Die Lücke in der Regensburger Siedlungsarchäologie

von Gerhard Anwander und Heribert Illig (aus Zeitensprünge 2/2000)

Als vorgeschobener Außenposten des Römerreichs, als Herzogssitz der bajuwarischen Agilolfinger, als bevorzugte Residenz des Ostfränkischen Reichs (unter Ludwig dem Deutschen), als Pfalzort von Kaisern, Königen und Bischöfen, ab dem 10. Jh. als Hauptstadt des Herzogtums Bayern und ab dem 13. Jh. als freie Reichsstadt ist Regensburg neben Köln dafür prädestiniert, durchgehend Zeugnis abzulegen von all diesen Zeiten. In diesem Bulletin (S. 283) wird die Einschätzung von PD Amalie Fößel – vorgetragen auf dem letzten Symposium der Mediävisten – von siedlungsarchäologischen Untersuchungen und der Tragfähigkeit der Phantomzeitthese behandelt. Regensburg kann als guter Prüfstein dafür dienen, ob „die Vielzahl von Funden aus ganz unterschiedlichen Bereichen menschlichen Lebens und Arbeitens“ das „Hypothesenkonstrukt ganz schnell zum Einsturz bringen“ vermag [Fößel 69].

Wir stützen uns dabei auf das Standardwerk des Bayerischen Landesamtes für Denkmalpflege, den Band III.37 von Denkmäler in Bayern, der die Stadt Regensburg und ihre Ensembles – Baudenkmäler, Archäologische Denkmäler [= DENKMÄLER] auf fast 800 groß­formatigen Seiten darstellt. Einer von vier Autoren ist Dr. Achim Hubel, der sich durch unseren ersten einschlägigen Aufsatz über Regensburg [ZS 2/99] „durchgequält, die Lektüre aber dann ‚eher gelangweilt’ aus der Hand gelegt“ hat [Schießl 2000]. Wer so vom Regensburger frühen Mittelalter überzeugt ist, der hat für seine Ansicht sicher überzeugendes Material in überwältigender Fülle ausgebreitet.

Tatsächlich nennt DENKMÄLER neben den sichtbaren Bauten weitere 632 Örtlichkeiten auf dem heutigen Stadtgebiet, an denen archäologische Spuren gefunden worden sind. 232 davon befinden sich auf dem Gebiet der Altstadt; 400 rings um die Altstadt, auf heutigem Regensburger Stadtgebiet. Hatten uns 1999 Dom und Pfalz respektive ihre zahlreichen virtuellen Standorte ohne materiellen Befund interessiert, so sollen nun­mehr diese Befunde vor dem Hintergrund früherer Zeiten gewürdigt werden.

Methodik

Die 632 Örtlichkeiten finden sich auf den Seiten 668 bis 734 und sind exakt mit Flurkartennummern, Straßennamen usw. versehen. Hierzu ein Beispiel [DENKMÄLER 679]:

“TK 7039; Flurkarte NO 41 – 19. Ca. 200 m sö der Kirche von Harting. Siedlungsbefunde der Linearband- und Stichbandkeramischen Kultur; der Oberlauterbacher-, Michelsberger-, Chamer- und Urnenfelder Kultur, sowie der Hallstatt- und frühen Latènezeit, Lesefunde der mittleren römischen Kaiserzeit, ein Körpergrab der Oberlauterbacher Kultur und ein Reihengräberfeld des 6./7. Jahrhunderts. Bei der Errichtung eines Neubaugebietes im Südosten von Harting umfangreiche Ausgrabungen des LfD. Dabei fanden sich zahlreiche Hausgrundrisse in Pfostenbauweise sowie einige Siedlungsgruben der Michelsberger- und Chamer Kultur sowie ein merowingisches Reihengräberfeld mit etwa 60 Gräbern. Als Lesefunde von hier einige Scherben Terra Sigillata der mittleren römischen Kaiserzeit.“

Zunächst wurden aus den jeweils im Text kursiv gedruckten Übersichtsinformationen folgende Kategorien gebildet und aufgereiht:

  • unklare Siedlungsspuren
  • Grabreste unbekannter Zeit
  • Grabenanlage unbekannter Zeit
  • Paläolithikum (… –8000; konventionelle Datierungen)
  • Mesolithikum (8000 – 4000)
  • Neolithikum (4000 – 2500)
  • Keramik = Linear-, Schnur-, Stichbandkeramik
  • Bronzezeit
  • Urnenfelderzeit
  • Hallstattzeit
  • Latènezeit
  • römische Gräber/Grabsteine
  • römische Kaiserzeit
  • römische Baubefunde
  • Villa rustica
  • Völkerwanderungszeitlich-germanisch 4./5. Jh.
  • Merowingisch 6./7. Jh. (8. Jh.)
  • Frühmittelalterlich 7./10. Jh.

Es gibt demnach keine separate Rubrik für die so genannte Fantomzeit (614 – 911). Aus unserer Sicht hat man die beiden einschlägigen Zeit­räu­me bislang überdehnt, indem man merowingische Befunde bis 750 ausdehnte und damit ausdünnte, während man ottonische Funde mit als karolingisch angesehenen Objekten vermengte und so Fundmaterial für eine leere Zeit gewann – doch auch hier auf Kosten eines schlecht belegbaren 10. Jhs.. Der Er­klä­rungswert der Fantomzeitthese lässt sich durch ein Zitat knapp belegen:

“Grabfunde als archäologische Quellengattungen fallen für die Kerngebiete des Karolingerreiches von nun an [ab 700] weitgehend aus. Der Verlust wird ausgeglichen durch die reichlicher fließende schriftliche Überlieferung im 8. und 9. Jahrhundert.” [Menghin 1980, 270]

DENKMÄLER führt für hohes Mittelalter und Neuzeit nur noch wenig Fund­material auf, das wir nicht mehr registriert haben. Man sollte dabei nicht vergessen, dass vermutlich mehr als die halbe Altstadt von Regensburg dem Mittelalter entstammt und die entsprechenden Bau­denk­mäler nicht mehr als archäologische gelten. Das Standardwerk unterscheidet zwischen Lesefunden und Siedlungsfunden, was wir übernehmen.

Lesefunde

Lesefunde sind Einzelobjekte, wie z.B. Scherben und Reste von Werkzeugen, die auf die Anwesenheit von Menschen genannter Epochen schließen lassen. Für die Statistik wurden etliche Großepochen untergliedert, so werden die interessanten Keramikkomplexe Linear-, Schnur-, Stichbandkeramik eigens aufgeführt, obwohl sie in das Neolithikum gehören. Die Bronze- und Eisenzeit wurde gemäß DENKMÄLER teils eigens erfasst bzw. in Urnenfelderzeit, Hallstattzeit und Latènezeit (Kelten) aufgespalten. Danach kommen die römischen Reste, die bei den Siedlungsfunden augeteilt wurden in

  • Reste von Gräbern,
  • Baureste (z.B. Mauerreste des Castrums, Gebäude, Straßen),
  • villae rusticae, also Landhäuser mit Bädern usw.,
  • sonstige Reste der Kaiserzeit wie z.B. Teller, Räucher­scha­len, Schmuck, Ziegelreste usw.,
  • eigens erfasste und gezählte Münzen.

Grafik1

In Grafik 1 geht es noch nicht um die Anzahl von einzelnen Fundobjekten, sondern nur um die Anzahl von Nennungen an den erfassten 632 Örtlichkeiten. So wurde an 30 Orten Paläolithisches gefunden, an 16 Meso­lithisches usw. Die höchste Säule ergeben die Nennungen von römischen Resten an 77 Orten. Merowingische und frühmittelalterliche Lesefunde gab es nur an je 3 Orten.

