von Heribert Illig
[Redaktionelle Notiz: Es handelt sich hierbei um den ersten Beitrag zur mittelalterlichen Phantomzeit aus Zeitensprünge 1/1991. Gemeinsam mit zwei weiteren Beiträgen aus dem gleichen Heft markiert er den Beginn der Beschäftigung mit dem Mittelalter aus chronologischer Sicht in den Zeitensprüngen.]
Die Quintessenz dieses Artikels ist ebenso einfach wie weitreichend:
Zwischen Caesar und der Neuzeit werden rund 350 Jahre zuviel in unserer Chronologie geführt.
Diese Erkenntnis ergibt sich aus einer einfachen Rechnung und aus den vergeblichen Versuchen der Vorgänger, ihr falsches Resultat in ein richtiges zu verwandeln. Der Gregorianische Kalender setzt den Julianischen fort; unsere kalendarische Leitschiene1 verbindet also Antike und Neuzeit und überbrückt römische Kaiserzeit ebenso wie das gesamte Mittelalter. Wenn der neue Kalender fehlerhaft auf den alten aufgepfropft worden ist, dann müssen sämtliche Datierungen und Synchronismen zwischen Caesar und der Frührenaissance einer Prüfung unterzogen werden.
Zur Erinnerung: Der Pontifex maximus Gaius Julius Caesar hat -442 den nach ihm benannten Julianischen Kalender eingeführt, bei dem jedes vierte Jahr 366 statt 365 Tage zählt. Dieser Kalender war so gut, daß erst 1.626 Jahren später eine Nachbesserung notwendig wurde. Papst Gregor XIII. mußte 1582 den Kalender wieder in Gleichklang mit den astronomischen Jahreszeiten bringen lassen. Dies geschah durch Überspringen von 10 Tagen bei der Datumszählung: Auf den 4.10. 1582 folgte sofort der 15.10. 1582 ! Um für die Zukunft ein Auseinanderdriften zwischen Kalender und Sonnenumlauf der Erde zu vermeiden, wurde außerdem die Schaltregel verfeinert. So ist der Gregorianische Kalender im Grunde ein korrigierter und verbesserter Julianischer Kalender. Differierte das Julianische Jahr noch um 674 sec = 11 min + 14 sec vom Sonnenjahr, “paßt” das Gregorianische Jahr bis auf 26 sec genau und ist damit für Jahrtausende vor Korrekturen geschützt:
Julianisches Jahr: | 365,2500 Tage = 365 d 360 min | = 365 d 21.600 sec |
Gregorianisches Jahr: | 365,2425 Tage = 365 d 349 min 12 sec | = 365 d 20.952 sec |
Sonnenjahr: | 365,2422 Tage = 365 d 348 min 46 sec | = 365 d 20.926 sec |
The New Encyclopaedia Britannica (1985) schreibt unter dem Stichwort calendar zum “Julianischen Kalender, der für die nächsten rund 1600 Jahre benutzt wurde”: “Doch während dieser Zeit produzierte die Unstimmigkeit zwischen dem Julianischen Jahr von 365,25 Tagen und dem Tropischen Jahr von 365,242199 Tagen allmählich signifikante Fehler. Die Differenz wuchs mit einer Rate von 11 Minuten 14 Sekunden pro Jahr, bis sie 1545 volle 10 Tage betrug und das Konzil von Trient Papst Paul III. zu einer Korrektur ermächtigte.” Ausgeführt wurde die Korrektur erst 37 Jahre später unter Gregor XIII.
Aber diese simple Multiplikation ergibt ein falsches Resultat:
1.626 Jahre mit einer jeweiligen Diskrepanz von 674 sec ergeben 1.095.924 sec bzw. (ein Tag hat 86.400 sec) ca. 12,7 Tage!
Der Julianische Kalender ging also in 1.626 Jahren um 12,7 Tage nach. Weil eine Korrektur nur in ganzen Schalttagen3 erfolgen konnte, wäre 1582 ein Überspringen von 13 Tagen notwendig gewesen (dies bestätigt Zemanek 1984, 126). Tatsächlich sind aber nur 10 Tage übersprungen worden.
Nachdem die Meinung der Encyclopaedia Britannica hier stellvertretend für die einer Vielzahl anderer Werke zitiert wurde, muß es eine Erklärung für diesen bösen Schnitzer geben. Vier Möglichkeiten sind vorstellbar, weshalb die Korrektur von 1582 deutlich kleiner (gut 20 %) ausgefallen ist, als die Rechnung vorgegeben hat:
- Die päpstlichen Römer haben ihr Korrektur nicht auf Caesars Korrektur bezogen,
- die antiken Römer haben den Frühjahrspunkt noch nicht richtig bestimmt,
- die päpstlichen Römer haben den Frühjahrspunkt anders bestimmt als Caesars Astronomen,
- zwischen den Reformen von Caesar und Gregor XIII. liegen weniger als 1.626 Jahre.
Zu 1) und den Römern des 16. Jh.
Wenn ein Kalender langsam aus dem Ruder läuft, dann müßte eine Korrektur jene astronomische Situation wieder herbeiführen, der er ursprünglich entsprochen hat. Deshalb wäre man geneigt, den britischen Enzyklopädisten Recht zu geben. In der Spezialliteratur findet sich aber eine Alternative:
“Da das Datum des Äquinoktiums zur Zeit der Reform um 10 Tage gegen das wirkliche zurückgewichen war, d.h. 1582 auf dem 11. März haftete statt auf dem 21. März, so sollte das Datum wieder auf den Äquinoktialtag XII. Kalendas Aprilis = 21. März des Jahres 325 (Konzil von Nicäa) zurückgebracht werden” (Ginzel 1914, III 257).
Dieser Bezug auf das erste Konzil der Christenheit wäre eine Erklärung für die oben monierte Diskrepanz von 2,7 oder 3 vollen Tagen. Denn für die von Nicäa bis Gregor XIII. verstrichenen 1.257 Jahre erbringt die Rechnung tatsächlich 10 Ausgleichstage:
1.257 Jahre mit einer jeweiligen Diskrepanz von 674 sec ergeben 847.218 sec bzw. (nachdem ein Tag 86.400 sec hat) ca. 9,8 Tage!
