Zu Franz Krojer: Antworten von Heribert Illig, Jan Beaufort und Gunnar Heinsohn
(aus Zeitensprünge 3/2003)

Kr. = Krojer, Franz (2003): Die Präzision der Präzession. Illigs mittelalterliche Phantomzeit aus astronomischer Sicht. Mit einem Beitrag von Thomas Schmidt; Differenz-Verlag, München

I. Rückweisung der bislang gewichtigsten Kritik an der Phantomzeitthese

Heribert Illig

Viel mehr Ehre kann einem Forscher gar nicht widerfahren, als dass sich ein Kontrahent vier Jahre lang trotz Weib, Kind und Beruf damit beschäftigt, eine Theorie nach allen Regeln einer ihm gar nicht originär geläufigen Zunft zu widerlegen. Insoweit bin ich Franz Krojer dankbar, zumal er sich mannhaft, doch weitgehend vergeblich gegen die “damnatio memoriae” gestemmt hat, die höheren Ortes verfügt worden ist.

Es darf eingeflochten werden, dass es sich bei der “Austilgung des Andenkens” um einen Begriff aus dem römischen Strafrecht der Kaiserzeit handelt. Wegen Hochverrats konnte nicht nur die Todesstrafe, sondern darüber hinaus auch die “damnatio memoriae” verhängt werden. Daraufhin wurden die Standbilder des Staatsverbrechers entfernt, sein Name aus offiziellen Inschriften, manchmal auch aus privaten Urkunden gestrichen. Ich will hoffen, dass die Mediävisten hier nicht im Detail Bescheid wissen.

Bei Krojer gärt es ebenfalls im römischen Untergrund. Sein Buch beginnt mit einem offenen Brief von 1999 an mich, der wohlgemerkt “am Rubikon” verfasst worden ist. Vier Jahre später ist das Buch dann erschienen. Krojer mag also daran gedacht haben, dass Julius Cäsar -49 vom cisalpinen Gallien her das berühmte Flüsschen nahe Rimini überschritten und damit den Bürgerkrieg entfesselt hat. Vier Jahre später verröchelte er unter den Dolchen seiner Feinde. So sieht sich Krojer wohl als Brutus, der dem verhassten Tyrannen als Systembewahrer entgegentritt und ihn nach vier Jahren ‘erledigt’. Für Auguren ein aufregendes Bild, denn Brutus und seine Kumpane haben damals für fast 2.000 Jahre (der von Krojer verteidigten Kalenderzählung) genau jenen Zustand des Prinzipats, des Kaiserreichs herbeigeführt, den sie unbedingt hatten verhindern wollen. Auf den unpassenden Vergleich mit Cäsar verzichte ich gerne; ihm hat Krojer die Grundlage geschaffen.

Krojers 489 Seiten sind eine überaus mühsame Lektüre. Denn er fügt seine über die Jahre geschriebenen Beiträge chronologisch aneinander, wie sie zum großen Teil in eine Internet-Runde eingebracht worden sind. Über die wissenschaftliche Grundregel, dass immer der jüngste Stand einer Theorie zu kritisieren ist, hat ihn offensichtlich keiner seiner Berater informiert. So schleppt er alle eigenen Fehlinterpretationen und Fehler, aber auch längst bereinigte Fehler von meiner Seite unbeirrbar durch die Jahre mit. Weiter werden gerade die wichtigen Themenkomplexe mehrfach angesprochen, so dass es im Buch zu verwirrenden Wiederholungen, Präzisierungen und Wiederaufnahmen kommt, verkompliziert noch durch Nachträge aus verschiedenen Zeiten. Es wäre entschieden besser gewesen, der Autor hätte die wesentlichen Punkte straff zusammengestellt, Nebensächliches, Redundantes und Überholtes weggelassen und auf diese Weise ein halb so dickes Buch präsentiert. So bleibt es dem Leser überlassen, die nach vier Jahren gültig gebliebenen Resultate herauszufiltern – sicher nur für wenige eine lösbare Aufgabe.

Bereits auf S. 143 steht der ultimative Befund: “Das ‘erfundene Mittelalter’ ist eine Erfindung Illigs”. Dies folgert er aus seinem lange Zeit besten Trumpf, der Position der Spica im Sternbild Jungfrau, wie sie im Almagest berichtet ist. Diese Argumentation stand schon in seinem offenen Brief von 1999. Jan Beaufort [2001/02] hat darauf in den Zeitensprüngen eine gute Antwort gegeben, die Krojer ignoriert hat (s. S. 508). So steht auf diesen ersten 143 Seiten nichts, das die Phantomzeitthese gefährden würde.

Dafür wird manches aufgeboten, was man nicht unbedingt noch einmal lesen wollte. Da steht einleitend [Kr. 19], dass man nach meiner Auffassung “eben versehentlich in diese falsche Zeitrechnung hineingeschlittert” sei:

“Mir ist es wichtig, diesen von Ihnen vorgeschlagenen Mechanismus des Hineinschlitterns in eine falsche Zeitrechnung so in aller Kürze festzuhalten, denn meine Argumente sind nur dann gültig, wenn nicht davon ausgegangen wird, dass eine Mega-Verschwörung vorliegt. Dann müsste die Diskussion nämlich ganz anders, weitläufiger und prinzipieller, geführt werden” [Kr. 19]

Außer Krojer haben alle meine Leser begriffen, dass ich in Wer hat an der Uhr gedreht? eindeutig Absicht unterstellt habe, wie bereits der Titel ankündigt. Aber ich bin deshalb keineswegs von einer Mega-Verschwörung ausgegangen, schon gar nicht von einer, die möglichst bis zur Gegenwart den einstigen Geschichtsablauf radikal zu fälschen versucht. Krojers Entweder-oder greift nicht. Krojer argumentiert nun bis zur S. 355 im Wesentlichen astronomisch. Dann entdeckt er doch die Mega-Verschwörung und wird nun weitläufig und prinzipiell, indem er zur “Auschwitz-Keule” greift. Dabei hat er eingangs erklärt, “dass auch ich [Krojer] recht direkt in die ‘Auschwitzfalle’ getappt war” und hinzugefügt, dass das Wort Auschwitz “heute bei vielen unpassenden Gelegenheiten […] ausgiebig verwendet wird” [Kr. 42]. Daraus wäre zu lernen gewesen (s. S. 516).

Zuvor aber zeigt er, was ein rechter Zuchtmeister ist: Jede Unschärfe, jeder Druckfehler in meinen Texten hat meine völlige Inkompetenz zu demonstrieren, gleich ob im Uhr-Dreh-Buch längst korrigiert oder irrelevant. So ist es ihm ein weiteres Mal wichtig, dass ich das erste Kepler’sche Gesetz nicht richtig wiedergegeben habe: “Die Erde läuft auf einer elliptischen Bahn mit zwei Brennpunkten”, wo doch Kepler formuliert hatte: “Die Erde läuft auf einer elliptischen Bahn, in deren einem Brennpunkt die Sonne steht”. Er lastet mir deshalb an, ich möchte “noch zusätzlich durch eigene Ungenauigkeiten Verwirrung stiften” [Kr. 26]. Er spricht es nicht aus, aber es ist klar, dass er mich im dringenden Verdacht hat, das heliozentrische System wieder abschaffen zu wollen. Da lassen sich seine eigenen Worte – “Aus diesem einen Wert macht Marx ein Riesen-Trara” [Kr. 119] – auf ihn selbst anwenden, zumal ihn das Ellipsenbeispiel auf S. 337 noch immer beschäftigt.

Ab S. 41 geht es erstmals um die julianische Kalenderreform. Da bringt er neuerlich seine irrige Auffassung über Schaltfehler unter Augustus. Der Leser erfährt erst ab S. 71, dass es da auch meine Gegenmeinung gibt, die er freilich mit Ablehnung bedenkt.