Natürlich suchen wir primär Antwort auf die Frage: Gab es Merowinger und Karolinger in der Zeit von 614 – 911 wirklich? Sie wäre zu bejahen, wenn sich substanzielle Funde für diese Zeit nachweisen lassen. Für Karolingerfans ist die erste Grafik kein Grund zum Jubeln, gibt es doch die zehnfachen Menge an altsteinzeitlichen Fundorten auf dem heutigen Stadtgebiet gegenüber frühmittelalterlichen. Die Nennun­gen von Steinzeitlichem gehen zwangsläufig stark zurück, wenn wir ‚im zweiten Anlauf’ die Örtlichkeiten mit Siedlungsfunden untersuchen werden.

Betrachten wir nun die Anzahl der Objekte selbst, wie sie aus DENKMÄLER zu ermitteln ist. Beim Erfassen mussten wir uns mit – kon­servativ geschätzten – Näherungswerten behelfen, da die Autoren nicht im­mer so freundlich waren, Zahlen zu nennen. Unser Zahlenwerk ent­stand mit diesem Kodierungsschlüssel:

  • Ein Einzelfund wurde natürlich zu 1;
  • einige Münzen wurden zu 5, ebenso einige Scherben oder Gräber
  • mehrere wurden zu 10,
  • eine größere Anzahl zu 30;
  • zahlreiche Scherben wurden zu 40 – 60,
  • ausgedehnte Siedlungsspuren zu 100, ebenso ein Keramikdepot,
  • aus umfangreich oder reichlich oder ausgedehnt ebenfalls 100,
  • recht umfangreich oder beträchtlich oder sehr viel wurde zu 200,
  • eine Unmenge zu 500.

Grafik2

Hieraus ergibt sich (Graphik 2) eine Statistik zu Lesefundobjekten. Wir sehen ein bereits vertrautes Bild: Sehr magere 7 Objekte sind dem frühen Mittelalter zugeschrieben, das sind 0,13 % der Gesamtmenge von 5.343 Objekten! Das ist verwunderlich, obwohl bei der hohen Zahl der altsteinzeitlichen Funde ein beträchtlicher Teil aus Steinartefakten besteht, wie im folgenden Beispiel nach­zu­vollziehen ist [DENKMÄLER 688f]:

“TK 7038; Flurkarte NO 41 – 17. Florian-Seidel-Straße 1. Ca. 1375 m n/nnö St. Martin in Oberisling. Freilandrastplatz des Gravettien sowie vorgeschichtliche Lesefunde. Beim Bau des neuen Aldigebäudes wurde im Lößprofil der Baugrube in 1,5 m Tiefe eine dünne, dunkle Schicht mit Steinartefakten und Tierknochen entdeckt. Die daraufhin vom Inst. für Urgeschichte der Universität Nürnberg-Erlangen durchgeführte Ausgrabung ergab einen Rastplatz des ausgehenden Jungpaläolithikums, der noch weitgehend in situ war. Unter den Funden sind die Steinartefakte mit 2500 Stücken am häufigsten, darunter etwa 80 zu Geräten verarbeitete Objekte. Als häufigste Werkzeugklasse sind Kratzer zu nennen, von denen nur wenige eine regelmäßig ausgearbeitete Kratzerstirn aufweisen. Als zweithäufigste Werkzeugklasse fin­den sich rückenretuschierte Stücke. Sie sind überwiegend aus Klin­genlamellen mit ehemals breitflachem Querschnitt gearbeitet. Eine Reihe von Stücken mit gebogen verlaufender Rückenretusche ist in die Gruppe der konvexen Rückenspitzen zu stellen. Zahlenmäßig folgen die Bohrer in verschiedenen Varianten, gefolgt von einigen endretuschierten Klingen und zwei Sticheln. Als Kleinfunde konnten Gehäuseteile von drei fossilen Schnecken der Art Pyramidella sp. gebor­gen werden, die aus einem tertiären Vorkommen stammen. Möglicher­weise ebenfalls zu fossilen Gehäuseteilen gehören einige Fragmen­te von scheibenförmig zugearbeiteten und durchbohrten Muschel­schalen. Das zahlreich, aber sehr brüchig erhaltene Knochenmate­rial beinhaltet nach einer vorläufigen Bestimmung Pferd, Ren, Wolf und eventuell Wildschwein und Hyäne. Chronologisch gehört der Fundplatz in das mittlere Jungpaläolithikum, also in das sog. Gra­vettien.”

Wir brachten diesen langen Eintrag ungekürzt, weil er schön zeigt, dass Menschen, die gelebt haben, eine Fülle von Spuren hinterlassen, seien es nun Werkzeuge in Stein oder Überreste verzehrter Tiere in Form von Knochen. Das Gravettien als Periode des Paläolithikum wird herkömm­lich in der Zeit von 28.000 – 21.000 angesiedelt. Gerade im altvertrauten Datierungssystem, das wir freilich nicht stützen, müsste es bestürzen, wenn eine im Mittel 25.000 Jahre zurückliegende Zeit ungleich mehr Funde hinterlassen hat als ein frühes Mittelalter, das doch wenig mehr als 1.000 Jahre zurückliegt und sowohl eine Epoche mit dichter Besiedlung als auch Trägerin der karolingischen Renaissance, also einer ausgesprochenen Hoch­kultur, gewesen sein sollte. Doch vor der Bestürzung käme das Be­mer­ken des Pro­blems.

Betrachten wir nun die 7 Reste aus vermeintlich frühmittelalterlicher Zeit genauer, um zu prüfen, ob es sich um zwingende oder wenigstens plausible Datierungen handelt.

“TK 6938; Flurkarte NO 43-16. Ca. 2550 m w/wnw vom Dom. Lesefunde des frühen Mittelalters. Von den Feldern w der Boessnerstraße und n der Agnesstraße einige Scherben.” [DENKMÄLER 729]

“TK 6938; Flurkarte NO 42-18. Pürkelgut. Ca. 250 m w Gut Pürkelgut. Lesefunde der Vorgeschichte und des frühen Mittelalters. Keine weitere Spezifizierung, auch die Ortsangabe ist nicht sehr genau.” [DENKMÄLER 728]

“TK 6938; Flurkarte NO 43-16. Boemerstraße/no Ecke Weinweg. Ca. 2550 m w/wnw vom Dom. Lesefunde der römischen Kaiserzeit, des frühen und hohen Mittelalters. Aus einem Strudelloch am Donauufer zahlreiche Terra Sigillatascherben. Alle Stücke sind sehr verrundet und möglicherweise handelt es sich um Abraummaterial aus der Altstadt.” [DENKMÄLER 729]

Der erste Eintrag wurde gemäß unserer Kodierung als einige Scherben mit einer Anzahl von 5 erfasst, hier das Hauptkontingent des frühen Mittel­alters. Die Scherben sind nicht näher beschrieben oder gar abgebildet; auch scheinen sie keine Charakteristika aufzuweisen, wie z.B. Scherben der sehr viel älteren Bandkeramik. Es handelt sich somit um eine Verlegenheitsdatierung, die keinerlei Beweiskraft enthält und die Fantomzeithypothese nicht berührt. Auch der zweite Eintrag ist reichlich vage: „Lesefunde der Vorgeschichte und des frühen Mittelalters“. Da hier von einem Jahrtausende langen Zeitraum die Rede ist, sind die Scherbenreste offenbar nicht klassifizierbar! Das scheint auch im dritten und letzten Fall zuzutreffen: Außer „sehr verrundeter“, also abgeriebener Terra Sigillata der römischen Kaiserzeit (bis 4. Jh. [Gorys 458]) scheint keine weitere Keramiksorte benannt werden zu können.

Damit sind die Lesefunde im Regensburg des frühen Mittelalters bereits erschöpfend dargestellt. Verglichen mit den tausenden Funden der Altsteinzeit würden wir kein ein­ziges Werkzeug kennen, keinen Anteil der Speisekarte, keinen Schmuck oder Ähnliches.

