Interdisziplinäres Bulletin
(vormalig ‚Vorzeit-Frühzeit-Gegenwart’)
Jahrgang 25, Heft 2, August 2013
259 | Editorial |
260 | Illig, Heribert: Neue Pyramidenbauvorschläge. Bücher von Horst Leidel und Frank Müller-Römer |
282 | Löhner, Franz: Kupfer gegen Granit? Eine Anmerkung |
285 | Ernst, Otto: Echnaton und Nofretete. Tutanchamuns mögliche Eltern |
297 | Illig, H.: Ägyptische Tempel – griechisch-römisch kopiert? |
305 | Illig, H. Das neue Ägyptische Museum München. Eine Sichtung |
309 | Otte, Andreas: Forgotten Civilization. Rezension, Zusammenschau und Spekulation |
335 | Illig, H.: Kraggewölbe bis zur Gegenwart |
342 | Günther, Karl: Wann war und was ist Javne? Das rabbinische Judentum schafft seinen Gründungsmythos |
353 | Illig, H.: Aquileia und Grado. Zwei konkurrierende Bistümer vom frühen Christentum bis zum Hochmittelalter |
383 | Laszlo, Renate: Die altenglische Literatur bestätigt die Phantomzeit |
400 | Laszlo, R.: Die Schlacht bei Argentoratum (Straßburg) oder das Rätsel über den Panzer |
413 | Illig, H.: Unvereinbare Königskinder |
415 | Otte, A.: Ein sicherlich gut gemeinter Versuch: Thomas Hattemer – Die verfälschte Antike |
426 | Illig, H.: Erstmals ein Archäologe! Das erfundene Mittelalter wird in Graz diskutiert |
444 | Illig, H.: Von Graz nach Gräfelfing durch etliche Untiefen |
448 | Bonaventura: Zeitensprünge um Darwin, 1804 publiziert |
453 | Illig, H.: Karl Popper und Charles Darwin. Zur Diskussion |
456 | Birken, Andreas: Leserbrief zu Karl Popper |
460 | Haumann, Raphael: Zu Werner Franks Kritik an meinem Buch Die Physik des Nichts – mit einer Antwort von H. Illig |
465 | Illig, H.: Abschluss der zehnbändigen Kriminalgeschichte des Christentums von Karlheinz Deschner. Ein Dank |
469 | Bangerter, Hans: Was tut man eigentlich, wenn man glaubt? Ein Beitrag zur Religions- und Moralkritik |
498 | Zuberbühler, Robert: Vermutungen zum Thema Emergenz |
511 | Kleinfunde, Randbefunde |
515 | Verlagsmitteilungen |
ISSN 0947-7233
Zu: Karl Popper und Charles Darwin. Diskussionsbeiträge von Heribert Illig und Andreas Birken. In: Zeitensprünge 2/2013, S. 453 ff.
WIE soll’s denn gehen?
Mit diesem Kommentar nehme ich als Leser dieser Webseite ein weiteres Mal die Aufforderung ernst, zu „einer lebendigen Diskussion aller Fragen“ (s.o.) beizutragen. Hoffentlich gelingt es mir diesmal, irgendeine Reaktion zu provozieren.
Der Darwinismus war in den ZS schon mehrfach Thema. Als Jüngst-Einsteiger glaube ich den Grund dafür darin zu erkennen, dass Darwins Evolutionstheorie eine sehr langsame und stetige Entwicklung der Lebensformen auf der Erde erklärt. Die Katastrophenansätze in der Nachfolge Immanuel Velikovskys und die Theorie des Elektrischen Universums dagegen versuchen, auch sprunghafte Evolutionsschübe nachzuweisen, aufgrund derer die Geschichte des Lebens wesentlich kürzer gewesen sein könnte als bisher angenommen. Daher die chronologiekritische Brisanz des Themas. Der Artikel über Karl Popper beschäftigt sich nun mit einer Idee zur Modifizierung des Darwinismus, die in der Aktivität der Lebewesen selbst gründet, also, wie mir scheint, mit Katastrophismus und Elektrischem Universum nichts zu tun hat.
