von Heribert Illig

Es ist mehr als erhebend: Das ganze christliche Abendland verneigt sich vor Karl dem Großen, aus Anlass seines Todestages am 28.01., vor 1200 Jahren. Nun gut, vielleicht machen das nicht alle Christen, aber doch viele Katholiken aus Deutschland und benachbarten Städten wie Zürich oder Lüttich. Primär sind es wohl Gläubige in Frankfurt, Hamburg und vor allem Aachen.

Hier sind die Feierlichkeiten am 25.01., einem Samstag, mit einer Pontifikalvesper im Dom begonnen worden.

„Heute, am Sonntag, feiert das Volk, serviert wird unter anderem eine »Karlswurst« nach mittelalterlichem Rezept. Und das ist noch lange nicht der Höhepunkt. Den werden drei Ausstellungen bilden“ [Austilat 2014].

Rund 100 Veranstaltungen werden heuer noch allein in Aachen folgen. Wir lesen auch bereits davon, dass der „Quadrigastoff, ein Grabtuch Karls des Großen“, demnächst gezeigt wird [KNA]. Doch das weckt Erinnerungen. Bei der Paderborner Ausstellung rings um Karl den Großen und Leo III. wurde zwar das Tuch gezeigt, aber ausdrücklich nicht als Leichentuch, weil die entsprechenden Spuren im Gewebe fehlen [Stiegemann, Wemhoff, I:64]. Wir stocken auch, wenn wir pünktlich zum großen Anlass aus Hamburg hören, dass die Hammaburg der Karlszeit im Jahr 2006 doch gefunden worden sei, auch wenn das während der Grabung niemand gemerkt hat [Gretzschel/Kummereincke 2014].

Wir spüren, dass der Wille ungebrochen ist, Karl alle möglichen Bauten, Kunstgegenstände oder anderes zuzuschreiben, obwohl er nach hier vertretener Meinung niemals gelebt hat [Illig 1996]. Um hier Klarheit zu gewinnen, braucht es ein „experimentum crucis“, sofern es das in diesem Zusammenhang überhaupt geben kann. Wo sollte sich das besser durchführen lassen als in Aachen? Hier ist zwar trotz aller Ausgrabungen der letzten Jahre der vicus, also die der Pfalz zugeordnete Siedlung, immer noch reichlich hypothetisch:

„Zwar hat die Stadtarchäologie in den letzten Jahren erhebliche Fortschritte gemacht und konnte karolingisches Leben an vielen Orten im innerstädtischen Bereich nachweisen, eine genaue Vorstellung davon, wie das damaligen Aachen jenseits von Königshalle und Marienkirche aussah, besitzen wir jedoch noch nicht“ [Kraus 2013, 311].

„Die Siedlung bei der Pfalz, für die sich der Begriff des vicus eingebürgert hat, bleibt in ihrer Bausubstanz beinahe ein Phantom“ [ebd. 318].

Aber auch wenn dort das profane Leben weiterhin ungreifbar bleibt – wir haben die Pfalzkirche! Unbeeindruckt von allen Zweifeln steht das glanzvolle Oktogon mit über 30 m Höhe und einem Durchmesser von gut 15 m. Sein Hausteingewölbe stellt eine Glanzleistung dar, im Abendland erst 300 Jahre  später überboten, von den Römer nur mit Betonguss übertroffen, für die Franken selbst ein Rarissimum, da aus dem Stand heraus, ohne jede Vorkenntnis errichtet und niemals von ihnen nachgeahmt.

Schon das muss sehr verwundern. Aber wir wollen bis zum harten Kern durchdringen, bis zu den vier Eisenankern am Kuppelansatz. Sie stellen ein Problem dar, das der Dombaumeister im Jahr 2005 so lösen wollte:

„Im Rahmen aller Untersuchungsöffnungen können wir übrigens festhalten, dass die Eisenringanker oder Eisenklammerringanker alle satt im karolingischen Mörtel lagen, also im Zusammenhang mit dem Aufmauern eingebaut worden sind. In einigen Publikationen wurde dies bezweifelt und der Umkehrschluss ausgeführt, dass die Eisenanker erst später eingebaut worden sind, auch weil man gar nicht in der Lage war, die Eisenstangen in dieser Länge zur karolingischen Zeit herzustellen. Das ist hiermit widerlegt“ [Maintz 2005, 31].

Mauersteine und Mörtel sind mit naturwissenschaftlichen Methoden nicht zu datieren; sie werden wegen schriftlicher Quellen als karolingisch eingeschätzt. Von den Eisenanker weiß auch der Dombaumeister, dass sie nicht vor dem 12. Jahrhundert geschmiedet worden sein können, weil bei ihrem Querschnitt Wasserkraft, Nockenwelle und Fallhammer unbedingt gebraucht werden [Illig 2013, 133-154]. Deshalb konnte auch die jüngste Aachener Publikation keinen Aufschluss bringen:

„Fragen hinsichtlich des Schmiedeprozesses werfen die besonders harten eisernen Ringanker auf. Nachvollziehbar ist hingegen“… [Kraus 2013, 186].