Die Siedlungsfunde

Verlassen wir nun die Lesefunde und betrachten die weniger zu­fallsabhängigen Siedlungsfunde. Hier mag der Karolingerfan noch hoffen: Gibt es doch, wie Grafik 3 zeigt, an 22 Plätzen in Regensburg Sied­lungsreste aus der Karolingerzeit. Allerdings sind das weniger als in der Latène-Zeit, die 700 bis 800 Jahre früher zu Ende gegangen ist. Ein Vergleich mit der Römerzeit wäre desillusionierend, denn hier werden stolze 452 Fundorte genannt, die nach Beseitigung von Mehrfach­nennungen immer noch 363 Fundorte präsentieren, das 16fache der karolingischen Zahl. Dass während der Völkerwanderungszeit im 5. und 6. Jh. kaum gebaut und ohne Aufwand begraben wurde, wird kaum verwundern, dass aber von der Regensburger Zeit des Frühmittelalters nur an spärlichen 22 Orten überhaupt etwas Derartiges zu finden sein soll, muss sehr verwundern. So soll sich der baufreudige Karl der Große von Winter 791 bis Herbst 793 ausschließlich in Regensburg aufgehalten haben und hier den Feldzug gegen die Awaren genauso vorbereitet haben wie mehrere Reichsversammlungen. Söhne Karls haben vielfach in Regens­burg geurkundet, Arnulf schließlich war von 888 bis 906 immer wieder präsent.

Grafik3

Wie unsere Pfalzsuche [ZS 2/99] gezeigt hat, muss auch von anderen gekrönten Karolinger- und Agilol­fingerhäuptern beträchtliche Bau­tätig­keit erwartet werden. Doch statt der erhofften Pfalzen sind die Grund­mauern, Heizungsanlagen, Bädern usw. von x-beliebigen römi­schen Villen aufgetaucht. Die Römer haben Anteil an 57 % der Gesamtzahl von 632 Örtlichkeiten; Karolinger und sonstige Fantom­zeitliche bringen es nur auf verschwindende 3,3 %, vorausgesetzt es handelt sich überhaupt um richtig datierte Reste. Dieser Unterschied wird noch krasser, wenn wir jetzt auf die Anzahl von Objekten innerhalb dieser Siedlungsüberreste abstellen (Grafik 4).

Grafik4

Sofort fällt auf, dass aus den 22 Ortsnennungen nur 32 Objekte geworden sind, also jede Karolingerörtlichkeit im Schnitt knapp ein­einhalb Fundobjekte liefert. Das liest sich bei den Römern etwas anders. So werden aus:

  • 59 Örtlichkeiten mit römischen Grabresten 2.822 Einzelfunde;
  • 211 Orten mit kaiserzeitlichen Resten 5.080 Einzelobjekte;
  • 20 Orten mit Villen letztlich 33 Gebäudlichkeiten und aus
  • 162 Orten mit Baubefunden 173 Reste größerer Gebäude.

Die letzte Steigerung fällt vergleichsweise gering aus, da Gebäude eben Gebäude sind. Deren Einzelteile gingen allerdings, würde man hier die Objekte analog zur Steinzeit quantifizieren, vermutlich in die Millionen! 126 der 173 Baureste finden sich auf der Fläche der Altstadt. Hierzu ein Beispiel, um dem Leser einen Eindruck zu geben, was sich hinter diesen Zahlen an Objekten verbergen kann, wenn es sich um Reste aus realen Zeiten handelt [DENKMÄLER 718]

“TK 6938; Flurkarte NO 42-17. Kumpfmühler Brücke bis etwa Kumpfmühler Straße 11. Ca. 1000 m ssw vom Dom. Ausgedehntes Brand- und Körpergräberfeld des Castra Regina, 2. – 4. Jahrh. Spätrömische Steinbauten, römische Straßentrasse unter der heutigen Kumpfmühler Straße, Reihengräberfeld der Merowingerzeit. Einzelgrab der späten Bronzezeit. Seit dem vorigen Jahrhundert bei Bauarbeiten um den heutigen Bahnhof zahlreiche Brand- und Körpergräber, daher die Bezeichnung ,,Großes Gräberfeld. Die Gesamtzahl an Bestattungen wird auf etwa 2-3000 Gräber geschätzt. Einige römische Grabsteine mit Inschriften, etwa 1200 Münzen als Beigaben und einige Statuenfragmente sind, ebenso wie zahllose Beigabengefäße und Bronzefunde, erhalten geblieben. Zahlreiche Gräber weisen steingesetzte Umfassungsmauern auf. Eine Sondage 1974 nahe der Kumpf­mühler Brücke erbrachte zwei gut erhaltene Grabeinfriedungen aus Stein, in einer davon fand sich der Kopf einer Marsstatue. Im Nordwest-Areal des Gräberfeldes grub Dahlem zwei Gebäudegruppen aus. Eine davon mit drei rechteckigen Grundrissen, Estrichfußböden und eins mit einer Hypokaustanlage. Knapp 50 m westlich davon weitere vier Steingebäude. Alle Bauten sollen Brandspuren aufgewiesen haben. Unter Berücksichtigung der unvollständigen Befundüberlieferung sprechen die Gebäudereste am ehesten für eine Villa rustica etwa 100 m westlich der Straßentrasse. Das als Grab ,,242″ geführte Grab ist eine spätbronzezeitliche Bestattung mit zwei schweren Bronzearmringen und zwei Bronzenadeln.”

Dieser Fundort am heutigen Güterbahnhof wurde von uns zwei Mal mit je 2.500 Objekten taxiert: einmal unter “römischen Grabresten” und einmal unter “römisch(er Kaiserzeit)”, da wir vorsichtigerweise davon ausge­gangen sind, dass sich durchschnittlich mindestens 1 Objekt neben den sterblichen Überresten von Menschen in einem Grab befunden hat. Auch darf man nicht vergessen, dass es hier nur um die rechtlich ge­schützten archäologischen Denkmäler geht. Die Zahl der römischen Grä­ber wird ansonsten auf 6.000 taxiert [DENKMÄLER XXXIV]. So sieht es an Plätzen aus, an denen Menschen einer Hochkultur gelebt haben!

Doch zurück von dieser römischen Fülle zu unseren 22 früh­mittelalterlichen Fundorten und 32 Fundstücken, die auch im Ver­gleich zu 1.096 neolithischen oder 770 merowin­gischen Siedlungsobjekten sehr armselig dastehen. Prüfen wir wieder im Einzelnen, ob sich das, was sich dahinter verbirgt, gegen die Fantomzeithypothese verwenden lässt:

1 “TK 6938; Flurkarte NO 43-18. Weichser Schloßgasse 11, 11a. Ca. 1400 m o/onö vom Dom. Ehemaliges Schloß und frühere Niederungsburg des 9.-17. Jahrhunderts. Das aus restweise erhaltener Bausubstanz des 16. Jahrhunderts modernisierte Schloß steht auf dem Areal einer hochmittelalterlichen Niederungsburg.” [DENKMÄLER 732]

Die Bausubstanz stammt also aus dem 16. Jh. und steht auf Hochmittelalterlichem. Dem ist nichts Frühmittelalterliches hinzu­zu­fügen.

2 “TK 6938; Flurkarte NO 43 – 17. Schmerbühl. Ca. 280 m nnw der Neupfarrkirche. Körperbestattungen des frühen oder hohen Mittelalters. 1899 bei Kanalisationsarbeiten in 5,0 m Tiefe insgesamt acht Körperbestattungen in Holzsärgen. Alle Gräber waren West-Ost orientiert und ohne Beigaben.” [DENKMÄLER 712]

Wir erlauben uns hier, für das hohe Mittelalter zu plädieren, da keinerlei Beigaben erkennbar sind und sonstige Feststellungen offensichtlich nicht unternommen wurden. Die Ausrichtung der Gräber hilft kaum weiter. Gräber mit West-Ost-Orientierung weisen sowohl auf die Toten­sitte bei den Germanen vom späten 5. bis zum 7. Jh. hin [Menghin 1980, 209], häufiger aber auf christliche Bestattungen.