Ich möchte zu Beginn festhalten, woraus der Darwinismus nach meinem bisherigen „Alltagsverständnis“ besteht, und dann weitersehen, ob die im Artikel angedachte Modifizierungs-Richtung einen Grund dafür abgeben kann, davon abzuweichen.
Also: Darwinismus heißt, dass die vielen verschiedenen Arten im Tier- und Pflanzenreich durch sehr langsame Evolution entstanden sind und sich weiterentwickeln. Die Merkmale einer Art bleiben nicht immer genau gleich, sondern verändern sich bei Individuen (d.h. Einzelexemplaren von Tieren oder Pflanzen) durch spontane und zufällige Mutationen. Diese Mutationen können für die Überlebens- und Fortpflanzungschancen zunächst dieser Individuen positiv oder negativ sein. Sind sie positiv, werden sich diese Individuen gegenüber ihren Artgenossen, die nicht entsprechend mutiert sind, allmählich durchsetzen. Hat sich dadurch die gesamte Art verändert bzw. ist eine neue Art (vielleicht parallel zur alten) entstanden, kann sich diese Art in ihrer natürlichen Umgebung, also gegenüber anderen Arten, leichter behaupten. Sind die Mutationen negativ, ist die Wirkung entsprechend umgekehrt, die mutierten Individuen setzen sich nicht durch, die Art verändert sich nicht. (Nur ein – eher sehr kleiner – Teil der Mutationen ist also „erfolgreich“.) Eine Mutation kann mehrere miteinander gekoppelte Merkmalsänderungen bewirken, was zur Folge hat, dass als „Abfallprodukt“ positiv wirkender Merkmalsänderungen auch Merkmale entstehen und bleiben können, die keinen Nutzen für den Arterhalt haben. All das geschieht in permanenter „multidirektionaler“ Wechselwirkung, denn eine veränderte oder neue Art stellt für andere Arten eine Veränderung von deren natürlicher Umgebung dar, was wiederum eine Ursache dafür ist, welche Mutationen bei diesen anderen Arten positiv wirken und welche nicht. Die durch die Mutationen bewirkte Selektion läuft also in einer Art Doppelschritt ab, zuerst innerhalb der Art und dann auch nach außen, wobei die beiden Teilschritte nicht zeitlich nacheinander ablaufen, sondern nur logisch getrennt, denn sobald auch nur ein Individuum eine Mutation aufweist, wird sie Wirkungen auf seine Überlebenschancen sowohl gegenüber den Artgenossen als auch gegenüber der natürlichen Umgebung haben, und sei es auch noch so minimal oder kurzfristig (d.h. an die Lebensspanne dieses Individuums gebunden).
Soweit also mein bisheriges Verständnis des Darwinismus. Nun zu der im Artikel vorgestellten und andiskutierten Idee des aktiven Darwinismus von Karl Popper:
Popper hält den „bisherigen“ Darwinismus für „passiv“. Das genügt ihm nicht; er sucht das aktive Element, womit er eine aktive Beteiligung der „Organismen“ (d.h. wohl Individuen) an der Veränderung des Erbguts meint, das sie selbst weitergeben. Anders kann diese Vorstellung nicht gemeint sein. Denn ihr eigenes Erbgut, d.h. sich selbst, können sie ja nicht mehr verändern: Änderungen bei lebendigem Leib sind z.B. Lernen oder Krankheit, und um so etwas geht es ja nicht. Diese von Popper angenommene aktive Einwirkung auf die – veränderte – Weitergabe des eigenen Erbguts wird im Artikel mit folgenden Formulierungen ausgedrückt (wobei ich beim Zitieren im Folgenden nicht unterscheide, ob es sich um ein Original-Zitat von Popper oder um seine Wiedergabe durch Niemann oder Illig handelt – das würde zu kompliziert und verwirrend. Ich gebe einfach die Seitenzahl an, und wer es genau wissen will, muss in den ZS selbst nachlesen):
