ist 222 n. Chr. das Kopfjahr der Tafel.
Ulrich Voigt, ZS 3/2006, S. 743 f.: „Nun gibt es unter den aufgeführten Kandidaten nur drei, bei denen die Rückrechnung den tatsächlichen Vollmond zwischen 12. und 14. April zeigt: 1454, 838, 222. Das Jahr 1454 fällt aus nahe liegenden Gründen fort und besitzt zudem den ungünstigsten Vollmond (12. april), denn die beiden anderen Jahre haben beide den Vollmond taggenau auf dem 13. april.“
Mal sagt Voigt „p und nicht q“, mal sagt er „p oder q“. Was darf man ihm jetzt glauben?
Fzlich gesehen ist 838 n. Chr. (bzw. 1112 BP) in Wirklichkeit das Jahr 541 n. Chr. Wir befinden uns also in der Zeit des Justinian. Das hätte eine gewisse Plausibilität, da Hippolyt die Lukas-Chronologie voraussetzt (Strobel 1977, S. 126), die mir spät zu sein scheint (vgl. ZS 2/2004, S. 432 ff). Außerdem verwendet Hippolyt die 7-Tage-Woche, was bei einer Tafel vor Konstantin dem Großen problematisch wäre. Weiter spricht die Bedeutung, die die Zahl 532 für Hippolyt erlangt, für das 6. Jh. (die Zahl, nicht das Jahr 532, da sich Hippolyts Tafel noch am Todesjahr Christi orientiert – siehe auch weiter unten). Dionysius Exiguus wäre bei dieser Konstruktion allerdings erst der Aktion des Konstantin VII. ein Jahrhundert später zuzuordnen. Anders als für Hippolyt wird für ihn das Geburtsjahr Christi sowie das Jahr 532 entscheidend wichtig.
Ulrich Voigt:
Bianchini schrieb dazu vor 310 Jahren: “222 n. Chr. = 1696 – 1474 n. Chr.”
Ich hoffe, das Geheimnis dieser Gleichung werden Sie uns bald verraten!
Ulrich Voigt:
Nicht die Einleitung führt zu dem Jahr 222 n. Chr., sondern die Tafel selbst. Das habe ich lang und breit begründet. Die Einleitung führt nur zu 222 A.D.
Lang und breit begründet haben Sie (in Ihrem Artikel „L = 0“), dass es für die Tafel zwei sinnvolle Möglichkeiten gibt, wenn man vom Bezug auf Alexander Severus absieht.
Ulrich Voigt:
jb: “(1) Die Texte am Sockel der heutigen Hippolytstatue und die ursprüngliche Statue (eine Frau) passen nicht zusammen.”
Nanu? Wie wollen Sie das beurteilen?
Hatten wir das nicht schon? Diejenigen, die annehmen, im 3. Jh. n. Chr. sei eine Liste von Schriften eines römischen Bischofs Hippolyt in den Sockel einer Frauenstatue gemeißelt worden, müssen zur Erklärung dieses Umstandes auf (sich untereinander widersprechende) Ad-hoc-Hypothesen zurückgreifen. Das scheint doch Ausdruck einer gewissen Verlegenheit zu sein.
Ulrich Voigt:
“(2) Die Statue entstand im Auftrag des Borgia-Kardinals Hippolyt II., der Papst werden wollte.”
Das ist nur Ihre Behauptung, für die Sie als Argument nur die sonderbare Namensgleichheit in der Hand haben.
So schlimm ist es nun auch wieder nicht. Ligorio, der 1551 den Überrest der Statue fand, die er später zur Hippolytstatue ergänzte, stand seit 1549 als Architekt und Archäologe im Dienst des Kardinals Hippolyt II. Dieser Kardinal, der der nächste Papst Hippolyt werden wollte, wurde 1550 Statthalter von Tivoli. Ligorio baute Hippolyts Kloster zur berühmten Villa d’Este um, entwarf den noch berühmteren Garten mitsamt Brunnen und ließ dort zahlreiche Statuen aufstellen. Diese erhielt er nicht zuletzt dadurch, dass er die nahe gelegene Villa Adriana, den ehemaligen Landsitz des Kaisers Adrianus Helius (auch “Hadrianus Aelius”), plünderte und die zerstörten Statuen nach Gusto vervollständigte. Die Villa d’Este war den antiken Helden des Kardinals, Herkules und Hippolyt (nicht dem Papst …), gewidmet. Für die Villa entwarf Ligorio 12 Wandteppiche mit Szenen aus dem Leben jenes Hippolyt.
Allerdings muss ich Ihnen auch ausnahmsweise mal Recht geben. Denn ich dachte, irgendwo gelesen zu haben, dass Ligorio die Hippolyt-Statue im Auftrag von Hippolyt d’Este ergänzt hätte. Da ich die Stelle aber nirgendwo mehr finde, gehe ich davon aus, dass ich mich hier geirrt habe. Die offizielle Version lautet auf jeden Fall, dass Ligorio die Statue für Papst Pius IV. in die jetzige Form gebracht hat.
Ulrich Voigt:
“(4) Smeets, der die Texte „geprüft“ hat, gilt als unkritischer Philologe.”
Nein, im Gegenteil! Smetius gilt als der erste wirklich sorgfältige Kopierer und Editor antiker Inschriften, ein Meilenstein auf dem Weg zu einer wissenschaftlichen Epigraphik.
Auch in diesem Fall muss ich Ihnen ausnahmsweise Recht geben … Dem braven und genauen flämischen Gelehrten Maarten de Smet ist kaum zuzutrauen, dass er Komplize eines Fälschers war. Er hat also nur aufgezeichnet, was er als für ihn glaubwürdig vorgefunden hat.
Ulrich Voigt:
“(5) Wie Strobel gezeigt hat, folgen Tafel und Einleitungstext unterschiedlichen komputistischen Überlegungen oder gar Traditionen.”
Strobel bezieht sich nur auf die Tafel. “1 Alexander” war für ihn vollkommen nebensächlich. Unterschiedliche komputistische Ansätze sind in der Tafel selbst integriert.
Strobel (S. 123) geht ausdrücklich davon aus, dass der Zyklus mit dem Jahr 222 n. Chr. beginnt. Damit begründet er seine betreffenden Zahlenspiele. (Lesen Sie doch bitte den hier wiederholt zitierten Passus noch mal nach.)
222 n. Chr. geht aber nicht aus der Tafel hervor. Nehmen wir wie oben an, das Kopfjahr der Tafel sei 838 (konv.) = 541 (fztheor.) n. Chr., dann hätten wir die Gleichung 541 – 29 = 32 x 16. Das ist viel schöner und stimmiger als alles, was Bianchini, Cassini, Strobel und Voigt uns über die Tafel erzählen.
Ulrich Voigt:
Der Hinweis auf Strobel beantwortet die Frage. Solche Diskrepanzen sind üblich.
In Ihrer Antwort auf hunnivaris entsprechenden Hinweis im Fomenkistenforum schreiben Sie, dass Fehlerhaftigkeit einer Ostertafel kein Indiz für eine Fälschung sei. Das mag sein, aber sonst heben Sie immer die hohe Qualität selbst der frühesten Ostertafeln hervor. „Primitiv“ darf man sie ja nicht nennen. Wie reimt sich das zusammen? Wie erklären sich die Mängel der Hippolyt-Tafel?
Ulrich Voigt:
jb: “Da mir fast alles, was die Evangelien berichten, als Produkt religiöser Fantasie erscheint, glaube ich ohne eindeutigen Nachweis nicht, dass es je nötig war, einen historischen von einem anderen Jesus zu unterscheiden.”
Die Unterscheidung ist zwingend notwendig:
(1) Es gibt eine antike theologische Literatur, die nach den historischen Lebensdaten fragt, eine Literatur, die schon zur Zeit Clemens von Alexandria reichhaltig war. Und hier geht es nur um wenige Kandidaten, unter denen das Jahr 754 u.c. nie auftaucht.
Selbstverständlich ist das Jahr 754 u. c. erst eine späte Erfindung. Das lässt sich alles sehr viel besser erklären und verstehen mit Hilfe der radikalkritischen Theologie, für die das Christentum nicht auf einen historischen Jesus, sondern umgekehrt Jesus auf ein ursprüngliches, später verketzertes und verdrängtes Christentum zurückgeht. Zur Historisierung der fiktiven Gestalt Jesus brauchte es mehrerer Etappen. Wichtig auf diesem Weg sind Markus, Lukas und Dionysius Exiguus.
Ulrich Voigt:
(2) Man entnimmt der Weltchronologie von Anianus und Panodorus, dass in der Tat seitens der Komputisten und Chronologen mit den Lebensdaten “Christi” (=Kalenderjesus) ziemlich frei jongliert wurde, um bestimmte Wochentage und Kalenderdaten für Weltschöpfung, Inkarnation und Tod bzw. Wiederauferstehung herzustellen.
Die Unterscheidung von Christus und Jesus ist aber etwas anderes als die Aufspaltung eines historischen Jesus. Geht man von der radikalkritischen Auffassung aus, dass ein gnostisches Täuferchristentum der Jesusreligion vorausging und dass sich die Jesusreligion innerhalb dieses Christentums entwickelte, dann wird verständlich, warum Christus und Jesus nicht schlicht identisch sind. Wo Christus und Jesus unterschieden werden, meint Christus meist den ewigen Sohn Gottes und Jesus dessen Inkarnation.
Ulrich Voigt:
Noch schlimmer: Wenn man sich einmal das mittelalterliche Begriffsarsenal angeeignet hat, und dann denkt, man könne damit auch die spätantiken Ostertafeln beschreiben, läuft man gegen eine Wand.
Irgendwo zwischen frühantiken, spätantiken und mittelalterlichen Ostertafeln ist die FZ einzuschalten. Eventuell sind die spätantiken Tafeln aufzuteilen und ist Dionysius Exiguus als nachfzlichen Autor von einem vorfzlichen Hippolyt zu trennen.
jb: “War nur ein kleiner Versuch … :-)”
– aber ein hässlicher.
222 / 838
Sofern es nur um den taggenauen Vollmond Sa 13. april geht, sind die beiden Jahre gleichwertig. Bei näherem Hinschauen zeigen sich Unterschiede, die 222 favorisieren.
(1) Der Neumond
Cassini (1696)stellte die Rückrechnung ausdrücklich über die Neumonde an (und nicht, wie ich Bianchini unterstelle, über die Vollmonde). “13. april = passa 14” steht auf der Tafel, was Cassini so deutete, dass man hier von einem Neulicht (primus lunae) am 31. märz und einem Neumond am 30. märz auszugehen hat. Die entsprechende Rückrechnung führt nur bei 222 n. Chr., nicht bei 838 n. Chr., zu einem astronomisch taggenauen Wert.
Es wird allgemein angenommen, dass die Rechnung des Hippolytus über den Neumond verlief (obwohl die Tafel dazu keinen Hinweis gibt), und zwar wegen des Bezugs zur 84jährigen Tafel, die man nur so hat erklären können. Das Neulicht ist eigentlich der Parameter, über den Mondkalender in aller Regel funktionieren. Auch die Einführung des Julianischen Kalenders zum 1. januar 45 v. Chr. wird mit dem dortigen Neulicht zusammenhängen. Die Überlegung Cassinis ist also wahrlich nicht an den Haaren herbeigezogen!
(2) astronomische Genauigkeit der Umgebung
Der hippolytische Ostervollmond stimmt mit dem astronomischen Vollmond in der Umgebung von 222 n. Chr. überein für die sieben Jahre 216 bis 223, in der Umgebung von 838 n. Chr. nur für die vier Jahre 838 bis 841.
jb: “Fzlich gesehen ist 838 n. Chr. in Wirklichkeit das Jahr 541 n. Chr. Wir befinden uns also in der Zeit des Justinian.”
Das klingt merkwürdig. Gemeint ist 838 n. Chr. = 541 A.D.”
jb: “Weiter spricht die Bedeutung, die die Zahl 532 für Hippolyt erlangt, für das 6. Jh. […] Dionysius Exiguus wäre bei dieser Konstruktion allerdings erst der Aktion des Konstantin VII. ein Jahrhundert später zuzuordnen. Anders als für Hippolyt wird für ihn das Geburtsjahr Christi sowie das Jahr 532 entscheidend wichtig.”
Wenn L = 297, so dass also
1 Alexander = 838 n. Chr. = 541 A.D.,
so folgt für Ravenna
ANNVS I = 532 n. Chr. = 235 A.D.
und für Dionysius Exiguus folgt
532 A.D. = 235 A.D.
– was irgendwie nicht möglich ist.
Auf der Tafel des Dionysius steht ja ausdrücklich “532 A.D. = 228 Diokletian” und die Bianchini/Cassini – Überlegung führt in Ravenna und bei Dionysius Exiguus ganz eindeutig zum Jahr 532 n. Chr.
Kurz: Zieht man die ravennatische Tafel mit heran, so erkennt man, dass 838 als Möglichkeit für die römische Tafel ausscheidet.
jb: ” … die Zahl, nicht das Jahr 532, da sich Hippolyts Tafel noch am Todesjahr Christi orientiert – siehe auch weiter unten.”
Verlängert man die Tafel des Hippolyt (ohne jede Schaltung), so weist sie auf den 5. april 532, den taggenauen Anfangswert der Ostertafel von Dionysius Exiguus. Ich habe keine Lust, das als Zufall abzutun.
jb: “[Bianchini schrieb dazu vor 310 Jahren: “222 n. Chr. = 1696 – 1474 n. Chr.] Ich hoffe, das Geheimnis dieser Gleichung werden Sie uns bald verraten!”
Nanu? Spricht die Gleichung nicht für sich? Sie bedeutet, dass 222 n. Chr. genau 1474 Jahre vor dem Jahr 1696 liegt und mithin von jeder Phnatomzeittheorie unabhängig ist. Die Bezeichnung “n. Chr.” benutze ich stets in diesem Sinn.
Auch die Bezeichnung “A.D.” (definiert durch “532 A.D. = 248 Diokletian”) ist unabhängig von der illigschen Phantomzeitthese. Ich dachte, das sei inzwischen geklärt.
jb: Tafel / Statue: “Das scheint doch Ausdruck einer gewissen Verlegenheit zu sein.”
Natürlich ist man da in Verlegenheit. Das frühe Christentum ist rundherum eine schwierige Angelegenheit, und die Beziehung der Christen zu den Nicht-Christen ganz besonders.
Es geht aber nicht an, dass man alles für irreal hält, was sich nicht glatt erklären lässt!
jb: “Die Statue entstand im Auftrag des Borgia-Kardinals Hippolyt II., der Papst werden wollte.”
Das Objekt wurde 1551 aufgefunden. 1564/65 erfolgte die Umwandlung der Statue in den heutigen Hippolytus. Wenn die Absicht von Anfang an die gewesen wäre, Hippolytus II. durch eine gefälschte Ostertafel zu unterstützen, möchte ich gern wissen, warum man solch einen komischen Umweg gewählt hat. Nein, außer der Namensgleichheit haben Sie nichts in der Hand.
jb: “Strobel (S. 123) geht ausdrücklich davon aus, dass der Zyklus mit dem Jahr 222 n. Chr. beginnt. Damit begründet er seine betreffenden Zahlenspiele.”
Das bestreite ich gar nicht, ich sage nur, dass ihm dabei der Bezug zu “1 Alexander” (dem ertsen Regierungsjahr des Kaisers) vollkommen nebensächlich war.
Dass Strobel dann durch 221 – 29 = 12 × 16 einen zyklischen Bezug zum Todesjahr 29 herstellt, wäre eigentlich nicht nötig gewesen, da ja die Tafel selbst den Bezug durch 253 – 29 = 2 x 112) vorweist. Der Versucht ist deshalb aber noch nicht abzulehnen.
Dass die hippolytische Tafel zurückverlängert werden darf (und muss), ergibt sich aus ihrer Beschriftung, das war Strobel natürlich bekannt. Wie bereits gesagt hat Wilhelm Hartke versucht, die Tafel überhaupt aus den Gegebenheiten des Jahres 221 heraus zu erklären. Auch das war Strobel selbstverständlich bekannt.
jb: “Wie erklären sich die Mängel der Hippolyt-Tafel?”
Welche Mängel?
jb: “754 u. c.”
Der Punkt ist der, dass dieses Jahr in der antiken Literatur zum historischen Geburtsjahr Jesu keinerlei Rolle spielt. Es taucht nicht einmal auf.
jb: “Christus / Jesus”
Hier geht es um etwas ganz anderes, nämlich um die Schöpfung einer kalendarischen Größe (mag man sie Jesus oder Christus nennen, vielleicht, das gebe ich zu, wäre “Kalenderchristus” passender als “Kalenderjesus”), die komputistischen und mystischen Kriterien genügt und keinerlei Anspruch erhebt auf historische Genauigkeit.
jb: “Irgendwo zwischen frühantiken, spätantiken und mittelalterlichen Ostertafeln ist die FZ einzuschalten. Eventuell sind die spätantiken Tafeln aufzuteilen und ist Dionysius Exiguus als nachfzlichen Autor von einem vorfzlichen Hippolyt zu trennen.”
Ich nehme an, Ihre “frühantiken Ostertafeln” sind “frühmittelalterliche Ostertafeln”.
Es nutzt der FZT gar nichts, Dionysius Exiguus ins Mittelalter zu verfrachten, solange sie die Tafel zu Ravenna nicht mitnehmen kann.
Noch zu dem Unterschied zwischen spätantiker und mittelalterlicher Komputistik:
Der Unterschied ist fundamental. Die Erkenntnisse Grumels und Strobels haben für das mittelalterliche Material keine Aussagekraft. Es ist daher umgekehrt auch überhaupt nicht verwunderlich, dass kein einziger der Mediävisten hinter jene Strukturen gekommen ist, die für die Ursprünge tragend sind, und dass weder Grumel noch Strobel bei den meinungsbildenden Experten von heute angekommen ist.
Ulrich Voigt:
jb: “War nur ein kleiner Versuch … :-)”
– aber ein hässlicher.
Wirklich? Das war (und ist) mir nicht bewusst. Es täte mir aber leid. (Vielleicht liegt ein Missverständnis vor. Sollte ich Sie in irgendeiner Weise gekränkt haben, bitte ich um Entschuldigung.)
Ulrich Voigt:
222 / 838
Das Neulicht ist eigentlich der Parameter, über den Mondkalender in aller Regel funktionieren. Auch die Einführung des Julianischen Kalenders zum 1. januar 45 v. Chr. wird mit dem dortigen Neulicht zusammenhängen. Die Überlegung Cassinis ist also wahrlich nicht an den Haaren herbeigezogen!
Diese Überlegung Cassinis ist bestimmt nicht an den Haaren herbeigezogen. Aber sie erscheint bei weitem nicht als entscheidend bzw. als die einzig mögliche und sinnvolle.
Bevor wir hier irgendwelche Erklärungen diskutieren, wäre allerdings zu fragen, warum Cassini überhaupt die Jahre 222 n. Chr. und 838 n. Chr. so genau miteinander verglichen hat? (Ich beziehe mich auf den entsprechenden Abschnitt in Ihrem Artikel „L = 0“.) Hat er – ganz anders als etwa Strobel – mit der Möglichkeit gerechnet, dass die Tafel eine Fälschung ist? Wenn ja, warum? In welchem Kontext steht seine Argumentation? Gegen welche(n) Gegner argumentiert er?