Krojer kennt bekanntlich alle einschlägigen Passagen aus den Zeitensprüngen, hat er doch für seine Newsgroup sogar einmal abgezählt, wie oft der Name Velikovsky in den gesammelten Jahrgängen vorkommt. Nur die Unterscheidung, ob dabei Velikovsky kritisiert oder gelobt wird, hat er vergessen [vgl. Kr. 65 ff.]. Ähnlich verhält er sich bei der Frage nach der gregorianischen Kalenderreform. Er druckt dazu die ganze Bulle Inter Gravissimas von Gregor XIII. ab [Kr. 45-51]. Weil darin Bezug auf das Konzil von Nicäa genommen wird, ist der Sachverhalt für ihn klargestellt – roma locuta, causa finita. Dass hier trotz päpstlicher Weisung weitergedacht werden kann und muss, hätte er vielfach in den Zeitensprüngen lesen können – von der Unmöglichkeit einer Kalenderreform in Nicäa bis hin zur Entdeckung von Werner Frank [2002, 649], dass der Bulle eine Diskussion vorausgegangen war, ob nun 10, 13 oder gar 15 Tage zu überspringen seien. Damit ist die Bulle fragwürdig. Solche Konsequenzen zu ignorieren, führt zu Ausblendungen, mit denen die Leser vor Genauigkeit geschützt werden.

Schön ist die neuerliche Begegnung mit der Sonnenuhr des Augustus. Hier geht es wiederum um die Schaltregelbenutzung unter Augustus; ein langer Sermon, den ich – wie oben erwähnt – argumentativ pariert habe.

Dass uns die Sonnenuhr bis auf Haaresbreite an die Lösung herangebracht hat – es fehlt nur der antike Hinweis darauf, ob unter Augustus der 23. 9. die Herbstäquinoktie war, die von der Anlage auf dem römischen Marsfeld hervorgehoben wird – kümmert Krojer wenig. Statt dessen weist er immer wieder – Fluch einer aus Einzelpublikationen zusammengestoppelten Buchfassung – nach, dass es keine Garantie für das strikte Einhalten der julianischen Schaltregel gebe. Mehr Zugeständnis braucht es nicht: Indem er klarstellt, dass sehr wohl auch drei Tage dazugekommen oder untergegangen sein könnten, trifft er sich mit mir in folgendem Punkt:

Niemand kann gewährleisten, dass der Kalender noch stimmt. Insofern existiert ein möglicher Schlupf im Kalender, der das Streichen von drei Jahrhunderten (im Prinzip auch das Hinzufügen) zulässt. Mehr ist den alten Quellen nicht abzugewinnen. Die eigentliche Basis schafft der Nachweis der Fundleere in der fraglichen Zeit, was Krojer allerdings erst auf seiner vorletzten Textseite [Kr. 457] anspricht. Krojers Leser ist jedoch noch bei der Sonnenuhr und erfährt dabei viel über extraterrestrisch induzierte Katastrophen und eine neue Unschärferelation: Wenn Illig in einem Punkt nicht vorzuführen ist, dann lässt sich allemal ein anderer Autor oder eine Autorin des Bulletins traktieren. Wehren muss ich mich gegen die Unterstellung, ich würde mir – wie im Falle Buchner – alles nach Lust und Laune zurechtlegen:

“Auf den Punkt gebracht: Illig und der (deutsche) Velikovskyanismus – nein, denn das hat mit Wissenschaftlichkeit – und Einstein bürgt dafür – nichts zu tun” [Kr. 83].

Als ich mich auf Einstein berief, meinte ich seinen Sinneswechsel, als die von Velikovsky postulierte Radiostrahlung des Jupiter nachgewiesen wurde. Daraufhin sagte er seinem Nachbarn Velikovsky in Princeton, für dessen Jerusalemer Reihe er schon in den 20er Jahren publiziert hatte, endlich für die Planetenforschung Unterstützung zu – leider starb er nur Tage später. Natürlich gab es in den Gesprächen zwischen Einstein und Velikovsky Konvergenzen wie Divergenzen [Velikovsky 287-295].

Nachdem sich Krojer nach seiner Meinung ausreichend über die Katastrophismen von Velikovsky und Konsorten lustig gemacht hat [Kr. 111 ff.], während Auswurf-Katastrophen ohne Venusentstehung seine Genehmigung finden [Kr. 112], entwickelt er plötzlich eine Uranus-Katastrophe während der Goethe-Zeit [Kr. 120 ff.]. Demnach wäre die Uranus-Entdeckung kaum früher als 1781 möglich gewesen, weil dieser Planet erst ca. 1750 “von Uranus in die eine Richtung ausgeschleudert und die vielen kleinen Planeten und Kometen […] in die andere” [Kr. 121]. Auf der Erde folgten deshalb eine kleine Eiszeit und herunterfallende Felsmassen, die er direkt bei Goethe gefunden hat. (Der Hinweis auf Goethes Wilhelm Meister erscheint mir historisch bedeutsam, so dass die einschlägige Passage in dieses Heft aufgenommen ist.) Nachdem sich Krojer ansonsten von Humor nicht angekränkelt gibt, darf man sich wundern, wieso er sein neues Szenario so verabschiedet: “Lächerlich und völlig indiskutabel? In 650 Jahren wird man darauf zurückkommen” [Kr. 122].

Nach diesem merkwürdigen Intermezzo geht es ab S. 125 neuerlich um die Tageszählung im Kalender und neuerlich um Spica in der Jungfrau. Spätestens hier wanken auch treueste Leser. So erfahren sie nicht mehr, dass Krojer zur Abwechslung meine Gegner kritisiert, wenn sie glauben, “Illig mal ganz schnell abservieren zu können” [Kr. 126].

Der Kenner selbst ist unterschiedlich beeindruckbar. Er “traut seinen Sinnen nicht mehr” [Kr. 60], weil ein falsches, in meinem Buch trotz Econs Widerwillen bereits verbessertes Wort seine Astronomenehre beleidigt. Derart sensibel, macht es ihm nichts aus, den Kontrahenten durchaus robust zu beleidigen [Kr. 64 f.]. Dazu gehören “völlig sinnlose, durch nichts zu rechtfertigende Fragen” oder auch “frei erfundene Behauptungen, auf denen er seine These überhaupt aufbauen kann”. Wegen einer solchen möchte er mich vorführen, worauf ich das Astronomie-Lehrbuch meiner Studentenzeiten heranzog, das ich zugegebenermaßen schon früher hätte aufschlagen sollen. Doch jetzt war es wieder nichts:

“Was setzt Illig nun in seinem ‘Astromanie-Aufsatz’ dagegen? Einen Begriffsapparat […] sowie eine Abbildung, die, um wirklich verstanden zu werden, eine viel ausführlichere, himmelsmechanische Diskussion verlangte, höchste Wissenschaftlichkeit nur vortäuschen soll, denn für unsere historischen und nicht himmelsmechanischen Zwecke reicht es vollkommen aus, von …” [Kr. 76 f.].

Also mal zu wenig, mal zu viel der Wissenschaftlichkeit, ganz wie es Krojer beliebt, der nur die eigene Haarspalterei zulässt.

Kommen wir zu Wesentlicherem. Klärung ist in einem weiteren, für Krojer sehr heiklen Punkt erzielt. 1.: In immer neuen Anläufen hat er gezeigt – u. a. im Kapitel “Wer hat all die Tage gezählt?” [Kr. 125-147] –, dass es völlig sinnlos sei, von einer präzisen Tageszählung zwischen Cäsar und Gregor XIII. auszugehen.