„Die Organismen mussten auf ihre Umgebung eingestellt sein, … zu dieser Einstellung oder Anpassung gehörte das Vermögen zu handeln, das Vermögen zu Aktivitäten wie beispielsweise den Versuch-und-Irrtum-Bewegungen. … Die Organismen versuchen ihre eigene physikalische Umwelt, ihre Lebensnische zu verändern. … [Sie] zeigen Vorlieben für bestimmte Verhältnisse und suchen sie aktiv.“ (S. 454)
„[Der] ‘aktive Darwinismus’ verleugnet nicht die natürliche Auslese; nur wählt jedes Lebewesen den für sein Leben ausschlaggebenden Selektionsdruck. … Darwin denkt … nicht daran, dass es die eigenen Präferenzen [der Arten] sind, die die Richtung der Veränderung bestimmen. … Das einzige kreative Element in der Evolution [ist] die Aktivität der lebenden Organismen.“ (S. 455)
An diesen Formulierungen verwundert, dass sie unterstellen, der „herkömmliche“ Darwinismus wisse nicht, dass Organismen aktiv in ihrer natürlichen Umgebung leben und natürlich auf diese einwirken, so wie sie auch der Einwirkung der Umgebung ausgesetzt sind. An dieser Aktivität zeigen sich ja gerade die Lebenserfordernisse der verschiedenen Arten, und daran entscheidet sich, welche Mutationen, wenn sie denn auftreten, positiv sind und welche nicht. Das gilt natürlich für die höchsten tierischen Organismen ebenso wie für die niedrigsten Pflanzen (auch diese breiten sich eher in günstiger Umgebung aus als in ungünstiger, das gegen Andreas Birken S. 456, in Übereinstimmung mit H. Illig S. 458). Aber die obigen Zitate zeigen, dass noch mehr als das gesagt sein soll („Lebensnische verändern“, „wählt Selektionsdruck“, „Präferenzen bestimmen Veränderung“): Nämlich eben, dass die Lebewesen mit ihrer Lebensaktivität nicht nur die Bedingungen liefern, an denen sich die Nützlichkeit der zufällig auftretenden Mutationen entscheidet, sondern dass sie die Mutationen selbst beeinflussen. So wörtlich wird es nirgends ausgedrückt, aber etwas anderes kann nicht gemeint sein. Man soll sich also etwa vorstellen: Der Löwe jagt Gazellen, weil er ihr Fleisch für sein Leben und seine Fortpflanzung braucht. Ein „Selektionsdruck“ für ihn ist die nötige Geschwindigkeit, die er braucht, um seine Beute zu erwischen. Wenn er schneller laufen könnte, würde er vielleicht jede Gazelle erwischen und nicht nur jede zehnte. Laut herkömmlichem Darwinismus setzen sich Löwen mit mutationsbedingt schnelleren Beinen wahrscheinlich durch. Laut dem aktiven Darwinismus bewirkt der Stress bei der Jagd auf die schnellen Gazellen (eine Aktivität, die die Löwen selbst „gewählt“ haben!? – was sollen sie auch sonst tun) bei den Löwen Mutationen, die sie schneller laufen lassen. Genauer gesagt, ihr Erbgut verändert sich aufgrund der Stresssituation so, dass ihre Nachkommen schneller laufen können als sie selbst. Wenn Poppers Idee soweit richtig dargestellt ist, bedeutet es, dass für ihn Mutationen nicht mehr zufällig sind. – Dazu kann man nur eines sagen: Wer das behaupten will, muss auch zumindest eine Erklärungsidee liefern, WIE das gehen soll. Das tut Popper aber nicht; jedenfalls wird im Artikel nichts davon berichtet.
