Gustav Seyffarths Übersetzung des Totenbuches und sein Grundsätze der Mythologie als Google Book
Einer der ganz großen, bis heute nicht aufgearbeiteten Wissenschaftsskandale des 19. Jahrhunderts ist das Professoren- und Politikermobbing gegen den Ägyptologen Gustav Seyffarth (1796 – 1885). Es zwang Seyffarth, seine Professur in Leipzig aufzugeben, und trieb ihn letztendlich sogar in die Emigration. Seyffarth – ein Schüler des Philologen F. A. W. Spohn – hatte es gewagt, den berühmten Champollion zu kritisieren und eine Alternative zu dessen Entzifferung der Hieroglyphen anzubieten.
Chris Marx hat Seyffahrt dankenswerterweise schon seit langem eine Seite seiner Homepage gewidmet. Er zeigt dort, dass Seyffahrt mit seiner Methode zu einer Übersetzung des ägyptischen Totenbuches gelangt, die den kataklysmischen Inhalt noch unverstellt zum Ausdruck bringt – im Gegensatz zu neueren, verharmlosenden Versuchen.
Jetzt hat der Krake Google Books auch die wichtigsten Bücher von Seyffarth erfasst. Neben der genannten Übersetzung des Totenbuches ist vor allem Die Grundsätze der Mythologie und der alten Religionsgeschichte zu erwähnen: eine Verteidigungsschrift gegen den schamlosesten seiner Widersacher, den Breslauer Professor für katholische Theologie Movers. Movers hatte Seyffahrt in einer Schmähschrift (Die Unfähigkeit des Herrn Professor Seyffarth in Leipzig, wissenschaftliche Werke über das Alterthum zu lesen, zu verstehen und zu würdigen) als „ehrlosen literarischen Strauchdieb …, eitelen und unwissenden Scharlatan“ bezeichnet und ihm „Lügen, Entstellungen und Verdrehungen“ vorgeworfen. Seyffahrt verklagte ihn, woraufhin Movers vom Oberlandesgericht Breslau zu vier Wochen Gefängnisstrafe verurteilt wurde. Seyffarth zitiert das Urteil auf Seite 277 ff. seines Buches. Movers Niederschlagungsgesuch führte zur Umwandlung der Strafe in eine Geldbuße von 50 Talern.
(Der wikipedia-Artikel über Movers erwähnt – wie leider zu erwarten – diese Episode nicht. Vielmehr lässt er Movers in einem guten Licht erscheinen, indem er lobende Worte von Theodor Mommsen über Movers zitiert. Wikisource informiert immerhin besser, weil es den objektiveren Artikel über Movers in der Allgemeinen Deutschen Biographie zugänglich macht: jenem gewaltigen biographischen Nachschlagewerk in zunächst 45 Bänden, das zwischen 1875 und 1900 entstanden ist. Gerechtigkeit widerfährt Seyffarth so aber noch lange nicht. Diese wird erst durch die überfällige Neuveröffentlichung seiner Grundsätze möglich, die ihn als besonnenen, kenntnisreich und kritisch argumentierenden Autor zu erkennen geben.)
Am spannendsten und lehrreichsten für den ägyptologischen Laien ist Seyffahrts Darlegung seiner Übersetzungsmethode auf Seite 218 – 273. In diesem Rahmen erfolgt auch eine Auseinandersetzung mit Champollion, dem Seyffahrt unter anderem absichtliche Fälschung vorwirft. Das mag für den unbefangenen und uninformierten Leser abwegig klingen. Wenn aber Seyffahrts im ruhigen und sachlichen Ton gehaltene Darstellung des Vorgehens von Champollion zutrifft, dann ist die Kritik nicht ohne weiteres von der Hand zu weisen.
Eine wichtige Erkenntnis Seyffahrts ist, dass die Hieroglyphen keineswegs am Anfang des ägyptischen Schriftsystems stehen, wie es die herrschende Lehre will. Im Gegenteil haben sie sich aus dem hieratischen System entwickelt, das selbst wiederum nur eine Ausschmückung der ursprünglichen demotischen Schrift bildet. Das stellt die heute übliche Ansicht geradezu auf den Kopf, erscheint allerdings bei Seyffahrt als gut begründet. Seyffarth übernimmt seine Auffassung zwar von anderen Gelehrten, führt aber auf Seite 244 ein weiteres Argument für sie an: „Endlich schwebte mir die armenische Schrift vor, welche, wie die ägyptische, ein einfaches, ein verziertes und ein in Bilder gehülltes Alphabet besitzt; und so glaubte ich, alle Buchstaben der Aegypter, die nach Spohn fast ohne Ausnahme phonetisch waren, von dem alten phönizischen Alphabete und von den demotischen Buchstaben ableiten zu müssen.“
Vielleicht war es vor allem diese, die Hieroglyphen als sekundäres Erzeugnis entlarvende These, mit der sich Seyffahrt die Wut und den Hass der ägyptologischen Kollegen aufgehalst hat. Während Champollions Theorie der hemmungslosen Spekulation über die rätselhafte Herkunft jener angeblich altehrwürdigen Zeichen Tür und Tor öffnete, legte Seyffarths ernüchternde Betrachtung ganz andere Schlüsse nahe: Die Hieroglyphen sind jung, nicht alt, sie sind ein spätes Produkt. Womöglich sind viele Inschriften erst im Rahmen vorsätzlich durchgeführter priesterlicher Rückdatierungsaktionen entstanden.
Chris Marx wies auf Seyffarths “ebenso spannende astrokalkulierte Datierungen anhand von Konstellationsdarstellungen” hin: in
Systema astronomiae aegyptiacae quadripartitum (1833), S. 381-434
Für die, die davon etwas verstehen: ebenfalls nachzulesen bei books.google