Man hätte sich also 1582 nicht an Caesar, sondern am Konzil von Nicäa orientiert. Ein Abbé beschreibt, was vorgegangen sein soll: Die Koryphäen einigten sich, indem “sie schließlich erklärten, lieber einfach 10 Tage zu unterdrücken, um das Äquinoktium wieder auf den 21. März zu bringen, wo es seit dem Konzil von Nicäa gewesen war. Damit wollte man diesem Konzil Respekt zollen und möglichst wenige Veränderungen in die liturgischen Bücher bringen, die Pius V. <direkter Vorgänger von Gregor XIII.> überarbeitet hatte” (Chauve-Bertrand 1936, 89).
Zum besseren Verständnis muß nachgeschickt werden, daß es für alle Kalendermacher, also auch für Gregors Wissenschaftler zwei Korrekturmöglichkeiten gab: Entweder ließen sie die Kalenderzählung unverändert, dann erhielt das astronomische Äquinoktium ein neues Kalenderdatum, oder das Äquinoktium behielt sein kalendarisches Datum, dann mußte die Kalenderzählung korrigiert werden. Konkreter: Entweder fiel das Äquinoktium nicht mehr auf den 21.3., sondern auf den 11.3. – oder im Kalender mußten 10 Tage übersprungen werden, damit das Äquinoktium wieder auf den 21.3. fiel. 1582 entschied man sich für die Korrektur der Kalenderzählung und den 21.3., 325 hätte man sich für ein neues und damit unser geltendes Äquinoktialdatum entschieden, für den 21.3. anstelle des 25.3. (s.u.).
Das Konzil von Nicäa
Die frühe Kirche hat dem exakten Zeitpunkt des Osterfestes eine Bedeutung beigemessen, die für uns schwer verständlich ist. 325 tobten nicht nur die Streitigkeiten um die arianische Lehrmeinung, sondern es kämpften regelrechte Parteien um einen einheitlichen Osterfesttermin für die gesamte Kirche. Im Bemühen, das höchste christliche Fest vom jüdischen Passahfest abzugrenzen (das immer auf den ersten Frühlingsvollmond fällt), stritten Protopaschiten und Quartodezimaner, später auch noch Audianer und Novatianer.
Schließlich hat das Konzil “verfügt, daß das von den Christen in Kleinasien und Europa bis dahin an unterschiedlichen Tagen gefeierte Osterfest von nun an stets am ersten Sonntag nach dem 14. Tag des Mondes (das entspricht etwa dem Vollmond) bei oder nach Frühlingsanfang stattfinden solle; zum Datum des Frühlingsbeginns bestimmte man den 21. März” (Moyer 1982, 94).
Das klingt plausibel, ist aber keineswegs gesicherte Wahrheit. “Der Wortlaut der Akten dieses Konzils betreffs des Osterfestes ist zwar nicht bekannt, aber das Schreiben der nicäischen Synode an die alexandrinischen Kirchen und libyschen Bischöfe ist erhalten, sowie dasjenige, welches Kaiser Konstantin unmittelbar nach dem Konzil bei denjenigen zirkulieren ließ, welche dem Konzil nicht beigewohnt hatten” (Ginzel 1914, III 216f.; Hervorhebung von H.I.). Doch Ginzel moniert, daß er in keinem der beiden Schreiben eine Regel für die Osterfestbestimmung oder das Datum 21.3. für den Frühlingspunkt4 findet; es wird lediglich von der Notwendigkeit der Einigkeit in der Osterfeier gesprochen (ebd.) !
Daß es mit dieser Einigkeit nicht weit her gewesen sein kann, beweist die Tatsache, daß nach dem nicäischen Konzil noch der Brauch des festen Ostertermins aufkam.
Frommen Christen schien es eine Zeitlang gottgemäß, daß Jesus am Jahrestag seiner Zeugung gestorben sei, also an “Mariä Verkündigung” (25.3.), neun Monate vor Weihnachten (keineswegs an “der Unbefleckten Empfängnis”, denn dieser unsägliche Begriff meint die Zeugung der von Erbsünde unbefleckten Maria am 8.12., neun Monate vor Mariä Geburt am 8.9.). Mit diesem Datum 25.3. wurde Ostern im Kalender fixiert und als unbeweglicher Jahresanfang definiert (Ginzel 1914, III 164).
Tatsächliche erreichte die Kirche erst im 6. Jh. den einheitlichen Ostertermin; als Bezugspunkt für den ersten Frühlingsvollmond galt das Frühlingsäquinoktium (Ginzel 1914, III 252)5.
Damit erhärtet sich der Verdacht, daß zu Nicäa gar keine Entscheidung über die Osterfestberechnung und das Datum der Tagundnachtgleiche getroffen worden ist. Diesem Konzil wurde die exakte und definitive Osterregelung lediglich unterstellt, weil die völlig unbezweifelbaren 10 Ausgleichstage von 1582 zwar auf das Jahr 325, nicht aber auf -44 verwiesen!
Diesem Konzil ist sogar noch mehr unterstellt worden, obwohl oder weil wir so wenig über seinen Verlauf wissen, denn “Protokolle wurden entweder nicht gemacht oder die Kirche ließ sie verschwinden” (Deschner 1980, 394). Aber Abbé Chauve-Bertrand berichtet: Die Konzilsväter hätten bereits 325 gewußt, daß der Julianische Kalender gewissermaßen aus dem Ruder läuft. Deshalb hätten sie nicht nur den Ostertermin und den Frühlingsbeginn festgelegt, sondern den Frühlingsbeginn neu festgelegt. Sie hätten sich damals für die entgegengesetzte Lösung wie die gregorianischen Reformer entschlossen, indem sie die Kalendertageszählung beließen und den Frühlingspunkt vom 25.3. auf den 21.3. (beide julianisch) vorverlegten (Chauve-Bertrand 1936, 87).