3 “TK 7039; Flurkarte NO 41-19. Unmittelbar s und n der Kirche von Harting. Brandgräberfeld der Urnenfelderkultur sowie mutmaßlicher Grabfund des 8./9. Jahrhundert. Bei den Ausgrabungen im Umfeld von St. Koloman insgesamt sieben Brandgräber mit wenig Bronzebeigaben und jeweils mehreren Beigefäßen. Als Lesefunde zwei Bronzeringe mit knopfartigen Enden, die möglicherweise zu einem zerstörten Grab gehört haben.” [DENKMÄLER 679]

Dieser „mutmaßliche Grabfund des 8./9. Jahrhunderts“ wird offenbar aus den „zwei Bronzeringen mit knopfartigen Enden“ erschlossen, die wie­derum unspezifisch sind. Wir verlieren einen weiteren Karolingerzeugen.

4 “TK 6938; Flurkarte NO 42-17. Obermünsterplatz 6 (Obermünster). Ca. 275 m s der Neupfarrkirche. Castra Regina. Lesefunde der römischen Kaiserzeit, Steinplatten- und Sarkophaggräber des frühen Mittelalters sowie ein Münzfund des 10. Jahrhunderts. 1895 bei Sondagen zur Freilegung der Fundamentmauern drei Steinsarkophage mit beigabenlosen Körperbestattungen. Die Gräber müssen nach der Erbauung der Kirche errichtet worden sein, da bei ihrer Grablege der Fußboden durchbrochen wurde. 1955 – 58 bei weiteren Sondagen im ehemaligen Westchor sieben Plattengräber, die teilweise aus römischen Sarkophagteilen errichtet wurden und in das frühe Mittelalter datieren. In mehreren fanden sich die Reste von Goldfäden und weisen so auf die hohe Stellung der Bestatteten hin. Während der Sondagen wurden immer wieder Streufunde der römischen Kaiserzeit gemacht, darunter eine Münze des Gallienus und eine weitere des Claudius II. Jüngstes Stück der Untersuchungen ein Obol des 10. Jahrhun­derts.” [DENKMÄLER 710f]

Dieser Fall, der mit 10 Objekten zu Buche schlägt, scheint interessanter als die bisherigen, wenn auch nicht direkt einzusehen ist, warum römische Sarkophagteile direkt auf das frühe Mittelalter verweisen und nicht auf die Merowingerzeit oder auf das 10. Jh. Bei den drei Steinsarkophagen ist die Datierung in das frühe Mittelalter auch deshalb nicht nachzuvollziehen, da die Gräber erst nach Erbauung der Kirche errichtet worden sein sollen. Diese stammt aber in ihren ältesten Teilen aus der Zeit nach 1002 [Dehio 545f]! Auch lassen die Reste von Goldfäden keinerlei Kunst­richtung erkennen, die eine sichere Schei­dung zwischen römisch, alemannisch oder merowingisch erlauben würde. So entfällt auch diese Örtlichkeit (samt ihrer 10 Objekte) als Zeuge fürs frühe Mittelalter.

5 “TK 6938; Flurkarte NO 43-17. Domgarten I (St. Stephan). Ca. 275 m nö der Neupfarrkirche. Castra Regina. Baubefunde zur Legionslager­mauer der römischen Kaiserzeit sowie Siedlungsbefunde und Grab­kammern des frühen und hohen Mittelalters. 1866 – 68 bei der Fußbodenerneuerung der Kirche wurde festgestellt, daß die Nordseite des Baues teilweise auf der Legionsmauer aufsitzt. Links vom Altar ein leeres Grab des frühen oder hohen Mittelalters.” [DENKMÄLER 697]

Wir entscheiden uns – wenn es uns denn schon angeboten wird – auch hier wieder für eine Grabkammer des hohen Mittelalters und wenden uns dem nächsten Fall zu:

6 “TK 6938; Flurkarte NO 43-17. Unter den Schwibbögen. Ca. 320 m nnö der Neupfarrkirche. Castra Regina. Siedlungsbefunde und Einzelfund der römischen Kaiserzeit sowie fragliche Bestattungen des frühen Mittelalters…” [DENKMÄLER 715]

„Fragliche Bestattungen“ – es scheint fast wie ein Fluch auf den Ge­währs­­objekten zu liegen.

7 TK 6938; Flurkarte NO 42-17 St.-Kassians-Platz. Ca. 80 m ssö der Neupfarrkirche. Castra Regina. Baubefunde und Siedlungsfunde der römischen Kaiserzeit sowie fragliche Bestattungen der römischen Kaiserzeit oder des frühen Mittelalters. 1880 bei Ausschachtungsarbeiten in 5,0 m Tiefe direkt auf römischen Fundamentmauerzügen mehrere beigabenlose Körperbestattungen. 1925 bei Erdarbeiten am Platz eine Münze des Nerva und eine weitere des Traian. Im selben Jahr in etwa 3,0 m Tiefe schwarzes Erdreich mit menschlichen Skelettresten, möglicherweise des Kirchenfriedhofes.“ [DENKMÄLER 714]

Der Fluch scheint sich zu bestätigen.

8 “TK 6938; Flurkarte NO 43-17. Krauterermarkt 3/Bischofshof. Ca. 200-250 m n/nnö der Neupfarrkirche. Castra Regina. Baubefunde zur Legionslagermauer sowie Siedlungsfunde der römischen Kaiserzeit, des frühen und späten Mittelalters. Die Nordfassade des Bischofshofes deckt sich mit der Flucht der Lagermauer, ist aber nirgends als sichtbarer Befund erhalten. Bei Kellerausschachtungen 1859/60 eine Münze des Constans, Trümmer von Marmorkapitälen oder Säulen, Körpergräber und Glasfragmente aus römischer Zeit in bis zu 1,2 – 2,1 m Tiefe. Als wohl frühmittelalterlicher Fund wird ein Sporn verzeichnet. Mittelalterliche und neuzeitliche Befunde dürften ebenfalls vorhanden gewesen sein, wurden aber nie gesondert erwähnt.” [DENKMÄLER 707]

Die Leserin, der Leser möge doch immer wieder die Fundfülle aus römischer Zeit beachten. Und so vieles ist eindeutig bestimmbar: „eine Münze des Constans, Trümmer von Marmorkapitälen oder Säulen, Körpergräber und Glasfragmente“. Dagegen dann ein Unikat: „Als wohl früh­mit­tel­alterlicher Fund wird ein Sporn verzeichnet.“ Das ist kein Ansporn, zum unreflektierten Karlismus zurückzukehren.

9 “TK 6938; Flurkarte NO 42-17. Emmeramsplatz 4 (Kirche St.. Rupert). Ca. 350 m sw der Neupfarrkirche. Siedlungsbefunde der römischen Kaiserzeit und ausgedehntes Gräberfeld des 7. – 19. Jahrhunderts. 1985/86 bei Drainagearbeiten an der Nord- und Ostseite von St.. Rupert etwa 1000 Gräber des 17. – 19. Jahrhunderts. Darunter ein zweites Gräberfeld des 12. – 13. Jahrhunderts. Wiederum darunter ein beigabenführender Gräberhorizont der agilolfingischen Zeit und als unterste Schicht die Reste römischer Gebäude mit Brunnen und Feuerstellen.“ [DENKMÄLER 70]

Was sich zunächst als frühmittelalterlicher Beweis liest: “7. – 19. Jh.“, ist eher ein Rätsel. Warum werden auf diesem Areal zweimal die Bestat­tungen für 400 Jahre unterbrochen? Ungeachtet dessen ist der Hinweis auf agilolfingische Zeit noch kein Indiz für die Fantomzeit, haben doch die Agilolfinger seit Garibald I. regiert, der nach 590 stirbt. Ihm folgt Tas­silo I. (ca. 591 – 610), worauf Garibald II. an die Macht kommt – doch nun verliert sich die Herrscherlinie auch ohne Fantomzeitthese bis ca. 700. Wir können also bei einem agilolfingischen Friedhof in realer Zeit bleiben.