Ulrich Voigt:
Der hippolytische Ostervollmond stimmt mit dem astronomischen Vollmond in der Umgebung von 222 n. Chr. überein für die sieben Jahre 216 bis 223, in der Umgebung von 838 n. Chr. nur für die vier Jahre 838 bis 841.
Das ist ein Argument, aber wie schwer wiegt es? Es könnte eventuell (aber nicht einmal zwingend?) zeigen, dass die Tafel nicht nach 841 entstanden ist.
Ulrich Voigt:
jb: “Fzlich gesehen ist 838 n. Chr. in Wirklichkeit das Jahr 541 n. Chr. Wir befinden uns also in der Zeit des Justinian.”
Das klingt merkwürdig. Gemeint ist 838 n. Chr. = 541 A.D.”
Richtig, wenn es nach Ihrer eigenen, oft nützlichen Definition geht. Die Unterscheidung zwischen einer Rechnung „A. D.“ und „n. Chr.“ erscheint aber nicht in jedem Kontext nötig oder auch nur sinnvoll. Schließlich ist die Vorstellung, zwei Zeitrechnungen mit zwei Zeitachsen gegeneinander zu verschieben, eine von mehreren Möglichkeiten, um die fztheoretische Problematik zu konzeptualisieren.
Ulrich Voigt:
[Dionysius, Ravenna]
Wie hier schon öfter gesagt, wäre aus der Sicht der FZT der von Ihnen entdeckte Übergang zwischen einer sich an Jesu Todesjahr orientierenden Komputistik zu einer Komputistik, die von den Jahren 0 und 532 ausgeht, sehr ernst zu nehmen. Letztere erscheint aus mehreren Gründen als nachfzlich. Das würde bedeuten, dass DE ins Umfeld des Konstantin VII. gehört.
Ich würde aber vorschlagen, dass wir zuerst möglichst umfassend die wichtigsten Fragen klären, die mit der Hippolyt-Tafel direkt zusammenhängen.
Ich vermute, Einigkeit besteht darüber, dass Hippolyt eine Zwischenstellung zwischen „alter“ und „neuer“ Komputistik einnimmt. Schließlich wird für ihn bereits die „Genesis Christi“ bedeutsam.
Ulrich Voigt:
Verlängert man die Tafel des Hippolyt (ohne jede Schaltung), so weist sie auf den 5. april 532, den taggenauen Anfangswert der Ostertafel von Dionysius Exiguus. Ich habe keine Lust, das als Zufall abzutun.
Wir sollten nichts als Zufall abtun, was kein Zufall ist. Die Frage ist aber schon, ob Sie den Sachverhalt korrekt beschreiben. Denn in welchem Sinn „weist“ denn die Tafel des Hippolyt „auf“ den 5. April 532?
Zunächst einmal folgt aus der Tafel doch lediglich, dass der 5. April 532 n. Chr. ein Ostertag ist (wenn wir vom Kopfjahr 222 ausgehen). Ansonsten weist nichts auf eine Sonderstellung gerade dieses Datums oder dieses Jahres hin. Wie käme denn ein Hippolyt im 3. Jh. auch auf einen solchen Gedanken? Wenn er wenigstens Jesu Geburtstag auf das richtige Jahr gesetzt hätte! Aber sein 2 v. Chr. (Strobel, S. 124) passt doch hinten und vorne nicht mit einem Jahr 532 n. Chr. zusammen.
Ulrich Voigt:
jb: “[Bianchini schrieb dazu vor 310 Jahren: “222 n. Chr. = 1696 – 1474 n. Chr.] Ich hoffe, das Geheimnis dieser Gleichung werden Sie uns bald verraten!”
Nanu? Spricht die Gleichung nicht für sich? Sie bedeutet, dass 222 n. Chr. genau 1474 Jahre vor dem Jahr 1696 liegt und mithin von jeder Phnatomzeittheorie unabhängig ist.
Pardon, ich verstehe noch nicht. 1696 ist vermutlich das Jahr, in dem Bianchini diese Gleichung aufgestellt hat. Aber was will er sagen? Wo kommt die Zahl 1474 her? In welchem Kontext steht die Gleichung?
Ulrich Voigt:
Auch die Bezeichnung “A.D.” (definiert durch “532 A.D. = 248 Diokletian”) ist unabhängig von der illigschen Phantomzeitthese. Ich dachte, das sei inzwischen geklärt.
Diese Definition von „A. D.“ ist die des Dionysius Exiguus. Aus meiner augenblicklichen Sicht ist sie nachfzlich. Man könnte sie auch als Definition der „Diokletiansära“ betrachten. Mit dieser Ära hat es ohnehin eine besondere Bewandtnis.
Ulrich Voigt:
jb: Tafel / Statue: “Das scheint doch Ausdruck einer gewissen Verlegenheit zu sein.”
Natürlich ist man da in Verlegenheit. Das frühe Christentum ist rundherum eine schwierige Angelegenheit, und die Beziehung der Christen zu den Nicht-Christen ganz besonders.
Es geht aber nicht an, dass man alles für irreal hält, was sich nicht glatt erklären lässt!
Das ist bestimmt richtig. Aber man sollte andersherum auch nicht bestehende Erklärungsprobleme leugnen. Und solche Probleme sind nun mal ebenso viele Indizien (Indizien! keine Beweise!) für eine spätere Fälschung.
Ulrich Voigt:
jb: “Die Statue entstand im Auftrag des Borgia-Kardinals Hippolyt II., der Papst werden wollte.”
Das Objekt wurde 1551 aufgefunden. 1564/65 erfolgte die Umwandlung der Statue in den heutigen Hippolytus. Wenn die Absicht von Anfang an die gewesen wäre, Hippolytus II. durch eine gefälschte Ostertafel zu unterstützen, möchte ich gern wissen, warum man solch einen komischen Umweg gewählt hat. Nein, außer der Namensgleichheit haben Sie nichts in der Hand.
Dass Letzteres nun wirklich nicht zutrifft, hatte ich gerade aufgezeigt. Ligorio und Hippolyt d‘Este gehören zusammen, Hippolyt war Ligorio’s Auftraggeber – auf jeden Fall im Jahr 1551. Die spätere Ergänzung der Statue ist im Grunde genommen unwichtig – zumindest wenn es zutrifft, dass der Sockel schon 1551 mit eingemeißelten Tafeln der Öffentlichkeit vorgestellt wurde. 1551 machte ein solcher Akt aber Sinn – etwa um Stimmung für einen neuen Papst Hippolyt zu machen. Oder einfach nur als Gefälligkeit des Ligorio seinem Freund und Auftraggeber gegenüber.
Allerdings gebe ich zu, dass die Titel autokrator, basileus und kaisar im Einleitungstext so wenig für das 16. wie für das 3. Jh. sprechen. Eine byzantinische Vorlage ist also insofern plausibel. Dann aber könnte der Sockel auch gleich ganz, mit Inschriften, byzantinischer Herkunft sein. (In diesem Fall war das Motiv des Einleitungstextes ein komputistisch-chronologisches: Die – justinianische – Hippolyt-Tafel wurde mit Hilfe der Einleitung in die neue Chronologie des Konstantin VII. eingepasst: siehe unten.)
Ulrich Voigt:
Dass Strobel dann durch 221 – 29 = 12 × 16 einen zyklischen Bezug zum Todesjahr 29 herstellt, wäre eigentlich nicht nötig gewesen, da ja die Tafel selbst den Bezug durch 253 – 29 = 2 x 112) vorweist.
Da die Zahl 253 auf der Tafel fehlt, ist diese Rechnung eine Petitio principii. Laut Strobel ist der “Todestag Christi” mit dem letzten Jahr der zweiten Sedecennitas verbunden. Damit kommt man aber von 222 ausgehend nicht auf 253?
Ulrich Voigt:
Dass die hippolytische Tafel zurückverlängert werden darf (und muss), ergibt sich aus ihrer Beschriftung, das war Strobel natürlich bekannt.
Mir auch. Deshalb schlug ich im vorigen Kommentar die Gleichung 541 = 29 + 32 × 16 vor. Dazu schweigen Sie ganz laut und unüberhörbar. Bei der Bedeutung, die sowohl die Hekkaidekateris als auch die doppelte Hekkaidekateris für die Tafel haben, ist 32 × 16 nie und nimmer ein Zufall. Der ganze Krampf der Ad-hoc-Annahmen über das zu Jesu Todesjahr 29 passende Kopfjahr entfällt. Die Bezüge sind klar und deutlich. Strobel wäre heute ein begeisterter Anhänger der FZT, hätte er diese Gleichung gekannt.
Ulrich Voigt:
jb: “Wie erklären sich die Mängel der Hippolyt-Tafel?”
Welche Mängel?
Ich meinte das Problem, über das Sie bei den Fomenkisten mit hunnivari diskutierten. Strobel, S. 123: „Trotz der scheinbar idealen Kombination von Oktaëteris und Sonnenzyklus enthält die hippolytische 112jährige Periode eine störende Ungenauigkeit, insofern bei dem zugrunde gelegten 16jährigen Zyklus die zyklischen Vollmonde von den wahren erheblich abirren, und zwar am Ende der ersten 16 Jahre schon um etwa 3 Tage. Wurde die hippolytische Periode praktiziert, was kaum bezweifelt werden kann, dann enthüllte sie schon in kürzester Zeit ihre Problematik, wobei sich die Osterfeste vom Vollmond zum Neumond hin verschoben.“
Ulrich Voigt:
jb: “Irgendwo zwischen frühantiken, spätantiken und mittelalterlichen Ostertafeln ist die FZ einzuschalten. Eventuell sind die spätantiken Tafeln aufzuteilen und ist Dionysius Exiguus als nachfzlichen Autor von einem vorfzlichen Hippolyt zu trennen.”
Ich nehme an, Ihre “frühantiken Ostertafeln” sind “frühmittelalterliche Ostertafeln”.
Das ist, was meine Auffassung betrifft, nicht ganz zutreffend. Ich würde, in Abhängigkeit des bislang von Strobel und Ihnen Erlernten, momentan vier wesentliche komputistische Epochen oder Komplexe unterscheiden: (1) Eine frühe Phase, in der die Komputistik sich an Jesu Todesjahr orientiert. Hierher gehören insbesondere die alexandrinischen Tafeln bzw. die Tafeln mit 84-jähriger Periode. (2) Hippolyt und Pseudo-Cyprian mit 112-jähriger Tafel, die ich der Justinianischen Reform zuordnen würde. (3) Dionysius Exiguus, der zum Komplex der konstantinischen Zeitverlängerungsaktion gehört. Ab hier erhalten das Jahr 532 und Jesu Geburtsjahr entscheidende Bedeutung. (4) Beda und die westliche, mittelalterliche Komputistik.
Natürlich wäre dann zu untersuchen, wie die frühantiken Tafeln mit der FZT zusammenpassen könnten – denn ohne weiteres leuchtet das nicht ein.
Ulrich Voigt:
Es nutzt der FZT gar nichts, Dionysius Exiguus ins Mittelalter zu verfrachten, solange sie die Tafel zu Ravenna nicht mitnehmen kann.
Gemäß obiger Einteilung wäre zu versuchen, ob Ravenna zum Komplex „Konstantin VII.“ gehören könnte.
Ulrich Voigt:
Noch zu dem Unterschied zwischen spätantiker und mittelalterlicher Komputistik:
Der Unterschied ist fundamental. Die Erkenntnisse Grumels und Strobels haben für das mittelalterliche Material keine Aussagekraft. Es ist daher umgekehrt auch überhaupt nicht verwunderlich, dass kein einziger der Mediävisten hinter jene Strukturen gekommen ist, die für die Ursprünge tragend sind, und dass weder Grumel noch Strobel bei den meinungsbildenden Experten von heute angekommen ist.
Für mich ist dieses Ihr Insistieren, das ich ja schon seit längerem kenne, der Grund, um Dionysius Exiguus nicht schlicht dem Beda-Komplex zuzuschlagen. Mir scheint heute, dass er zum obigen Komplex Nr. 3 gehört.
[…] Ulrich Voigt sprach am 23.3. in einem Kommentar zum Beitrag “297 Jahre – zur Länge der Phantomzeit” davon, dass es „nur noch eines ganz kleinen Schrittes (des Nachdenkens) [bedarf], um die Position Illigs endgültig zu verlassen und den extremen ‚Chronologiekritikern’ im Stile Fomenkos beizutreten“. […]
Borst
jb: :”Vielleicht liegt ein Missverständnis vor. Sollte ich Sie in irgendeiner Weise gekränkt haben, bitte ich um Entschuldigung.”
Na ja, Sie legen mir eine “Wiedergutmachung” gegenüber Borst nahe im Zusammenhang mit seinem Tode. Und das ist doch nun wirklich ein starkes Stück!
Ich habe die Arbeiten von Arno Borst zur Komputistik kritisiert, was ja, nachdem sie überall nur ungeteiltes Lob erfahren haben und als Glanzstück gegenwärtiger Chronologieforschung gelten, höchste Zeit war.
Franz Peter Waiblinger bescheinigte Borst in der SZ (zitiert auf dem Cover von “Computus”) einen “glänzenden” Stil und schier “unglaubliche” Gelehrtheit Mag sein, dass das stimmt. Ich habe aber kein Interesse an glänzenden Formulierung, sondern an Wissenschaft. Oben habe ich ein Beispiel zitiert, das zeigt, wie sich eine meinetwegen glänzende Formulierung inhaltlich bei näherer Erwägung geradezu in Luft auflöst.
Vor einigen Jahren habe ich erwogen, Kontakt mit Borst zu suchen, den Gedanken dann aber verworfen, weil ich das bestimmte Gefühl hatte, dass er meine Überlegungen gar nicht verstehen würde. Ich habe meine Arbeiten statt dessen an Strobel geschickt.
Die großartige Chronologieforschung zwischen Scaliger und Ideler hat sich um das Mittelalter wenig gekümmert, sondern fast ausschließlich die spätantiken Quellen analysiert. Heute ist es umgekehrt, man stützt sich fast ausschließlich auf die mittelaltertlichen Quellen und kennt besagte Forschung kaum noch. In dem Buch “Computus” sucht man den Namen des Petavius vergeblich.
Cassini 1696
Nein, Cassini hat nicht zwischen 838 und 222 geschwankt, er hatte ja von vornherein keinen Zweifel an der alten Datierung 1 Alexander = 222.
Die Leistung Cassinis und Bianchionis besteht darin, etwas sorgfältig begründen zu wollen, was nie bezweifelt wurde. Das waren halt Wissenschaftler!
Ein polemischer Zusammenhang ist nicht ersichtlich. Es wäre aber vorstellbar, dass Cassini und Bianchini an Hardouin gedacht haben (ohne ihn einer Erwähnung für würdig zu erachten). Hardouin hatte aber die Chronologie nicht direkt angezweifelt
.
Das Jahr 838 habe erst ich in die Diskussion hineingebracht, denn auch Bianchini äußert sich dazu nicht.
Hippolytus
jb: “Ich vermute, Einigkeit besteht darüber, dass Hippolyt eine Zwischenstellung zwischen „alter“ und „neuer“ Komputistik einnimmt. Schließlich wird für ihn bereits die „Genesis Christi“ bedeutsam.”
Nein, für diese Behauptung sehe ich keine Grundlage. Die Genesis (= Inkarnation) Christi dürfte genau so alt sein wie die Passion Christi. Julius Africanus, ein Zeitgenosse des Alexander Severus, benutzt bereits beides simultan.
jb: “in welchem Sinn „weist“ denn die Tafel des Hippolyt „auf“ den 5. April 532?”
Ich beginne die Mondtafel des Hippolytus mit -1 Alexander (= 220 n.Chr.) und dem 5. april als Anfangswert:
Aus
532 – 220 = 312
und
312 mod 8 = 0
folgt, dass die Tafel (bei einfacher Verlängerung in die Zukunft) für das Jahr 532 n.Chr. wieder den 5. april anzeigt.
Das ist natürlich kein Ostertag, sondern ein Ostervollmondstag (Montag), in Übereinstimmung mit der alexandrinischen (angeblich erst Jahrhunderte später entstandenen, nach Erkennnis Grumels aber bereits von Julius Africanus herstammenden “dionysischen” Mondtafel).
jb: “Ansonsten weist nichts auf eine Sonderstellung gerade dieses Datums oder dieses Jahres hin. Wie käme denn ein Hippolyt im 3. Jh. auch auf einen solchen Gedanken?”
Tja, dazu hätte ich einiges zu sagen, was aber hier zu weit führen würde.
jb: “Wenn er wenigstens Jesu Geburtstag auf das richtige Jahr gesetzt hätte! Aber sein 2 v. Chr. (Strobel, S. 124) passt doch hinten und vorne nicht mit einem Jahr 532 n. Chr. zusammen.”
“2 v. Chr.” ist das geglaubte historische Geburtsjahr (inzwischen von den Historikern einhellig abgelehnt, damals aber der Hauptfavorit. Dieter Koch (Der Stern von Bethlehem, Zürich 2006) bringt jetzt wieder neue Argumente für dieses Geburtsjahr, die Sache ist noch lange nicht ausdiskutiert.) Mit dieser Anbindung stellt sich die Tafel auf den Standpunkt des damals allgemein Für-wahr-Gehaltenen.
Der Bezug zum Jahr 532 hat bereits bei Hippolytus einen komputistischen Grund. In Alexandria wurde das im 4. Jh. dann sozusagen herausgelöst und verabsolutiert, was in der Tafel des Hippolytus dem kundigen Blick längst offen lag.
Bianchini
jb: “Pardon, ich verstehe noch nicht. 1696 ist vermutlich das Jahr, in dem Bianchini diese Gleichung aufgestellt hat. Aber was will er sagen? Wo kommt die Zahl 1474 her? In welchem Kontext steht die Gleichung?”
Francesco Bianchini, La istoria universale, Rom 1697, Esposizione e pruove della cronologia (p.57):
Noi sappiamo, che la unione del plenilunio in tal di con le altre incidenze delle Domeniche di quell`anno, del mese intercalare, del giorno bissestile, che osservano la sua regola ne`seguenti, non può cadere in altro anno, che in uno, il quale abbia preceduto il presente 1696 per 1474 cioè nel 222 dell’Era Christiana, ó pure in un’altro, per molte migliaja d’anni anteriore, quando non era data legge della Pasqua à Mosè, che sarrebbe fuori dell’argomento, non che del dubbio
=
Wir wissen, dass es nur ein einziges Jahr gibt, in dem der Vollmond mit der Verteilung der Sonntage, der Schaltmonate [des Mondjahres] und Schalttage [des Sonnenkalenders] so zusam-menpasst [wie auf den Tafeln des Hippolytus], nämlich jenes Jahr, das genau 1474 [Jahre] vor dem gegenwärtigen Jahr 1696 liegt, d.h. im Jahr 222 der christlichen Ära, oder aber in einem anderen viele tausende Jahre davor, noch bevor Moses das Ostergesetz gegeben wurde, was aber außerhalb unserer Überlegung liegt, um nicht zu sagen, außerhalb jeden Zweifels.