All das ist pure Spekulation:
- Das Wandern des Frühlingspunktes hat erstmals Magister Chonrad in einer Schrift um 1200 angesprochen; ein allererster Hinweis ist aus dem 8. Jh. bekannt, als Beda seine Ostertafel bis 1063 errechnete und dabei anmerkte, daß sich der Vollmond manchmal früher zeige (Ginzel III, 252),
- den 25.3. gewann man durch eine simple Rückrechnung. Denn das Vorrücken des Frühlingspunktes vom 25.3. auf den 21.3. entspricht drei übersprungenen Tagen – und diese Rechnung ist für die 369 Jahre von Caesar bis Nicäa vollkommen richtig:
369 Jahre mit einer jeweiligen Diskrepanz von 674 sec ergeben 248.706 sec bzw. (nachdem ein Tag 86.400 sec hat) ca. 2,9 Tage! - den 21.3. als Frühlingsäquinoktium hat Chauve-Bertrand schließlich von der gregorianischen Fixierung übernommen.
Gerade weil nicht hinreichend überliefert ist, auf welchen Kalendertag das Frühlingsäquinoktium des Jahres 325 gefallen ist, muß es rückgerechnet werden. Ginzel selbst hat dies getan: “Der richtige astronomische Eintritt des Frühlingsäquinoktiums war im Jahre 325 am 20. März 12h 44m m. Zt. Rom, im Jahre 1582 am 11. März 0h 48m m. Zt. Rom (den Tag von Mitternacht zu Mitternacht gerechnet)” (Ginzel 1914, III 257). Wenn diese Rechnung stimmte, dann wären zwischen Nicäa und Gregor sogar nur 8,5 Tage bzw. 9 volle Ausgleichstage “fällig” gewesen. Ob in seine Rechnung eingegangen ist, daß die Länge des tropischen Jahres wegen der sich verlangsamenden Erdrotation abnimmt, der Fehler im Julianischen Kalender also noch etwas schneller wächst als lange gedacht (Moyer 1982, 96), kann seinem Ergebnis leider nicht entnommen werden.
Man sollte jedoch nicht zuviel von diesem ersten Konzil verlangen, war es doch das einzige, dem der Heilige Geist nur unzureichend Beistand leisten konnte – denn er erlangte seine volle Gottheit erst 381 (Deschner 1980, 384).
Zu 2) und den Römern des -1. Jh.
Kann es sein, daß die alten Römer die Äquinoktien, sprich die Ost-West-Richtung nicht exakt bestimmen konnten? Die Fragestellung muß absurd erscheinen, denn das dafür notwendige Wissen soll zu Caesars Zeiten schon gut 2.000 Jahre bereitgestanden haben. Sichtbarer Beweis dafür ist die Cheopspyramide, an der immer die ungeheuer präzise Ausrichtung ihrer Grundkanten nach den Himmelsrichtungen bewundert worden ist. Auch wenn mittlerweise als ihre Erbauungszeit das -6. Jh. gesehen wird (Heinsohn/Illig 1990, 115), hätten die Römer 500 Jahre Zeit gehabt, ägyptische Vermessungstechnik zu lernen. Daß sie diese Lektion rechtzeitig begriffen haben, beweist die unvergleichliche Sonnenuhr des Augustus.
Auf dem römischen Marsfeld ließ der erste Kaiser eine subtil berechnete Kombination von Siegesdenkmal, Geburtstagmemorial, Mausoleum, Friedensaltar und Sonnenuhr errichten, wie sie im Abendland wohl kein zweites Mal realisiert worden ist. Nur das Mausoleum steht noch heute an seinem ursprünglichen Platz, Ara Pacis und Obelisk sind versetzt worden und vom Liniennetz finden sich nur noch Fragmente tief unterm heutigen Straßenniveau. So konnte die Gesamtanlage erst vor wenigen Jahren von Edmund Buchner rekonstruiert und archäologisch belegt werden (Buchner 1982).
Augustus wollte seinen Sieg über Ägypten mit einem Obelisken bekunden, dem ersten, der aus Ägypten verschleppt worden ist. Im Jahre -12 (ebd., 48) beschloß der 50jährige Kaiser, ihn als fast 30 m hohen Gnomon, als Schattenzeiger einer Sonnenuhr zu benutzen, deren in Marmor ausgelegtes Liniennetz eine Fläche von mehr als 160 x 75 m abdecken sollte. Der -8 ebenfalls fertiggestellte und geweihte Friedensaltar (Ara Pacis) und das schon früher errichtete Mausoleum standen in astronomisch-astrologischem Bezug.
Der Kaiser war exakt zur herbstlichen Tagundnachtgleiche geboren. “Am Geburtstag des Kaisers <…> wandert der Schatten von Morgen bis Abend etwa 150 m weit die schnurgerade Äquinoktienlinie entlang genau zur Mitte der Ara Pacis; es führt so eine direkte Linie von der Geburt dieses Mannes zu Pax, und es wird sichtbar demonstriert, daß er natus ad pacem ist” (Buchner 1982, 37).
Damit dieses Phänomen eintreten kann, muß die Äquinoktiallinie schnurgerade von West nach Ost führen!
Konnte damals der Lauf des Schattens so präzise nach den Äquinoktien ausgerichtet werden, dürfen wir mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit annehmen, daß nur eine Generation früher, zu Caesars Zeiten, die exakte Bestimmung der Äquinoktien gleichfalls keine Schwierigkeiten gemacht hat. Damit mußte aber das römische Frühlingsäquinoktium auf denselben Tag fallen wie heutzutage, also auf den (wohlgemerkt gregorianischen) 21. März.
Zu 3) und dem Frühlingspunkt
Die alten Römer konnten demnach äußerst präzis die Äquinoktien bestimmen. Die Verzahnung von Äquinoktien und Kalender ist gleichfalls durch die Sonnenuhr des Augustus bewiesen.