10 “TK 6938; Flurkarte NO 42-17. Emmeramsplatz 11. Ca. 275 m ssw der Neupfarrkirche. Baubefunde und Siedlungsmaterial der römischen Kaiserzeit, des frühen Mittelalters sowie Siedlungsbefunde und eine Glockengußanlage des Mittelalters und Siedlungsbefunde der Neuzeit. 1926 beim Umbau des Evangelischen Krankenhauses unter dem heutigen Südflügel geringe Baubefunde der römischen Kaiserzeit mit Ziegelfragmenten und Keramik. 1991 beim Abbruch des Westflügels vorgreifende Untersuchungen des LfD auf etwa 400 qm. In der Westfläche insgesamt 5 Latrinenschächte des 13. – 17. Jahrhunderts, die mit reichlich Keramikbruch, Tierknochen und Schutt verfüllt waren. Desweiteren ein zweiphasiger Pfostenbau, in dessen Innerem sich der Schürkanal eines Buntmetallschmelzofens erhalten hatte. Wahrscheinlich handelt es sich um eine Glockengußanlage. Funde aus dem Ofen selbst datieren diesen etwa in das 10. Jahrhundert. In der Ostfläche ein 7,0 m breiter römischer Graben mit viel Keramik und einer Bügelknopffibel vom Ende des 3. Jahrhunderts, ein holzverschalter Brunnen sowie ein trockengesetzter Brunnen, der jedoch aus Zeitgründen nicht näher untersucht werden konnte.” [DENKMÄLER 699]

Leider ist hier nicht erkennbar, um welches Objekt des frühen Mittelalters es sich hier handeln könnte. Was der kursiv gesetzte Teil ankündigt, kann der Text nicht halten.

11 “TK 6938; Flurkarte NO 42-17. Schottenstraße. Ca. 450 m wsw der Neupfarrkirche. Siedlungsbefunde und Brandgräberfeld der römischen Kaiserzeit, Einzelfund des frühen Mittelalters sowie Lesefunde des Mittelalters und der Neuzeit. 1854 von hier als Einzelfund eine oströmische Münze des 6. Jht. und 1866 bei Erdarbeiten der Hals einer Weinamphore und Teile einer römischen Tonschale. Ebenfalls 1866 beim Durchbruch der Stadtmauer zwecks Anbindung der Schottenstraße an die Kumpfmühler Straße zahlreiche Ziegelfragmente, Urnen, Tränengläser sowie ein gut erhaltenes Grabmal in etwa 5,0 m Tiefe. Wahrscheinlich handelt es sich um Brandgräber des späten 2. Jahrhunderts. Als Lesefunde zahlreiche Keramikscherben des Mittelalters und der Neuzeit.“ [DENKMÄLER 712]

Fall 11 liegt wie Fall 10: Der Einzelfund wirkt offenbar im Kontrast zu den reichen Römerfunden dermaßen ärmlich, dass er nicht vorgestellt wird.

12 “TK 6938; Flurkarte NO 42-17. Maximilianstraße 23. Ca. 410 m sö der Neupfarrkirche. Castra Regina. Fragliche Bestattungen der römischen Kaiserzeit oder des frühen Mittelalters. Einzelfunde der römischen Kaiserzeit und mittelalterliche Baubefunde. 1811 bei Ausschachtungsarbeiten in 5,0 m Tiefe mehrere Körpergräber ohne Beigaben, eine Bronzefigur des Mars, ein Schwertknopf und eine Gebißstange vom Zaumzeug eines Pferdes. Um 1900 bei weiteren Erdarbeiten in 1,5 m Tiefe vier Säulenkapitelle im Abstand von jeweils drei Metern umgekehrt verbaut und auf dem reinen Humus aufsitzend. Für die Säulen wird ein romanisches Alter vermutet.” [DENKMÄLER 708]

Fall 12 liegt wie Fall 10 und 11. Beigabenlose Körpergräber sind einfach schwer zu datieren, zumal wenn der Fund von 1811 herrührt und die Knochen fraglos nicht für eine viel spätere C14-Messung aufbewahrt worden sind. Dafür erfreuen uns die Zeiten davor und danach mit immer neuen, abwechslungsreichen Funden:

13 “TK 6938; Flurkarte NO 43-17. Arnulfsplatz. Ca. 550 m wnw der Neupfarrkirche. Baubefunde, Siedlungsmaterial, Weihesteine sowie Brand- und Körpergräber der römischen Kaiserzeit sowie Lesefunde des hohen Mittelalters. 1899 bei Kanalisationsarbeiten in einiger Tiefe zwei vollständige Weiheinschriften auf einem Vulkansaltar des späten 2. Jahrhunderts sowie eine Tempelinschrift für Mars und Victoria des frühen 3. Jahrhunderts. 1911 bei Bauarbeiten am Platz Körper- und Brandgräber, die aufgrund von TS-Geschirr, Ziegelbruch und Münzen in das 2./3. Jahrhundert zu datieren sind. Bei Nachgrabungen wurde ein römisches Steingebäude mit den Maßen 3,5 x 2,0 m entdeckt, in dessen Innenraum eine beigabenlose Körperbestattung lag. 1965 bei diversen Erdarbeiten am Platz karolingisch-ottonische Keramik in sekundärer Lage und 1970 bei Kanalisationsarbeiten eine Untersuchung des LfD, in deren Verlauf lediglich einige römische Grubenbefunde mit wenig Fundmaterial dokumentiert werden konnten.” [DENKMÄLER 693]

Hier wird ausnahmsweise einmal von karolingisch-ottonischer Keramik gesprochen. Da Illig längst [1996] vorgeschlagen hat, dass der größte Teil sogenannten karolingischen Schaffens einfach ottonisch ist, der dem 10. Jh. bislang fehlt, kann aus dieser Klassifizierung kein Beweis für karo­lingische Siedlungsbefunde geschöpft werden – zumal er in der falschen Schicht liegt.

14 “TK 6938, Flurkarte NO 42-17 Emmeramsplatz 3. Ca. 350 m ssw der Neupfarrkirche. Einzelfund des Hochmittelalters [!]. 1868 beim Abbruch der ehemaligen Friedhofskapelle St. Michael ein Silberdenar Ludwigs des Frommen (gest. 840) mit Stempel, “Reganesburg”. Es handelt sich um die früheste erhaltene Münze Regensburger Prägung.” [DENKMÄLER 699]

Wir übersehen, dass die Münze im Kursivteil als hochmittelalterlich angekündigt wird. Wichtiger ist die fehlende Schichtnennung, da im 19. Jh. nur das Edelmetall zählte. Im Hinblick auf frühmittelalterliche Münzen verweisen wir auf den Aufsatz von P.C. Martin [2000]. Aber die Relation zwischen römischen und frühmittelalterlichen Münzfunden lässt sich direkt angeben:

Grafik5

In Regensburg sind – mindestens – 2.468 römische Münzen aufgefunden worden, die meisten davon schichtentreu und mit Abbildungen von allen möglichen römischen Herschern. Die einzige karolingische Münze würde, selbst wenn sie echt wäre, wieder nur ein ausgesprochen trübes Licht auf den Finanzstandort Bayern in der Karolingerzeit werfen.

15 “TK 6938; Flurkarte NO 43-17. Am Schulbergl 7. Ca. 480 m wnw der Neupfarrkirche. Siedlungsfunde der römischen Kaiserzeit, des frühen und späten Mittelalters sowie Bestattungen der Neuzeit. 1953 bei Kanalisationsarbeiten in 2,6 in Tiefe Keramik der genannten Zeiten. […]” [DENKMÄLER 693]

Am Schulbergl geraten wir wieder an die Keramik und ihre Identifizierbarkeit. Warum finden sich hier eigentlich die Scherben einer Epoche von mehr als 1.000 Jahren gemeinsam in einer Schicht? Was ist hier alles vermengt worden?

