Bericht von Eva Berndt über das Bibel-Projekt der Hebräischen Universität von Jerusalem
[The Bible Project of the Hebrew University BPHUJ – Studien Tagebücher Band 13 Vorwort 2002] “…Datierungen der antiken Quellenschriften setzen für den Zeitpunkt von Christi Geburt das Datum 5199 als absolutes Datum voraus. Als Beginn der Christlichen Weltära wird – entgegen diesem aus antiken Urkunden belegtem Datum 5199 – Jahr Geburt Christi als absolutes Datum, das Datum 5492 – Jahr Geburt Christi (Datum 5508(9) zugrunde gelegt. Das von mir unterschiedlich angegebene Datum der Alexandrinischen / Byzantischen Weltära resultiert aufgrund unterschiedlicher Datierungsangaben der Regierungszeit Konstantin I. des Großen (s.Tabb.) in den Literaturangaben. Die Unvereinbarkeit dieser beiden geschichtlichen – grundverschiedenen Datierungen –
5199 ./. 5492 (5508(9)
von 293 bzw. 309(10) Jahren, stellt sich bei einer chronologischen Erfassung aller Weltgeschichtlichen-Daten und Zusammenhänge – als Geschichtsfälschung erfassbar, dar, wobei die historischen Grundlagen – in Form der Geschichtsquellen – sachlich als falsch zugeordnet nachgewiesen sind.”
Diese weitere Bestätigung für einen Fehler in der Chronologie von ca. 300 Jahren, von dem noch niemand weiß, wie er sich erklärt, lädt zum Nachdenken ein.
Eine Differenz von 300 Jahren in den Datierungen für die Regierungszeit Konstantins sagt noch nichts über ihre Entstehung. Außerdem ist unklar, ob – oder, wenn ja, seit wann – in der Spätantike irgendeine Gruppierung das Jahr irgendeiner Weltära mit der „Geburt Christi“ korrelierte (in Frage kommen m.E. nur Judenchristen).
Bis die Komputisten unter den Chronologiekritikern weiter grübeln, wie die aufgezeigten Datierungsdifferenzen zu deuten sind, ist offen, ob die Forschungsergebnisse von Eva Brandt einen neuen Zugang zur Entstehung und zum strukturellen Verständnis der Dreihundert-Jahres-Differenz in der Chronologie eröffnen.
Nachdem ich die Internetseiten der Autorin gelesen habe, möchte ich zeigen, dass sie noch eine weitere Zeitdifferenz entdeckt hat und möchte dazu einige Bemerkungen machen. (Falls ich die Formulierungen der Autorin irgendwo missverstanden haben sollte, bitte ich um Korrektur.) [Die folgenden Zitate stammen aus: „Verunglimpfung des Judentums in Literatur und Kirchengeschichte. Hintergrund der Jüdischen Chronik. Diskrepanzen zwischen Kalenderreformen und Jahrtausendrechnungen“]
Eva Berndt stellt dar, dass der Vorwurf des Antijudaismus gegen Luther auf Fälschung zurückgeht und zu Unrecht besteht. „Martin Luthers Handschriften [wurden] bereits zu Luthers Lebzeit verfälscht […] Die von Luther handschriftlich verfasste Supputatio Annorurm Mundi 1541 (1545) Sign. 2 in: Inc 8 o 1214 lässt antijüdische Lutherdrucke, deren historische Quellen dem Codex Vaticanus entnommen sind, eindeutig als Fälschungen nachweisen.“
„Die lateinische Bibelausgabe des Hieronymus (Vulgata) die er [Luther] mit Sicherheit in seinen Händen hielt, ist eine Original Ausgabe und aus dem hebräischen wortgetreu übersetzt.“
Deshalb wird „Die griechische Übersetzung der Hebräischen Quellentexte in der Ausgabe der Septuaginta […] nicht länger als Grundlage der Christlichen Bibelübersetzung von Martin Luther unterstellt werden können“.