Zu Zeiten Caesars wurde der Frühlingsbeginn noch nicht auf den Frühlingspunkt gelegt. Erst im späten Altertum sind die Jahreszeiten an Sonnwenden und Äquinoktien angeknüpft worden (Buchner 1982, 79), zuvor dehnte man den Sommer gemäß klimatischer Gegebenheiten auf fünf und mehr Monate aus. Deshalb wissen wir weder von Caesar selbst noch von seinen Zeitgenossen, auf welchen Tag seines Kalenders der Frühlingspunkt gefallen ist. Columella und Plinius haben später den 24.3. errechnet, ein Datum, das Ginzel als fehlerhaft bezeichnet und auf den 23.3. korrigiert (Ginzel 1911, II 285). Das Vorrücken vom 23.3. (Caesar) zum 21.3. (Nicäa) ergäbe aber nur einen einzigen zu überspringenden Ausgleichstag, weshalb zwischen Nicäa und Caesar nur rund 130 Jahre gelegen wären!
Aber wir haben ein anderes zeitgenössisches Datum, das diese Nachrechnungen und Nachbesserungen erübrigt. Übereinstimmend nennen alle Nachschlagewerke als Geburtstag des Augustus den 23.9. und sie meinen damit ein julianisches Datum, wie Bickerman 1980, 48f. bestätigt. Nun ist Augustus -62 und damit vor der julianischen Kalenderreform von -44 geboren; sein Geburtstagsdatum mußte also schon in der Antike in ein julianisches Datum umgerechnet werden. Gerade das macht dieses Datum besonders interessant.
Diese Umrechnung war unumgänglich, weil Caesar bei seiner Reform dem Jahr -45 volle 445 Tage zuweisen mußte, um den Kalender wieder in Einklang mit der astronomischen Realität zu bringen (Ekrutt 1972, 51). Man konnte sich aber im Falle von Augustus gar nicht irren, denn sein Geburtstag lag ja exakt auf dem Herbstäquinoktium. Gleich ob nun die Umrechnung stimmt oder einfach das Datum der herbstlichen Tagundnachtgleiche gewählt worden ist: Der 23.9. gibt das julianische Herbstäquinoktium des -1. Jh. wieder !
Aber auch der gregorianische Herbstanfang liegt auf dem 23.9., wie uns bereits ein Blick auf den Kalender von 1991 belehrt. Daraus geht zwingend hervor, daß der gregorianische Kalender, der seit 1582 den Herbstanfang auf denselben Tag fixiert, genau jene Situation wiederherstellte, die der julianische Kalender bei seiner Einführung hatte.
Dem gregorianischen Herbstanfang am 23.9. entspricht ein Frühlingsanfang am 21.3., wie erneut der Kalender von 1991 bezeugt; diese Relation ist immer gültig. Wir können deshalb mit Sicherheit davon ausgehen, daß zu Lebzeiten von Augustus (und damit zur Zeit der Julianischen Kalenderreform -44) das Frühlingsäquinoktium auf dem Datum 21.3. gelegen ist – ursprünglich julianisch, gleichermaßen aber auch aus gregorianischer Sicht!
Die Gregorianische Reform hat also die kalendarische Situation von -44, von Caesars Reform wiederhergestellt. Dieser Tatbestand widerspricht aufs entschiedenste der Behauptung, daß auch 325 der Frühlingsbeginn auf dem julianischen 21.3. gelegen sei. Denn die 369 Jahre zwischen Caesar und Nicäa müssen, wie schon berechnet, zu einer Verschiebung von 2,9 oder 3 vollen Tagen geführt haben; der “nachgehende Julianische Kalender muß nach rund 350 Jahren das Äquinoktium einem früheren Kalendertag zuweisen.
Die Chronologen haben trotzdem eine Möglichkeit gefunden, über diese absolute Unverträglichkeit, die ungeheure Konsequenzen zeitigen müßte, zwei undurchsichtige Schleier zu legen. Der erste wurde bereits angesprochen: In vielen gängigen Darstellungen (vgl. oben Encyclopaedia Britannica) wird suggeriert, daß selbstverständlich der Gregorianische Kalender die astronomische Situation vom Anbeginn des Julianischen Kalenders wiederhergestellt habe. Wer das nachrechnet und feststellt, daß 10 Ausgleichstage dafür zuwenig waren, erhält in der Spezialliteratur die Zusatzauskunft, daß selbstverständlich nur die Situation von Nicäa wiederhergestellt worden sei.
Damit fallen die Frühlingsanfänge von Caesar (tatsächlich) und Nicäa (postuliert) gleichermaßen auf den 21.3., obwohl zwischen beiden Daten 3 volle Tage liegen müßten: Bei einem 21.3. zu Nicäa muß Caesars Datum auf dem 25.3., allenfalls auf dem 24.3. liegen.
Hier breitet nun E.J. Bickerman unter “practical suggestions” (ergo Hinweise, aber auch Suggestionen) einen zweiten Schleier aus: “In der antiken (und mittelalterlichen) Chronologie benutzen wir den Julianischen Kalender, nicht den heute benutzten Gregorianischen. Beide stimmen ca. 300 n. Chr. überein; danach aber laufen die Julianischen Daten drei Tage für jeweils 400 Jahre hinter dem Gregorianischen Kalender her. In der umgekehrten Richtung ist das Julianische Jahr von ca. 100 v. Chr. an dem Gregorianischen Kalender drei Tage für jeweils 400 Jahre voraus, so daß z.B. der 29. Dezember 102 v. Chr. (gregorianisch) bereits der 1. Januar 101 v. Chr. war” (Bickerman 1980, 89).
Damit bestätigt Bickerman zunächst, daß die 10-Tage-Korrektur von 1582 nur bis zum Konzil von Nicäa zurückführt. Denn nur so ist zu erklären, daß beide Kalender um 300 übereinstimmen. Dann stellt er fest, daß nach 300 und vor -99 die Kalender mit einer Abweichung von 1 Tag je 133,3 Jahre (400 : 3) auseinanderlaufen. Dieser Wert ist als Faustregel nützlich, der rechnerisch exakte Wert liegt bei 128,2 Jahren (86.400 sec : 674 sec).