Ulrich Voigt:
[…] Ulrich Voigt sprach am 23.3. in einem Kommentar zum Beitrag “297 Jahre – zur Länge der Phantomzeit” davon, dass es „nur noch eines ganz kleinen Schrittes (des Nachdenkens) [bedarf], um die Position Illigs endgültig zu verlassen und den extremen ‚Chronologiekritikern’ im Stile Fomenkos beizutreten“. […]
Es gibt zweifellos gewisse Übereinstimmungen zwischen Illigisten und Fomenkisten, bei so manchem Thema ziehen sie am selben Strang. Und doch wäre es nicht richtig, beide in einen Topf zu werfen. Gerade hat sich Illig dazu in einem Blog-Beitrag geäußert. Auf jeden Fall kann sich Ihre Bemerkung nicht auf meinen letzten Kommentar beziehen!
Ich unterschied zwei von mir vermutete antike Phasen der Ostertafelherstellung (vorjustinianisch und justinianisch) voneinander – was für Fomenkisten ein sinnloses, mit Hohn und Verachtung zu bestrafendes Vorgehen ist. Als dritte Stufe war bei mir der von Fomenko ebenfalls nicht erkannte Komplex Theophanes / Konstantin VII. vorgesehen, der für die FZT seit langem entscheidend wichtig ist.
Ausdrücklich setze ich mich also von einer Position ab, die die ganze Komputistik zur mittelalterlichen macht. Strobel / Voigt sind unbedingt ernst zu nehmen. (Insofern gilt merkwürdigerweise, dass Borst Fomenko näher ist als die FZT. Und Voigt ist der FZT näher als Fomenko und Borst …) Gerade eine kritische Komputistik könnte Wichtiges zur Rekonstruktion antiker Zusammenhänge beitragen.
Als wäre das alles nicht genug, kommt dazu die im vorvorigen Beitrag aufgestellte, immer noch unkommentierte Gleichung 541 = 29 + 32 × 16. Sie ist eins der exaktesten Indizien für L = 297, die es bislang gibt.
Ulrich Voigt:
Na ja, Sie legen mir eine “Wiedergutmachung” gegenüber Borst nahe im Zusammenhang mit seinem Tode. Und das ist doch nun wirklich ein starkes Stück!
Das tat ich aber nur für den Fall, dass Sie sich wegen Ihrer Kritik an Borst Vorwürfe machen sollten (Ihnen war ja „eigenartig“)! Im übrigen erscheinen mir – und Ihnen offenbar auch – solche Vorwürfe völlig überflüssig. Borst würde in unserer komputistisch-chronologischen Spurensuche nicht vorkommen, wenn er für uns nicht aus irgendeinem Grund wichtig geworden wäre – ob nun als Erkenntnisquelle oder als Stein des Anstoßes und Anregung zum Weiterforschen.
Ulrich Voigt:
Die Leistung Cassinis und Bianchionis besteht darin, etwas sorgfältig begründen zu wollen, was nie bezweifelt wurde. Das waren halt Wissenschaftler!
Wenn das wirklich ihr Anliegen war, waren sie eher Philosophen als Wissenschaftler. Es ging ihnen aber wohl mindestens genauso ums Verstehen von bis dorthin ungeklärten Zusammenhängen. Das ist ein genuin wissenschaftliches (letztlich auch unser) Anliegen.
Meine Frage, gegen welchen Gegner Cassini sich wandte, wurde durch eine Bemerkung in „L = 0“ veranlasst:
Ulrich Voigt:
Das Jahr 838 habe erst ich in die Diskussion hineingebracht, denn auch Bianchini äußert sich dazu nicht.
Verstehe. Ich bezog mich auf eine Bemerkung in „L = 0“: „Cassini berechnete nicht direkt die Vollmonde, sondern die davor liegenden Neumonde: 222 n. Chr. hat den Neumond am 30. märz, 838 n. Chr. am 29. märz.“ Ich hatte sie so aufgefasst, dass der Wert für 838 n. Chr. von Cassini stammt. Das ist anscheinend nicht der Fall.
Im übrigen wäre dann jetzt zu diskutieren, welche Bedeutung die Neumonde in unserem Zusammenhang haben. Sind sie für einen Komputisten, der die Vollmonde voraus- und zurückberechnen möchte und sowohl den Julianischen Kalender als auch die luna XIV als feste, unveränderliche Größen voraussetzt, wirklich noch wichtig?
Ulrich Voigt:
jb: “Ich vermute, Einigkeit besteht darüber, dass Hippolyt eine Zwischenstellung zwischen „alter“ und „neuer“ Komputistik einnimmt. Schließlich wird für ihn bereits die „Genesis Christi“ bedeutsam.”
Nein, für diese Behauptung sehe ich keine Grundlage.
Sie folgen aber schon noch der Hartke-Strobel-These, dass die Ostertafeln mit 84-jähriger Periode älter sind als Hippolyt?
Ulrich Voigt:
Die Genesis (= Inkarnation) Christi dürfte genau so alt sein wie die Passion Christi. Julius Africanus, ein Zeitgenosse des Alexander Severus, benutzt bereits beides simultan.
Africanus benutzt auch schon eine Schöpfungsära. Illig vermutet seit langem, dass solche Weltären in Zusammenhang mit der konstantinischen Zeitverlängerungsaktion stehen. Hier wären also die wenigen Überreste der Werke des Africanus, die Handschriftenlage und die auf Africanus Bezug nehmenden Texte zu prüfen.
Ulrich Voigt:
jb: “in welchem Sinn „weist“ denn die Tafel des Hippolyt „auf“ den 5. April 532?”
Ich beginne die Mondtafel des Hippolytus mit -1 Alexander (= 220 n.Chr.) und dem 5. april als Anfangswert:
Aus
532 – 220 = 312
und
312 mod 8 = 0
folgt, dass die Tafel (bei einfacher Verlängerung in die Zukunft) für das Jahr 532 n.Chr. wieder den 5. april anzeigt.
So weit, so gut. Der Punkt war aber, dass aus der Hippolyt-Tafel keine besondere Bedeutung des Jahres 532 für Hippolyt hervorgeht.
Ulrich Voigt:
Das ist natürlich kein Ostertag, sondern ein Ostervollmondstag (Montag), in Übereinstimmung mit der alexandrinischen (angeblich erst Jahrhunderte später entstandenen, nach Erkennnis Grumels aber bereits von Julius Africanus herstammenden “dionysischen” Mondtafel).
Danke für die Korrektur meines völlig verfehlten „Ostertages“. Sie haben natürlich Recht damit, dass es in Wirklichkeit um den Ostervollmond geht.
Ulrich Voigt:
jb: “Ansonsten weist nichts auf eine Sonderstellung gerade dieses Datums oder dieses Jahres hin. Wie käme denn ein Hippolyt im 3. Jh. auch auf einen solchen Gedanken?”
Tja, dazu hätte ich einiges zu sagen, was aber hier zu weit führen würde.
Bis jetzt kenne ich nur die Bianchini/Voigt-Gleichung 222 – (-44) = 14 x 19 = 532 / 2. Schon diese Gleichung lässt komputistische Geschichtskonstruktion erahnen (wg. Caesar genau zwischen Alexander dem Großen und Alexander Severus). Aber auch sie benötigt nur die Zahl, nicht das Jahr 532.
Ulrich Voigt:
jb: “Wenn er wenigstens Jesu Geburtstag auf das richtige Jahr gesetzt hätte! Aber sein 2 v. Chr. (Strobel, S. 124) passt doch hinten und vorne nicht mit einem Jahr 532 n. Chr. zusammen.”
“2 v. Chr.” ist das geglaubte historische Geburtsjahr (inzwischen von den Historikern einhellig abgelehnt, damals aber der Hauptfavorit. Dieter Koch (Der Stern von Bethlehem, Zürich 2006) bringt jetzt wieder neue Argumente für dieses Geburtsjahr, die Sache ist noch lange nicht ausdiskutiert.) Mit dieser Anbindung stellt sich die Tafel auf den Standpunkt des damals allgemein Für-wahr-Gehaltenen.
Es geht jetzt aber nicht darum, was manche Historiker heute zu Jesu Geburtsjahr meinen. Es geht um Hippolyts Tafeln. Laut Strobel implizieren sie das Jahr 2 v. Chr. Der Punkt ist doch, dass dieses Geburtsjahr nicht mit dem Jahr 532 n. Chr. zusammenpasst. Denn wegen der Bedeutung der Zahl 532 für Hippolyt hätte – ausgehend von 532 n. Chr. – Jesu Geburtsjahr nur entweder 0 oder 1 v. Chr. sein können (wie es dann auch später bei DE der Fall ist).
Ulrich Voigt:
Der Bezug zum Jahr 532 hat bereits bei Hippolytus einen komputistischen Grund. In Alexandria wurde das im 4. Jh. dann sozusagen herausgelöst und verabsolutiert, was in der Tafel des Hippolytus dem kundigen Blick längst offen lag.
Welche alexandrinischen Autoren/Komputisten meinen Sie hier?
Ulrich Voigt:
Bianchini
[…]
Wir wissen, dass es nur ein einziges Jahr gibt, in dem der Vollmond mit der Verteilung der Sonntage, der Schaltmonate [des Mondjahres] und Schalttage [des Sonnenkalenders] so zusam-menpasst [wie auf den Tafeln des Hippolytus], nämlich jenes Jahr, das genau 1474 [Jahre] vor dem gegenwärtigen Jahr 1696 liegt, d.h. im Jahr 222 der christlichen Ära, oder aber in einem anderen viele tausende Jahre davor, noch bevor Moses das Ostergesetz gegeben wurde, was aber außerhalb unserer Überlegung liegt, um nicht zu sagen, außerhalb jeden Zweifels.
Danke für diese Erläuterung! So wird die Gleichung 1696 – 1474 = 222 verständlich.
Allerdings: Widerlegt nicht ausgerechnet Voigt Bianchini? Ulrich Voigt in „L = 0“, nach einer kritischen Erörterung der astronomisch und komputistisch wichtigen Informationen der Hippolyt-Tafel: „Fassen wir also zusammen: Entweder ist 1 Alexander = 222 n. Chr., dann ist die Länge der Phantomzeit L = 0, oder es ist 1 Alexander = 838 n. Chr., dann ist L = 616. Weitere Möglichkeiten bestehen nicht.“
Anders als für Bianchini gibt es also für Voigt zwei sinnvolle Möglichkeiten, die Hippolyt-Tafel einzuordnen (soweit ausschließlich komputistisch und nicht konkret historisch argumentiert wird).
Was Voigt nicht bedenkt, ist die Möglichkeit, dass der Einleitungstext zur Tafel eine spätere Ergänzung, der Bezug auf Alexander (Severus) somit sekundär sein könnte. Lässt man nämlich diesen Bezug weg, zeigt sich plötzlich das Jahr 838 als ein aus vielen Gründen wunderbar stimmiger Kandidat für die Tafel. Nicht zuletzt wird endlich das eigentliche Kopfjahr der Ostertafel verständlich, das sich auf das aus der Tafel selbst hervorgehende Jahr des pathos christou bezieht wie 541 = 29 + 32 × 16.
Hippolytus
253 – 29 = 2 x 112
jb: “Da die Zahl 253 auf der Tafel fehlt, ist diese Rechnung eine Petitio principii. Laut Strobel ist der “Todestag Christi” mit dem letzten Jahr der zweiten Sedecennitas verbunden. Damit kommt man aber von 222 ausgehend nicht auf 253?”
“Petitio principii”? Differenzen sind unabhängig vom jeweiligen Zählsystem!
Das letzte Jahr der zweiten Sedecennitas ist das Jahr 32 Alexander. Geht man davon aus, dass sich dieses Jahr ca. zwei Jahrhunderte “nach Christi” befindet, so folgt für das “Todesjahr Christi” (32 – 2 x 112) Alexander = -192 Alexander. Geht man aus von 1 Alexander = 222 n.Chr., so folgt -192 Alexander = 29 n.Chr.
541 = 838 – 297
541 = 29 + 32 × 16
jb: “Der ganze Krampf der Ad-hoc-Annahmen über das zu Jesu Todesjahr 29 passende Kopfjahr entfällt. Die Bezüge sind klar und deutlich. Strobel wäre heute ein begeisterter Anhänger der FZT, hätte er diese Gleichung gekannt.”
“541 = 29 + 32 × 16. Sie ist eins der exaktesten Indizien für L = 297, die es bislang gibt.”
Diese Überlegung beruht auf L = 297, also auf einer widerlegten (und auch von Illig nicht mehr vertretenen) These. Sie ist also ohne Grundlage.
Im übrigen ist 541 – 29 = 32 × 16 keineswegs besser als das Strobelsche 221 – 29 = 12 x 16, sondern äquivalent.
541 entspricht im 8jährigen Zyklus nicht dem Kopfjahr 1 Alexander, sondern dem Jahr davor, denn 541 – 221 = 20 x 16.
L = 297 würde also dazu führen, dass 1 Alexander = 541 n. Chr., was wiederum bedeutet, dass sich die auf der Tafel angegebenen Passadaten um ein Jahr verschieben. Und das kann ja wohl nicht sein!
Defekt
Strobel, S. 123: „Trotz der scheinbar idealen Kombination von Oktaëteris und Sonnenzyklus enthält die hippolytische 112jährige Periode eine störende Ungenauigkeit, insofern bei dem zugrunde gelegten 16jährigen Zyklus die zyklischen Vollmonde von den wahren erheblich abirren, und zwar am Ende der ersten 16 Jahre schon um etwa 3 Tage. Wurde die hippolytische Periode praktiziert, was kaum bezweifelt werden kann, dann enthüllte sie schon in kürzester Zeit ihre Problematik, wobei sich die Osterfeste vom Vollmond zum Neumond hin verschoben.“
Diesen Defekt hatte Scaliger bereits aufgedeckt und als Mangel gerügt. Ihm folgt die communis opinio bis heute. Man nimmt an, dass jene Komputisten in astronomischern Belangen vollkommen hilflos waren. Daraus wiederum resultiert ganz wesentlich die Vorstellung einer Entwicklung der christlichen Komputistik aus rohen und primitiven Anfängen hinauf zu den Höhen alexandrinischer Kunst. Die Möglichkeit, dass den Urhebern der Tafel diese Ungenauigkeit bekannt war, wird gar nicht erst in Erwägung gezogen.
Der erste Chronologieforscher, der diesem Urteil widersprach, war Bianchini (1703), der nicht glauben wollte, dass “Hippolytus” so dumm und unwissend war, wie es den Anschein hat. Bianchini entwarf detailiierte Schaltregeln für die Tafel, hatte damit aber überhaupt keinen Erfolg. Außer einer ironischen Abkanzelung durch Ideler (1826) ist mir nicht eine einzige Reaktion bekannt (denn Fabricius, 1716, zitiert Bianchini ohne Kommentar). Nur Grumel und Strobel (die beide Bianchini nicht kannten), äußerten späterhin Zweifel an dem allgemeinen Urteil. Da “man” sie kaum zur Kenntnis nimmt, hat sich die communis opinio nicht verändert.
Von einem Defekt kann man zwar auch dann noch sprechen, wenn es um eine absichtlich in Kauf genommene oder gar gewollte Diskrepanz geht, nicht aber von Dummheit, vielleicht eher von Rafinesse.
Strobel – Borst / Maier
jb: “Mag sein, dass ich die Bedeutung von Strobel für Borst in der Erinnerung übertrieben habe (ist ja auch schon 17 Jahre her). Das könnte mit daran liegen, dass Borst auch Maier zitiert, der sich wiederum selbst auf Strobel beruft.”
Maier (1991) behandelt Strobel in seinen Fußnoten, wobei nur eine einzige tiefer geht, näml. n. 19 (p.120).
Maier stellt hier Übereinstimmung fest zwischen Strobel (1977) und Cullmann (1946) hinsichtlich einer gegen Ende des 2. Jh. erfolgten Umorientierung christlichen Denkens von einem “hocheschatologischen” zu einem “stärker soteriologischen” Selbstverständnis und der daraus erklärlichen Bereitschaft zur Konstruktion von Osterzyklen. Maier behauptet, dass aus eben dieser Wendung verständlich wird, dass “Inkarnation” gegenüber “Tod und Wiederkehr” an Gewicht gewann.
Das, was ich als hauptsächliche Entdeckung Strobels sehe, den zyklischen Rückbezug der Ostertafeln, ist bei Maier so wenig angekommen wie bei Borst. Grumel kennen sie beide nicht.
jb: “Sie folgen aber schon noch der Hartke-Strobel-These, dass die Ostertafeln mit 84-jähriger Periode älter sind als Hippolyt?”
Ja, das erscheint mir zwingend zu sein.
Julius Africanus
jb: “Illig vermutet seit langem, dass solche Weltären in Zusammenhang mit der konstantinischen Zeitverlängerungsaktion stehen.”
Grumel hat die africanische Weltära auch für die Passatafel des Hippolytus nachgewiesen. In dem Hippolytus zugeschriebene Danielkommentar ist sie ebenfalls verankert. Ich sehe überhaupt keine Veranlassung, die Zahl 5500 nicht zur Ausdeutung der hippolyt. Tafel heranzuziehen. Und ich sehe keine Chance, diese Tafel in die Zeit des Justinian zu bringen, weder mit herkömmlicher, noch mit gekürzter Chronologie. (Den Versuch 1 Alexander = 541 n.Chr. habe ich gerade widerlegt.)
jb: “Der Punkt war aber, dass aus der Hippolyt-Tafel keine besondere Bedeutung des Jahres 532 für Hippolyt hervorgeht.”
Doch, aber das zu begründen, würde hier wieder zu weit führen.
jb: “Es geht um Hippolyts Tafeln. Laut Strobel implizieren sie das Jahr 2 v. Chr. Der Punkt ist doch, dass dieses Geburtsjahr nicht mit dem Jahr 532 n. Chr. zusammenpasst.”
Ja, da haben wir ein Problem. Ich lasse es hier einmal so stehen, denn die Antwort würde wieder zu weit führen.
jb: “Welche alexandrinischen Autoren/Komputisten meinen Sie hier?”
Ich folge hier Grumel / Strobel / van der Vyver. Selbst habe ich früh-alexandrinische Quellen nicht studieren können. Ein schwieriges Gebiet!
Nicht einmal bin ich mir, nachdem sich das Bild, das man sich von Anatolius von Laodicea zu machen hat, so drastisch verändert hat, noch sicher, ob die alt-alexandrinische Mondtafel denn überhaupt richtig rekonstruiert ist. Vielleicht finde ich noch Zeit, mir hier ein eigenes Urteil zu erarbeiten.
Ulrich Voigt:
jb: “Da die Zahl 253 auf der Tafel fehlt, ist diese Rechnung eine Petitio principii. Laut Strobel ist der “Todestag Christi” mit dem letzten Jahr der zweiten Sedecennitas verbunden. Damit kommt man aber von 222 ausgehend nicht auf 253?”
“Petitio principii”? Differenzen sind unabhängig vom jeweiligen Zählsystem!
Das letzte Jahr der zweiten Sedecennitas ist das Jahr 32 Alexander. Geht man davon aus, dass sich dieses Jahr ca. zwei Jahrhunderte “nach Christi” befindet, so folgt für das “Todesjahr Christi” (32 – 2 x 112) Alexander = -192 Alexander. Geht man aus von 1 Alexander = 222 n.Chr., so folgt -192 Alexander = 29 n.Chr.
ACK.