„Somit schließt diese Tatsache eine Urheberschaft Luthers an der Entstehung antijüdischer Lutherdrucke aus, da deren Intentionen aus dem Griechischen (Itala = Vetus latina = Septuaginta/LXX) entstammt. Die Martin Luther unterstellten antijüdischen Lehraussagen über das Judentum basieren auf der Vetus Latina, deren Grundlage aus der Rückübersetzung aus dem Griechischen der Septuaginta basiert und bereits durch Hieronymus 380 – 420 als Fälschung erkannt worden war.“ […]
So weit scheint alles klar. Schwieriger scheint mir die Frage, woher die Fälschungen stammen:
Luther selbst wurde „am Beginn seines Wirkens im Jahr 1520 […] durch eine Ausgabe der Donatio Constantini des Humanisten Ullrich von Hutten auf eine Fälschung der Kirchengeschichtsschreibung aufmerksam. […] Durch die Revision der Kalenderreform im 8.Jh von Alkuin unter Karl dem Großen – der den lateinischen Urtext der Bibelübersetzung des Hieronymus für alle historischen Datierungen in seine Dokumentation (Cod.103) übertrug […] – war Martin Luther auf Zeitdiskrepanzen der Donatio Constantini, aufmerksam geworden, die er 1537 in Deutsch übersetzt hatte. Martin Luther setzte sich wissenschaftlich mit der Biblischen Geschichte aus dem Hebräischen, in der Supputatio Annorum Mundi 1541/ 1545 auseinander und erstellte handschriftliche Aufzeichnungen Grundlage seiner Tabellarischen Weltchronik.“
Luther „übernahm“ (wie andere Historiker) in seiner Chronik jene „Weltchronik- und Kirchengeschichtlichen Quellen, deren lateinische Endredaktionen auf den Kirchenvater Hieronymus (383-420 n.Chr.) zurückgehen.“
„Die antiken Weltchroniken stehen in engem Zusammenhang mit der Entstehungsgeschichte der Biblischen Chronik – basierend auf der Septuaginta, der griechischen Falschübersetzung […] Hierbei besteht auf der Grundlage der Hebräischen Quellentexte gegenüber der Septuaginta eine Zeitdifferenz von 1239 Jahren (gegenüber der Hebräischen Originalchronik der Jüdischen Geschichte), die bereits von Eusebius-Hieronymus in seiner Weltchronik festgestellt wurde.“
Also nochmal: Luther stellt Zeitdiskrepanzen fest (zwischen den antiken Weltchroniken und der Septuaginta). Er übersetzt (deshalb?) direkt aus der latein. Vulgata des Hieronymus. Dieser ist einer der vier spätantiken Kirchenlehrer des Westens, der in Bethlehem starb. Die Vulgata gilt als wortgetreue Übersetzung des hebräischen Urtextes. Dieser wurde bei der daraus entstandenen griechischen Übersetzung (Septuaginta) verfälscht. Das fiel bereits Hieronymus auf (weshalb er vermutlich vom hebräischen Text ausging). Ergo existierte die gefälschte Septuaginta bereits vor Hieronymus, ergo vor dem 4.Jh.
Zum „Kalenderreformer Karl“ äußerte sich Illig bereits 1996 [S. 80ff]; seither dürfen wir Alkuin, der „Hieronymus ….übertrug“, skeptisch gegenüber treten – mindestens (!) was seine Datierung betrifft.
Und Hieronymus? Gehört er mit zu den angeblich 1070 von Benediktinern korrigierten bzw. verfälschten Kirchenvätern? [s. fantomzeit.de: Fälschungsfunde 16. Nov.07]
Eva Berndt schreibt: „Heutige deutsche Bibelübersetzungen basieren auf der griechischen Übersetzung (Septuaginta) und sind daher arisch ausgelegt (arische Gottesvorstellung).“
Was ist eine „arische Gottesvorstellung“? Steht sie im Gegensatz zur „hebräischen“? und ist diese gemeint als jahwistische oder jüdische? Worin besteht der inhaltliche Unterschied?
Worauf stützen sich historisch Datierungen nach „Jahr der Welt“, ganz gleich, ob wir hebräischen oder griechischen Bibelfundamentalismus zu Grunde legen?
Woher und aus welcher Zeit stammt eigentlich (abgesehen vom legendärem Entstehungsmythos) die Septuaginta, die bereits im -3.Jh. entstanden sein soll ?
Und wie gesichert ist die Lehrmeinung, der Urtext des Alten Testaments sei in Hebräisch geschrieben?
Als „früheste Zeugen für den hebräischen Text der Bibel in hebräischer Sprache“ gelten derzeit die Qumrantexte, wie früh, ist allerdings umstritten. Es gibt keine hebräische Bibelhandschrift in Europa vor 1000. Die älteste vollständige Handschrift der Hebräischen Bibel ist der Codex Aleppo aus dem 10. Jh., d.h. der masoretische Text, der inzwischen als „jüdisch“ gilt, aber von den im Judentum verketzerten Karäern stammt [vgl. Simon Szysman: Die Karäer. Wien 1983].