Aber zwischen -99 und 300 kreiert Bickerman ein geheimnisvolles Intervall von 400 Jahren, in dem beide Kalender vollkommen synchron laufen sollen. Dies ist natürlich unmöglich: Das kosmische Uhrwerk zeitigt unerbittlich binnen 133 oder (besser) 128 Jahren eine Kalenderdifferenz von exakt einem Tag. Wenn ums Jahr 300 Julianischer und Gregorianischer Kalender übereinstimmen, dann ist der Julianische im Jahr 172 zwangsläufig um 1 Tag voraus, im Jahr 44 um 2, im Jahr -84 um 3 Tage voraus (dabei blieb unberücksichtigt, daß wegen der Rundung auf volle Tage der Kalender bereits 236 um einen Tag, 106 um zwei, -18 um drei Tage vorgesetzt würde)! Eine Stillstandsperiode kann sich nur bei Berücksichtigung voller Tage und auch dann nur für maximal 128 Jahre ergeben.
Damit ist klar, daß dieses Bickerman-Intervall eine Schwachstelle verdecken soll. Wer die 400-Jahres-Faustregel akzeptiert hat, bei der vor- und rückläufige Verschiebungen passieren, akzeptiert vielleicht auch ein dazwischenliegendes 400-Jahres-Intervall, in dem völliger Stillstand herrscht. Und eine derartige Stillstandsperiode könnte einigermaßen zwanglos “suggerieren”, daß die 369 Jahre auseinanderliegenden Frühlingspunkte von Nicäa und Caesar auf denselben 21.3. fallen könnten6 !
Hinter diesen beiden Schleiern verläuft die falsche Naht, die Julianischen und Gregorianischen Kalender geschichtsverfälschend zusammenzurrt: Der abwechselnde Rückgriff der gregorianischen Reformer auf Nicäa oder Caesar läßt den nichts verstehenden Frager verstummen, weiter Insistierende werden durch das Caesar und Nicäa verkoppelnde Stillstandsintervall zufriedengestellt. Doch dürfte es sich nicht um bewußte Täuschung handeln: Die am kulturellen Ablauf nicht zweifelnden Chronologen des 16. bis 20. Jahrhunderts mußten mit dem Problem fertigwerden, daß 1582 der Kalender aus astronomischer Sicht 10 Tage nachging, bezogen auf Caesars Korrektur aber 13 Tage nachgehen müßte. Weil bei eindeutiger Klarstellung ganze Jahrhunderte in den Orkus gestürzt wären, griffen sie zum Schleier.
Zu 4) und der neuen Vergangenheit
Aber Dunkle Jahrhunderte, die niemals existierten, sind aus der Antike hinreichend bekannt. Sie wurden zum Beispiel in die griechische wie in die ägyptische Geschichte eingefügt, um den wenigen Synchronismen Rechnung zu tragen, die zwischen ihnen und der biblischen Geschichte bestehen (vgl. dazu Heinsohn 1988, Illig 1988 sowie Heinsohn/Illig 1990 jeweils passim). Analog dazu gibt es auch zwischen dem Ende der Antike und dem Hochmittelalter “dark ages”, die genauso benannt werden wie jene der vorchristlichen Zeit und derzeit wieder Beachtung finden (etwa Wood, 1982/88, mit seiner “Suche nach den dark ages”).Nunmehr darf guten Gewissens eine neue Rechnung aufgemacht werden. Bei ihr wird akzeptiert, daß die 10 Ausgleichstage wirklich die zeitliche Diskrepanz zwischen Gregor und Caesar kompensierten, wie ohnehin suggeriert wird. Dann sind die 10 Tage der sichere Hinweis darauf, wieviele Jahre vor Gregor XIII. Caesar seinen Julianischen Kalender eingeführt hat:
10 Tage : 674 sec Abweichung/Jahr = Laufzeit des Kalenders.
(10 x 86.400 sec) : 674 sec = 1281,899 (Jahre).
Der Julianische Kalender muß also rund 1.282 Jahre gelaufen sein, damit sich eine Diskrepanz von 10 Tagen gegenüber dem Sonnenjahr kumuliert. Demnach hätte Caesar seinen Kalender nicht 1.626, sondern 1.282 Jahre vor Gregor XIII. eingeführt – 345 Jahre später, im Jahre des Herrn 300!
Nachdem aber der Kalender nur um volle Tage korrigierbar ist, kann hinter der Korrektur von 10 vollen Tagen eine beobachtete Abweichung zwischen 9,5 und 10,5 Tagen stehen. Diese Unsicherheit von einem ganzen Tag bedeutet analog:
86.400 sec : 674 sec = 128 (Jahre Unsicherheitsintervall).
Das Endergebnis: Caesar hat 345 + 64 Jahre später reformiert, also zwischen 281 und 409 Jahren später. Diesem Intervall entsprechen in der christlichen Zeitrechnung die Jahreszahlen 236 und 364, mit dem rechnerischen Mittelwert bei 300 u.Z.
Ergo müssen, wenn die Prämissen dieser Rechnung korrekt sind, zwischen Caesar und Gregor XIII. 281 bis 409 Jahre aus der christlichen Zeitrechnung eliminiert werden7.
Die Konsequenzen
Spätestens hier drängen sich eine Unzahl von Fragen auf. Nur auf drei kann an dieser Stelle eingegangen werden:
Wo könnten 300, 400 oder vielleicht noch mehr Jahre aus dem Intervall zwischen Caesar und Gregor herausgeschnitten werden?
Hierzu werden im vorliegenden Heft erste Indizien gesammelt. Bis mindestens 300 scheint die römische Kaiserzeit so fest gefügt zu sein, daß hier keine “Luft” zu erwarten ist. Dasselbe gilt ab der Frührenaissance. So beschränkt sich die Suche auf die späteste Kaiserzeit und das Mittelalter. Zu erwarten ist nicht, daß einfach mehrere Jahrhunderte entfallen, indem ihre (spärlichen) Relikte auf die Zeit davor und danach verteilt werden. Die mittelalterliche Chronologie entspringt verschiedenen Quellen, die erst später zu einer Synopse verzahnt worden sind: Byzantinische Geschichte, Papstgeschichte, fränkische Überlieferungen, inselkeltische Erinnerungen, gotische Geschichtsschreibung, sonstige Völkerwanderungsüberlieferungen, islamische Tradition etc. Um all diesen Synchronismen Rechnung zu tragen, dürften zu verschiedenen Zeiten “Inseln im Vakuum” geschaffen worden sein. Eine analoge Erscheinung kennen wir von den stratigraphischen Lücken in verschiedenen Ländern der alten Welt. G. Heinsohn hat gezeigt, daß es 1.500 Jahre währende durchgehende Lücken gibt (Industal, Zentralasien, Iran, Südmesopotamien), daß sich aber in Nordmesopotamien zwei kleinere Lücken ergeben, weil für die Mitanni=Meder Verzahnungen mit zwei asynchronen Chronologien erreicht werden mußten (Heinsohn/Illig 1990, 306).