Ulrich Voigt:
541 = 838 – 297
541 = 29 + 32 × 16
jb: “Der ganze Krampf der Ad-hoc-Annahmen über das zu Jesu Todesjahr 29 passende Kopfjahr entfällt. Die Bezüge sind klar und deutlich. Strobel wäre heute ein begeisterter Anhänger der FZT, hätte er diese Gleichung gekannt.”
“541 = 29 + 32 × 16. Sie ist eins der exaktesten Indizien für L = 297, die es bislang gibt.”
Diese Überlegung beruht auf L = 297, also auf einer widerlegten (und auch von Illig nicht mehr vertretenen) These.
Diese Einlassung verstehe ich nicht. Von wem oder durch was wurde L = 297 widerlegt? Und wie kommen Sie zu Ihrer Behauptung, dass Illig seine Meinung zu L = 297 geändert hätte? Der Ausgangsartikel unserer Debatte sagt das genaue Gegenteil. L = 297 wurde fast von Anfang an vertreten (“Fossil”) und war immer als Arbeitshypothese bzw. Platzhalter gemeint.
Ulrich Voigt:
Sie ist also ohne Grundlage.
So wie ich den Stand der Diskussion einschätze, ist „L = 297“ eine mit anderen Vorschlägen für L (darunter auch Ihr „L = 0“) rivalisierende These. Wir sind doch gerade dabei, solche Thesen zu prüfen. So wie Sie die Hippolyt-Tafel ausgehend von L= 0 deuten, deute ich sie ausgehend von der FZT.
Die Grundlage meiner Überlegungen ist weder a priori noch gemäß dem jetzigen Diskussionsstand schwächer als „L = 0“.
Ulrich Voigt:
Im übrigen ist 541 – 29 = 32 × 16 keineswegs besser als das Strobelsche 221 – 29 = 12 x 16, sondern äquivalent.
Aus zwei Gründen, die aus Strobels eigener Methode folgen, erscheint 541 – 29 = 32 × 16 als besser: (a) Die Gleichung geht vom eigentlichen Beginn des auf der Tafel dargestellten Zyklus aus. Alle anderen Deutungen sind mit Strobels eigener Frage zu konfrontieren, auf welches Datum denn das Kopfjahr verweist. (b) 32 × 16 ist besser als 12 × 16, weil die Zahl 32 in der Tafel selbst eine ausgezeichnete Bedeutung hat.
Ulrich Voigt:
541 entspricht im 8jährigen Zyklus nicht dem Kopfjahr 1 Alexander, sondern dem Jahr davor, denn 541 – 221 = 20 x 16.
L = 297 würde also dazu führen, dass 1 Alexander = 541 n. Chr., was wiederum bedeutet, dass sich die auf der Tafel angegebenen Passadaten um ein Jahr verschieben. Und das kann ja wohl nicht sein!
Sie vergessen hier, dass der Bezug auf Alexander nur aus der Einleitung, nicht aus der Tafel selbst folgt. Deutet man die Tafel ohne zusätzliche inhaltliche Annahmen gemäß Strobels Methode, dann verweist sie eher auf das Jahr 838 (konv.) = 541 (fztheor.) n. Chr. als auf das Jahr 222 n. Chr.
Mit 541 n. Chr. sind wir in der Zeit des Kaisers Justinian. Dafür, dass ein so spätes Jahr für die Hippolyt-Tafel plausibler ist als Ihr 3. Jh., hatte ich im Kommentar vom 30. April 2007 um 08:37 einige Gründe genannt.
Ulrich Voigt:
[Defekt, Scaliger, Ideler, Bianchini]
Von einem Defekt kann man zwar auch dann noch sprechen, wenn es um eine absichtlich in Kauf genommene oder gar gewollte Diskrepanz geht, nicht aber von Dummheit, vielleicht eher von Rafinesse.
Wir brauchen hier keine längst abgehakten Einschätzungen der Hippolyt-Tafel zu diskutieren. Selbstverständlich ist von Raffinesse und nicht von Dummheit auszugehen. Die Frage ist also, warum die betreffende Diskrepanz in Kauf genommen wurde oder gewollt war.
Ulrich Voigt:
[Strobel, Borst, Maier]
Danke für diese nachgetragene Information.
Ich dachte allerdings, dass wir uns in diesem Punkt längst einig waren. Die wenigen Gelehrten, die sich (außer Voigt) auf Strobel berufen haben, waren nur am Strobel’schen Ergebnis (Jesu Todesjahr gleich 7. April 30), nicht an seiner Methode und seiner Analyse antiker Ostertafeln interessiert. (Strobel hat freilich zu diesem Missverständnis ordentlich beigetragen, indem er selbst den Nachweis jener These zu seinem Hauptanliegen erklärt hat.)
Ulrich Voigt:
jb: “Sie folgen aber schon noch der Hartke-Strobel-These, dass die Ostertafeln mit 84-jähriger Periode älter sind als Hippolyt?”
Ja, das erscheint mir zwingend zu sein.
Dann sehen doch auch Sie Hippolyt in einer Zwischenstellung. Es gab offensichtlich vorhippolytische (mit 84-jähriger Periode) und nachhippolytische („dionysische“) Ostertafeln. Mehr hatte ich zunächst einmal nicht gemeint.
Ulrich Voigt:
Julius Africanus
jb: “Illig vermutet seit langem, dass solche Weltären in Zusammenhang mit der konstantinischen Zeitverlängerungsaktion stehen.”
Grumel hat die africanische Weltära auch für die Passatafel des Hippolytus nachgewiesen. In dem Hippolytus zugeschriebene Danielkommentar ist sie ebenfalls verankert. Ich sehe überhaupt keine Veranlassung, die Zahl 5500 nicht zur Ausdeutung der hippolyt. Tafel heranzuziehen.
Das alles wäre freilich im Einzelnen zu analysieren. Bis jetzt sehe ich keine Veranlassung, von der Vermutung, dass Hippolyts Tafel vorfzlich ist, aber durch Hinzufügung eines nachfzlichen einleitenden Kommentars umgedeutet wurde, abzurücken.
Ulrich Voigt:
Und ich sehe keine Chance, diese Tafel in die Zeit des Justinian zu bringen, weder mit herkömmlicher, noch mit gekürzter Chronologie. (Den Versuch 1 Alexander = 541 n.Chr. habe ich gerade widerlegt.)
Wie gesagt: Sie brauchen die Tafel nur einmal für sich zu nehmen, ohne Einleitung. Wenn Sie das unbefangen tun und dann Strobels Methode anwenden, sieht alles auf einmal ganz anders aus.
Verständigungsschwierigkeiten
Es hat mich recht gewundert, dass Sie mein
222 n. Chr. = (1696 – 1474) n. Chr.
nicht verstehen, wohl aber Bianchinis “jenes Jahr, das genau 1474 [Jahre] vor dem gegenwärtigen Jahr 1696 liegt, d.h. im Jahr 222 der christlichen Ära”.
Also noch einmal ganz langsam:
Jahreszahlen “n. Chr.” oder Jahreszahlen ohne Zusatz sind bei mir immer Jahreszahlen der jetzt laufenden Jahreszählung, nach der wir heuer das jahr 2007 schreiben.
Es ist also allgemein
J n. Chr. = (1954 – (1954 – J)) n. Chr.
wobei 1954 (auf der Grundlage sowohl des Julianischen wie auch des Gregorianischen Kalenders) definiert ist durch z.B. “Erstmals fand in diesem Jahr eine Fußballweltmeisterschaft in der Schweiz statt”.
Andererseits bezeichne ich mit “A.D.” die Jahre der sog. dionysischen Jahreszählung, def. durch z.B. 1 A.D. = 754 u.c. oder (äquivalent) durch
532 A.D. = 248 Diokletian.
Beide Zählungen sind unabhängig von eventuellen Phantomzeiten.
Die Länge der Phantomzeit ist
L = J n. Chr. – J A.D. für beliebiges J.
Dagegen finde ich Ihre Schreibweise
838 (konv.) = 541 (fztheor.) n. Chr
äußerst unklar, denn “konv.” ist nicht eindeutig definiert, und “fztheor.” noch viel weniger.
Auf diese Weise schaffen Sie zusätzliche und vollkommen unnötige Probleme, und zwar für sich selbst und für Ihre Leser.
Ich hatte z.B. Ihre Gleichung “838 (konv.) = 541 (fztheor.) n. Chr” gleich falsch verstanden. Meine “Widerlegung” ist also hinfällig.
In “meine” (zur Nachahmung empfohlene) Schreibweise übertragen lautet die Gleichung:
838 n. Chr. = 541 A.D.
Bitte bestätigen Sie das, denn vorher habe ich keine Möglichkeit, dazu inhaltlich Stellung zu nehmen.
L = 297
Offen gesagt hatte ich den Eindruck, dass Illig diese Hypothese (denn um mehr handelt es sich ohnehin nicht) neuerdings ersetzt durch “L ungefähr gleich 300”. Täusche ich mich da?
Ich habe gegen L = 297 ein Argument vorgetragen, auf das ich nur zwei Antworten registriert habe:
(1) Uwe Topper, der mich 1996 (!) wegen eben dieses dieses Arguments vehement angriff und L = 297 verteidigte und der jetzt öffentlich seinen damaligen Gedankenfehler einsieht. Das ist eine äußerst redliche und mutige Reaktion, die umso schwerer wiegt, als Topper bei der Findung von L = 297 maßgeblich beteiligt war. Ich empfand es als unpassend, dass Illig das Eingeständnis Toppers als “Widerruf” bezeichnete. Irren ist menschlich, Einsicht auch, vor allem in der Wissenschaft!
(2) Hunnivari, der behauptet, es habe eine Verschiebung der Schaltjahre um 2 gegeben, so dass L = 190 möglich wird (natürlich nicht L = 297 mit Verletzung des 19jährigen Mondzyklus). Hunnivari denkt dabei an Innozenz III., hat aber (soweit ich weiß) keinerlei Quellen gefunden, die ihn stützen würden.
So, wie die Dinge liegen, hat man die Wahl zwischen (1) und (2). Für L = 297 müsste man vollkommen neu argumentieren, was bislang niemand auch nur versucht hat. Kommentarlos bei L = 297 zu bleiben, kommt mir vor wie “Augen zu und durch” oder wie “credo quia absurdum”, und ist für mich nicht nachzuvollziehen.
Strobel / Grumel
jb: “(Strobel hat freilich zu diesem Missverständnis ordentlich beigetragen, indem er selbst den Nachweis jener These zu seinem Hauptanliegen erklärt hat.)”
Nein, Strobel ist nicht verantwortlich für mangelndes Auffassungsvermögen seiner Leser. Sein Buch ist wunderbar klar und eindeutig formuliert und voller Rücksicht auf Leser, die sich in dem Gebiet noch nicht auskennen.
Dagegen ist Grumel, dem so ziemlich dasselbe passiert ist, viel schwerer zu verstehen, denn er nimmt weniger Rücksicht auf die mathematischen Defizite seiner Leser, sagt auch vieles nur ein einziges Mal und verpackt dazu manche glasklar bewiesene Erkenntnis in das Gewand scheinbarer “Vermutung”. Ich würde sagen: Um Strobel zu verstehen, wird es genügen, sein Buch zweimal durchzuarbeiten, bei Grumel kommt man aber so schnell nicht davon.
541 – 29 = 32 × 16
eigentlich wollte ich dazu erst schreiben, wenn 541 = 541 A,D, feststeht.
Tatsächlich kommt es aber darauf gar nicht an.
Denn:
Nennen wir das Kopfjahr der Tafel 1 A (ich soll ja den Einleitungstext mit A = Alexander ignorieren …), so dass also 1 A mit dem Passamond am 13. april Samstag das Kopfjahr der Tafel darstellt.
Im Jahr 32 A (Passamod 25. märz Freitag) verzeichnet die Tafel den Tod Christi. Die 112jährige Zyklik der Tafel muss zu einem Todesjahr X Christi zurückführen, für das also gelten muss: (32 A – X) mod 112 = 0.
Ich muss hierfür gar nicht voraussetzen, dass X = 29 A.D., das ist für die Widerlegung der Halluzination, die Gleichung 541 – 29 = 32 × 16 würde etwas bedeuten, gar nicht nötig. Diese Gleichung mutiert jedenfalls, wenn wir nicht mehr X = 29 voraussetzen, zu
(1 A – X ) mod 16 = 0 oder meinetwegen zu
(1 A – X ) mod 8 = 0.
Das aber ist nicht möglich, denn es würde für X den Passamond am 13. april nach sich ziehen.
Noch allgemeiner ausgedrückt:
Ein 8jähriger Bezug gleichzeitig von 1 A und von 32 A auf ein und dasselbe Jahr X ist nicht möglich, da (32 – 1) = 31 und 31 mod 8 = 7. Auf der Grundlage der hippolytischen Mondtafel sind aber nur 8jährige Bezüge relevant.
Zurück zu Strobel:
Statt eine Anbindung von 0 Alexander (= 221 A.D.) auf das Todesjahr Christi 29 A.D. herzustellen, hätte er sich mit dem begnügen können, was die Tafel selbst vorschlägt: 32 Alexander – 29 A.D. = 2 x 112. Schließlich ist 32 A = (0 + 32) Alexander mit dem Jahr 221 A.D. zyklisch verbunden, hat aber im Gegensatz zu 221 A.D. den richtigen Wochentag (Freitag).
Ulrich Voigt:
[Zeitrechnung]
Herr Voigt, Sie hatten sehr wohl verstanden, was ich mit der Gleichung 838 (konv.) = 541 (fztheor.) n. Chr. meine. Sie hatten auch entsprechend darauf reagiert. Jetzt ist Ihnen aber ein neues Argument eingefallen und versuchen Sie mit weitschweifigen Ablenkungsmanövern Ihre vorige Reaktion, die zuerst in langem Schweigen und dann in der Bemerkung „Im übrigen ist 541 – 29 = 32 × 16 keineswegs besser als das Strobelsche 221 – 29 = 12 x 16, sondern äquivalent“ bestand, vergessen zu machen. Ich übergehe das jetzt alles, zumal es auch in Wiederholungen führen würde.
Ihr neues Argument ist längst nicht so stark, wie Sie vorgeben. Selbstverständlich ist kein „gleichzeitiger 8jähriger Bezug von 1 A und von 32 A auf ein und dasselbe Jahr X möglich“. Das hätte ich Ihnen gleich sagen können. Ich muss Ihnen zum x-ten Mal empfehlen, das Strobel-Zitat im Kommentar vom 21. April 2007 um 15:10 nachzulesen. Strobel macht dort eben das klar, was Sie hier umständlich wiederholt haben: „1 A“ und „32 A“ passen nicht zusammen. Genau deshalb stellt sich für Strobel die Frage, wo denn das Kopfjahr der Tafel herkommt. Und diese Frage muss er sich stellen, weil gemäß seiner eigenen Methode sonst immer vom Beginn des jeweiligen Zyklus aus zu rechnen ist.
Um das Kopfjahr dann doch noch plausibel zu machen, schlägt Strobel die Gleichung 30 n. Chr. + 16 + 2 × 84 + 8 = 222 n. Chr. vor. So kompliziert muss er es machen, weil er auf das Jahr 222 n. Chr. festgelegt ist. Viel einfacher und schöner ist freilich 541 – 29 = 32 × 16. Man könnte auch schreiben: 16 × 32. Muss ich Ihnen wirklich sagen, was die doppelte Sedecennitas im Zusammenhang mit den Angaben auf der Tafel bedeutet?
Ulrich Voigt:
541 – 29 = 32 × 16
eigentlich wollte ich dazu erst schreiben, wenn 541 = 541 A,D, feststeht.
Tatsächlich kommt es aber darauf gar nicht an.
Eben. Die Frage hatte ich auch längst beantwortet.
Ulrich Voigt:
Nennen wir das Kopfjahr der Tafel 1 A (ich soll ja den Einleitungstext mit A = Alexander ignorieren …),
Sie befreien sich so gedanklich nicht wirklich von der Vorgabe des Einleitungstextes und lassen die Tafel nicht für sich sprechen. Aber wie Sie wollen. Ich mache es auch mit A.
Ulrich Voigt:
Im Jahr 32 A (Passamod 25. märz Freitag) verzeichnet die Tafel den Tod Christi. Die 112jährige Zyklik der Tafel muss zu einem Todesjahr X Christi zurückführen, für das also gelten muss: (32 A – X) mod 112 = 0.
Das ist Ihr eigenes Postulat, bei Strobel finden Sie das nirgendwo. Wenn Sie so rechnen, müssen Sie die Ungenauigkeit der Tafel bei den Monden mitbedenken, die bei 2 × 112 Jahren ca. 10 Tage betragen dürfte (wenn ich Ideler richtig verstehe). Sie könnten natürlich die Bianchini-Korrektur in Anschlag bringen. Das hätte aber wieder weitere Konsequenzen, die den Sinn von (32 A – X) mod 112 beeinträchtigen. Ihr Ansatz ist keineswegs überzeugender als 541 – 29 = 16 × 32.
Auf jeden Fall wäre jetzt über die „raffinierte“ Fehlerhaftigkeit der Tafel zu diskutieren. Diese könnte eventuell verständlich werden aus der Perspektive der Justinianischen Reform und deren Versuch zur Vereinheitlichung der Reichsreligion. Für das 3. Jh. müsste ein historischer Zusammenhang dagegen erst erfunden werden.
Ulrich Voigt:
Ich muss hierfür gar nicht voraussetzen, dass X = 29 A.D., das ist für die Widerlegung der Halluzination, die Gleichung 541 – 29 = 32 × 16 würde etwas bedeuten, gar nicht nötig.
Unterste Rhetorik-Schublade, Herr Voigt! Erst waren Sie dieser vorgeblichen Halluzination offenbar selbst kurzzeitig erlegen, und dann verfahren Sie nach dem Motto: „Wie entwerte ich möglichst schnell und wirksam einen interessanten Gedanken, damit niemand auf die Idee kommt, ihn weiter zu verfolgen?“
Mit solch gewaltsamer, herablassender Rhetorik kommen Sie nicht durch, das schrieb ich Ihnen schon mal. Das ist einfach nicht der Weg, der zur Klärung schwieriger Fragen führt.
Ulrich Voigt:
jb: “(Strobel hat freilich zu diesem Missverständnis ordentlich beigetragen, indem er selbst den Nachweis jener These zu seinem Hauptanliegen erklärt hat.)”
Nein, Strobel ist nicht verantwortlich für mangelndes Auffassungsvermögen seiner Leser. Sein Buch ist wunderbar klar und eindeutig formuliert und voller Rücksicht auf Leser, die sich in dem Gebiet noch nicht auskennen.
Das beantwortet nicht meine obige Bemerkung über Strobel. Außerdem schmälern Sie völlig ohne Not Ihr eigenes Verdienst, das darin besteht, Strobel richtig verstanden zu haben.
Im übrigen hätte ich statt „zu seinem Hauptanliegen“ besser „zu einem Hauptanliegen“ geschrieben. Denn schließlich bleibt Strobel Theologe und darf ihm das bloß historische Interesse nicht zu wichtig werden. Mit seinen eigenen Worten (in den „Vorbemerkungen“, S. 13) hört sich das dann so an:
„Das gesamte Denken der frühen Gemeinde, soweit es sich in den ältesten Kalendern, Osterzyklen und Weltchroniken ausgedrückt hat, war einseitig auf das Geschehen des Messiastodes ausgerichtet. Alle kalendarischen und chronologischen Erwägungen bauten darauf auf. Der Tod Jesu umschloß für ältestes Denken offenbar nicht nur das letzte theologische Geheimnis des Christusglaubens, sondern man bewertete ihn darüber hinaus als den geschichtlich-zeitlichen Höhepunkt, auf den folgerichtig die von Gott gesetzte „Wende der Äonen“ gelegt wurde.