“Wenn einfach 300 Jahre zu viel sein können, wieso soll dann bei nur 3 Tagen über anderthalb Jahrtausende alles völlig korrekt gelaufen sein?”
“Bewiesen ist, dass mit dem Kalender nichts zu beweisen ist” [Kr. 126 f.].

Mit diesem Ergebnis bräuchte ich kein Problem zu haben, so es stimmte. Es wäre lediglich deutlich geworden, dass ich mir übertriebene Mühe gemacht hätte. Denn beginnend bei den Fälschungen mit antizipatorischem Charakter – also solche, die erst nach bis zu fünf Jahrhunderten in die tagespolitische Diskussion gekommen sind – bis hin zur rätselhaften Fundarmut hatte ich die Vorstellung, dass nur die herkömmliche Chronologie zu derartigen Widersprüchen in sich führt. Aber um offensichtlich leere Jahrhunderte zu streichen, musste die eindeutige Verbindung zwischen Antike und Gegenwart, musste unser Kalender “unscharf’ sein. Er brauchte ‘Schlupf’, z.B. durch eine 1582 nicht weit genug greifende Korrektur. Alle einschlägigen Überlegungen sind überflüssig, wenn ohnehin nicht gesichert ist, dass alle Tage gezählt und alle nötigen Schalttage eingefügt worden sind. Mit seinen feinfühligen Abschattierungen räumt mir Krojer mehr Freiraum ein, als meine Folgerungen benötigen.

Obendrein betont Krojer immer wieder, dass kein Kombattant der Versuchung erliegen dürfe, selbst eine genaue Rechnung der meinen gegenüberzustellen.

“Leider haben sich, wohl durch Illig angestachelt, auch andere Leute darauf eingelassen, Kalenderbeweise gegen ihn aufzustellen – ein Unterfangen, das bestenfalls im Patt enden kann” [Kr. 126].

Er hat das zwar selbst ausführlich getan [Kr. 53-92], aber gleichzeitig betont, dass es ihm bei allem Hin und Her nur “um die Tendenz und das Prinzip” gehe [Kr. 58, dito 74]. Auf jeden Fall kann er die Unschärfe fast quantifizieren:

“Die 3 Tage Unstimmigkeit, die Illig beim Verlauf der julianischen und gregorianischen Kalenderreformen auszumachen glaubt, würden sich vor einem solchen ‘Hintergrundrauschen’ vielleicht gerade noch zu erkennen geben” [Kr. 106].

Somit wären meine kalendarischen Überlegungen schlicht überflüssig gewesen, weil niemand die Genauigkeit unseres Kalenders garantieren kann. Ich hätte also von Anfang an davon ausgehen können, dass 1582 nicht die richtige Anzahl von Ausgleichstagen übersprungen worden ist.

2: Dieses Resultat seiner Bemühungen konnte Krojer natürlich nicht genehm sein. Deshalb all seine Versuche, mit antiken Finsternisdaten, mit babylonischen Himmelsaufzeichnungen und anderem mehr die richtigen, taggenauen Abstände einstiger Ereignisse zur eigenen Gegenwart festzustellen.

Diese werden nicht nur von ihm mit Hilfe immer weiter verfeinerter Computerprogramme berechnet, die Gestirnpositionen mit Sekundengenauigkeit erbringen. Auf welcher Tageszählung aber beruhen all diese Programme? Auf der julianischen Tageszählung (die allerdings laut Auskunft von Krojer gar nicht von Joseph Justus Scaliger und damit aus dem 16. Jh. stammt, sondern erst ab 1849 benutzt wird [Kr. 436 f.]). Diese Programme kennen kein unbestimmbares Hintergrundrauschen, sondern gehen von einem exakten julianischen Kalender aus, in dem ab Cäsar alle Schalttage richtig eingefügt sind und alle anderen, von Krojer gerade beredt geschilderten Störquellen schlicht unberücksichtigt bleiben. So wird jede babylonische Gestirnaufzeichnung über einen perfekt sauberen, taggenauen Kalender rückgerechnet. Ergo kalkuliert auch Krojer mit dem altvertrauten Standardkalender, dem er gleichzeitig alle möglichen Störungen anlastet.

Also resultieren alle Retro-Gestirnpositionen aus dem Einsatz des eindeutigen julianisch-gregorianischen Kalenders – der anschließend mit diesen Gestirnpositionen bestätigt wird. Von unserer Seite ist immer wieder hervorgehoben worden, dass bislang keine naturwissenschaftliche Methode bekannt ist, die nicht an der herkömmlichen Chronologie geeicht worden ist (C14, Dendro, Eisbohrkerne, Thermolumineszenz) und dabei zwangsläufig deren Fehler übernommen hat, die nur zum Teil durch Kalibrierung entfernt werden konnten. Auch die Archäoastronomie ist von einem derartigen Kreisschluss nicht ausgenommen!

Krojer hat nun die Wahl: Entweder dreht er das ‘Hintergrundrauschen’ ab oder er verzichtet auf archäoastronomische Rückrechnungen. In beiden Fällen könnte sein Buch noch einmal kräftig verschlankt werden.

Ab S. 147 geht es erneut um den Almagest und seine Datierung, neuerliche Reprisen sind zu bewältigen. Immerhin spielt jetzt selbst Krojer mit dem Gedanken, dass der alte, ehrwürdige Sternenkatalog “nicht aus einem ‘Guss’ ist” [Kr. 154]. Der informierte Leser weiß hingegen längst, dass der Almagest als Beweismittel keinen Bestand hat. Ebenso wenig greifen die Nachrechnungen antiker Horoskope, so dass der selbsternannte Spezialist dezent konstatiert: “die Probleme sind doch etwas größer als anfangs gedacht” [Kr. 166].

War bislang die Stoßrichtung klar – contra Illig & Konsorten –, so werden nun ein Professor für theoretische Physik und eine Doktorin für Ur- und Frühgeschichte vorgeführt, weil sie sich erdreistet haben, “über etwas [zu] schreiben, wovon sie möglichst wenig Ahnung haben” [Kr. 171]. Hier möchte Krojer nach eigener Aussage wie ein Zeitenspringer formulieren und gibt neuerlich zu erkennen, dass er eigentlich – nach seinem ersten Ausflug ins Katastrophische – irgendwie doch gerne auf dieser Seite wäre, nachdem die Professorenschaft sein Hobby, die Astronomie, gar so schlecht vertritt. Warum sonst erläutert er den für den Disput entbehrlichen doppelten Sosigenes, wenn nicht für den schönen Satz [Kr. 95]:

“Und lägen zwischen den beiden überlieferten Sosigenes statt 200 Jahren gar 300, dann könnte man dies sogar als einen heißbegehrten Beleg dafür nehmen, dass uns hier durch die Geschichte ein seltenes Beispiel einer verdoppelten Biographie überliefert wurde, mit und ohne Phantomzeit!”

Dass auch Prof. Dieter B. Herrmann die Thales-Sonnenfinsternis anfänglich gegen mich angeführt hat, wird von Krojer gerügt, ohne dabei dessen Namen zu nennen [Kr. 176]. Und er hätte mich einmal sogar fast gelobt: “er hat damit zwar nicht vollkommen, aber durchaus bis zu einem gewissen Grad Recht” [Kr. 175].