Der Anlass dafür liegt in der Entwicklung des Judentums selbst. Kurzgefasst sehe ich die Geschichte folgendermaßen:
Erst die Hebräer der Antike schrieben den größten Teil des Pentateuch zunächst auf Griechisch nieder; er stellt ihre Mythologie als eigene „Geschichte“ dar, identitätsstützend innerhalb der griechisch-hellenistischen Welt. Mit allmählicher Etablierung einer eigenen kulturell-religiösen Gemeinschaft schrieben „Juden“ dann Hebräisch. Nach Verlust des letzten Jahwetempels in Jerusalem geriet das Levitentum erneut in eine Identitäts- und Existenzkrise und schuf in den nächsten Jahrhunderten den Talmud und das Rabbinertum. Dieses talmudische Judentum lehnte das ältere jüdische Schrifttum (und die meisten Riten) des antiken Judentums ab, welches vom Judenchristentum (= messianisches alttestamentliches Judentum) übernommen und weitergeführt wurde. In beiden Religionen waren unterschiedliche Interessen des Levitentums einflussreich. Dass Judenchristen den griechischen Urtext und etwaige hebräische Texte (Propheten?) unverändert ließen, ist kaum anzunehmen. Einige prophetische Texte und Psalmen sind judenchristlichen Ursprungs.
Auf diesem Hintergrund erklärt sich, wieso die Masoreten im 7./10.Jh. die hebräischen Texte vokalisierten, phrasierten und mit einem schwer zu manipulierenden Code versahen, um insgesamt diesen neuen Kodex vor Verfälschung der Talmudisten und der Judenchristen zu schützen.
Von wem und wann immer der griechische Text als Übersetzung eines hebräischen Urtextes ausgegeben wurde, garantierte dies letzterem ein höheres Alter als ersterem.
Judenchristen, Thora-Juden und Talmud-Juden bekämpften sich durchs ganze Mittelalter hindurch, Judenchristen firmieren in den Quellen teilweise noch eine ganze Weile als „Juden“ (bis sie sich ebenfalls in unterschiedliche religiöse Richtungen und Koalitionen spalten), was zu erheblichen Missverständnissen in der Ereignisinterpretation führte. („Christen“ wurden lange nur die Manichäer genannt). Entsprechend bleibt völlig neu zu untersuchen, wer jeweils gemeint ist, wenn die Quellen vor ca. 1350 von „Juden“ berichten.
Es gab unterschiedliche Koalitionen und Frontstellungen christlicher Glaubensrichtungen. Talmudjuden und Thorajuden schlossen sich zusammen in dem Maße, wie ein großer Teil des Judenchristentums sich im und zum Katholizismus modifizierte, und sich gleichzeitig „muslimische“ (= vom adoptianischen und trinitarischen Christentum abgewandte)Glaubensrichtungen zum Islam formierten. Dies fällt m.E. zeitlich zusammen mit der Kodifizierung der hebräischen Bibel (wie auch des Koran). In die selbe Zeit fallen offenbar auch wesentliche Verfälschungen (oder Erfindungen ?) von Kirchenväter-Texten, ob bei Hieronymus vor oder nach Alkuins „Übertragung“, muss offen bleiben. Es war zu keiner Zeit schwierig, aber wohl klug, in deren „Ab-Schriften“ den Autoren Erkenntnisse über Verfälschungen anderer Texte einzufügen, welche gerade erst in Klosterstuben stattgefunden hatten.
Was ist also davon zu halten, wenn antike Weltchroniken und die Septuaginta in den Weltären eine Differenz von 1239 Jahren aufweisen? Konkurrieren da vielleicht zwei hebräische Datierungen in den Quellen: eine ältere griechisch tradierte, die aber evtl. von Judenchristen oder der katholischen Kirche verändert wurde, und eine jüngere karäische, von der unklar ist, ob sie neu ist oder die alte Datierung wieder herstellt?
Und was ist davon zu halten, wenn die Welt bei „Geburt Christi“ in der christlichen Weltära antiker Urkunden ca. 300 Jahre jünger ist als in der byzantinischen Weltära? Gehört Konstantin d.Gr. ins 7. resp. 10. Jh. (und mit ihm alle Kirchenväter des 4.Jhs.?) – ist er also identisch mit Konstantin Porphyregennetos (oder hat jemand die beiden später verwechselt?)?
Und was haben beide Differenzen miteinander zu tun?
Es dürfte ein hartes Stück Arbeit sein, aus den von Eva Berndt aufgezeigten Datierungsdifferenzen richtige Schlüsse zu ziehen.
Nachtrag zu Eva Berndts Forschungen über Luthers Antisemitismus: Soweit ich feststellen konnte, wurden die Internetseiten von Eva Berndt verändert; den oben genannten Text “Verunglimpfung des Judentums…” kann ich seitdem nicht mehr als Volltext finden. Lediglich genannt unter eva-berndt-berlin.com/bibeleditionen.htm
und unter eva-berndt-berlin.com. Bei letzterem unter Punkt 16 “War Luther (k)ein Judenfeind?” sind die Quellen genannt, die Frau Berndt verwendet hat. Ansatzweise wird dort deutlich, dass die Sache doch noch nicht so klar entschieden ist, wie es im zuerst genannten Text schien.