Warum könnte dieser gravierende Fehler gemacht worden sein, warum wäre er nicht aufgedeckt worden?
Hinweise auf das Zusammenfälschen einer niemals existiert habenden Vergangenheit gibt H.U. Niemitz in diesem Heft. Auch Lincoln/Baigent/Leigh zeigten (1984), daß usurpatorische Herrscher (Franken) ein lebhaftes Interesse daran haben konnten, sich nach Überwindung ihrer Könige (Merowinger) eine bessere Vergangenheit zu wünschen. Wer sich aber eine bessere Vergangenheit kreierte, mußte dafür sorgen, daß auch in Zukunft alles beim neuen Alten blieb.
Wie hätte man der europäischen Bevölkerung eine neue Vergangenheit unterjubeln können? War die Rückerinnerung so schwach?
Zum gegenwärtigen Zeitpunkt ist noch nicht übersehbar, wie rasch Wirren – und die verwirrenden Züge vieler Völkerschaften sollen ja nicht ohne weiteres gestrichen werden – zu einem weitreichenden Geschichtsverlust bei möglicherweise ganz neuen Bevölkerungsschichten geführt haben. Auf jeden Fall hatte weder Mittelalter noch frühe Neuzeit ein klares, unkorrumpierbares Wissen um Chronologie.
Für uns herrscht weltweit die gregorianische Zeitrechnung. Umso erstaunter müssen wir feststellen, daß unser Jahr 1991 bei den Juden als 5751 gezählt wird, bei den Moslems als 1410 (Ca.-Werte wg. Mondjahrrechnung). Zu Dionysius Exiguus’ Zeiten (535) rechnete man u.a. nach Byzantinischer Ära (6043), Ära des Panodorus (6027), Ab urbe condita (1288), Ära nach Pul (1281), Ära des Augustus (564), Märtyrerära (251). Die Einführung des Gregorianischen Kalenders erfolgte in Europa keineswegs abrupt und einheitlich, sondern dauerte von 1582 in Italien bis 1927 in der Türkei – während dieser dreieinhalb Jahrhunderte liefen verschiedene Kalender parallel.
Darüberhinaus gab es lokale Spezialitäten: Venedig begann bis zu Napoleons Eindringen das Jahr nicht am 1.1., sondern am 1.3.; Florenz und Pisa begannen das ihre am 25.3., aber um ein ganzes Jahr versetzt. So konnte bis zum Jahre 1749 ein und derselbe Tag in Pisa, Venedig und Florenz zu drei verschiedenen Jahren gezählt werden (Ginzel 1914, III 160f.). In diesem Wirrwarr war die Allgemeinheit voll und ganz auf Umrechnungen angewiesen, die ihr von Spezialisten vorgelegt wurden. So hatten Kalendermacher durchaus die Möglichkeit, bei Kalenderumstellungen bewußt oder unbewußt zu manipulieren.
Ergänzungen
1) Weitere Kriterien für die Kalenderprüfung:
Durchlaufende Regentenlisten wären derartige Kriterien. Aber weder die Reihe der über 250 Päpste noch die Abfolge byzantinischer Kaiser wirken in allen Jahrhunderten so unumstößlich, daß aus ihnen auf die absolute Richtigkeit der Zeitachse geschlossen werden könnte.
Die herrschende Zeitrechnung nach Christi Geburt kann allein nicht dienen, denn dieser Bezugspunkt wurde erstmals 532, also nachantik von Dionysius Exiguus benutzt. Die Päpste übernahmen ihn keineswegs überhastet: Johann XIII. ließ im 10. Jh. erste Urkunden nach Christi Geburt datieren, ohne die offizielle Märtyrerära abzuschaffen. Der regelmäßige Gebrauch der christlichen Zeitrechnung ist bei den Päpsten erst ab 1431 belegt (Ginzel 1914, III 181).
Die berühmte Präzessionsrechnung der Astronomen und Astrologen ist ebensowenig geeignet. Hipparch hatte im -2. Jh. entdeckt, daß das Tierkreiszeichen, das zu Frühlingsbeginn aufgeht, nicht immer dasselbe bleibt. Sukzessive rückt jedes der 12 Zeichen in diese Position, nach jeweils ca. 2160 Jahren. Schuld daran ist die Erdachse: Sie steht nicht nur schief, sondern kreiselt auch noch ganz langsam. Im Verlauf von grob 26.000 Jahren (12 x 2160), dem großen Platonischen Jahr, absolviert sie eine vollständige Kreisbewegung.
So viel Aufhebens aber um den Wechsel von einem Tierkreiszeichen zum nächsten gemacht wird – gegenwärtig schreiten wir von den “Fischen” ins “Wassermannzeitalter” – so unpräzise und widersprüchlich sind die dazugehörigen Zahlenangaben. Ein Grund dafür sind die Sternbilder, die am Himmel ganz unterschiedlich viel Platz einnehmen. Doch auch die Astrologen, die den Tierkreis in zwölf gleichgroße 30°-Sternzeichen eingeteilt haben, konnten sich auf keine präzisen Übergangszeitpunkte einigen, sondern sprechen lieber von breiten Überlappungszonen.
2) Jahreszahlen mit Minuszeichen:
Bei den in dieser Zeitschrift gebräuchlichen Jahreszahlen mit Minuszeichen handelt es sich um eine exakt definierte astronomische Schreibweise, die hier bislang ungenau benutzt worden ist. Der christlichen Zeitrechnung fehlt das Jahr Null; um aber rasch Summen und Differenzen berechnen zu können, braucht es ein solches. Die Astronomen haben deshalb das Jahr 1 v. Chr. zum Jahr 0 erklärt, das Jahr 2 v. Chr. zum Jahr -1 und so fort. Das Jahr 45 v. Chr. ist also das Jahr -44. Bislang wäre dafür im Heft einfach -45 geschrieben worden, weil diese Einjahresdifferenz bei Betrachtungen, die mit (zum Teil) sehr viel größeren Unsicherheiten behaftet sind, irrelevant ist. Nachdem sie aber hier entscheidend sein kann, muß jeder Minuswert dieses Aufsatzes um 1 erhöht werden, um den korrekten Wert “v.Chr.” zu ergeben.