Solches Fast-Lob signalisiert, dass sich Krojer sicher fühlt, kann er doch mit der Sonnenfinsternis vom 15. 4. -136 ein Himmelsereignis präsentieren, das zwei verschiedene Keilschrifttexte berichten [Kr. 178]. Dies schreckt uns jedoch nicht mehr, wissen wir doch seit drei Jahren [Herrmann 2000], dass in der Chronik von Bischof Hydatius auch zwei Sonnenfinsternisse enthalten sind, die mit der herkömmlichen Chronologie übereinstimmen. Mit diesem Fund von Dieter B. Herrmann, den Krojer natürlich auch präsentiert [Kr. 185], stellte sich das Problem ganz neu: Wieso irrt sich ein Bischof bei den zehn Pontifikatsbeginnen zu seinen Lebzeiten um bis zu 7 Jahren, kennt aber zwei Sonnenfinsternisse auf Tag und Stunde genau? Warum sind von den 250 aus der Antike tradierten Sonnenfinsternissen mehr als 200, wenn nicht sogar 240 nach bisherigem Stand der Astronomen ungenau bis völlig falsch wiedergegeben? Alles falsch oder vieles bis fast alles richtig – das wäre leicht zu verstehen. Aber so wenige richtige Berichte aus langen Jahrhunderten – doch die dann wie zum Ausgleich überaus präzise? [vgl. Illig 2000b].

Das gleiche Problem könnten wir im archäologischen Bereich haben. Was wäre, wenn in Bayern neben 2.190 Nieten doch 10 archäologische Treffer die fragliche Zeit eindeutig bestätigen würden [Illig/Anwander]? Kann eine aufstrebende Macht wie die Karolinger und eine davor liegende tassilonische Renaissance derart wenige Spuren hinterlassen haben, dass sie an den Fingern zweier Hände abgezählt werden können? Während Fernsehberichte zeigen, wie in Alaska hart an der Beringstraße Lagerplätze steinzeitlicher Nomaden ausgegraben werden, hätten sich die Spuren der größten Macht Mitteleuropas bis auf ‘Spurenelemente’ verflüchtigt?

Überaus wenige Belege, überaus wenige korrekte Berichte werfen also ganz neue Probleme auf. Krojer als unser emsigster Leser aber blendet sie wieder aus und befindet:

“und es gibt eben doch einige Finsternis-Überlieferungen, die nicht beliebig datierbar sind und sehr wohl dazu taugen, das Projekt ‘streicht das frühe Mittelalter’ als ohne Aussicht auf Erfolg zu bewerten” [Kr. 187 f.].

Angefügt wird ein Sonnenfinsternisbericht des Simeon von Durham, der sich für 755 jedoch um ein Jahr geirrt hat [Kr. 195]. Das hat ja Richard R. Newton bereits festgestellt: Alte Klosterchroniken irren sich signifikant öfters beim Jahr als bei Monat und Tag, womit klargestellt ist, dass derartige Chroniken nicht fortlaufend entstanden sind. Es sind ganze Klosterchroniken bei anderen Klöstern abgeschrieben worden; nur so sind Fehler bei Jahreszahlen zu motivieren.

Es folgt ein Sonnenfinsternisbericht von 812 aus dem arabischen Raum, bei dem neuerlich die Ptolemäusproblematik aufgewirbelt, aber nicht geklärt wird [Kr. 203 ff.].

Für die wenigen korrekt tradierten Finsternisse gibt es natürlich eine einfache Erklärungsmöglichkeit: Die richtige Beobachtung ist innerhalb der Chronologie um die Dauer der Phantomzeit verschoben worden. So lässt sich gerade Hydatius mit seiner so unterschiedlichen Präzision mühelos erklären.
Nun rückt für acht Buchseiten der Stern von Bethlehem in den Mittelpunkt von Krojers Interesse, ohne dass daraus neue Erkenntnisse gewonnen werden könnten [Kr. 217]. Es folgt eigenes Erleben während der Sonnenfinsternis vom 11. August 1999. Hier ist ihm wichtig, dass selbst der amtliche Wetterbericht irren kann, weil der Himmel für ihn eine Ausnahme macht: “Auch in München ist der Himmel bedeckt” [Kr. 225] – das gilt nicht für Krojer, der im Stadtteil Giesing die Verfinsterung in allen Details verfolgen kann, auch wenn er sie nicht ganz so ergreifend schildert wie Adalbert Stifter. Da er sich bei freudigen Ereignissen gerne an Chianti labt [Kr. 226], könnte er einmal bei einer längeren Verkostung eine Liste all der toskanischen Kirchen aufstellen, die von der Kunstgeschichte der Phantomzeit zugeschrieben werden. Da werden deutlich mehr Flaschen den Tisch als Kirchen die Liste zieren – und das italienische Wort “fiasco” ginge nahtlos in das sinngemäß so ganz andere deutsche Wort Fiasko über. Würde das Krojer wieder ausblenden?

Da Krojer sein Thema in der ganzen Breite beherrscht, folgt nun eine Kritik an Hertha von Dechend (Hamlet’s Mill) und David Ulansey [Kr. 229-235]. Beide haben es gewagt, den Begriff der Präzession zu benutzen, was ihnen vergolten wird. H. v. Dechend kommt besser weg, weil die resolute Dame immerhin von “Velikovsky und ähnlichen Schrumpfhirnen” gesprochen hat. Zu den Büchern der beiden AutorInnen hätte Krojer, um seinem Buchthema zu entsprechen, kritische Äußerungen von mir bringen können [meine Rezension von Hamlet’s Mill 1994, 101-104; 2002, 655], aber da wollte er nicht gleicher Meinung sein. Lieber bringt er eine konträre Meinung aus den Zeitensprüngen. Auch dieses Changieren hat Methode: Findet sich bei mir gerade mal kein “Humbug” oder “Hirngespinst” [Kr. 59, 64], dann werden eben Äußerungen von Gabowitsch, Marx, Müller, Topper, vielleicht auch Fomenko zitiert, nach dem Motto: Sie alle bilden gemeinsam die “Vorhut eines vorwissenschaftlichen Weltbilds”. Wer aber allein meinen Namen in seinen Untertitel aufnimmt, sollte primär auf mich als Autor eingehen, nicht auf andere Beiträge innerhalb der Zeitensprünge, die keineswegs immer meine Meinung vertreten. Diese Meinungspluralität ist im Impressum vermerkt.

Das Kapitel setzt sich würdig fort mit einem Glückwunsch an Burkhard Kroeber, den Übersetzer von Umberto Eco. Der bekommt das eine Wort “Gratulation” zu einer Preisverleihung serviert [Kr. 239] – nachdem ihm fast drei Seiten lang vorgehalten worden ist, dass einer der besten Übersetzer Deutschlands das Wort Präzession missverstanden hat. Spätestens hier reift der Verdacht, dass Krojer sich das Warenzeichen “Präzession” beim Europäischen Patentamt hat eintragen lassen, worauf er jeden attackiert, der das Wort wissend oder gar unwissend in den Mund nimmt. Altertumsforscher und Naturwissenschaftler werden besonders gerügt, weil ihnen diese himmlische Gesetzmäßigkeit kein lebendiger Begriff mehr ist [Kr. 231] .

‘Konsequenterweise’ folgt nun eine Ehrenrettung der karolingischen Astronomie, bei der neuerlich konstatiert wird, dass es bei mir an “astronomischen Grundkenntnissen und Einfühlungsvermögen” gebricht [Kr. 243]. Wieso? Nun, ich habe gezeigt, dass astronomische Angaben in Grad und Sternzeichen die Reichsannalen des 9. Jhs. und dann erst wieder Aufzeichnungen des späteren 12. Jhs. bringen. Diesen einfachen Tatbestand möchte Krojer dadurch umgehen, dass es sich im 9. Jh. um “eine nur gewünschte Präzision” handele [Kr. 249]. Das macht die Sache noch unerklärlicher: Warum hätte man sich im frühen 9. Jh. die Präzision des späten 12. Jhs. gewünscht? Da helfen all seine vielen Worte über himmlische Kombimodelle, über Merkurdurchgang und einen mutmaßlichen Sonnenfleck nicht weiter. Er unterstellt mir dann, man hätte Konstellationen zwangsläufig zu späterer Zeit berechnet [Kr. 250, auch 263], als wenn nicht einfach auch ein 297 Jahre früheres Ereignis eingeblendet worden sein kann. So resümiert er: “Hauptsache, wir haben uns durchgewurschtelt” [Kr. 246] und spricht dabei zu Recht im Pluralis Majestatis.