Die Vermutung hat große Wahrscheinlichkeit für sich, daß am Anfang der frühchristlichen Geschichte nicht die phantasievolle Spekulation stand, wie es weitverbreitete Annahme ist, sondern ein gewisses sachbezogenes Bemühen um den Kardinaltermin des Messiastodes.
Im folgenden geht es uns darum, diesen Fragekreis zu erhellen. Die Zeugnisse, die Auskunft geben über die technisch-rechnerische und theologisch-zeugnishafte Struktur der altchristlichen Kalenderüberlieferung, sollen in extenso untersucht werden. Wenn die Frage nach dem Todestermin Jesu zunächst scheinbar ausschließlich die Ausführungen bestimmt, dann geschieht es nicht, um die rein historische Frage, wann Jesus starb, neu aufzuwerfen und die vorhandenen Lösungsversuche um einen weiteren zu vermehren. Die rein historische Frage ist zweifellos letztlich völlig irrelevant. Wohl aber möchten wir uns darum bemühen, die Fülle der in der altchristlichen Literatur bewahrten Angaben und Zeugnisse zu erschließen, um sie von ihrer Mitte her zu interpretieren. Wir fragen nach dem Kerngehalt der christlichen Botschaft, der sich – was einzigartig und erstaunlich genug ist – in rechnerisch-kalendarischen Daten niedergeschlagen hat. Vielleicht vermögen Zahlen noch eindeutiger zu sprechen als Worte. Jedenfalls erhoffen wir uns Aufschluß über einen Glauben, der immer auf ein historisches Geschehen zurückgeführt wurde und dem man sogar die astronomischen Himmelsverhältnisse zugeordnet hat. Dieses Geschehen ist identisch mit dem Todestermin Jesu. Schon das theologische Zeugnis des Paulus spricht im Blick darauf als von der eschatologischen Zeitenwende (s. Gal. 1,4; 2. Kor 5, 17-21).“
Direkt im Anschluss an diese theologische Erklärung zur „letztlich völlig irrelevanten rein historischen Frage“ geht es dann in der nächsten Vorbemerkung (“B. Die historisch-kalendarische Aufgabe“) fast ausschließlich darum, wie „die genaue Festlegung des Todesdatums Jesu“ gelingen könnte. Dort stehen dann schon Sätze wie „Auch wird ein Entscheid wenigstens darüber herbeizuführen sein, welche Passionschronologie, die der Synoptiker oder die des Johannes-Evangeliums, die historisch wahrscheinlichere ist“, „Wir sind darüber hinaus genötigt, die verschiedenen altkirchlichen Zeugnisse über das Kalenderdatum des Todes Jesu zu sammeln […]“ oder „Am Ende mag ein Gesamtbild der traditionsgeschichtlichen Probleme des frühchristlichen Kalenders stehen, wobei wir seiner zahlenmäßigen Grundlage in Gestalt des Todestermins Jesu besondere Aufmerksamkeit zuwenden“. Letztere Formulierung beschreibt die Aufgabe, der sich das Buch dann widmen wird.
Dass für einen Historiker wie Borst die „rein historische Frage“ nicht „letztlich völlig irrelevant“ sein kann, leuchtet ein. Kein Wunder, dass er sich nicht in Strobel vertieft, sondern nur das für ihn interessante Ergebnis dessen historischer Bemühungen übernimmt.
jb: “Jetzt ist Ihnen aber ein neues Argument eingefallen”
Mein neues Argument stammt von Eduard Schwartz (1902) und wurde besonders von Venance Grumel (1958) vertieft. Natürlich war es Strobel wohlbekannt. Ich hatte bislang keine Lust zu diesem Argument, da ich immer noch versuche, auf der Linie von Bianchini / Cassini zu argumentieren.
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jb: ” Selbstverständlich ist kein „gleichzeitiger 8jähriger Bezug von 1 A und von 32 A auf ein und dasselbe Jahr X möglich“. Das hätte ich Ihnen gleich sagen können.”
Dann war Ihnen also auch schon der Widerspruch bewusst, auf den Ihre These führt?
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jb: “Genau deshalb stellt sich für Strobel die Frage, wo denn das Kopfjahr der Tafel herkommt. Und diese Frage muss er sich stellen, weil gemäß seiner eigenen Methode sonst immer vom Beginn des jeweiligen Zyklus aus zu rechnen ist.”
Der Gedanke Strobels ist, dass die Ostertafeln zyklisch zurückweisen zum geglaubten Passionsjahr. Strobel stellte fest, dass der Bezug stets über die Kopfjahre erfolgt. Das “Stets” ist aber, wie alles in der Geschichte, ein Erfahrungswert, kein Dogma. Wenn nun die hippolytische Tafel etwas anders gestrickt sein sollte als die anderen Tafeln, so würde das Strobels Theorie überhaupt nicht beeinträchtigen.
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jb: “Viel einfacher und schöner ist freilich 541 – 29 = 32 × 16.”
Zunächst einmal müssen Sie die Möglichkeit nachweisen, dann erst dürfen Sie sich über die Schönheit des Ergebnisses freuen.
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jb: “Sie befreien sich so [es geht darum, das Kopfjahr der Tafel als 1 A zu bezeichnen] gedanklich nicht wirklich von der Vorgabe des Einleitungstextes und lassen die Tafel nicht für sich sprechen.”
Nanu? Spricht die Tafel zu Ihnen nicht auch von Jahren, die man von 1 bis 112 durchzählen muss?
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(32 A – X) mod 112 = 0
jb: “Das ist Ihr eigenes Postulat, bei Strobel finden Sie das nirgendwo.”
Wie bereits gesagt: Das Postulat stammt von Schwartz / Grumel. Strobel (1977, S. 133) bezieht sich darauf, wenngleich ziemlich lustlos.
Strobel kam hier an eine Grenze, denn er sah nicht, wie er die Zahlen 29 und 30 unter einen Hut bringen könnte. Seine Behandlung des Hippolytus ist daher einseitig und vorläufig.
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jb: “Wenn Sie so rechnen, müssen Sie …”
Ich empfehle Ihnen dazu, Grumel (1958) zu lesen.
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jb: “Auf jeden Fall wäre jetzt über die „raffinierte“ Fehlerhaftigkeit der Tafel zu diskutieren.”
Nein, dazu fehlt uns noch rundherum die Grundlage.
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jb: “Diese könnte eventuell verständlich werden aus der Perspektive der Justinianischen Reform …”
Wie schnell Sie ein Phänomen glauben verständlich machen zu können, das Ihnen noch gar nicht klar vor Augen steht! Sie unterschätzen einfach das Objekt!
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jb: “Erst waren Sie dieser vorgeblichen Halluzination offenbar selbst kurzzeitig erlegen,”
War ich das?
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[Strobel: “Die rein historische Frage ist zweifellos letztlich völlig irrelevant.”]
jb: “Dass für einen Historiker wie Borst die „rein historische Frage“ nicht „letztlich völlig irrelevant“ sein kann, leuchtet ein. Kein Wunder, dass er sich nicht in Strobel vertieft, sondern nur das für ihn interessante Ergebnis dessen historischer Bemühungen übernimmt. ”
Da wäre Borst aber gar leichtsinnig über das Wörtchen “letztlich” hinweggegangen!
Und wie könnte man eigentlich ein Ergebnis übernehmen, ohne nach seiner Begründung zu fragen?
Obwohl Strobel die rein historischen Belange als letztlich irrelevant einstufte, war er in der Lage, die (historische) Chronologieforschung des 20. Jahrhunderts einen entscheidenden Schritt weiter zu bringen. “Mehr sein als schein …”
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Strobel: “Wir fragen nach dem Kerngehalt der christlichen Botschaft, der sich – was einzigartig und erstaunlich genug ist – in rechnerisch-kalendarischen Daten niedergeschlagen hat.”
Ja, so dachte Strobel, der davon überzeugt war, einen wesentlichen Beitrag zur Aufhellung des Kerngehalts der christlichen Botschaft geleistet zu haben, – und der mich, der ich doch religiös so gleichgültig bin, wie man nur sein kann, zu meinem unendlichen Erstaunen darin einbezog.
Von dieser Idee her bezog Strobel jedenfalls die Intuition für seine scharfsinnige Analyse und die Energie, die für ihre detaillierte Ausarbeitung dann notwendig war.
Hippolytus: Bedingungen
(2 A – Y) mod 112 = 0, wobei Y = Inkarnationsjahr.
(32 A – X) mod 112 = 0, wobei X = Passionsjahr,
Das sind die beiden Bedingungen, die sich aus den Einträgen der Tafel zu den Jahren 2 A und 32 A ergeben.
Etwas weniger formal ausgedrückt:
Subtrahiert man von 2 A bzw. 32 A fortlaufend 112 Jahre, so muss man auf Jahre stoßen, die für Inkarnation bzw. Passion Sinn machen.
1 A = 222 A.D. erfüllt diese Forderung, denn es führt auf
Y = (2 – 2 x 112) A = -1 A.D.
und
X = (32 – 2 x 112) A = 29 A.D.
Und weiter mit Grumel (bzw. Julius Africanus):
Y = 5500 W muss auf ein Jahr 1 W zurückführen, das (auf der Grundlage der 112jährigen Zyklik) für das Jahr 1 W der Weltschöpfung Sinn macht.
1 A = 222 A.D. erfüllt diese Forderung, denn es führt auf
1 W = -5500 A.D., Passamond 5. april (Sonntag), eine sinnvolle Konstellation für 1 W.
Irgendetwas Vergleichbares muss bei jedweder Umdatierung der Tafel erwartet werden.
Das sind Bedingungen, die Bianchini / Cassini noch nicht gesehen haben.
Sie stammen aber auch nicht von mir, sondern sind längst etabliert.
838 n. Chr. versus 222 n. Chr.
In der Überlegung Cassinis, die ganz klar auf die Neumonde beschränkt ist, spielt das Jahr 838 n. Chr. keine Rolle. Wahrscheinlich hat Bianchini nicht anders gerechnet als Cassini, denn nach allgemeiner Ansicht der Experten ist stets der Neumond die rechnerische Grundlage der Mondtafeln. Ich weiß nicht einmal, ob für den Vollmond fertige Tabellen zur Verfügung standen.
Andererseits ist auf der hippolyt. Tafel nur vom Vollmond die Rede und dementsprechend schreibt Bianchini auch nur über den Vollmond. Da es nicht wirklich bekannt ist, wie die Tafel errrechnet worden ist, wäre eine Denkmöglichkeit, dass man den Vollmond direkt berechnet hätte und dass Bianchini ebenfalls so vorgegangen sei.
In dem Falle muss ihm das Jahr 838 begegnet sein als einzigem Jahr in der Spur, bei dem ebenfalls 13. april Samstag taggenauer Vollmond.
Da ich an einer historischen Arbeit über Bianchini sitze (“Francesco Bianchini und das Problem der Phantomzeit”), stellt sich mir die Frage, ob Bianchini in der Lage gewesen wäre, die Denkmöglichkeit 1 Alexander = 838 n. Chr. auszuschließen.
Nur deshalb interessiert mich die Gleichung 1 Alexander = 838 n. Chr.
Ich bin zu dem Schluss gekommen, dass Bianchini zwar 1 Alexander = 222 n. Chr. als die deutlich bessere Lösung hätte begründen können, 1 Alexander = 838 n. Chr. aber nicht vollkommen ausschließen.
Um 1 Alexander = 838 n. Chr. wirklich auszuschließen, hätte Bianchini “seine” Methode auch auf die (ihm bekannte) Tafel von Ravenna anwenden und dann über den zyklischen Zusammenhang der alexandrinischen und hippolytischen Tafel nachdenken müssen. Er hat das nicht getan, wäre aber dazu ohne weiteres in der Lage gewesen.
Das Jahr 838 n. Chr. hat also bei mir die Funktion, das Potential des Gedankenansatzes Bianchinis auszuloten.
Ulrich Voigt:
jb: ” Selbstverständlich ist kein „gleichzeitiger 8jähriger Bezug von 1 A und von 32 A auf ein und dasselbe Jahr X möglich“. Das hätte ich Ihnen gleich sagen können.”
Dann war Ihnen also auch schon der Widerspruch bewusst, auf den Ihre These führt?
Herr Voigt, es ist doch nicht meine These, die auf einen Widerspruch führt! Auch wenn es langsam ärgerlich werden sollte: Ich muss ein weiteres Mal auf das Strobel-Zitat im Kommentar vom 21. April verweisen. Seit ich es angeführt habe, bestehe ich Ihnen gegenüber auf den dort von Strobel problematisierten Widerspruch. Lesen Sie doch bitte noch einmal nach. Der Widerspruch steckt in der Hippolyt-Tafel selbst.
Ulrich Voigt:
jb: “Genau deshalb stellt sich für Strobel die Frage, wo denn das Kopfjahr der Tafel herkommt. Und diese Frage muss er sich stellen, weil gemäß seiner eigenen Methode sonst immer vom Beginn des jeweiligen Zyklus aus zu rechnen ist.”
Der Gedanke Strobels ist, dass die Ostertafeln zyklisch zurückweisen zum geglaubten Passionsjahr. Strobel stellte fest, dass der Bezug stets über die Kopfjahre erfolgt. Das “Stets” ist aber, wie alles in der Geschichte, ein Erfahrungswert, kein Dogma. Wenn nun die hippolytische Tafel etwas anders gestrickt sein sollte als die anderen Tafeln, so würde das Strobels Theorie überhaupt nicht beeinträchtigen.
Es geht doch gerade nicht darum, dass Strobels Theorie durch die Hippolyt-Tafel beeinträchtigt wäre. Im Gegenteil ist die Hippolyt-Tafel unter Voraussetzung der Strobelschen Theorie zu deuten. Wenn dann Widersprüche auftreten – was offensichtlich der Fall ist –, sind dafür Erklärungen oder Lösungen zu finden.
Ulrich Voigt:
jb: “Viel einfacher und schöner ist freilich 541 – 29 = 32 × 16.”
Zunächst einmal müssen Sie die Möglichkeit nachweisen, dann erst dürfen Sie sich über die Schönheit des Ergebnisses freuen.
Warum so säuerlich? „541 – 29 = 32 × 16“ ist nicht weniger möglich oder unmöglich als Strobels „30 n. Chr. + 16 + 2 × 84 + 8 = 222 n. Chr.“ Außerdem ist es einfacher, berücksichtigt die zentrale Bedeutung der doppelten Hekkaidekaëteris für die Tafel und verweist auf das richtige Jahr 29. Dass zu anderen Angaben der Tafel Widersprüche vorhanden sind, gilt für beide Gleichungen.
Ulrich Voigt:
(32 A – X) mod 112 = 0
jb: “Das ist Ihr eigenes Postulat, bei Strobel finden Sie das nirgendwo.”
Wie bereits gesagt: Das Postulat stammt von Schwartz / Grumel. Strobel (1977, S. 133) bezieht sich darauf, wenngleich ziemlich lustlos.
Sie können eigentlich nur diesen Strobel-Passus meinen:
„In der Erklärung der technischen Struktur des Kanons hat wohl Schwartz eine weithin zutreffende Erklärung gegeben. Er meint, daß Hippolyt von seinem Passionsdatum im Zyklus 30 Jahre zurückging und somit für die genesis Christou auf den 2. April 2 v. Chr. kam. Dieses Monatsdatum disharmoniere jedoch so völlig mit dem 25. Dezember, daß der Schluß unausweichlich sei, der Bischof habe das winterliche Weihnachtsdatum und Weihnachtsfest nicht gekannt. Die Stelle, an der der 25. Dezember vorzukommen scheint (sc. Comm. in Dan. IV, 33 Cod. A und Chalki-Hs.), beweist – was mit Recht betont wird – gegen die Überlieferung der Statue nichts. Sie ist interpoliert.
Zum Passionsdatum wird bemerkt, daß Hippolyt natürlich eine glänzende Bestätigung seines Zyklus darin sah, daß nach ihm der Vollmond auf den 25. März (29. n. Chr.) fiel und eben dieser Tag ein Freitag war.“
Anschließend erinnert Strobel kurz an seine eigene, abweichende These, die auf die Gleichung „222 – 30 = 192“ abhebt.
Ulrich Voigt:
Strobel kam hier an eine Grenze, denn er sah nicht, wie er die Zahlen 29 und 30 unter einen Hut bringen könnte. Seine Behandlung des Hippolytus ist daher einseitig und vorläufig.
In diesem Punkt sind wir uns einmal einig.
Ulrich Voigt:
jb: “Wenn Sie so rechnen, müssen Sie …”
Ich empfehle Ihnen dazu, Grumel (1958) zu lesen.
Es sollte doch möglich sein, mit einigen Sätzen wenigstens anzudeuten, in welche Richtung Grumels Lösung geht.
Ulrich Voigt:
jb: “Auf jeden Fall wäre jetzt über die „raffinierte“ Fehlerhaftigkeit der Tafel zu diskutieren.”
Nein, dazu fehlt uns noch rundherum die Grundlage.
Sprach der Esoteriker und Zahlenmystiker. Sie meinen wohl, es fehlt das Einverständnis über gewisse Prämissen, von denen aus die Hippolyt-Tafel Ihrer Ansicht nach zu deuten ist. (Alles andere sollte doch zumindest andeutungsweise darstellbar sein.)
Ulrich Voigt:
jb: “Diese könnte eventuell verständlich werden aus der Perspektive der Justinianischen Reform …”
Wie schnell Sie ein Phänomen glauben verständlich machen zu können, das Ihnen noch gar nicht klar vor Augen steht! Sie unterschätzen einfach das Objekt!
Wie schlecht Sie doch lesen! Ich schrieb: „könnte eventuell verständlich werden“, nicht: „Ich kann hier und jetzt verständlich machen“.
Ich kenne das „Objekt“ nicht wie Sie aus direkter Beobachtung, sondern nur indirekt durch Ideler, Strobel (1977) und Voigt. Soweit Idelers Darstellung nicht zutreffen oder ausreichen sollte, ließen sich für das Verständnis wichtige Informationen hier doch nachtragen.
Meine bisherige Einschätzung ist, dass die Tafel versucht, mehrere Traditionen der Osterberechnung zu integrieren. Ein solches Anliegen könnte die spannungsvolle Widersprüchlichkeit und die „raffinierte Fehlerhaftigkeit“ der Tafel erklären (eine Vermutung, die durch gründlichere Analyse zu erhärten wäre). Hippolyts Tafel bildet damit eine Vorstufe zu DE. Zwischen diesem und einer alten komputistischen Tradition, die mit der 84-jährigen Periode rechnet, nimmt sie eine Zwischenstellung ein. Anders als DE, dem mehr an Komputistik im eigentlichen Sinn gelegen ist, geht es in der Hippolyt-Tafel eher um ein religiös-theologisches Programm.