Ein Wort zu Heribert Illig, der im aktiven Darwinismus eine mögliche Erklärung für die auffällige Diskrepanz bei den Mutationsraten sieht (sehr hoch bei den ostafrikanischen Buntbarschen, sehr niedrig bei den Schildkröten). Das schöne Bild von A. Birken aufgreifend, dass Mutationen „Kopierfehler“ (S. 457) sind, fällt mir dazu ein, dass doch die DNA der verschiedenen Arten sich nicht nur in den in ihr enthaltenen Erbinformationen unterscheiden könnte, sondern auch in ihrer Fehleranfälligkeit. Wenn die hohe Fehleranfälligkeit der Barsch-DNA trotz aller Mutationen erhalten bliebe, wäre das eine Erklärung für die häufigen Mutationen bei diesen Tieren. Die Schildkröten dagegen hätten eine „stabile“ DNA und wären gleichzeitig an das Leben auch unter wechselnden Umständen so perfekt angepasst, dass sie die Zeit vom Obertrias bis heute „gleichmütig kauend“ (S. 458) auch ohne Mutationen aussitzen konnten. – Ließen sich so die Mutationsraten nicht auch ohne aktiven Darwinismus erklären?
Die Idee des „aktiven Darwinismus“ hat aber auch noch eine deutliche ideologische Komponente:
„Es macht einen Unterschied, ob wir glauben, dass alles Leben nichts als Chemie oder Physik ist, dass wir keinen wirklich freien Willen haben und dass alles Hoffen, Lieben, Wollen und Wünschen das Produkt egoistischer Gene oder elektrochemischer Prozesse ist, oder ob wir glauben, dass Wissen und Wollen zwar auf diesen Prozessen beruhen, aber inhaltlich nicht von ihnen bestimmt werden. Nur wenn man nicht deterministisch denkt, kann man die lebenswichtige Einsicht gewinnen, dass die eigene Aktivität zu völlig neuen, unvorhersehbaren Lebensabschnitten und in neue Welten führen kann. Dieses neue Weltbild, …“ (S. 455)
Hier wird in der Tat ein Weltbild vorstellig gemacht, nämlich das des Lebewesens als – aus freiem Willen – hoffendes, liebendes, wollendes und wünschendes (wobei glatt sämtliche Lebewesen – inklusive Pflanzen – dazu herhalten müssen, willensbegabt und hoffensfähig zu sein); und die Idee des aktiven Darwinismus wird als Argument erfunden zur Unterfütterung dieses Weltbilds. Natürlich geht es Popper dabei eigentlich nur um den Menschen, dessen freien Willen er durch den Darwinismus bedroht sieht, also um ein (vorgefasstes) Menschenbild. Dabei ist die Existenz des freien Willens eine tautologische Selbstverständlichkeit, die aber mit dem Darwinismus überhaupt nichts zu tun hat. Freier Wille bei bewusstseinsbegabten Lebewesen heißt ja nicht Allmächtigkeit. Und die offenbar von Popper postulierte Fähigkeit, das eigene, weiterzugebende Erbgut zu ändern, klingt schon sehr nach Allmächtigkeit. Der im Artikel anklingende Gegensatz zwischen freiem Willen und etwas wie Chemo-Determinismus geht an der Sache vorbei. Kein mit freiem Willen ausgestattetes Lebewesen wird durch zufällige Mutationen zum „chemischen Automaten“ (S. 459) gemacht und an der Exekution dieses Willens gehindert! Wenn Popper auf dem freien Willen insistiert und (in den Worten Niemanns) von „völlig neuen, unvorhersehbaren Lebensabschnitten“ und „neuen Welten“ träumt, dann – so meine Vermutung in Erinnerung an seine berühmten Auseinandersetzungen z.B. mit Herbert Marcuse – wehrt er sich damit gegen linke Theorien, die gesellschaftliche Ursachen menschlicher Beschränkungen aufzeigen und damit VERMEINTLICH den freien Willen leugnen.
Also lautet mein Appell an die Vertreter des aktiven Darwinismus: Erstens ideologischen Ballast beiseite lassen, zweitens erklären, WIE Mutationen durch Lebensaktivität gesteuert bzw. ausgelöst werden können. Und meine Bitte an die Redaktion der ZS: Falls solche Erklärungsansätze schon vorliegen sollten, dann sollten sie im Rahmen eines solchen Artikels wenigstens kurz erwähnt werden. Falls es sie nicht gibt, hätte sich das ganze Thema sowieso erledigt. So, wie der Artikel dasteht, lässt er den Leser ein wenig ratlos im Regen stehen.
fanzfan
8. November 2013