16 “TK 6938; Flurkarte NO 43-17. Lederergasse 1 (Tiefgarage). Ca. 720 m wnw der Neupfarrkirche. Lesefunde der Stichbandkeramik, der Latènezeit, der römischen Kaiserzeit sowie Siedlungsbefunde des frühen und späten Mittelalters. 1982 auf etwa 420 qm Fläche archäologische Untersuchungen des LfD. Unter den Streufunden eine Scherbe der Stichbandkeramik und einige Graphittonscherben der Latènezeit. Als einziger römischer Befund eine Grube, deren keramischer Inhalt in das 2./3. Jahrhundert zu datieren ist. Darüber früh- bis hochmittelalterliche Pfostengruben, die eine Holzbauphase dokumentieren. Die Masse der Grabungsbefunde machen Gruben, Brunnen und Ofenanlagen des 12. – 15. Jahrhunderts aus und können dem lederverarbeitenden Gewerbe zugewiesen werden. Die sorgfältig abgegrabenen Schichten ermöglichten es, eine wohlbegründete Keramikentwicklung vom 7./8. bis in das 14./15. Jahrhundert zu erarbeiten.” [DENK­MÄLER 707]

Auch diesmal wird eine Keramikkontinuität, diesmal vom „7./8. bis in das 14./15. Jahrhundert“ postuliert und suggeriert, aber wiederum ohne zwingenden Grund, da „die Masse der Grabungsbefunde Gruben, Brun­nen und Ofenanlagen des 12. – 15. Jahrhunderts ausmachen“. Warum werden keine Charakteristika für diese frühmittelalterliche Keramik ge­nannt, wie dies bei der Stichband- oder Schnurbandkeramik, also in viel älteren Zeiten Usus ist? Außerdem fällt auf, dass eine einzige Holz­bauphase für die früh- bis hochmittelalterliche Zeit stehen muss.

17 “TK 6938; Flurkarte NO 43-17. Weiße-Lamm-Gasse 1. Ca. 300 m n der Neupfarrkirche. Siedlungsbefunde des Mittelalters und der Neuzeit sowie mutmaßliche Schiffslände des frühen Mittelalters. 1987/88 im Zuge der Sanierung des Salzstadels vorgreifende Untersuchungen der städt. Baudenkmalpflege. Dabei gelang der Nachweis eines hochmittelalterlichen Schiffskanals sowie von früheren Vorgängerbauten des Salzstadels. Als ältester Befund eine Holzpfostenreihe im Grundwasserbereich als Teil eines Beschlächtes. Aufgrund stratigraphischer Überlegungen und eines S-förmigen Schleifenringes handelt es sich vermutlich um den Teil einer karolingischen Schiffslände.” [DENK­MÄ­LER 717]

„Mutmaßlich“ oder „vermutlich“ – mit derselben Plausibilität lässt sich für eine Schiffslände des 10. Jh. plädieren, solange keine wei­teren Indizien hinzutreten. Wäre an einem hochmittelalterlichen Schiffskanal nicht auch eine hochmittelalterliche Schiffslände vorstellbar?

18 “TK 6938; Flurkarte NO 42-17. Maximilianstraße 26/Grasgasse 16, 18. Ca. 430 m ssö der Neupfarrkirche. Castra Regina. Baubefunde in Kasernenbauten, eines Mauerturmes der Lagermauer, der Via sagularis sowie Siedlungsfunde der mittleren und späten Kaiserzeit. Germanische Siedlungsfunde, Siedlungsfunde der Reihengräberzeit, des Mittelalters und der Neuzeit sowie ein Friedhof des 8./9. Jahrhunderts. 1980/81 anläßlich des Neubaus der Bayerischen Vereinsbank vorgreifende Untersuchungen des LfD auf etwa 600 qm. Aufgedeckt wurden die Reste dreier römischer Kasernenbauten des 2./3. Jahrhunderts, Teile der Via sagularis mit Drainagegraben, Fundamentreste eines Mauerturmes der Kastellmauer. Diese Bebauung wurde noch am Ende des 3. Jahrhunderts zerstört und erneut aufgebaut, allerdings in schlechterer Qualität als zuvor. Unter den Funden sehr bedeutsam sind mehrere Bronzestatuetten römischer Götter, die unter einem Fußboden versteckt waren. In den Gebäuden auch Funde germanischer Keramik vom Typ Friedenhain und ein grünglasierter Henkeltopf, der germanische wie römische Techniken und Verzierungen aufweist. Funde der Reihengräberzeit belegen eine weitgehende Siedlungskontinuität am Ort und diese wird nach oben hin abgerundet durch ein Körpergräberfeld des 8./9. Jahrhunderts. Eine einzige Spatelkopfnadel der ansonsten beigabenlosen Bestattungen stützt die Datierung des Friedhofes. Einige Siedlungsgruben enthielten Keramik und Gläser des Mittelalters bis in die Neuzeit. Die Grabungen an diesem Ort müssen mit der Ausgrabung im Niedermünster zu den bedeutendsten Untersuchungen zum römischen Regensburg gerech­net werden.” [DENKMÄLER 708; unsere Hvhg.]

Die Römer haben uns wirklich alles hinterlassen, selbst in Not­zeiten versteckte Götterstatuetten. Die „nach oben abge­rundete“ Sied­lungs­konti­nuität vom 2. bis zum 9. Jh. ruht dagegen auf der Spitze einer ein­zigen Nadel – zu wenig für eine fundierte Aussage. Dafür wird hier einmal Keramik spezifiziert. Darüber hinaus würde man sich klare Antwort auf die Frage erhoffen, wann die Reihen­gräberanlage vom innerörtlichen Friedhof abgelöst wird. Hier scheint die Fantomzeit mit den ihr zugeschriebenen Funden die Ent­wicklung zu verwirren. Denn die Rei­hen­gräber­felder werden bis ins 8. Jh. hinein da­tiert, während sich bereits im 7. Jh. die Friedhöfe um die Kirchen der Siedlungen gruppieren [Kolmer 52].

19 “TK 6938; Flurkarte NO 42-17. Neupfarrplatz 6 a (Kramwinkel). Ca. 40 m n der Neupfarrkirche. Castra Regina. Baubefunde und Siedlungsfunde der römischen Kaiserzeit, Siedlungsfunde des frühen Mittelalters, ein Schmelzofen unbestimmter Zeitstellung sowie zwei jüdische Grabsteine. 1858 bei der Anlage eines Kellers ein vollständiger Schmelzofen ohne Datierungsmöglichkeiten, eine größere Menge Gold, ein Metallgefäß und Teile zweier jüdischer Grabsteine. 1990/91 bei der Neuerrichtung der Sparkasse Regensburg auf 350 qm vorgreifende Untersuchungen des LfD und der städt. Denk­mal­schutz­behörde. Unter den Resten eines Gebäudes aus dem 13. Jahrhundert wurde eine durchgehende Kulturschicht der karolingischen Zeit er­faßt, darunter eine mächtige römische Zerstörungsschicht und unter dieser römische Kulturschichten mit Baubefunden, unter anderem ein Mauerfundament mit vorgesetzter Veranda.” [DENKMÄLER 709]

In bislang 18 Fällen haben wir nur vermeintlich frühmittelalterliche Spu­ren in Regensburg ermittelt, also Fundleere konstatieren müssen. Nun werden wir mit einer „durchgehenden Kulturschicht der karolingischen Zeit“ konfrontiert, allerdings ohne ge­nannt zu bekommen, was diese Schicht als solche erscheinen lässt. Da keinerlei Funde genannt werden, scheint man sich ans goldene Mittel zwischen dem darüberliegenden 13. Jh. und dem darunterliegenden 5./6. Jh. – die mutmaßliche Zerstörungszeit der römischen Gebäude – gehalten zu haben. Vermisst wird ­­irgend eine Überlegung dahingehend, dass in ganz Regensburg nur auf 350 qm Fläche eine karolingische Kultur­schicht nachzuweisen ist. Immerhin überdeckt allein das Legionscastrum eine Fläche von 245.000 qm.