3) Kalenderkorrektur mittels Schaltjahr:
Einen Kalender festzulegen, bedeutet den Versuch, das tatsächliche, beobachtbare Sonnenjahr so in ein Schema umzusetzen, daß zwischen Schema und Himmelsvorgang keine noch so kleine Lücke bleibt. Denn jede Differenz entwickelt sich im Lauf der Jahrhunderte zu einem klaffenden Loch. Das Hauptproblem liegt nun darin, daß sich das Sonnenjahr (das Tropische Jahr, definiert als die Zeit zwischen zwei aufeinanderfolgenden Durchgängen der Erde durch den Frühlingspunkt) nicht in ganzen Tagen ausdrücken läßt. Am Jahresende gehört nur ein rundes Viertel des letzten Tages noch zum alten Jahr. Es dauerte lange, bis man dieses Problem durch Zusatztage löste, die in bestimmten Zeitabständen eingeschaltet werden. (Es braucht ganze Schaltmonate, wenn, wie noch bei Moslems und Juden, das Mondjahr mit ca. 355 Tagen und das Sonnenjahr mit ca. 365 Tagen aufeinander abgestimmt werden müssen. Daß überhaupt jemals der Sonnenumlauf einer glatten Tagesanzahl entsprochen hat, ist unwahrscheinlich – also kann kein sonnenjahrbezogener Kalender längere Zeit ohne Schaltregel gegolten haben!)
4) Der Frühlingspunkt:
Den christlichen Kalendermachern des 16. Jh. ging es vorrangig darum, den astronomischen Frühlingspunkt wieder mit dem ersten Frühlingstag zu verknüpfen, denn der darauffolgende erste Vollmond bestimmte das jeweilige Osterdatum des Kirchenjahres. Gerade die von jedem zu machende Beobachtung, daß das Osterfest Richtung Sommer driftet, erzeugte das Bedürfnis nach einer Kalenderkorrektur.
Der sogenannte Frühlingspunkt ist auf verschiedene Weise definiert. Er wird als Frühlingsbeginn, Tagundnachtgleiche oder Frühlingsäquinoktium bezeichnet, weil an diesem Tag die Sonne “im Prinzip” um 6 Uhr auf- und um 18 Uhr untergeht, “Tag” und “Nacht” also gleich lang sind. Weiter ist er jener Zeitpunkt, zu dem die Sonne exakt im Osten aufgeht, ein für die Bestimmung wichtiges Phänomen (nur beim Herbstäquinoktium ist dies noch einmal der Fall). Schließlich ist er astronomisch festgelegt:
Weil die Erdachse schief steht, verliert der erdgebundene Beobachter den eindeutigen Bezug. Zur Ebene der Erdumlaufbahn um die Sonne, die als Ekliptik bezeichnet wird (also die scheinbare Sonnenbahn am Himmel), tritt als zweite die Ebene des Himmelsäquators (der Projektion des Erdäquators auf die Himmelssphäre). Die Schnittpunkte von Ekliptik und Himmelsäquator sind Frühlings- und Herbstpunkt.
Die Gregorianische Reform fixierte den Frühlingspunkt auf den 21.3. Da wir nun einmal einen Kalender mit Schalttag benutzen müssen, und da dieser unser Schalttag erst kurz vor dem 21. März als 29. Februar eingeschoben wird, fällt der Frühlingspunkt kalendermäßig häufiger auf den 20.3. als auf den 21.3., in seltenen Ausnahmen sogar auf den 19.3. Dies ändert jedoch nichts an seiner grundsätzlichen Fixierung (Moyer 1982, 94, 99).
5) Osterterminberechnung:
Die Streitigkeiten haben sogar noch länger gedauert. Auf dem ‘Konzil in Whitby’ wurde erst 663 eine Einigung zwischen keltischer und römischer Kirche erzielt. Bis dahin errechneten die Kelten auf den britischen Inseln, aber auch auf dem Kontinent das Osterfestdatum nach einem 84-Jahres-Zyklus, der 314 auf dem ‘Konzil von Arles’ anerkannt worden ist. “Die Alexandrier bevorzugten jedoch den genaueren 19-Jahre-Zyklus, der um die Mitte des 5. Jahrhunderts von Papst Leo I. und allen römischen Kirchen übernommen wurde” (Cunliffe 1980, 193). Diese Überlieferungen stehen in auffälligem Kontrast zu den definitiven Entscheidungen, die bereits 325 zu Nicäa getroffen worden sein sollen. Wann wurde tatsächlich die Osterterminberechnung standardisiert?
6) Umrechnungsmöglichkeiten gregorianisch – julianisch:
Der Bickerman’sche Schleier ist zum Glück eine Ausnahme. Aber die klassischen Tabellenwerke wie Schram, 1908, beruhen ebenfalls auf dieser Faustregel mit 1 Ausgleichstag je 400 Jahre. Sie wurde und wird praktiziert (Zemanek 1984, 126), weil “der gregorianische Kalender im allgemeinen nicht zurückgerechnet zu werden pflegt” (Schram 1908, XVI). Deshalb duldet Schram, daß sein ansonsten taggenaues Tabellenwerk diese Rückrechnung nicht präzis unterstützt – eine weitere Form des Verschleierns.
Schram erbringt für den gregor. 21.3.-44 (Caesars Reformjahr) den julianischen Wert 23.3, doch schon Grotefend (1891, 90) glaubt zu wissen, daß er auf dem 25.3. liegen müßte. Zemanek scheint 1984 wieder auf Schram zurückgegriffen zu haben, denn “ursprünglich am 23MRZ, war die Frühlings-Tag-und-Nacht-Gleiche bereits auf den 11MRZ vorgerückt. Man setzte sie nun auf den 21MRZ fest, und dies machte den Ausfall von 10 Tagen erforderlich” (Zemanek 1984, 29). Die immer neuen Datumsangaben, sprich die immer neuen Unsicherheiten in der Darstellung sind allein schon ein sicheres Indiz für eine Schwachstelle.