Wechsel zum Halley’schen Kometen [Kr. 257-264]. Hier steht seit 1991 meine auf Hermann Hunger gestützte Aussage, dass die errechnete Nahbegegnung des Kometen (837) mit der Erde dazu führt, dass keine darüber zurückreichende Kalkulation Vertrauen genießen kann [Illig 1991, 36]. Angesichts einer um bis fast fünf Jahre schwankenden Umlaufzeit scheint auch die Nahbegegnung selbst nicht gut fixierbar. Krojer beschäftigt sich des längeren mit “Halley 837” und einem anderen Kometen von 817, ohne deshalb die von Hunger gezeigte Unzuverlässigkeit chinesischer Quellen zu berücksichtigen, noch zu bedenken, dass die als real erachtete Tang-Zeit samt ihren Beobachtungen von uns nicht aus der Welt geschafft wird, sondern wahrscheinlich früher zu verorten ist.

Einmal in Fahrt, präsentiert uns Krojer sein ganz erstaunliches Wissen: der große Komet von 1680 [Kr. 265], der Komet des Jahres 17 v. Chr. [Kr. 285] samt Todes-Meteor des Julian Apostata [Kr. 301], Kali-Yuga-Erkenntnisse sowie Aryabhata und Bharata bis hin zu Nehrus Erkenntnissen bezüglich des Mondes [Kr. 303]. Nach 31 Seiten zur indischen Chronologie lautet sein objektives Fazit:

“Soweit ich sehe kann mittels der indischen Chronologie keine eigenständige Bestätigung der abendländischen Chronologie erreicht werden, wie dies bei der babylonischen der Fall ist” [Kr. 329].

Dafür schon einmal Dank, auch wenn sich seine Sicherheit fürs Zweistromland nicht halten lässt (s.u.). Und es geht mit einer Überraschung weiter:

“Um aber Illig wirklich zu Ende zu denken, ist noch zu fragen, ob es nicht doch ein Szenario geben könnte, das auf authentischen antiken und frühmittelalterlichen Beobachtungen beruht und trotzdem das Einfügen einer künstlichen Phantomzeit ermöglicht: vielleicht sind alle Beobachtungen bzw. Überlieferungen einfach nur auf der Zeitachse gleichmäßig um ca. 300 Jahre verschoben worden, nachdem die Phantomzeit eingeführt worden war!” [Kr. 377]

Da lässt sich nur sagen: Donnerwetter, endlich hilft einer meiner Unbedarftheit auf die Beine. Allerdings ist in diesen Heften zu oft der Gedanke vertreten worden, dass echte Beobachtungsdaten um 297 Jahre versetzt in ein neues chronologisches Konzept eingefügt werden konnten, als dass hier eine originär Krojersche Erkenntnis vorläge (schon in Simmerings Film [1996] und damit Jahre vor Krojers entsetztem Interesse ersetzte ich in der Auseinandersetzung mit Wolfhard Schlosser eine durch Gregor von Tours berichtete Sonnenfinsternis von 590 durch eine besser passende von 887). Aber immerhin ist zu erkennen, welcher Seite Krojer lieber angehören würde: den “guten ‘Out-Laws’”, “wie ich bei Illig anfangs auch hoffte” [Kr. 114]. Aber ich erwies mich als nicht würdig; so gehöre ich zu den “schlechten ‘Out-Laws’” wie v. Däniken oder Velikovsky, die mit allen Mitteln zu bekämpfen sind [Kr. 113], wobei ihn fairerweise besonders ärgert, wenn sich Spezialisten zu Wort melden, die nicht einmal meine Bücher gelesen haben [Kr. 171] .

Er geht nun der Frage nach, wo astronomische Daten fix mit geschichtlichen Daten verbunden sind. Da wird er zunächst bei Ptolemaios fündig. Bei ihm sind in Staffelung Zeitabstände genannt: Regierungsbeginn Nabonassar – Tod Alexanders (424 ägyptische Jahre) – Herrschaftsbeginn Augustus’ (294 Jahre) – 17. Jahr Hadrians (161 Jahre, 66 Tage und zwei Stunden) [Kr. 379]. Da für Krojer dank Spica der Almagest im +2. Jh. verbleibt, ist dies für ihn ein zwingender Beweis für kalendarische Kontinuität. Bei der Betrachtung durch Beaufort ist der Almagest – selbst für Krojer nicht unbedingt aus einem Guss – in seiner Endfassung deutlich jünger, so dass hier die neue Zeitrechnung eingegangen sein kann.

Krojer glaubt mich nun einmal mehr dabei ertappt zu haben, dass ich “ahnungslos plaudere” [Kr. 130]:

“Wer ‘Robert Newton’ anführt und dabei ‘Ptolemäus war ein Fälscher’ sagt, kommt also nicht umhin, anzuerkennen, dass Ptolemäus auf der Basis von Hipparchos fälschte, und er muss diese Basis bzw. die entsprechenden Messwerte anerkennen” [Kr. 130].

Bleiben wir noch einmal kurz bei der von Beaufort überzeugend widerlegten Ansicht, dass der Almagest im +2. Jh. entstanden sei. Nur aus diesem Text kennen wir Hipparchs Sternenorte. Newton hat gezeigt, dass Ptolemaios aus den meist geraden Angaben bei Hipparch ‘krumme’ gemacht hat – 0,2° oder 0,4° statt halben oder viertel Grad, obwohl die Peilung mit nur bloßem Auge leichter zu einer Viertel-, als zu einer Fünftel-Grad-Aufteilung führt. Es gibt eine weiter Erklärungsmöglichkeit: Ptolemaios hat tatsächlich selbst beobachtet, wie es im Almagest steht, dann aber mit seinem festen, aber falschen Präzessionsfaktor die so genannten Hipparchschen Werte errechnet. Die hat er aus Anciennitätsgründen glatt – halbe ode ganze Grad – gestaltet, wobei sich für seine eigenen anfänglichen Messwerte die im Text genannten ‘unrunden’ Werte ergeben haben.

Zu relativ? Krojer selbst relativiert sein Stützgerüst für die bisherige Chronologie, indem er Messungen verschiedenen Ortes von verschiedenen Personen annimmt, die Hipparch “in der Rolle eines ‘Projektleiters’ und mit Rhodos als Koordinationszentrale” geleitet hätte, und die so entstandene Datensammlung zudem “später durch weitere Sterne ergänzt wurde” [Kr. 154].

Zurück zu Krojers Nachweisen von Verknüpfungen astronomischer Daten mit Regierungsdaten. Er selbst diskutiert aber schon wieder seinen Lieblingsstern Spica [Kr. 381 f.], als hätte der Leser das nun nicht schon oft genug bei ihm gelesen. Und es gerät ihm jedes Mal komplexer.

Doch er findet zum Thema zurück, indem er eine Tontafel mit den Angaben einer Mondfinsternis präsentiert, die auf das 7. Jahr des Kambyses, das 225. Jahr seit Nabonassar gelegt worden ist [Kr. 394]. Der Keilschrifttext “scheint bereits von den späteren babylonischen Abschreibern – evt. wegen bereits damaliger schlechter Textlage – verformt worden zu sein” [Kr. 395]. Es genügt für den Moment der Hinweis, dass die Tafel keineswegs aus der Zeit des Kambyses (konvent. 530–522) stammt. Weitere Erklärungsmöglichkeiten werden sogleich genannt.