Hier ist also innerhalb der herrschenden Lehre und der von ihr vertretenen Chronologie keine Lösung möglich. Kartenspieler greifen in diesem Fall zu einem Joker. Auch Dombaumeister Helmut Maintz hat nur eine Woche vor dem unüberbietbaren Datum einen solchen ausgespielt, den viele Zeitungen freudig aufgegriffen haben. Wir zitieren aus der Süddeutschen Zeitung:

„Die Kaisertür
In Aachen ist eine Tür aufgetaucht, die Kaiser Karl der Große höchstpersönlich noch geöffnet haben soll. »Es ist Karls Tür, er hat sie in der Hand gehabt und ist da durchgegangen«, sagt Helmut Maintz, der Aachener Dombaumeister. Sie ist in einem Keller entdeckt worden, wo man sie vor etwa hundert Jahren nach etwa 1100-jährigem Verschleiß deponiert hatte. Das Holz stamme von einem Baum, der zwischen 766 und 880 gefällt wurde. Karl starb im Jahr 814. Für Dombaumeister Maintz ist ein weiteres Indiz für die Authentizität, dass die Tür 1,92 Meter hoch ist und Karl außergewöhnlich groß gewesen sein soll“ [DPA, SZ].

Da wächst ein Baum vielleicht noch 66 Jahre nach Karls Tod, aber der Kaiser hat zweifellos das Holz dieses Baumes bereits als Tür benutzt. Und die Höhe von 1,92 m entspricht heutigen Normtüren, ohne dass sie für Hünen konstruiert wären, zumal sich das im Karlsschrein liegende Skelett auf eine Länge von 1,82 m umrechnen ließ [Schleifring/Koch]. Trotzdem soll jetzt dieses alte Türblatt mit seinen eher gotischen Beschlägen den Weg zur ungehinderten Karlsverehrung öffnen. Sie erhält – da sie der Kaiser persönlich in der Hand gehabt hat – den Rang einer Kontaktreliquie. Nun wissen wir, durch welche Tür er einst seine Kirche betreten hat. Nun haben wir endlich Gewissheit, dass Karl auf Erden gewandelt, vielleicht sogar einmal am Türstock angestoßen ist. Ob hier bald nach DNA-Spuren gesucht wird?

Wehe dem Kaiser, dessen Leben an alten Brettern hängt. Sie mögen zwar die Welt bedeuten, aber nur auf dem Theater. In der Realität tragen sie ihn nicht. Karl der Große bleibt eine Fiktion.

Literatur

Austilat, Andreas (2014): Karl der Große · Der erste Europäer; Der Tagesspiegel, Berlin, 25. 01.

DPA, SZ (2014): Die Kaisertür; unter Nachrichten; SZ, 22. 01.

Illig, Heribert (³2013): Aachen ohne Karl den Großen. Technik stürzt sein Reich ins Nichts; Gräfelfing (12011)

– (1996): Das erfundene Mittelalter; Düsseldorf, dann München, Berlin

Gretzschel, Matthias / Kummereincke, Sven (2014): Hammaburg entdeckt · Hamburg war vom ersten Tag an Stadt der Händler; Hamburger Abendblatt, 25. 01.

KNA = Der Aachener Dom. 25.01.2014 · Startschuss für das große Karlsjahr · Jubiläumsauftakt; domradio.de;
http://www.domradio.de/themen/bistuemer/2014-01-25/startschuss-fuer-das-grosse- karlsjahr

Kraus, Thomas R. (Hg. 2013): Aachen · Von den Anfängen bis zur Gegenwart. Band 2: Karolinger – Ottonen – Salier · 765–1137 (veröffentlicht vom Stadtarchiv Aachen und vom Aachener Geschichtsverein); Aachen

Maintz, Helmut (2005): Sanierung karolingisches Mauerwerk. Sanierung Turmkreuz und Neuverschieferung Turmhelm (Veröffentlichungen des Karlsverein-Dombauverein, Band 7); Aachen [divergierende Jahreszahlen auf Titelblatt (2005) und in der Titelei (2004)]

Schleifring, Joachim / Koch, Wilfried (1988): Rekognoszierung der Gebeine Karls des Großen im Dom zu Aachen; Archäologie im Rheinland, S. 101

Stiegemann, Christoph / Wemhoff, Matthias (Hg. 1999): 799 · Kunst und Kultur der Karolingerzeit. Karl der Große und Papst Leo III. in Paderborn; Katalog, Band 1; Mainz