Heutige Computerprogramme greifen wie die alten Tafeln auf die “julianische Rechnung” zurück. Sie wurde im Jahr nach der gregorianischen Reform von Joseph Justus Scaliger (1540-1609) entwickelt und ist ganz einfach: Beginnend beim 1.1.4713 v. Chr. erhält jeder Tag eine fortlaufende Nummer und ist damit eindeutig identifizierbar. Aber die Umrechnung von Kalendertag auf diesen “julianischen Tag” (der nichts mit dem julianischen Kalender zu tun hat) erfolgt wiederum über den gregorianischen Korrekturfaktor – und der ist wieder nur die alte Faustregel … (Zemanek 1984, 124).
7) Wenn wir sicherheitshalber einräumen, daß sich beim “Kalender-aufpfropfen” doch eine Diskrepanz von bis zu einem Tag ergeben hätte, würde das “Kürzungsintervall” von 217 bis 473 Jahre reichen. Somit wären gemäß dieser Rechnung 473 Jahre das absolute Maximum an streichbaren Kalenderjahren.
Bibliographie:
Bickerman, E.J. (1980): Chronology of the Ancient World; London
Buchner, Edmund (1982): Die Sonnenuhr des Augustus; Mainz
Chauve-Bertrand, Abbé (1936): La Question de Paques et du Calendrier; Paris
Cunliffe, Barry (1980): Die Kelten und ihre Geschichte; Bergisch Gladbach
Deschner, Karlheinz (1980, erstmals 1962): Abermals krähte der Hahn; Düsseldorf
Ekrutt, Joachim W. (1972): Der Kalender im Wandel der Zeiten. 5000 Jahre Zeitberechnung; Stuttgart
Ginzel, F.K. (1911, 1914): Handbuch der mathematischen und technischen Chronologie. Das Zeitrechnungswesen der Völker. II. und III. Band; Leipzig
Grotefend, H. (1891): Zeitrechnung des deutschen Mittelalters und der Neuzeit. 1. Band: Glossar und Tafeln; Hannover
Heinsohn, Gunnar (1988): Die Sumerer gab es nicht; Frankfurt/M.
Heinsohn, G. / Illig, H. (1990): Wann lebten die Pharaonen?; Frankfurt/M.
Illig, Heribert (1988): Die veraltete Vorzeit; Frankfurt/M.
Lincoln, Henry /Baigent/ Leigh (1984): Der Heilige Gral und seine Erben; Bergisch Gladbach
Moyer, Gordon (1982): Der gregorianische Kalender; in Spektrum der Wissenschaft Juli 1982, S. 92
Schram, Robert (1908): Kalendariologische und Chronologische Tafeln; Leipzig
Wood, Michael (1982, 1988): In Search of the Dark Ages; London
Zemanek, Heinz (1984): Kalender und Chronologie; München
Das ist eine gute Gelegenheit, um mein eigentliches Anliegen noch mal anders formulieren:
Die Fantomzeitthese geht davon aus, dass die Jahre 614-911 fiktiv sind, dass der Kalender entsprechend manipuliert wurde. Tatsächlich gibt es keinerlei Hinweis auf die Authentizität der für jene Jahre überlieferten Ereignisse und Personen.
Die Kalendermanipulation hat aber Ulrich Voigt eindeutig ausgeschlossen. Er hat daraus den Schluss gezogen, dass auch die vom Julianischen Kalender belegte Zeit real sein muss.
Beides geht aber nicht.
Der einzige (!) Ausweg aus diesem Dilemma lautet:
Der Julianische Kalender wurde erst nach 911 eingeführt.
Volker Dübbers hat nachgewiesen, dass die angeblich spätrömischen Komputisten sowohl mit dem julianischen wie auch mit dem gregorianischen Kalender hantierten, dass sie die Zahl und das Jahr Null kannten.
Das bedeutet, dass die beiden christlichen Kalender parallel zueinander entwickelt wurden, also in der Zeit, die heute als 16. Jahrhundert firmiert.
Ich habe dem hinzugefügt, dass die Idee der Zweitagesdifferenz zwischen Julianischem und Gregorianischem Kalender im Jahre 0 und des Parallellaufs beider Kalender ab dem Jahr 200 aus der ägyptischen Hieroglyphe „Sohn des Re“ (Gans+Kreis mit Punkt) abgeleitet ist. Oder anders: Der Christus des christlichen Kalenders ist der „Sohn des Re“, der Zeitpunkt seines Erscheinens ist daher das in diesem Kalender auf einen einzigen Moment sublimierte Jahr 0.
Diese Art Überlegungen wird gestützt durch den Befund der Urbanoglyphen:
Die figural-synkretistische Struktur der europäischen Städte entspricht dem spätrömischen Synkretismus, dem die Einführung des Christentums als Staatsreligion ein Ende setzte – mitsamt der Schließung der ägyptischen Tempel. Schriftzeuge dieses Endes ist der Brief an die Römer, Kapitel 1, dessen praktische Auswirkungen im Städtebau die Hinwendung zu rein geometrischen Strukturen vom Typ Marienberg, Palma Nova und Karlsruhe war.
Das bedeutet für die Gegenwart aber nichts anderes, als dass es höchste Zeit ist, sich neuen Gedanken zu öffnen – je eher desto besser.
Wer die letzten Jahrgänge der Zeitensprünge nüchtern durchblättert, wird dies spüren: sie sind zwar dick geworden, aber nicht interessanter. Das enzyklopädische Wissen etwa von Klaus Weissgerber verpufft in unbegreiflichen Aegyptiaca, aber die Hieroglyphe Biene-Binse bleibt unverstanden – dabei bedeutet sie nur, dass der Namensträger ein unbefleckt empfangenes Kind ist.
Und damit überlass ich diese Seite wieder anderen. Machts gut.
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