Es kommt Krojers neues Trumpf-Ass: eine im einstigen Ost-Berlin verwahrte Keilschrifttafel. Die astronomischen Tagebücher (Inventar-Nr. VAT 4956) enthalten nicht nur einschlägige Beobachtungsdaten [Kr. 397], sondern auch die Datierung vom 1. Nisan des 37. bis zum 1. Nisan des 38. Regierungsjahres von Nebukadnezar (konvent. 604–562). Hermann Hunger, uns als Sprecher des Wiener Forschungsprojektes bekannt [vgl. Illig/Siepe 2003, 249], teilte Krojer mit:

“M. E. gibt es für tausende von Jahre keine gleiche Situation (einschließlich des Königs Nebukadnezar), so dass die Datierung sicher ist” [Kr. 398].

Hier geht es demnach in der Tat um Krojers stärkste Argument: Ist diese Tontafel unbezweifelbar, braucht sich niemand mehr Gedanken über kalendarische Verwerfungen während der letzten 2.500 Jahre zu machen. Dann hätte Hunger nicht zuletzt darin Recht, Schwierigkeiten bei der Synchronisation von Altägypten, mykenisch-minoischer Zeit und Vorderasien ausschließlich im -2. Jtsd. zu verorten. Nachdem Krojer es sich gespart hat, die Originalveröffentlichung durch Paul V. Neugebauer und Ernst F. Weidner [1915] anzusehen, wollen wir uns mit ihr, außerdem mit weiteren Publikationen von Weidner auseinandersetzen.

VAT 4956

Die fragliche Keilschrifttafel stammt aus der Vorderasiatischen Abteilung der Berliner Museen. Die beiden Editoren sind begeistert,

“stellt sie doch den ältesten heute bekannten astronomischen Beobachtungstext dar, der in der ausführlichen Form der babylonischen Spätzeit abgefaßt ist. […] Unser neuer Text ist nun aus dem 37. Jahre Nebukadnezars II., also aus dem Jahre -567/66, datiert, ist mithin die erste größere rein astronomische Urkunde aus der Zeit vor dem Untergange des neubabylonischen Reiches. Was seinen Inhalt betrifft, so enthält er, wie alle späteren gleichartigen Dokumente, ausführlich gehaltene Mond-, Sonnen- und Planetenbeobachtungen, Angaben über meteorologische und geologische Erscheinungen, Notizen über Wasserstand und Lebensmittelpreise sowie am Schlusse einiger Abschnitte Mitteilungen über einzelne interessante Kuriosa” [Neugebauer/Weidner = N./W. 29].

Als Beispiel seien drei fortlaufende Einträge zitiert:

“4. In diesem Monat war der Preis für 1 GUR 12 KA Gerste, für 1 GUR 60 KA Datteln, für 1 GUR … Kassia …. […. 1 Šekel Silber … ]
5. Am 1. Šebat (der Tebet hatte 29d) wurde der Mond im südlichen Fische des Tierkreises sichtbar. 58m Sichtbarkeitsdauer. Ein Nordwind wehte. Damals: Jupiter hinter dem vorderen Sternhaufen des Schützen [ ]
6. Am 4. stieg die Flut. Am 4. hielt Venus 1/2 Elle über dem Ziegenfisch diesem die Wage. Am Abend der Nacht des 6. war der Mond von einem Halo umgeben. Plejaden, Hyaden, β+ζ Tauri […… standen darin ……]” [N./W. 36].

Kurz zur Erläuterung: Die angesprochene Elle wurde am Himmel mit 2°· 0 bis 2°·3 retrokalkuliert [N./W. 78 f.]. Die größte Messgenauigkeit ist mit 1/3 Elle erreicht. Auf Erden maß die Elle 0,495 m und wurde in 24 Finger aufgeteilt [N./W. 43]. Unter den Beobachtungen fällt auch der Eintrag auf: “berechnete Mondfinsternis”, also eine, die in Babylon nicht sichtbar war. Der hohe oder niedrige Stand der Lebensmittelpreise war ein Zeichen für glückliche oder unglückliche Zustände im Land [N./W. 51]. Halten sich zwei Sterne die Wa[a]ge, dann wird dies interpretiert als “steht in gleicher Länge” [N./W. 78].

Von elementarer Bedeutung ist folgende Einschätzung der beiden Autoren:

“Das vorliegende Exemplar unseres Beobachtungstextes entstammt nicht dem Jahre -467/66 selbst. Wir haben es vielmehr mit einer viel späteren Kopie zu tun. Das beweist in erster Linie der sich zweimal findende Vermerk hi-bi ‘abgebrochen, verlöscht’ (R[ück]s[eite]. 15, 18), wodurch der Schreiber anzeigen wollte, daß er ein Wort der Vorlage nicht mehr entziffern konnte. […] Für die Annahme einer späten Kopie spricht endlich die Terminologie. Es ist bekanntlich das Bestreben der babylonischen Astronomen gewesen, diese immer kürzer und bündiger zu gestalten. […] In unserem Texte herrscht nun ein merkwürdiger Wirrwar in der Terminologie” [N./W. 38 f.].

Denn er bringt sowohl späte Abkürzungen wie ár, šap und ŠIM, wie auch die älteren Formen arkat, šap-lat und ŠIM-MAH. Dies wird so erklärt, dass die Abschreiber die Terminologie zum Teil auf ihre Zeit übertragen haben.

Die Daten sind von den Astronomen zur Zeit von Neugebauer/Weidner geprüft und gelegentlich als falsch korrigiert worden. Im größeren Umfeld konnten sich dabei erhebliche Probleme ergeben. Da sich durch VAT 4956 die Bezeichnungen für jeden der beiden Fische klärte, wird

“die große Sternliste Br. M. 86378 […] durch diese unantastbaren Feststellungen, die zu ihren Angaben in keiner Weise passen, zu einem beträchtlichen Teile einfach auseinander gesprengt. Daß daher sich nun sehr viele Identifizierungen von KUGLER (Sternkunde, Ergänzungsheft) und von BEZOLD (Zenit- und Äquatorialgestirne) als höchst problematisch oder direkt falsch erweisen, ist natürlich kein Wunder” [N./W. 85].

Der König wird zweimal genannt – gleich am Beginn: “1. 37. Jahr Nebukadnezars, des Königs von Babylon” und in der vorletzten Zeile, in der das nächste Jahr begonnen worden ist: “22. 38. Jahr Nebukadnezars” [N./W. 34, 38]. Die Beiläufigkeit der Königsnennungen erscheint mir auffällig, war aber vielleicht Brauch.

Babylonische Sterntafeln

Ernst Friedrich Weidner hat mehr als 55 Jahre lang – über zwei Weltkriege hinweg – wissenschaftlich publiziert, eine erstaunliche Leistung. Wenn wir eine seiner jüngsten Arbeiten zur Hand nehmen, die Gestirn-Darstellungen auf babylonischen Tontafeln [W. = Weidner 1967], dann werden wir über die Tontafelbibliothek aus dem südbabylonischen Uruk (Warka) informiert, die in der Seleukidenzeit geschrieben worden ist. Diese Datierung stützt sich auf ein (zerstörtes) Datum des Königs Antiochus und auf eine Darstellung des Mannes im Mond mit Hosen, “was in vorpersischer Zeit undenkbar gewesen wäre” [W. 1967, 7]. Doch es gibt Hinweise auf ältere Vorgaben:

“Andererseits sind fast überall die alten Planeten- und Gestirnnamen verwendet, auch zumeist die in der Spätzeit üblichen Abkürzungen vermieden” [ebd., 7].
“Der Name des Planeten Jupiter wird im Text überall, wie in der älteren Zeit, als dsag-me-gar wiedergegeben, nur die Beischrift auf Tafel 2 zeigt die später übliche Schreibung dsàg(PA)-me-gar.” [ebd., 7, Fußnote]

Bei einer Tontafel (VAT 7851) steht eingangs ein Vermerk wie auf vielen Uruk-Texten der Seleukidenzeit, doch es handelt sich um eine Abschrift:

“Die Beschreibung der Finsternis und ihre Deutung sind völlig in der Form gegeben, wie wir sie in den astrologischen Texten der neuassyrischen Zeit finden.” [ebd., 12]

also in der Form des -8./7. Jhs. konventioneller Datierung.