Mich würde interessieren, ob Sie aus Ihrer viel gründlicheren Kenntnis der einschlägigen komputistischen Literatur heraus diese Einschätzung teilen.
Ulrich Voigt:
[Strobel: “Die rein historische Frage ist zweifellos letztlich völlig irrelevant.”]
jb: “Dass für einen Historiker wie Borst die „rein historische Frage“ nicht „letztlich völlig irrelevant“ sein kann, leuchtet ein. Kein Wunder, dass er sich nicht in Strobel vertieft, sondern nur das für ihn interessante Ergebnis dessen historischer Bemühungen übernimmt. ”
Da wäre Borst aber gar leichtsinnig über das Wörtchen “letztlich” hinweggegangen!
Borst wäre Theologe oder Philosoph und nicht Historiker geworden, wenn er gemeint hätte, Geschichte sei „letztlich völlig irrelevant“.
Übrigens: Strobels theologische, „letztlich“ abschätzige Haltung gegenüber historischer Wahrheit war auch die des Mittelalters.
Ulrich Voigt:
Und wie könnte man eigentlich ein Ergebnis übernehmen, ohne nach seiner Begründung zu fragen?
Indem man das Ergebnis auch so glaubt. Wenn ohnehin Einigkeit herrscht, muss nicht mehr nach Gründen gefragt werden. Liegen diese dann außerdem noch in einer schon auf den ersten Blick durch Gelehrtheit und Gediegenheit überzeugenden Arbeit vor, dann darf man sich in seiner Meinung dankbar bestätigt fühlen.
Ulrich Voigt:
Hippolytus: Bedingungen
(2 A – Y) mod 112 = 0, wobei Y = Inkarnationsjahr.
(32 A – X) mod 112 = 0, wobei X = Passionsjahr,
Das sind die beiden Bedingungen, die sich aus den Einträgen der Tafel zu den Jahren 2 A und 32 A ergeben.
Sie ergeben sich in der Tat aus den „Einträgen der Tafel“, nicht aus der Tafel selbst.
Etwas weniger formal ausgedrückt:
Subtrahiert man von 2 A bzw. 32 A fortlaufend 112 Jahre, so muss man auf Jahre stoßen, die für Inkarnation bzw. Passion Sinn machen.
1 A = 222 A.D. erfüllt diese Forderung, denn es führt auf
Y = (2 – 2 x 112) A = -1 A.D.
und
X = (32 – 2 x 112) A = 29 A.D.
Hier liegt also ein erklärungsbedürftiger Widerspruch zu Strobels Theorie vor.
Ulrich Voigt:
Und weiter mit Grumel (bzw. Julius Africanus):
Y = 5500 W muss auf ein Jahr 1 W zurückführen, das (auf der Grundlage der 112jährigen Zyklik) für das Jahr 1 W der Weltschöpfung Sinn macht.
1 A = 222 A.D. erfüllt diese Forderung, denn es führt auf
1 W = -5500 A.D., Passamond 5. april (Sonntag), eine sinnvolle Konstellation für 1 W.
Irgendetwas Vergleichbares muss bei jedweder Umdatierung der Tafel erwartet werden.
Diesen Punkt hatten wir bereits: „Africanus benutzt auch schon eine Schöpfungsära. Illig vermutet seit langem, dass solche Weltären in Zusammenhang mit der konstantinischen Zeitverlängerungsaktion stehen. Hier wären also die wenigen Überreste der Werke des Africanus, die Handschriftenlage und die auf Africanus Bezug nehmenden Texte zu prüfen.“
Ulrich Voigt:
Das sind Bedingungen, die Bianchini / Cassini noch nicht gesehen haben.
Sie stammen aber auch nicht von mir, sondern sind längst etabliert.
Als Rhetoriker bleiben Sie unschlagbar.
Strobel / Hippolytus
Einen Widerspruch kann ich in Strobels Ausdeutung der Tafel nicht erkennen.
222 – 30 = 12 x 16
ist eine sehr einfache und gerade Beziehung, die auch ich nicht von der Hand weisen kann.
Die Gleichung
222 – 30 = 16 + 2 x 84 + 8
ist dann dem Versuch geschuldet, diesen Bezug an eine mutmaßliche Benutzung der 84jährigen Tafel anzubinden.
Und an 253 – 29 = 2 x 112 führ kein Weg vorbei.
Wenn nun die Tafel einerseits auf das Jahr 30, andererseits auf das Jahr 29 als Passionsjahr verweist, ist nach meiner Einschätzung kein Widerspruch. Warum soll die Tafel neben dem kalendarischen nicht auch das historische Passionsjahr führen?
Vielleicht kommt eine solche Kompliziertheit uns merkwürdig vor, das mag sein. Aber ob das relevant ist?
Andererseits lässt sich die Anbindung des Kopfjahres an 29 A.D. vermöge 541 – 29 = 32 x 16 (wie Sie es mit der Hypothese 1 A = 541 A.D. vorschlagen) mit dem auf der Tafel vermerkten Bezug zwischen 32 A und X viel schwerer vertreten, denn sie setzt für dieses Jahr X zwei unterschiedliche Passadaten (den 13. april und den 25. märz). Und dafür hätte ich keine Erklärung, sehe vielmehr einen klaren Widerspruch.
—————————————
jb: “Sie können eigentlich nur diesen Strobel-Passus meinen: “Zum Passionsdatum wird bemerkt, daß Hippolyt natürlich eine glänzende Bestätigung seines Zyklus darin sah, daß nach ihm der Vollmond auf den 25. März (29. n. Chr.) fiel und eben dieser Tag ein Freitag war.“
Ja, hier bezieht sich Strobel auf Eduard Schwartz, der in diesem Bezug das “Glanzstück” der hippolyt. Komputistik sah.
Entwicklung der spätantiken Komputistik
jb: “Meine bisherige Einschätzung ist, dass die Tafel versucht, mehrere Traditionen der Osterberechnung zu integrieren. Ein solches Anliegen könnte die spannungsvolle Widersprüchlichkeit und die „raffinierte Fehlerhaftigkeit“ der Tafel erklären (eine Vermutung, die durch gründlichere Analyse zu erhärten wäre). Hippolyts Tafel bildet damit eine Vorstufe zu DE. Zwischen diesem und einer alten komputistischen Tradition, die mit der 84-jährigen Periode rechnet, nimmt sie eine Zwischenstellung ein. Anders als DE, dem mehr an Komputistik im eigentlichen Sinn gelegen ist, geht es in der Hippolyt-Tafel eher um ein religiös-theologisches Programm.”
Ja, das könnte man so sehen, jedenfalls hinsichtlich der 84jährigen Tafel, von der allerdings herzlich wenig Sicheres feststeht.
Andererseits bin ich der Ansicht, dass die dionysische Mondtafel zumindest genau so alt ist wie die des Hippolytus. Grumel hat das gut begründet. Ich habe dazu weiteren Beweis gefunden.
Alle Aussagen über die Entwicklung der spätantiken Komputistik sind damit schwierig geworden.
Mich würde interessieren, ob Sie aus Ihrer viel gründlicheren Kenntnis der einschlägigen komputistischen Literatur heraus diese Einschätzung teilen.
Illig / Africanus
jb: “Illig vermutet seit langem, dass solche Weltären in Zusammenhang mit der konstantinischen Zeitverlängerungsaktion stehen. Hier wären also die wenigen Überreste der Werke des Africanus, die Handschriftenlage und die auf Africanus Bezug nehmenden Texte zu prüfen.“”
Ich hoffe stark, dass bei dieser Prüfung die Tafel des Hippolytus hinreichend berücksichtigt wird.
Strobel / Borst
jb: “Borst wäre Theologe oder Philosoph und nicht Historiker geworden, wenn er gemeint hätte, Geschichte sei „letztlich völlig irrelevant“.”
Darum geht es doch gar nicht. Ein Dedektiv mag der Ansicht sein, dass Verbrechen “letztlich irrrelevant” sind. Das muss ihn nicht hindern, ein exzellenter und kreativer Spürensucher zu sein.
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[Und wie könnte man eigentlich ein Ergebnis übernehmen, ohne nach seiner Begründung zu fragen?]
jb:” Indem man das Ergebnis auch so glaubt.”
Die Rede ist von einem Ergebnis, das sozusagen seit Jahrtausenden umstritten ist, und für das Strobel einen neue Lösungsmethode vorgeschlagen und in Anwendung gebracht hat. Und die Rede ist von Arno Borst, der für sich in Anspruch nahm, an vorderster Front die zeitgenössische Chronologieforschung zu vertreten.
Borst und Illig über Dionysius Exiguus
Borst (2006, S. 1059) schreibt:
“Da dieser erste Zyklus nach Dionysius (Dionysius Lib.) im Jahr vor Christi Geburt begann, […]”
und Illig ZS 2007, S. 168:
“Dionysius weist immerhin darauf hin, der erste Osterzyklus habe im Jahr 1 v. Chr. begonnen [B. 1059]”
Ein Missverständnis! Dionysius hat sich über den Beginn der Ära, die von seiner neuen Jahreszählung impliziert ist, überhaupt nicht geäußert. Andernfalls bräuchten wir nicht über die Frage nachzudenken, wie er das Jahr vor dem Jahr 1 A.D. bezeichnet hätte.
Dass dem Jahr 532 A.D. ein 532jähriger großer Osterzyklus vorausgeht und dass dieser im Jahr vor dem Jahr 1 A.D. beginnt, sind Schlussfolgerungen aus der dionysischen Ostertafel.
Der erste große Osterzyklus in der Aachener Enzyklopädie von 809
Borst (2006, S. 1059) schreibt:
“[…] eignete er [der rückgerechnete 532jährige Osterzyklus] sich für Notizen zur universalen und klassischen Chronologie römischer Kaiser und Päpste.”
Dazu ist kritisch anzumerken, dass “eignete sich zu” zwar zutreffen mag, Borst aber kein Beispiel gibt (und vermutlich auch nicht geben kann), wo dies tatsächlich geschehen wäre.
Er deutet ebenda an, dass die Aachener Enzyklopädie ein Beispiel sei:
“Sie gab nach Beda den laufenden Osterzyklus der Jahre 532 bis 1063 nach Christi Geburt wieder, rechnete aber auch den vorangegangenen nach, wohl erstmals in der Geschichte der Komputistik.”
Hier geht es aber nur um das Errechnen von Ostergrenzen vor dem Jahr 532, keineswegs um so etwas wie Annalistik der römischen Kaiser und Päpste.
Hätte man den Zyklus vollständig aufschreiben wollen, so hätte es dabei nichts zu rechnen gegeben, da sämtliche 532jährigen Zyklen ja identisch sind. Man hätte nur den bereits fertigen Zyklus mit neuen Jahreszahlen versehen müssen. Die Formulierung “rechnete aber auch den vorangegangenen nach” ist also ziemlich irreführend.
Tatsächlich sieht man auf S. 1223, dass es nur punktuell um bestimmte Jahre ging, um nämlich zu erweisen, dass die Ostergrenze 18. april möglich ist. Es sind dies die Jahre: 40 ante, sowie 234, 329 post nativitatem Domini. Für diese Jahre musste nun allerdings gerechnet werden. Und, siehe da, alle Rechenergebnisse sind falsch! Das wäre nicht passiert, wenn man sich die Mühe gemacht hätte, den vorliegenden Zyklus mit den früheren Jahresangaben vollständig auszuschreiben. Die nächsten Beispiele (die Jahre 577, 672, 919) sind dann richtig gerechnet, das (zukünftige?) Jahr 1040 aber wieder falsch. Sehr merkwürdig.
Illig schreibt (ZS 2007 1, S. 169):
“Beda Venerabilis rechnet nicht nur den 532er-Zyklus von 532–1063, sondern auch den vorigen, wie dann auch die Aachener Enzyklopädie [B. 1059].”
Aber das behauptete Borst, wie gerade gezeigt, ausdrücklich nicht.
Aachener Enzyklopädie
Aachener Enzyklopädie [b]Korrektur[/b]
Die Jahreszahlen 40 ante und 1040 post in meinem Text sind falsch und müssen durch 14 ante und 1014 post nativitatem Domini ersetzt werden.
Damit vereinfacht sich der (immer noch merkwürdige) Befund:
Die Ostergrenzen der Jahre vor 532 (j = -13, 234, 329) sind alle auf dem 30. märz,
Die Ostergrenzen der Jahre ab 532 (j = 577, 672, 111919, 1014) sind alle auf dem 18 april.
Der Text behauptet für alle den 18. april (XIIII. kal. Maii).
Ulrich Voigt:
Strobel / Hippolytus
Einen Widerspruch kann ich in Strobels Ausdeutung der Tafel nicht erkennen.
222 – 30 = 12 x 16
ist eine sehr einfache und gerade Beziehung, die auch ich nicht von der Hand weisen kann.
Die Gleichung
222 – 30 = 16 + 2 x 84 + 8
ist dann dem Versuch geschuldet, diesen Bezug an eine mutmaßliche Benutzung der 84jährigen Tafel anzubinden.
Und an 253 – 29 = 2 x 112 führ kein Weg vorbei.
Wenn nun die Tafel einerseits auf das Jahr 30, andererseits auf das Jahr 29 als Passionsjahr verweist, ist nach meiner Einschätzung kein Widerspruch.
Zwei Passionsjahre eines einzigen Jesus? Das ist zuviel des Guten. Das muss erklärt werden.
Ulrich Voigt:
Warum soll die Tafel neben dem kalendarischen nicht auch das historische Passionsjahr führen?
Sehen wir das, was Sie hier tun, doch einmal vom methodischen Standpunkt. Dann wird doch erkennbar, dass Sie (bzw. Strobel) mit der Unterscheidung eines „kalendarischen“ und eines „historischen“ Passionsjahres bereits einen Lösungsvorschlag für ein Problem anbieten, das sich ohne weiteres und ohne diese versuchte Lösung zunächst einmal als Widerspruch darstellt.
Es ist m. A. n. wichtig, das zu sehen, denn nur wenn wir methodisch korrekt vorgehen, kommen wir weiter und erkennen wichtige Einzelheiten.
Zum Beispiel drängt sich jetzt die Frage auf, ob denn jene Unterscheidung zweier Arten von Passionsjahren auch von anderen Ostertafeln bekannt ist, ob sie die einzig denkbare Lösung ist usw.
Weiter wird der Umstand auffällig, dass der Widerspruch einer ist zwischen der Tafel selbst und den „Einträgen der Tafel“. Auch in diese Richtung wäre weiter zu überlegen. Es ist ja zum Beispiel nicht auszuschließen, dass die Einträge von derselben Hand stammen, die auch den mutmaßlich späteren Einleitungstext mit seinem Bezug auf einen basileus und kaisar Alexander verfasst hat. Aber das ist nur eine unter mehreren Möglichkeiten.
Ulrich Voigt:
Vielleicht kommt eine solche Kompliziertheit uns merkwürdig vor, das mag sein. Aber ob das relevant ist?
Ja, das ist relevant, selbstverständlich. Wir wollen doch nicht von vorneherein die Möglichkeit ausschließen, dass wir irgendwann etwas verstehen könnten. Der antike Mensch war ja keine fremdartige Tiergattung eines unbekannten Planeten, sondern ein trieb-, hirn- und herzgesteuertes Wesen wie wir.
Plausibel erscheint mir allerdings, dass die innere Komplexität oder Mehrdeutigkeit der Tafel gewollt war. Das ist wohl auch Ihre Meinung. Zu diskutieren wäre dann freilich, warum das so sein könnte (siehe unten).
Ulrich Voigt:
Andererseits lässt sich die Anbindung des Kopfjahres an 29 A.D. vermöge 541 – 29 = 32 x 16 (wie Sie es mit der Hypothese 1 A = 541 A.D. vorschlagen) mit dem auf der Tafel vermerkten Bezug zwischen 32 A und X viel schwerer vertreten, denn sie setzt für dieses Jahr X zwei unterschiedliche Passadaten (den 13. april und den 25. märz). Und dafür hätte ich keine Erklärung, sehe vielmehr einen klaren Widerspruch.
Damit stünde also zunächst einmal Widerspruch gegen Widerspruch.
Lösungsmöglichkeiten für den jetzigen: (1.) Die Unterscheidung eines „kalendarischen“ von einem „historischen“ Passionsdatum (m. A. n. hier so unwahrscheinlich wie oben). (2) Die Kopfjahre der Ostertafeln verweisen zwar auch sonst auf das Passionsjahr, stimmen aber nicht immer im genauen Datum überein. (3.) Der Widerspruch besteht zwischen der Tafel selbst und den – möglicherweise späteren – Einträgen. (4.) Die Mehrdeutigkeit der Tafel ist beabsichtigt (siehe unten).
Ulrich Voigt:
Entwicklung der spätantiken Komputistik
jb: “Meine bisherige Einschätzung ist, dass die Tafel versucht, mehrere Traditionen der Osterberechnung zu integrieren. Ein solches Anliegen könnte die spannungsvolle Widersprüchlichkeit und die „raffinierte Fehlerhaftigkeit“ der Tafel erklären (eine Vermutung, die durch gründlichere Analyse zu erhärten wäre). Hippolyts Tafel bildet damit eine Vorstufe zu DE. Zwischen diesem und einer alten komputistischen Tradition, die mit der 84-jährigen Periode rechnet, nimmt sie eine Zwischenstellung ein. Anders als DE, dem mehr an Komputistik im eigentlichen Sinn gelegen ist, geht es in der Hippolyt-Tafel eher um ein religiös-theologisches Programm.”
Ja, das könnte man so sehen, jedenfalls hinsichtlich der 84jährigen Tafel, von der allerdings herzlich wenig Sicheres feststeht.
Wenn hier wirklich Einigkeit bestehen sollte, wäre das aus meiner Sicht ein wichtiges Zwischenergebnis.
Zwei weitere Fragen stellten sich dann: (1) Welche Traditionen werden wie und warum aufgegriffen und in der Tafel miteinander vermittelt? (2) Wie ist das Ganze zeitlich bzw. historisch einzuordnen? Mit welchen sonst bekannten politischen und/oder religiösen Entwicklungen könnte es zusammenhängen?
Bei der Beantwortung dieser Fragen liegen wir offensichtlich weit auseinander (ca. 300 Jahre …).
Ulrich Voigt:
Andererseits bin ich der Ansicht, dass die dionysische Mondtafel zumindest genau so alt ist wie die des Hippolytus. Grumel hat das gut begründet. Ich habe dazu weiteren Beweis gefunden.
Ich meine zwar, einige der Gründe bereits gelesen zu haben, aber vielleicht sollten Sie das an dieser Stelle doch noch ein wenig ausführen?
Ulrich Voigt:
Alle Aussagen über die Entwicklung der spätantiken Komputistik sind damit schwierig geworden.
Diesen Umstand macht sich die FZT zunutze.
Aus fztheoretischer Perspektive könnten die Dinge so aussehen, dass die Tafel des Hippolyt mit Justinians Katholizismus und dessen Durchsetzung als Reichsreligion zusammenhängt – war doch das katholische, also integrative Anliegen das gleiche. Das Kopfjahr der Tafel wäre dann 838 (konv.) n. Chr. = 541 (fztheor.) n. Chr. = 1112 BP. (Zur BP-Datierung siehe die FAQ, http://www.fantomzeit.de/?page_id=61, Frage 5. Ich bleibe vorerst bei den üblichen Schreibweisen „n. Chr.“ und „BP“, weil mir scheinen will, dass Voigts mit Hilfe der Diokletiansära definierte A. D.-Zeitrechnung ein Konstrukt des DE ist, das eine problematische Voraussetzung enthält und außerdem erst nach Hippolyt in Gebrauch kam.)