20 “K 6938; Flurkarte NO 43-17 Domplatz 1 (Dom St.. Peter). Ca. 200 m nö der Neupfarrkirche. Castra Regina. Baubefunde und Sied­lungsmaterial der römischen Kaiserzeit, Verhüttungsplatz des frühen Mittelalters sowie eine neuzeitliche Ziegelgruft. […] 1924 anläßlich der Errichtung der Dombauhütte Mauerreste des romanischen Vorgängerbaus. Aus diesen Befunden ergab sich 1924/25 die erste wissenschaftliche Kirchengrabung in Bayern. […] Die römischen Schichten und der gewachsene Boden konnten in zwei kleinen Schnitten erreicht werden. In 6,0 m Tiefe hatten sich Teile einer Hypokaustanlage erhalten sowie die Reste eines frühmit­telalterlichen Eisenverhüttungsplatzes.” [DENKMÄLER 697]

Dieses Zitat wurde gekürzt, weil die Ausgrabung des romanischen Doms und seiner späteren Karolingifizierung bereits Thema war [2/99, 248-253]. Wahrhaft erstaunlich sind die „Reste eines frühmittelalterlichen Eisen­­verhüttungsplatzes“ gerade dann, wenn man für einen karolingischen Dom plädiert. Der Dom im Dunstkreis eisenschaffenden Gewerbes? Allenfalls eine Schmiede ließe sich als Bestandteil der Dombauhütte mutmaßen, aber regelrechte Verhüttung? Auch an dieser Stelle will der saubere Nachweis fantomzeitlicher Besiedlung nicht gelingen.

21 “TK 6938; Flurkarte NO 43-17 Niedermünstergasse 3 (Niedermünsterkirche). Ca. 350 m nö der Neupfarrkirche. Castra Regina. Siedlungsbefunde der Urnenfelderzeit und der Latènezeit, Baubefunde und Siedlungsfunde der römischen Kaiserzeit, germanische Siedlungsbefunde des 5./6. Jahrhunderts, Kirchenbauten des 7. – 10. Jahrhunderts mit dazugehörigen Friedhöfen. 1964 – 68 verursacht durch den Einbau einer Bodenheizung Untersuchungen des LfD. Die Grabungen im Innenraum der Kirche erfaßten die Grundrisse dreier Vorgängerbauten. Der älteste, spätmerowingische aus der Zeit um 700 wurde als Saalkirche errichtet und enthielt die Bischofsgräber des heiligen Erhard und des seligen Albert. Diesem Bau folgte ein karolingischer Saalbau mit Rechteckchor und anschließendem Gräberfeld, von dem etwa 80 Bestattungen geborgen wurden. Erheblich größer ist der ottonische Nachfolgebau aus der Zeit des 10. Jahrhunderts mit den Gräbern Herzog Heinrich I., Herzogin Judith und der Herzogin Gisela. Aus römischer Zeit Teile einer Doppel­mann­schaftsbaracke des Legionslagers des 2./3. Jahrhunderts mit dar­über­liegenden spätrömischen Wohngebäuden mit Hypokaust­anlagen des 4. Jahrhunderts. Aus den römischen Schichten stammen insgesamt 515 Münzen, die von der republikanischen Zeit bis zu Honorius um 408 n.Chr. datieren. Keine Baubefunde, sondern nur eine Planierschicht aus Humus und mit Siedlungsmaterial des 5./6. Jahrhunderts folgten über den spätrömischen Resten. Unter den Funden dieser Planierschicht auch Scherben vom Typus Friedenhain. Bedeutsam sind Grubenreste mit Siedlungsmaterial der späten La­tène­zeit sowie Pfostenstellungen und Grubenbefunde aus der frühen Urnenfelderzeit, die unmittelbar über dem gewachsenen Boden erhal­ten geblieben waren.” [DENKMÄLER 710]

Dr. Hubel hat sicher gewusst, warum er sich bei seiner Argumentation zum karolingischen Regensburg [Schießl 2000] von vornherein auf Nieder­münster und St. Emmeram beschränkt hat. Nur unterm Niedermünster gibt es eine echte Chance, der Karolingerzeit Platz auf der realen Zeitachse ein­zuräumen. Zeitgebend sind die Gräber des hl. Bischof Erhard und des irischen Erzbischofs Albert von Cashel, angelegt nach ihrem Tod um 700 bzw. kurz nach 700. Im Jahre 1052 wurden die Gebeine Erhards durch Papst Leo IX. erhoben,

„wobei das schon bisher im Niedermünster gelegene Grab nicht etwa verlegt, sondern lediglich über die Erde erhoben und auf ein stei­nernes Podest gestellt wurde. Bischofsgräber ‚infra muros’ aus so früher Zeit sind große Ausnahmen, zumal die Bischöfe von Regens­burg bis in das 12. Jahrhundert hinein ihre letzte Ruhestätte in St. Em­meram fanden; beide waren offenkundig keine Regensburger Bischöfe und erhielten in der Kirche ein ‚Ehrengrab’, wie PIENDL treffend formulierte“ [Brühl 235].

Es soll hier nicht lange spekuliert werden, nachdem wir unseren Datierungsvorschlag bereits gemacht haben [ZS 2/99, 266f]. Die drei Kirchen­fun­da­mente unter dem bestehenden Bau sind Fakt. Wohin können sie datiert werden? Der heutige Bau ist ab 1146 komplett aufgeführt worden, mit Kirche, Stift und Kreuzgang [DENKMÄLER 408]. Davor wurde „um 950“ der ottonische Bau aufgeführt, „eine monumentale ottonische Basilika mit Ostquerhaus und drei Absiden, wenn auch wahrscheinlich ohne Türme“ [ebd]. Er wäre – eine ausgesprochene Rarität – vor Ende der Ungarn­bedrohung (955) aufgeführt worden; er wäre nicht nur unzerstört ge­blieben, sondern auch so monumental ausgefallen, dass er 200 Jahre bestehen konnte. Es wird zu prüfen sein, wie weit dieser Bau – trotz der Königsgräber – verjüngt werden kann. Der älteste Bau von 700 soll als einfache Saalkirche bereits die herzogliche Pfalzkapelle gewesen sein [ebd]. Hier wäre eine Errichtung vor 614 zu prüfen, zumal damals das bayerische Herzogshaus bereits der Kirche nahe stand. Dann könnte die „vergrößerte karolingische Saalkirche mit breitem Rechteckchor und Chorschranke“ [ebd] dem 10. Jh. zugeschrieben werden.

22 „TK 6938; Flurkarte NO 42-17. Emmeramsplatz 4 (Kirche St.. Emmeram). Ca. 350 m sw der Neupfarrkirche. Baubefunde, Siedlungsmaterial und eine Sarginschrift der römischen Kaiserzeit sowie Reihengräberfeld der Merowingerzeit. 1710 in der Georgs­kapelle eine römische Sarginschrift und ein Steinsarkophag. 1894 ein weiterer Sarkophag mit dem in Tücher gehüllten Leichnam eines kopflosen Mannes des 9./10. Jahrhunderts. 1962 im Zuge von Trockenlegungender Mauern an der gesamten Außenseite der Ring- und Ramwoldskrypta ein 1,0 m breiter und 2,0 m tiefer Drai­na­ge­graben einer frühmittelalterlichen Fundschicht. 1991/92 erneute Arbeiten an der Außenseite der Ringkrypta. Dabei konnten die bisher ältesten Bauhorizonte des Basilika von etwa 740 erfaßt werden. In der Fläche zahlreiche agilolfingische Gräber aus der zweiten Hälfte des 7. Jahrhunderts. Besondere Beachtung verdient Grab 10 mit der Bestattung einer Frau, die aufgrund der Grabanlage und der Aus­stattung zu einem frühmittelalterlichen Adelsgeschlecht gehört haben dürfte. Die Tote wurde in gestreckter Rückenlage mit leicht vom Körper abgewinkelten Armen beigesetzt. Obwohl keine Störung vorlag, hatte sich das Skelett nicht gut erhalten. Im Gegensatz zu der Mehrzahl der Bestattungen war das Grab durch eine massive, trocken gesetzte Bruchsteinmauer eingefaßt. Von der hölzernen Kammer zeugen nur noch wenige Spuren sowie einzelne eiserne Nägel.