“Es gibt nun auch ein Textbruchstück aus Assurbanipals Bibliothek (also rund 450 Jahre älter), das eine nahe, teilweise sogar wörtlich übereinstimmende Parallele zu Teilen unserer Texte bietet” [ebd., 39].

Genannt wird auch eine Keilschrift (VAT 7815), die “aus dem 120. Jahr der Seleukidenära = 192/91 v. Chr.” datiert ist [ebd., 41]

Aus diesen Beispielen lässt sich schließen, dass tatsächlich ältere Tafeln in jüngeren Abschriften vorliegen. Gibt es eine Garantie, dass außer Eingangsvermerken nichts an den alten Texten verändert worden ist? Überraschende Antworten erhalten wir aus Weidners sehr viel älterem Handbuch der babylonischen Astronomie von 1915:

“Aus der Zeit Ašurbanipals stammt dann wieder der erste rein astronomische Text mit Messungen von Fixsterndistanzen, wieder unter Benutzung eines Äquatorialsystems. Dann folgt aus dem 37. Jahre Nebukadnezars die erste Ephemeride, die uns erhalten ist, mit großartig genauen astronomischen Beobachtungen. Und von nun ab besitzen wir astronomische Texte in ununterbrochener Folge bis auf den Beginn unserer Zeitrechnung herab. Was die babylonische Astrologie anlangt, so enthält die Bibliothek Ašurbanipals Texte dieser Gattung, die gegen 4500 v. Chr. verfaßt oder wenigstens auf diese Zeit zurückdatiert sind” [W. 1915, 2; Hvhg. HI].

Zurückdatiert? Um was geht es da? Für Weidner ist das offensichtlich: Die Babylonier haben tatsächlich astronomische Beobachtungsaufzeichnungen zurückdatiert.

“Das Zwillingszeitalter (etwa 6200 bis 4400 v. Chr.) galt bei den späteren Babyloniern als der Anfang aller Kultur und alles Wissens. Auf diese Zeit wird daher möglichst alles zurückgeführt.” [ebd., 2, Fn. 3]
“Wie wir unten sehen werden, ist der Text auf das Zwillingszeitalter zurückgeschraubt, und zwar wahrscheinlich auf die Zeit, als der Frühlingspunkt bei η Geminorum lag. Das war vor -4000.” [ebd., 70]
“Wahrscheinlich stehen wir auch hier der Tatsache gegenüber, daß die Babylonier, um den Anschein hohen Alters zu erwecken, den Text auf das Zwillingszeitalter zurückgerechnet haben.” [ebd., 74]

Nicht genug mit diesen Fakten, finden sich weitere Hinweise darauf, wie babylonische Keilschrifttafeln innerhalb herkömmlicher Chronologie sinnvoll zu verorten sind:

“Aus Ašurnasipals Bibliothek besitzen wir drei Fragmente von Tafeln kreisrunder Form, die einst, als sie noch vollständig waren, in zwölf gleichmäßige Sektoren zerfielen. Jeder dieser Sektoren enthält am äußeren Rande den Namen eines Monats. Außerdem sind noch zwei konzentrische Kreise gezogen, derart, daß die ganze Scheibe in drei Ringe von gleicher Breite zerfällt” [ebd., 62]

Diese Scheibe wird verständlicher-, aber doch auch verwirrenderweise Astrolab genannt, ein Fall für den Astrolabienkenner Krojer [vgl. Kr. 157-161]. Es stellt sich heraus:

“Das Astrolab B ist um -1000 geschrieben”, gilt aber für eine Zeit, “die weit vor -1000 liegt, da das Astrolab doch nur eine späte Abschrift eines weit älteren Originals ist”,

die Weidner auf “um -2900” berechnet [ebd., 81]. Nach weiteren Beobachtungen zieht Weidner einen Schluss, den Krojer wie bei v. Dechend oder Ulansey perhorreszieren müsste:

“Da auch alle anderen Daten in unserem Texte für diese Zeit vorzüglich stimmen, wie in Kapitel III unter den einzelnen Sternnamen des näheren gezeigt werden wird, so kann kein Zweifel bestehen, daß die Abfassung des Originales unseres Textes in die Zeit um -3000, also noch vor Sargon I. fallen muß.” [ebd., 43; Kursivsetzung E.W.]
“Der älteste rein astronomische Text, den wir zurzeit kennen, entstammt der Tempelbibliothek von Nippur und ist um die Wende des dritten und zweiten Jahrtausends geschrieben. Er verzeichnet zwei so überraschend feine Messungen von Fixsterndistanzen, daß die Astronomie damals in Babylon schon auf kaum glaublicher Höhe gestanden haben muß.” [ebd. 1]

Wir stehen also vor der erstaunlichen Tatsache, dass die Babylonier wie die Assyrer uralte Aufzeichnungen besaßen, die sie aber oft Jahrtausende später immer noch abgeschrieben hätten. Das könnte nur durch eines motiviert worden sein: Die Aufzeichnungen behielten, weil sie ungemein exakt waren, noch immer wertvolle Informationen. Tatsächlich urteilt Weidner so:

Man sieht also leicht, daß die Meßkunst der Babylonier in der altbabylonischen Zeit der Meßkunst der hellenistischen Griechen in der alexandrinischen Periode durchaus überlegen war.” [ebd., 131]

Also wäre trotz steter Ausübung der Astronomie das Wissen und Können schlechter geworden. Das erscheint kaum glaubhaft. Es geht aber noch weiter. Weidner rekonstruiert aus den Aufzeichnungen eine Armille:

“Ein solches Instrument besteht aus einem großen ‘Ringe’, dem Meridiankreise, und einer Reihe weiterer innerhalb dieses Ringes befindlicher ‘Ringe’ (hauptsächlich Äquatorial- und Ekliptikalkreis), so daß die Bezeichnung ‘Himmelsring’ durchaus zu Recht bestände.” [ebd., 48]

“Damals [-3000 !] hat man also schon Armillen besessen. Es ist nun nicht anzunehmen, daß sie in der Folgezeit jemals wieder außer Gebrauch gekommen sind. In den 2300 Jahren seit Abfassung unserer Liste bis auf Ašurbanipal sind nun infolge der Präzession eine ganze Reihe Sterne aus einem ‘Wege’ in den andern gewandert, so daß die Annahme, die Babylonier hätten die Präzession nicht gekannt, auch von diesem Standpunkte aus als gänzlich unmöglich erscheint. Um dieses Wandern der Sterne nicht zu bemerken, hätten die babylonischen Astronomen entweder blind oder zu astronomischem Beobachten unfähig sein müssen. Da ersteres nicht gut anzunehmen ist, letzteres durch alles, was wir über die Babylonier wissen, vollständig ausgeschlossen wird, so findet auch hier die schon früher von mir auf anderem Wege bewiesene Annahme, die Babylonier hätten die Präzession gekannt, eine neue Bestätigung.” [ebd., 49]

Damit ist Krojer in eine unangenehme Zwickmühle geraten. Er hat hohnlächelnd Santillana und v. Dechend abgefertigt, weil sie in Hamlets Mill das Wissen um die Präzession weit ins Altertum legten. Krojer als einzig kompetenter Sachwalter in Sachen Präzession ist dagegen auf Höhe unserer Zeit:

“Zur Erinnerung: die Präzessionsbewegung der Erde wurde von Hipparchos ca. 130 v. Chr. erstmals richtig begriffen” [Kr. 59].