Mit der obigen Hypothese aber wäre die geforderte Nähe zu DE gegeben – auch wenn dieser vermutlich eher der nachfzlichen Zeitverlängerungsaktion des Konstantin VII. zuzuordnen ist. Der Eindruck der Gleichzeitigkeit ließe sich dann durch den mutmaßlich ebenfalls im Rahmen jener Aktion hinzugefügten Einleitungstext der Hippolyt-Tafel erklären. Hier war derselbe Komputist am Werk, der auch für „(-44) – 1 Alexander der Große = 1 Alexander Severus – (-44) = 532 / 2“ und für „532 A. D. = 248 Diokletian“ verantwortlich ist. (Ich meine jetzt nicht Ulrich Voigt …)
Mit dieser Vermutung stimme ich Christoph Däppen darin zu, dass „1 Alexander Severus = 222 n. Chr.“ nicht unabhängig von der Hippolyt-Tafel ist. Aber nicht Petavius war hier schuld, sondern Konstantin VII. Außerdem handelt es sich bei der uns bekannten Hippolyt-Tafel nicht um die ursprüngliche, sondern um die mit einem nachfzlichen Einleitungstext versehene Version.
Weiter hätte Andreas Birken Recht, der ebenfalls die A. D.-Rechnung Konstantin VII. zuschreibt (vgl. Illigs neuen ZS-Artikel „Karolingische Komputistik?“, in diesem Blog im Beitrag „Arno Borst, 8.5.1925 – 24.4.2007“ enthalten).
Selbst glaubte ich bislang an die Möglichkeit, dass die FZ ein Produkt des at-Tabari war, weil die Almagest-Fälschung arabischen Ursprungs sein dürfte, weil die Araber ein Motiv hatten und weil sie „die größeren Astronomen und Zeitspezialisten, obendrein die besseren Märchenerzähler waren“ (siehe die FAQ, http://www.fantomzeit.de/?page_id=61, und meinen Artikel „Die Fälschung des Almagest und ihre Verdrängung durch Franz Krojer“, ZS 15/2003, S. 515). Ich übersah dabei, dass nicht nur Astronomen und Astrologen, sondern auch Komputisten Zeitspezialisten sind. Und die besseren Komputisten saßen ohne Zweifel in Byzanz. Das Motiv der Zeitverlängerungsaktion war demnach ein komputistisches: Konstantin VII. hatte erkannt, dass Justinians Reform mit dazugehöriger Hippolyt-Tafel politisch-theologisch genial, aber komputistisch ein Unding war. Um sie zu retten und um zugleich seiner eigenen komputistischen Neuschöpfung „Dionysius Exiguus“ die Autorität eines ehrwürdigen Alters zu verschaffen, konstruierte er die FZ.
Ulrich Voigt:
jb: “Borst wäre Theologe oder Philosoph und nicht Historiker geworden, wenn er gemeint hätte, Geschichte sei „letztlich völlig irrelevant“.”
Darum geht es doch gar nicht. Ein Dedektiv mag der Ansicht sein, dass Verbrechen “letztlich irrrelevant” sind. Das muss ihn nicht hindern, ein exzellenter und kreativer Spürensucher zu sein.
Da stimme ich Ihnen schon zu, auf jeden Fall. Wer historische Wahrheit aber nicht als letzte Wahrheit gelten lässt, wird zu einer unkritischen, vorurteils- oder glaubensbehafteten Geschichtsauffassung neigen.
Freilich kann sich niemand ganz von Vorurteilen freimachen, das sollte ja auch nicht das Ziel sein. Bei Strobel aber beeinflusst die historisch-theologische Prämisse („historisch realer Jesus“), durch die allein die Ostertafeln verständlich werden dürfen, die Forschung schon sehr massiv und aufdringlich. Um im obigen Bild zu bleiben: Strobel arbeitet wie jene Kommissare, die gleich am Anfang der Untersuchung den vermeintlich Schuldigen einsperren lassen und dann nur noch ermitteln, um den Anfangsverdacht zu erhärten. Daran ändert nichts, dass er extrem gründlich und sorgfältig vorgeht und zweifellos sehr Wichtiges zutage fordert. Und daran ändert auch nichts, dass Borst Strobel ohne genaues Hinschauen im Ergebnis Recht gibt und folglich jenes Wichtige gar nicht mehr erkennt.
Die Frage ist, ob die Hypothese einer Unterscheidung zwischen dem historischen und einem kalendarischen Christus und ihren jeweiligen “Lebensdaten” für die Erschließung des spätantiken Materials fruchtbar ist, oder nicht.
Denn wenn es auch denkbar wäre, dass diese Unterscheidung nur eben auf der Tafel des Hippolytus verankert ist, so wäre das doch andererseits sehr unwahrscheinlich.
Um eine solche Unterscheidung einzusehen, ist es nicht notwendig, ihre Urheber für Menschen einer anderen Gattung zu halten, deren Gehirn vollkommen anders funktioniert als das unsere, vielmehr handelt es sich um eine einleuchtende, nur eben uns Heutigen nicht besonders vertraute Möglichkeit.
Dass es heutzutage schwerfällt, eine solche Unterscheidung zu treffen, kann man bei der üblichen Beschreibung und Bewertung des Dionysius Exiguus beobachten. Immer wirft man ihm vor, er habe sich mit seiner Jahreszählung “geirrt”, da Jasus von Nazareth doch gar nicht im Jahr 754 u.c. (= 1 A.D.) geboren sei, sondern einige Jahre früher. Man kann aber nach meiner Einschätzung die Konstruktion des Dionysius Exiguus überhaupt nicht mehr verstehen, wenn man ihr so grob entgegentritt. Vielmehr denke ich, dass sie ganz selbstverständlich die Unterscheidung zwischen dem Historischen und dem Kalendarischen voraussetzt und gar nicht damit rechnet, dass jemand so naiv sein kann, das nicht zu wissen.
Überdeutlich tritt diese Unterscheidung uns entgegen in der Weltchronologie von Anianus und Panodorus (die man ins 5. Jh. datiert, meines Erachtens aber älteren Ursprungs ist), denn hier wird der Komplex “Weltschöpfung / Inkarnation / Wiederauferstehung” auf “Sonntag 25. märz” getrimmt, wobei in Kauf genommen wird, dass die Inkarnation ins Jahr 8 A.D. rutscht. Deqlerc (2000) vermerkt verwundert, dass sich offenbar damals niemand an solchen historischen Ungenauigkeiten gestört habe.
Dasselbe gilt also auch für die Weltschöpfung. Die diversen Konstruktionen einer Weltchronologie beinhalten keine ernsthaften Aussagen über das tatsächliche Entstehungsjahr der Welt, sondern versuchen (“in vertretbarer Nähe zur historischen Realität”) kalendertechnischen Vorgaben zu entsprechen.
Strobel hat das natürlich verstanden: Das allzu “glatte” Datum 25. märz ist eben wegen seiner Eleganz als kalendarisches Konstrukt zu erkennen. Hätte Strobel erkannt, dass die dionysische bzw. petavische Jahreszählung für die christliche Komputistik und Chronologie ab Hippolytus und Julius Africanus vorauszusetzen ist, dann hätte er ein weiteres Argument in der Hand gehabt, die beiden Jahre 28 und 29 als kalendarische Konstruktionen bezeichnen.
Ein Argument für den 7. april 30 als Todestag Christi ist eben, dass dieses Datum kalendarisch schwer zu handhaben ist. Strobel begründet das mit dem unverhältnismäßig späten Neulicht, das die astronom. Rückrechnung für dieses Jahr erweist. Hätte sich die Osterkalkulation auf dieses Datum gegründet, wäre sie gleich aus dem Ruder gelaufen.
Die Strobelsche Argumentation für den 7. april 30 ist dementsprechend durchgehend eine schwierige, denn keine einzige Ostertafel geht direkt auf dieses Datum zurück.
jb: “Wer historische Wahrheit aber nicht als letzte Wahrheit gelten lässt, wird zu einer unkritischen, vorurteils- oder glaubensbehafteten Geschichtsauffassung neigen.”
Nein, das lässt sich nicht halten.
Wohl aber könnte man sagen, dass dies meistens zutrifft.
jb: “Bei Strobel aber beeinflusst die historisch-theologische Prämisse („historisch realer Jesus“), durch die allein die Ostertafeln verständlich werden dürfen, die Forschung schon sehr massiv und aufdringlich.”
In der Tat steht die Strobelsche Arbeit von Anfag an unter der Prämisse, dass es einen realen Jesus gegeben hat und dass dieser eine hinreichende Öffentlichkeit erreicht hat, dass insbesondere sein Tod ein öffentliches Ereignis war. Das steht außer Frage. Sie steht sogar unter der Prämisse, dass der 7. april 30 ein wahrscheinliches Todesdatum darstellt.
Ich empfinde die Formulierung, dass er damit die Forschung “massiv und aufdringlich” beeinflusst, aber als abwegig. Unsere Forschungen werden immer von den Prämissen und Hypothesen, die wir ihnen voranstellen, beeinflusst. Und ohne Prämissen gibt es gar keine Forschung.
Immerhin sah sich Strobel am Ende seiner Arbeit in seinen Prtämissen bestärkt, denn er konnte nachweisen, dass sich ein breites Material von scheinbar zusammenhanglosen Ostertafeln auf den 7. april 30 zurückbeziehen lässt. Im einzelnen mag seine Anbindung dabei vielleicht öfter mal etwas gewaltsam aussehen, man muss sich aber das Ganze vor Augen halten.
Strobel hätte Ihnen geantwortet, dass die von ihm gesetzten Prämissen überhaupt erst ermöglichen, etwas anderes zu sehen als Chaos.
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jb: “Strobel arbeitet wie jene Kommissare, die gleich am Anfang der Untersuchung den vermeintlich Schuldigen einsperren lassen und dann nur noch ermitteln, um den Anfangsverdacht zu erhärten.”
Ja, das kann man wohl sagen. Aber diese Kommissare haben damit regelmäßig Erfolg, manchmal sogar eklatant. Wenn sie wirklich gewissenhaft arbeiten, werden sie fälschlich Verdächtigte wieder auf freien Fuß setzen.
———————————————–
jb: ” […], dass Borst Strobel ohne genaues Hinschauen im Ergebnis Recht gibt […].”
Das kann ich immer noch nicht einsehen. Der 7. april 30 ist eine alte Behauptung, für die Borst Strobel nicht zu lesen brauchte.
Strobel selbst stellt klar, dass er hier einer Vorgabe folgt:
“Als das Urdatum […] einer frühchristlichen Chronologie des Lebens Jesu erweist sich zweifellos der 7. April, die älteste Tradition zum Todestag Jesu. Preuschen nannte ihn das Fundament der ganzen Chronologie, aus dem sich sowohl die Verschiebung auf den 25. März als auch die Berechnung der Daten für Geburt und Taufe erklären. Diese älteste Tradition trifft also aller Wahrscheinlichkeit nach den historischen Sachverhalt.” (Strobel 1977, S. 157)
jb: “stimme ich Christoph Däppen darin zu, dass „1 Alexander Severus = 222 n. Chr.“ nicht unabhängig von der Hippolyt-Tafel ist.”
Die Ansicht Däppens ist historisch falsch, denn der älteste Versuch, 1 Alexander mit Hilfe der Tafel zu datieren (Scaliger 1595) setzt bereits voraus, dass 1 Alexander = 222 bekannt ist. Er verteidigt diese Datierung gegen einen neuerlichen Zweifel. Es muss Scaliger ein Vergnügen gewesen sein, einen solchen Zweifel (es ging um 1 Alexander = 222 oder 1 Alexander = 224) mit Hilfe der Tafel klären zu können.
Die Ansicht ist auch sachlich falsch, wie man aus Martin Frey, Untersuchungen zur Religion und zur Religionspolitik des Kaisers Elagabal, Stuttgart 1989, sehen kann, wo die Chronologie des Elagabal (incl. Beginn Alexander Severus) erarbeitet wird ohne Bezug zur Tafel des Hippolytus.
Natürlich kommt die Ansicht, 1 Alexander würde ohne die Tafel vollkommen in der Luft hängen, dem radikalen Chronologiezweifler entgegen.
1 Alexander = 222
NACHTRAG zu SCALIGER
In der ersten Auflage von De emendatione temporum (1583) sind die 1551 aufgefundenen Tafeln des Hippolytus noch nicht erwähnt, denn Scaliger lernte sie nach aller Wahrscheinlichkeit erst durch das Inscriptionum Antiquarum quae passim per Europam (Leiden 1588) des Martinus Smetius kennen. Um ein Gerüst der römischen Chronologie zu erstellen, beschränkt er sich 1583 noch auf ziemlich wenige Daten. Über die Zeit des Alexander Severus äußert er sich in dem Zusammenhang überhaupt nicht, die nächstgelegenen Daten, die er nennt, sind der Tod des Antoninus Pius (161 n. Chr.) und der Regierungsantritt des Diokletian (284 n. Chr.). In der nächsten Ausgabe von De emendatione temporum (1598) findet sich bereits eine vollständige Abhandlung zur Passatafel des Hippolytus und ein beträchtlich verfeinertes Netz “sicherer” römischer Eckdaten, wobei das Jahr 1 Alexander hervorsticht, indem seine Datierung aus der Passatafel des Hippolytus gewonnen ist.
Scaliger sah also, dass die Tafel für die Grundlegung einer stimmigen Chronologie von Bedeutung ist.
Kurz zusammengefasst läuft seine Argumentation auf folgendes hinaus:
216 n. Chr.
1 Alexander = 222 n. Chr.
In Worten:
Wenn man voraussetzt, dass das erste Regierungsjahr des Alexander Severus später liegt als 216 n. Chr. und früher als 233 n. Chr., dann kann man sicher sein, dass es kein anderes Jahr ist als eben das Jahr 222 n. Chr.
Dahinter steht die einfache Überlegung, dass in diesem Zeitraum nur im Jahr 222 n. Chr. der 13. april ein Samstag ist.
Vor dem Hintergrund der bereits vorausgesetzten Datierung der Kaiser Antoninus Pius und Diokletian in der n. Chr.– Zählung ist das ein hinreichendes und fehlerfreies Argument.
Es ist aber zu oberflächlich. Bedenkt man nämlich, dass die Tafel des Hippolytus nicht nur gerade den Wochentag des 13. april 1 Alexander, sondern einen vollständigen 28jährigen Wochentagszyklus enthält, so liesse sich der Schluss verbessern zu
194 n. Chr.
1 Alexander = 222 n. Chr.
Bedenkt man weiter, dass die Ostertafel des Hippolytus eine 56jährige Zyklik besitzt, so kommt man gar zu
166 n. Chr.
1 Alexander = 222 n. Chr.
Das ist nicht gerade weit entfernt von
Antoninus Pius
1 Alexander = 222 n. Chr.
In Worten:
Wenn man voraussetzt, dass Alexander Severus später lebte als Antoninus Pius und früher als Diokletian, dann kann man sicher sein, dass sein erstes Regierungsjahr das Jahr 222 n. Chr. war.
Wie man sieht, ist die 56jährige Zyklik der Ostertafel der entscheidende Hebel, der hier eine sehr beachtliche Verbesserung des Ergebnisses ermöglicht. Vorausgesetzt ist dabei aber, dass Antoninus Pius und Diokletian bereits in etwa richtig datiert sind. Die Datierung des Jahres 1 Alexander, die wir damit erhalten, ist also keine Primärdatierung, sondern davon abhängig, dass einigermaßen richtig datierte Ereignisse aus seiner näheren Umgebung bereits zur Verfügung stehen.
Eben dies aber bestreiten moderne Chronologiekritiker wie Heribert Illig, die ausdrücklich der Ansicht sind, die Römerzeit sei insgesamt um Jahrhunderte zu früh datiert. Für sie ist Scaligers Datierung des Jahres 1 Alexander wertlos.
Wir müssen die Sache daher vorsichtiger formulieren und uns von allen Voraussetzungen über bereits erfolgte Datierungen der römischen Kaiserzeit freihalten.
Was dann als Ergebnis übrig bleibt und unzweifelhaft feststeht, ist so etwas wie die Gleichung
(1566 – 1 Alexander) mod 56 = 0
Um das einzusehen, gehe man aus von der 56jährige Zyklik der Tafel. 1566 ist das aus Sicht Scaligers nächstgelegene Jahr, auf welches das Muster ihrer Ostersonntage passt. Folglich muss 1 Alexander (das Kopfjahr der Tafel) eines der Jahre sein, die man durch fortlaufende Subtraktion von 56 aus dem Jahr 1566 erhält. Eben dies besagt die obige Gleichung: „Die Differenz 1566 – 1 Alexander lässt sich ohne Rest durch 56 teilen.“ Dabei ist 1566 – 1 Alexander eine positive Zahl, denn die Tafel wurde bereits 1551 ausgegraben, so dass 1566 oder noch spätere Jahre natürlich nicht in Frage kommen.
Oh, dieses Superprogramm akzeptiert mathematische Zeichen nicht und vernichtet auch gleich noch etwas von der Umgebung!
Da es keine “Vorschau” ermöglicht, kann der Benutzer solche Defekte erst feststellen, wenn es zu spät ist.
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Gemeint war
216 n. Chr. “früher als” 1 Alexander “früher als” 233 n. Chr. “impliziert” 1 Alexander = 222 n. Chr.
194 n. Chr. “früher als” 1 Alexander “früher als” 250 n. Chr. “impliziert” 1 Alexander = 222 n. Chr.
166 n. Chr. “früher als” 1 Alexander “früher als” 278 n. Chr. “impliziert” 1 Alexander = 222 n. Chr.
Antoninus Pius “früher als” Alexander “früher als” Diokletian “impliziert” 1 Alexander = 222 n. Chr.
Ulrich Voigt am 5. Mai 2007 um 09:10 in http://www.fantomzeit.de/?p=136#comments:
Entschuldigung, ich schreibe überhaupt nie abfällig, sondern immer nur sachlich.
Ihre Selbsteinschätzung, Sie würden „immer nur sachlich“ schreiben, ist kurios. Wir hatten das in dieser Diskussion schon mal. Im nächsten Kommentar gebe ich gerne ein weiteres Beispiel der von Ihnen systematisch praktizierten Rhetorik.
Ulrich Voigt:
Ich muss aber auch nicht alles, was derweil hoch im Kurs steht, gleichmäßig bewundern und loben, sondern habe das Recht, in meinem Urteil von üblicher Panegyrik abzuweichen.
Ich möchte Ihnen nichts verbieten, um Gottes willen.
Ulrich Voigt:
Wenn man meine Kommentare für sachlich verfehlt hält, so mag man bitte auf die Argumente eingehen, die ich vorbringe!
Wer Ihre Kommentare für sachlich verfehlt hält, wird es kaum für nötig halten, auf Ihre Argumente einzugehen. Nur wer Sie ernst nimmt, wird sich mit Ihnen auseinandersetzen wollen.