Grafik6

Zu den außergewöhnlichen Beigaben gehört neben zwei goldenen Bommelohrringen vor allem der Halsschmuck. Außer einer Kette mit etwa 100 überwiegend rostroten Fritteperlen trug die Tote ein weiteres Collier aus sechs Goldbrakteaten sowie zwei Amethyst- und fünf mandelförmigen Glasperlen. Die Brakteaten, darunter fünf modellgleiche Stücke, zeigen einen bärtigen Kopf mit erhobenen Händen, die wohl eine Andachts- oder Gebetshaltung zum Ausdruck bringen. In seiner Kombination dürfte der Halsschmuck nördlich der Alpen bisher einmalig sein. […]

Alle Grabbeigaben weisen die Tote als eine Hochadelige der Zeit des späten 7. Jahrhunderts aus. Die Bestattete stellt sich somit als ein Mitglied einer reichen und einflußreichen Familie dar, die dem Herzogshof Theodos (700) sehr nahe stand. Stratigraphisch unter diesem kleinen Gräberfeld Teile eines römischen Gebäudetraktes mit Keller und Brunnen.

Im sog. Bäckerhöfl zwei beigabenlose Körperbestattungen des 7./8. Jahrhunderts, eine davon in einem Steinsarkophag. Stratigraphisch unter diesen beiden Gräbern mindestens vier weitere Gräber der Agilolfingerzeit des 7. Jahrhunderts. Eine einzelne große Bernsteinperle da­tiert schon in das 6. Jahrhundert.” [DENKMÄLER 699; 2 Objekte]

Zu St. Emmeram als „karolingische“ Kirche haben wir uns bereits geäu­ßert [ZS 2/99, 256ff, 267] , der kopflose Leichnam bleibt dem 10. Jh. erhalten, so dass sich noch einmal – aber viel zu selten für diese fundreiche Stadt – die Frage stellt, in wie weit agilolfingische Fundstücke des 7. Jhs. dem frühen 7. Jh. zugeschrieben werden können.

Bilanz

Regensburg bietet nach wie vor ein vertrautes Bild. Es präsentiert ab der Altsteinzeit überreiche Funde – ausgenommen bleibt eine einzige Epoche, in der Regensburg besonders bedeutend gewesen sein sein soll.

An 632 archäologisch erfassten Fundorten auf heutigem Regensburger Stadt­gebiet sind nur 3 entsprechende Lesefunde gemacht worden, und nur an 22 Orten ist von Siedlungsfunden die Rede. Be­trachtet man diese näher, ergibt sich kein plausibler oder gar zwin­gender Grund zu einer Datierung in die Fantomzeit. Betrachtet man demgegenüber allein die römischen Funde, die ja im Durchschnitt ein halbes Jahrtausend älter sein sollen als die frühmittelalterlichen, so ergibt sich hier eine Überfülle, die allein schon bei der Gegenüberstellung der römischen mit den karolingischen Münzen zum Ausdruck kommt: 2.468 römische Exemplare stehen einem einzigen angeblich karo­lingischen gegenüber. Die römi­schen Funde bilden darüber hinaus alles ab, was das Leben entstehen und übrig lässt; der geneigte Leser möge die oben zitierten Einträge nach­lesen. Obwohl es nur wenige von den gesamten 632 sind, quillt schon hier ein archäologisches Füllhorn über.

Das Frühmittelalter – hier in den Grenzen von 614/911 gemeint – muss ohne Stadtmauern, ohne Wohnhäuser, ohne Landsitze, ohne Pfal­zen, ohne Handwerksbetriebe und Handelshäuser auskommen. Die Ausnahme bildet ein eisenerzeugender Betrieb, der allerdings mit seiner Dom­nähe deplatziert wirkt. Im Gegensatz zu römischen Brunnenfunden gibt es keinen solchen in frühmittelalterlicher Zeit. Wo gelebt wird, wird meist auch gestorben. Aber gerade karolingerzeitliche Bestattungen werden nicht aufgefunden, nur agilolfingische (bis 788). Dasselbe gilt für karolingische Keramik, die eigentlich in rauen Mengen in die Erde gekommen sein müsste.

Vergessen wir nicht die Überfülle noch älterer Kulturen und Epochen von der Altsteinzeit bis zu den Kelten mit 5.144 Lesefund­objek­ten und 3.272 Siedlungsfundresten, die zwar eine längere Zeit repräsen­tieren, als das frühe Mittelalter, aber dafür sehr viel weiter entfernt sind. Dagegen nehmen sich die vermeintlichen gut 20 frühmit­telalterlichen Reste doch sehr bescheiden aus.

Es geht für A. Fößel nicht an, „die zufällig ergrabenen Überreste zum Maßstab für die Existenz einer ganzen Epoche zu machen“ [Fößel 71]. Wie aber steht es um den Zufall, wenn man in vielen Hunderten von Fällen alte Kulturen ergräbt, nur das frühe Mittelalter permanent verfehlt? Ab wann ist es kein Zufall mehr, dass eine ganze, vielgepriesene Epoche dem Spaten entgeht?

Die Leistungen der Siedlungsarchäologie sollten endlich bei den Diplomatikern Beachtung finden. Auf was können sie denn noch setzen, seitdem sie selbst den alten Chroniken keinen Glauben mehr schenken (s. S. 290f, 294)? Und warum sollte sich A. Hubel nicht durch seine eigene Arbeit eines Besseren belehren lassen? Das frühe Mittelalter ist so wenig präsent, dass es in sehr merkwürdiger Weise existiert haben müsste, so es je gewesen wäre.

Literatur

Anwander, Gerhard/ Illig, Heribert (1999): „Regensburger Virtualitäten“; in ZS XI (2) 242

Brühl, Carlrichard (1990): Palatium und Civitas. Studien zur Profantopographie spätantiker Civitates vom 3. bis zum 13. Jahrhundert. Band II: Belgica I, beide Germanien und Raetia II; Köln · Wien

Dehio = Dehio Handbuch. Regensburg und die Oberpfalz (1991); Darmstadt

DENKMÄLER = Denkmäler in Bayern. Band III.37: Stadt Regensburg. Ensem­bles – Baudenkmäler – Archäologische Denkmäler; von Anke Borgmeyer, Achim Hubel, Andreas Tillmann, Angelika Wellnhofer (Hg. Michael Petzet); Regensburg

Fößel, Amalie (1999): „’Karl der Fiktive, genannt Karl der Große’. Zur Diskussion um die Eliminierung der Jahre 614 bis 911 aus der Geschichte“; in Das Mittelalter (4/1999) 65-74

Gorys, Andrea (1997): Wörterbuch Archäologie; München

Illig, Heribert (1996): Das erfundene Mittelalter; Düsseldorf · München

Kolmer, Lothar (1990): Machtspiele. Bayern im frühen Mittelalter; Regensburg

Martin, Paul C. (2000): „Können Münzen Karl den Großen retten?“; in ZS XII (1) 88

Menghin, Wilfried (1980): Kelten, Römer und Germanen. Archäologie und Geschichte; München

– (1990): Frühgeschichte Bayerns; Stuttgart

Schießl, Günter (2000): „Auf den Spuren ‚Karls des Fiktiven’ im Kreuzgang“; in Mittelbayerische Zeitung vom 3.2.2000