aufgelesen von Z. A. Müller
in: Tom Harpur, Der heidnische Heiland (2005, 288 S.)
S. 79:
Anselm v. Canterbury, in der Überschrift des 32. Kapitels seines Buches Evangelical Preparation: „Wie es rechtens und schicklich sein kann, die Falschheit als Medizin und zum Nutzen aller einzusetzen, die betrogen werden wollen.“
S. 80:
Victor Tunnensis, afrikanischer Bischof (6. Jh.) schrieb eine Chronik, die 566 endet. Darin schreibt er, es seien auf Geheiß von Kaiser Anastasius (Konstantin) „die heiligen Evangelien, die von ungebildeten Evangelisten geschrieben worden waren, zensiert und korrigiert.“
Bischof Dionysius beklagte sich darüber, dass sogar seine eigenen Schriften „von Aposteln des Teufels gefälscht wurden.“ „Kein Wunder, dass solche Personen auch die heiligen Schriften von solchen Personen fälschen.“
Origenes hatte festgestellt, dass es zu seiner Zeit „große Unterschiede“ zwischen den Abschriften der Evangelien gab, teilweise auf Grund der ‚Nachlässigkeit’ einzelner Verfasser, teilweise auf Grund der schlimmen Dreistigkeit der Schriftgelehrten, die „bei der Korrektur hinzufügen oder weglassen, was ihnen gut scheint.“
Der römische Erzbischof Laufranc (1070 Erzbischof von Canterbury) und Benediktinermönche von St. Maur haben „in einem Schwung alle Kirchenväter und alle Evangelien ‚korrigiert’, das heißt, verfälscht.“
Damit hätten bereits im 11. Jh. jene Vorgänge stattgefunden, welche im 17. Jh. von den Bollandisten festgestellt wurden, und sodann von der Mauriner Kongregation der Benediktiner abgewehrt wurden; dies war die „Geburt der Paläographie“ [vgl. Müller, Zeitensprünge 4-96, 525-534]
Abgesehen davon, dass all diese Beispiele zu weiteren Nachforschungen animieren können – was geht da vor?
Handelt es sich um Hinweise darauf, dass bereits früh Evangelien und Kirchenväter als gefälscht erkannt wurden?
Oder sollen Verfälschungsvorwürfe das „hohe Alter“ einer Fälschung bestätigen?
Wie kann der Chronologiekritiker da Land gewinnen?
(Diese Fundliste kann von Jedem weiter ergänzt werden.)
Hier gibt es einen kritischen Kommentar zu Harpurs The Pagan Christ: http://hnn.us/articles/6641.html.
http://members.tripod.com/pc93/whosking.htm bringt einen Text von Alvin Boyd Kuhn, Harpurs wichtigstem Gewährsmann. Dort findet sich auch die von zam zitierte Überschrift des Anselm-Kapitels: “How it may be lawful and fitting to use falsehood as a medicine and for the benefit of those who want to be deceived.”
Das Anselm-Zitat steht bei Alvin Boyd Kuhn in einem Kontext, in dem auch andere christliche Autoren erwähnt werden, die den Einsatz von Fälschungen unter gewissen Umständen gut heißen. Insbesondere der bedeutendste antike Kirchenhistoriker Eusebius kriegt sein Fett ab. Niebuhr wird zitiert, der Eusebius für einen “sehr unehrlichen Schriftsteller” hielt.
Illig hält aus gutem Grund die Eroberung Jerusalems durch Chosrau II im Jahre 614 für historisch (Wer hat an der Uhr gedreht?, S. 159 ff). Gut möglich, dass die Perser damals auch das Kreuz Christi eroberten, wie uns Historiker erzählen. Allerdings hat dann St. Kyrill von Jerusalem nicht die ganze Wahrheit gesagt: Er soll schon im 4. Jh. berichtet haben, dass sich das Kreuzesholz zuerst wundersam vermehrt hat und dass es anschließend über die ganze Welt verteilt wurde. Siehe Alvin Boyd Kuhn, http://members.tripod.com/pc93/whosking.htm, S. 157:
Denkbar wäre freilich auch ein Zeitensprung: Kyrill lebte drei Jahrhunderte vor Chosrau …
Der Jesuit Germon schreibt, bereits Irenäus und Tertullian hätten festgestellt, dass das Lukas-Evangelium und einige Paulusbriefe durch Markion verändert oder im Sinn entstellt wurden.
Inzwischen hat die kritische Theologie (zuletzt Hermann Detering) gezeigt, dass die Paulus-Texte von Markion stammen und später (wieviel später bzw. wann, ist strittig…) von der römisch-päpstlichen Kirche überarbeitet und verfälscht wurden.
Wie kommt es dann zu der Feststellung der beiden “Kirchenväter” ? Irren sie oder führen sie in die Irre?
Ist bereits der Jesuit ein in die Irre Geführter? Oder ein an der Irreführung Beteiligter?
Wann die Überarbeitung stattgefunden hat, ist also entscheidend.
Der Jesuit ist längst ein in die Irre Geführter. Jesuiten hatten mit antiken und mittelalterlichen Fälschungen nichts am Hut, haben im Gegenteil viel zur Aufklärung und Aufdeckung von mittelalterlichen – insbesondere benediktinischen – Fälschungen beigetragen (auch Jean Hardouin war ein Jesuit).
Bei Irenäus und Tertullian ist m. A. n. zu prüfen, welchen Anteil mittelalterliche Schreiber an der jeweiligen Überlieferung haben. Tertullian spielte in der Auseinandersetzung zwischen Romkirche und Katharern eine bedeutende Rolle. Es ist mit der Möglichkeit zu rechnen, dass Autoren beider Seiten fleißig hineinpseudepigraphiert haben.