Ulrich Voigt:
[„kalendarischer“ und „historischer“ Jesus]
Dass es heutzutage schwerfällt, eine solche Unterscheidung zu treffen, kann man bei der üblichen Beschreibung und Bewertung des Dionysius Exiguus beobachten. Immer wirft man ihm vor, er habe sich mit seiner Jahreszählung “geirrt”, da Jasus von Nazareth doch gar nicht im Jahr 754 u.c. (= 1 A.D.) geboren sei, sondern einige Jahre früher.
Wer DE einen solchen Vorwurf macht, geht erstens davon aus, dass es einen historisch realen Jesus gegeben hat, und zweitens, dass er selbst über Jesu Leben besser Bescheid weiß als DE. Beide Voraussetzungen sind nicht selbstverständlich. Im Lichte der von der theologischen Radikalkritik erarbeiteten Erkenntnisse (vgl. http://www.hermann-detering.de) sind sie sogar abwegig.
Ulrich Voigt:
Man kann aber nach meiner Einschätzung die Konstruktion des Dionysius Exiguus überhaupt nicht mehr verstehen, wenn man ihr so grob entgegentritt. Vielmehr denke ich, dass sie ganz selbstverständlich die Unterscheidung zwischen dem Historischen und dem Kalendarischen voraussetzt und gar nicht damit rechnet, dass jemand so naiv sein kann, das nicht zu wissen.
Es gibt mindestens drei weitere Denkmöglichkeiten: (1) DE glaubte einfach wirklich, dass Jesus zur besagten Zeit geboren wurde. (2) DE glaubte gar nicht an einen historisch realen Jesus. (3) DE war Teil eines großangelegten komputistischen Projekts zur Rekonstruktion und Neuordnung von Zeit und Geschichte.
Ulrich Voigt:
[Strobel]
Strobel hätte Ihnen geantwortet, dass die von ihm gesetzten Prämissen überhaupt erst ermöglichen, etwas anderes zu sehen als Chaos.
Das kann ich mir in der Tat gut vorstellen. Er hat auch Recht damit, dass es ohne Vorurteile und Prämissen nicht geht. Es muss allerdings nicht unbedingt Strobels Prämisse sein. Wir sind heute in der glücklichen Lage, mehrere Prämissen miteinander vergleichen zu können.
Ulrich Voigt:
jb: “stimme ich Christoph Däppen darin zu, dass „1 Alexander Severus = 222 n. Chr.“ nicht unabhängig von der Hippolyt-Tafel ist.”
Die Ansicht Däppens ist historisch falsch, denn der älteste Versuch, 1 Alexander mit Hilfe der Tafel zu datieren (Scaliger 1595) setzt bereits voraus, dass 1 Alexander = 222 bekannt ist. Er verteidigt diese Datierung gegen einen neuerlichen Zweifel. Es muss Scaliger ein Vergnügen gewesen sein, einen solchen Zweifel (es ging um 1 Alexander = 222 oder 1 Alexander = 224) mit Hilfe der Tafel klären zu können.
Ein weiteres gutes Beispiel Ihres oft unsachlichen, rhetorischen Vorgehens! Sie erwecken hier den Eindruck, es handle sich um eine Antwort auf eine Bemerkung von mir. In Wirklichkeit hat die Antwort mit mir nichts zu tun. Ich schrieb nämlich vollständig: „Mit dieser Vermutung stimme ich Christoph Däppen darin zu, dass ‚1 Alexander Severus = 222 n. Chr.‘ nicht unabhängig von der Hippolyt-Tafel ist. Aber nicht Petavius war hier schuld, sondern Konstantin VII.“ Ich halte also nicht Scaliger oder Petavius für den Urheber von „1 Alexander Severus = 222 n. Chr.“, sondern Konstantin VII. Ich nahm Bezug auf Däppen und kritisierte ihn zugleich. Anstatt nun klarzustellen, dass Sie meine Däppenkritik bestätigen, tun Sie so, als hätte ich mich Däppen voll angeschlossen und sei deshalb mit zu kritisieren. Auf meine eigene Vermutung über Konstantin VII. gehen Sie mit keinem Wort ein. Mit „Rhetorik“ ist ein solches Vorgehen sogar noch freundlich umschrieben!
Ulrich Voigt:
Die Ansicht ist auch sachlich falsch, wie man aus Martin Frey, Untersuchungen zur Religion und zur Religionspolitik des Kaisers Elagabal, Stuttgart 1989, sehen kann, wo die Chronologie des Elagabal (incl. Beginn Alexander Severus) erarbeitet wird ohne Bezug zur Tafel des Hippolytus.
Auch diese Kritik hat offenbar nichts mit meiner Vermutung zu tun, Konstantin VII. sei für „1 Alexander Severus = 222 n. Chr.“ wie auch für „(-44) – 1 Alexander der Große = 1 Alexander Severus – (-44) = 532 / 2“ und für „532 A. D. = 248 Diokletian“ verantwortlich. Denn hier geht es ja nicht um ein paar Jährchen, sondern um drei Jahrhunderte. Freilich können wir Freys Argumente trotzdem gerne diskutieren. Lehrreich ist das allemal.
Ulrich Voigt:
Natürlich kommt die Ansicht, 1 Alexander würde ohne die Tafel vollkommen in der Luft hängen, dem radikalen Chronologiezweifler entgegen.
So ist es. Und ohne Ihre Gleichung „532 A. D. = 248 Diokletian = 532 n. Chr.“ würde 1 Alexander in der Tat vollkommen in der Luft hängen.
Ulrich Voigt:
[Scaliger, Hippolyt]
Oh, dieses Superprogramm akzeptiert mathematische Zeichen nicht und vernichtet auch gleich noch etwas von der Umgebung!
Eine ganz und gar nicht abfällige Bemerkung des „immer nur sachlichen“ Ulrich Voigt!
Das Missgeschick mit den mathematischen Zeichen mag die Strafe für einen vollkommen an der Sache vorbeigehenden Kommentar des Immer-nur-Sachlichen sein … Nichts in Ihrem Kommentar betrifft die These, dass „1 Alexander = 222 n. Chr. (= 1728 BP)“ den komputistischen Manipulationen des Konstantin VII. zu verdanken ist. Interessant könnte dagegen sein, was Martin Frey an Argumenten für „1 Alexander = 222 n. Chr.“ bringt.
[jb: “stimme ich Christoph Däppen darin zu, dass „1 Alexander Severus = 222 n. Chr.“ nicht unabhängig von der Hippolyt-Tafel ist.”
Voigt: “Die Ansicht Däppens ist […] falsch.”]
jb: “Sie erwecken hier den Eindruck, es handle sich um eine Antwort auf eine Bemerkung von mir. In Wirklichkeit hat die Antwort mit mir nichts zu tun.”
Nein, ich nahm die Gelegenheit, etwas zu Däppens These zu sagen, der Sie sich offenbar irgendwie anschließen. Bei Däppen hat die Behauptung 1 Alexander = 222 n. Chr. ihren Ursprung bei Scaliger.
Strobels Prämissen
jb: “Es muss allerdings nicht unbedingt Strobels Prämisse sein. Wir sind heute in der glücklichen Lage, mehrere Prämissen miteinander vergleichen zu können.”
Strobel hat mit Hilfe seiner Prämissen eine umfangreiche Untersuchung des spätantiken komputistischen Materials unternommen und dadurch für seine Prämisse Beachtliches herausgefunden.
Jetzt kann es nicht mehr genügen, andere Prämissen zu imaginieren, sondern man müsste (a) die Beobachtungen bzw. Schlussfolgerungen Strobels kritisch bewerten, (b) auf der Grundlage konkurrierender Prämissen eine ähnliche Arbeit auf sich nehmen wie Strobel sie vorgelegt hat.
Prämissen unterscheiden sich meines Erachtens nicht so sehr durch ihre Qualität als vielmehr durch ihre Fruchtbarkeit. Eine falsche Hypothese, mag sie noch so plausibel sein, führt allemal auf einen Holzweg. Gibt es also eine Prämisse, die ebenfalls die spätantiken Oster- und Mondtafeln zum Sprechen bringt?
jb schrieb:
Weiter hätte Andreas Birken Recht, der ebenfalls die A. D.-Rechnung Konstantin VII. zuschreibt (vgl. Illigs neuen ZS-Artikel „Karolingische Komputistik?“, in diesem Blog im Beitrag „Arno Borst, 8.5.1925 – 24.4.2007“ enthalten).
Damit Birken hier richtig zitiert wird: Es geht um seinen Artikel „Phantomzeit und Osterrechnung“ in den ZS 3/2006, S. 749 – 764.
Birken hat aber seine These, DE gehöre dem Theophanes-Konstantin-Komplex an, schon früher angedeutet – nämlich in „Das porphyrne Fundament der Mittelalterthese“, ZS 2/2005. Er schreibt dort auf S. 466 über die komputistischen Zusammenhänge, die Konstantin VII. bei der Einführung seiner neuen Zeitrechnung zu beachten hatte:
„Der wichtigste Schritt war das Umschreiben des Textes von Dionysius Exiguus – falls dieser nicht überhaupt eine Erfindung Konstantins ist. Um die richtig gestellte Osterrechnung überall bekannt zu machen, wurden Ostertafeln in Stein gehauen und in den wichtigsten Provinzhauptstädten aufgestellt; von diesen ist uns leider nur die am damaligen Sitz des italischen Exarchen in Ravenna erhalten. Das Konstantinopler Exemplar hat die verschiedenen Erdbeben, Großbrände und Plünderungen nicht überstanden.“
Diese These Birkens, der ich mich inzwischen anschließe, ist eine Folge des Voigt’schen Bestehens auf der Bedeutung der Komputistik. Denn Voigt hat Recht: Entweder ist der Stein von Ravenna und der DE-Komplex, dem er zweifellos angehört, vorfzlich – dann ist die Länge der FZ gleich 0. Oder die Länge der FZ ist größer 0 – dann müssen Ravenna und DE nachfzlich sein. Zugleich aber gehört DE nicht dem Beda-Komplex an. Voigt ist sich hier sicher (vielleicht ließe sich dieses Urteil noch mal kurz erläutern). Dann aber bleibt aus fztheoretischer Perspektive nur eine Möglichkeit: DE ist dem Theophanes-Konstantin-Komplex zuzuordnen.
Ulrich Voigt:
Strobel hat mit Hilfe seiner Prämissen eine umfangreiche Untersuchung des spätantiken komputistischen Materials unternommen und dadurch für seine Prämisse Beachtliches herausgefunden.
Jetzt kann es nicht mehr genügen, andere Prämissen zu imaginieren, sondern man müsste (a) die Beobachtungen bzw. Schlussfolgerungen Strobels kritisch bewerten, (b) auf der Grundlage konkurrierender Prämissen eine ähnliche Arbeit auf sich nehmen wie Strobel sie vorgelegt hat.
Einverstanden.
Ulrich Voigt:
Prämissen unterscheiden sich meines Erachtens nicht so sehr durch ihre Qualität als vielmehr durch ihre Fruchtbarkeit. Eine falsche Hypothese, mag sie noch so plausibel sein, führt allemal auf einen Holzweg.
Das sehe ich anders. Auch eine falsche Hypothese kann außerordentlich fruchtbar sein. Man wird sie dann am Ende nicht mehr ohne weiteres gelten lassen, hat aber inzwischen viel gelernt.
Ulrich Voigt:
Gibt es also eine Prämisse, die ebenfalls die spätantiken Oster- und Mondtafeln zum Sprechen bringt?
Die FZT sollte für sich in Anspruch nehmen, eine solche Prämisse zu sein. Es ist ein unbedingtes Erfordernis, das antike und mittelalterliche komputistische Material aus fztheoretischer Perspektive durchzuarbeiten und neu zu sichten. Nur in dem Maße, in dem eine solche Arbeit gelingt, kann die FZ weiterhin Glaubwürdigkeit für sich beanspruchen.
Eine solche Forschung wird freilich die Augen vor der universellen Wirkung der pia fraus im Mittelalter und Renaissance nicht länger verschließen können. In diesem Zusammenhang sind mir gerade erste Zweifel am Alter der 84-jährigen Ostertafeln gekommen. Zwar zeigt sich schon auf dem ersten Blick, dass aus Sicht der FZ viele dieser schriftlich überlieferten Tafeln aufgrund der Zeitbezüge in ihren Kommentaren und Randbemerkungen nachfzlich sein müssen. Für diese Fälschungsvermutung gibt es häufig auch mehrere Anhaltspunkte. Die Frage ist aber, ob sich hinter der gefälschten Tradition noch eine wirkliche „supputatio romana“ mit 84-jährigem Zyklus verbirgt, die nicht wegdiskutiert werden kann. Davon bin ich bis jetzt ausgegangen, bin mir aber inzwischen nicht mehr so sicher (z. B. war sie dem Konzil von Nicaea im Jahre 325 n. Chr. allem Anschein nach nicht bekannt).
Eine Neueinschätzung dieser Tafeln hätte auch Folgen für die Hippolyt-Tafel, die ja den 84-Jahr-Zyklus voraussetzt. Hier interessiert eine Bemerkung Birkens, der in den ZS 3/2006 auf S. 762 schreibt: „Zu dessen Zeit [des Alexander Severus, JB] hatte nämlich der für die mittelalterliche Komputistik wichtige Hippolytus gelebt.“ Mich würde interessieren, inwiefern Hippolytus für die mittelalterliche Komputistik wichtig war.
jb: “Entweder ist der Stein von Ravenna und der DE-Komplex, dem er zweifellos angehört, vorfzlich – dann ist die Länge der FZ gleich 0. Oder die Länge der FZ ist größer 0 – dann müssen Ravenna und DE nachfzlich sein.”
ODER L = 190 nebst einer Verschiebung der Schaltjahre um 2 (Hunnivari).
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[Ulrich Voigt:
Gibt es also eine Prämisse, die ebenfalls die spätantiken Oster- und Mondtafeln zum Sprechen bringt?]
jb: “Die FZT sollte für sich in Anspruch nehmen, eine solche Prämisse zu sein. Es ist ein unbedingtes Erfordernis, das antike und mittelalterliche komputistische Material aus fztheoretischer Perspektive durchzuarbeiten und neu zu sichten. Nur in dem Maße, in dem eine solche Arbeit gelingt, kann die FZ weiterhin Glaubwürdigkeit für sich beanspruchen.”
Genau! Aber das ist Zukunftsmusik.
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“Zweifel am Alter der 84-jährigen Ostertafeln”
Man darf alles bezweifeln. Aber bitte mit Argumenten! Im gesamten Mittelalter ab Beda Venerabilis spielt die 84jährige Tafel keine Rolle.
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“Inwiefern Hippolytus für die mittelalterliche Komputistik wichtig war?”
In keiner Weise! Die 112jährige Periode taucht nach meinen Informationen nur noch ein einzigesmal auf, nämlich beim “Pseudo-Cyprianus 243”. Danach verschwindet die Zahl 112 aus der Komputistik und wird nur dank Eusebius und Cyrillus als die Zahl erinnert, mit der Hippolytus gearbeitet hatte.
Ulrich Voigt:
jb: “Entweder ist der Stein von Ravenna und der DE-Komplex, dem er zweifellos angehört, vorfzlich – dann ist die Länge der FZ gleich 0. Oder die Länge der FZ ist größer 0 – dann müssen Ravenna und DE nachfzlich sein.”
ODER L = 190 nebst einer Verschiebung der Schaltjahre um 2 (Hunnivari).
Womit wir zum ersten Kommentar des hier diskutierten Illig-Artikels zurückgekehrt wären. Vielleicht ein Hinweis, mal eine kurze Pause einzulegen … Dabei wurde Hunnivaris Anregung bis jetzt überhaupt noch nicht aufgegriffen, obwohl sie das offenbar unbedingt verdient.
Ulrich Voigt:
[Ulrich Voigt:
Gibt es also eine Prämisse, die ebenfalls die spätantiken Oster- und Mondtafeln zum Sprechen bringt?]
jb: “Die FZT sollte für sich in Anspruch nehmen, eine solche Prämisse zu sein. Es ist ein unbedingtes Erfordernis, das antike und mittelalterliche komputistische Material aus fztheoretischer Perspektive durchzuarbeiten und neu zu sichten. Nur in dem Maße, in dem eine solche Arbeit gelingt, kann die FZ weiterhin Glaubwürdigkeit für sich beanspruchen.”
Genau! Aber das ist Zukunftsmusik.
Vor allem ist die Komputistik eine von vielen Baustellen. Das geht wohl auch gar nicht anders: Über die FZT wird erst seit 15 Jahren nachgedacht, von wenigen Beteiligten, und das immer nur im Nebenberuf.
Solange die FZT aber nicht die Chance bekommt, die sie verdient, kann die Komputistik auch nie zu einem entscheidenden Gegenargument werden. Dazu ist die Wucht der Argumente, die für die FZT sprechen, viel zu groß. Schließlich bleibt die Komputistik eine textabhängige und damit extrem fälschungsanfällige Angelegenheit – Hippolyt-Statue hin oder her.
jb:
Ja, ich wüsste das sehr gerne. Ich weiß ja nicht einmal, was die Sedecennitas tieferes bedeuten soll, schließlich ist die Mondtafel nur 8jährig.
Ulrich Voigt:
jb: Muss ich Ihnen wirklich sagen, was die doppelte Sedecennitas im Zusammenhang mit den Angaben auf der Tafel bedeutet?
Ja, ich wüsste das sehr gerne. Ich weiß ja nicht einmal, was die Sedecennitas tieferes bedeuten soll, schließlich ist die Mondtafel nur 8jährig.
Jetzt enttäuschen Sie mich aber sehr. Sollten Sie Strobel nicht so gut kennen, wie ich Ihnen unterstellt hatte? Strobel macht an mehreren Stellen ausdrücklich auf die Bedeutung der Zahl 16 für die Hippolyt-Tafeln aufmerksam. In einem eigenen Beitrag zum Blog mit dem Titel „Hippolyt und die Hekkaidekaëteris“ habe ich das kurz referiert. [http://www.fantomzeit.de/?p=141]
[…] Jan Beaufort / Ulrich Voigt (2007): Kommentare zu Heribert Illig, 297 Jahre – zur Länge der Phantomzeit. http://www.fantomzeit.de/?p=85 […]
Die Computistik – eine Spezialdisziplin für “Eingeweihte”, die im Rahmen der Phantomzeithypothese neue Bedeutung gewinnt…
In vorliegender Diskussion fällt einmal mehr auf, daß sich die Anhänger der Echtzeithypothese bislang nur einige wenige “steinerne” Beweisstücke anführen können. Deren Authentizität wird sodann stupende verteidigt. So auch im Fall der Hippolytstatue, an der nachweislich zur Renaissancezeit (in der vermehrt auf antikes Wissen zurückgegriffen wird) manipuliert wurde.
Allein der Umstand einer derartigen nachträglichen Manipulation sollte zu Skepsis führen und nicht weitestgehend negiert werden.
Im übrigen erscheint es mir nicht abwegig, daß ein Papstaspirant sich eine computistische “höhere Weihe” in Form vielfältiger christlich-kosmischer Bezüge zur weiteren Legitimation seines Anspruches erstellen läßt. Ein nicht ungewöhnlicher Vorgang, der in dieser und ähnlicher Weise von den meisten Aspiranten, Regenten und Dynastien praktiziert wurde.
[…] H. Illig: 297 Jahre – zur Länge der Phantomzeit […]