Wenn also Krojer sich nunmehr auf Weidner und dessen Sicht babylonischer Astronomie stützt, muss er auch das babylonische Wissen um die Präzession im -2. und vielleicht sogar im -3. Jtsd. akzeptieren (auch wenn sie dafür noch nicht die richtige Erklärung gehabt haben dürften). Diesen von ihm nicht bemerkten Widerspruch mag er lösen, wie es ihm möglich ist. Aus meiner Sicht ist klar, dass astronomisches Wissen bei ständiger Ausübung nicht schlechter wird. Insofern erwarte ich kein uraltes Präzessions-Wissen. Vielmehr ergibt sich auch hieraus eine Bestätigung für Gunnar Heinsohn These, wonach im Vorderen Orient die Reiche drei und selbst vier Mal hintereinander geführt werden. Bei Streichung der Vervielfältigungen klärt sich das geschichtliche, das archäologische und nun auch das astronomische Bild. Ich bin nicht sicher, ob diese Wendung im Sinne Krojers sein wird.

Was die verschiedenen Tontafeln angeht, so wird zu erforschen sein, wie und warum sie ihre Aufzeichnungen rückdatiert haben. Wenn hier Klarheit herrscht, wird man besser beurteilen können, wieso nur in ganz wenigen Fällen ein Königsname vermerkt worden ist, warum man zur Seleukidenzeit reihenweise alte und uralte Aufzeichnungen abgeschrieben hätte und warum die sperrige Keilschrift gerade nach der Hellenisierung noch so extensiv benutzt worden ist [Illig 1999a, 151 f.].

Papyri

Schließlich verweist Krojer auf die in Oxyrhynchos, südlich vom Faijum, gefundenen Papyri, deren seit 1897 ausgegrabene Menge gar nicht quantifizierbar scheint. Es gibt darunter griechisch geschriebene astronomische Aufzeichnungen, die vom -1. bis zum +5. Jh. reichen. Ein einziger ist darunter, der eine Synchronopse mit den Regentenlisten ermöglicht. Er ist auf den 31. 12. des 8. Regierungsjahres Trajans (+104) datiert. Dabei wird ein Himmelsobjekt zwischen verschiedenen Sternen lokalisiert.

“Jupiter wird zwar nicht ausdrücklich in dem von mir zitierten Text genannt bzw. explizit nur in einem beschädigten Absatz direkt neben dieser Textstelle, wie mir Alexander Jones weiter mitteilte; aber wenn wir uns fragen, ob ein bestimmtes Objekt zu dem genannten Datum an dieser Himmelsstelle gestanden habe, so ergeben heutige Rückrechnungen, dass es sich um Jupiter gehandelt haben muss, oder anders gesagt, im Rahmen der herkömmlichen Chronologie kann dieser Bericht eindeutig einer besonderen Himmelskonstellation zugeordnet werden, wodurch die herkömmliche Chronologie als ein sinnvoller Interpretationsrahmen ausgezeichnet ist, und dies anhand einer ‘fossilen’ Überlieferung aus der griechisch-römischen Zeit” [Kr. 403].

Thomas Schmidt hat nachgerechnet, in welchen Jahren Jupiter wieder an dieser Stelle stand. Nach seiner Tabelle kehrt zwar Jupiter alle rund 12 Jahre an diese Position zurück, doch Schmidt weiß, dass die Präzision der Rückrechnung nicht das Entscheidende ist:

“Sofern die (sich so zwanglos ergebende) Identifizierung als Jupiter richtig ist, kann also keine Verschiebung der Zeitachse um 297 Jahre vorliegen. Sollte sie nicht richtig sein, so wäre unsere konventionelle Interpretation des angegebenen Datums falsch (da zum konventionell interpretierten Datum eben Jupiter an exakt dieser Stelle stand), und eine systematische Untersuchung anderer möglicher Kandidaten wäre dann ziemlich uferlos, sofern man nicht ein bestimmtes alternatives kalendarisches Szenario zu Grunde legen würde. Unerklärt bliebe dann freilich immer noch der geradezu astronomische Zufall, dass eine Datumsangabe in einer nicht gefälschten (da original erhaltenen) Quelle von uns irrtümlich gerade so interpretiert wird, dass ein falscher Planet exakt am richtigen Ort steht” [Kr. 415].

Schmidt betont hier gleich zweimal, dass Jupiter “exakt” am richtigen Ort stand. Dabei hat er einleitend vermerkt, dass ihn gerade die Ortsbezeichnung irritierte.

“Es ist mir nicht ganz klar, was es heißen soll, dass Jupiter einen halben Monddurchmesser nördlich und westlich der Verbindungslinie zwischen Delta und Theta [zwei Sterne eines Sternbildes; HI] gestanden haben soll. Jener Punkt , in Bezug auf welchen Jupiter dieser Position hatte, liegt zwar in etwa auf der Verlängerung dieser Linie, aber es wäre ein ziemlich willkürlich gewählter Punkt” [Kr. 412].

So ist eine der ‘Bestimmungsgleichungen’ dunkel. Auch die Jahresangabe war nicht von vornherein astronomisch einsichtig, weshalb es bei den ersten Rechnerläufen noch keine Jupiteridentifizierung gab. So ist es keineswegs selbstverständlich, Jupiter in dieser Position zu unterstellen. Krojer selbst wusste darum und hat es auch geschrieben, als er noch nicht wusste, dass er eine Nebukadnezar-Datierung vorbringen werde:

“Babylonische Überlieferungen setzen beispielsweise häufig bereits einen bestehenden chronologischen Rahmen voraus und werden innerhalb dessen interpretiert und datiert” [Kr. 174].

Ausflüge

Nach dem babylonischen Triumph, der ihm unter den Händen zerfallen ist, verlässt Krojer die Astronomie, auf die er sich eigentlich im Titel festgelegt hat, um in anderen Wissensgebieten fündig zu werden. Er beginnt mit einem Kapitel über mittelalterliche Fälschungen, zu denen er freilich nichts Eigenes sagen kann. Aber es reicht für eine Akzentverschiebung. Als emsigem Zeitensprünge-Leser war ihm unsere Erwähnung der Arbeiten von Constantin Faußner aufgefallen.

“Faußner steht, soweit ich das zu beurteilen vermag, gegen den Mainstream der mediävistischen Forschung bezüglich der Königsurkunden; dass er vielleicht mit Illig in eine ‘Schublade gesteckt’ wird, ist zu befürchten; abzuwarten, bis die Diskussion vorangeschritten und die Positionen geklärt sind, ist für Außenstehende ohnehin ratsam; doch selbst wenn Faußner gewichtige Argumente brächte, wäre damit noch lange nicht die Phantomzeit ‘bewiesen’. Faußner soll einfach nur einen Karren herausziehen, der ziemlich tief im Morast steckt” [K. 428]

Krojer vergießt also bereits Krokodilstränen darüber, dass ein unbescholtener Rechtshistoriker mit mir in ein und dieselbe Schublade geraten könnte. Dabei ist das keineswegs meine Schuld: Es war Johannes Fried [1996, 312], der mit seinem Aufsatz ganz bewusst Faußners und meine Gedanken zusammengebracht hat, weil ihm beide Richtungen zuwider sind. Es ist außerdem klar, dass Faußner weder die Phantomzeit untermauern will noch sie ‘beweisen’ könnte. Er belegt mit guten Gründen, dass es vor 1122 keinerlei Grund für die Abfassung der erhaltenen Königsurkunden gab, sondern dass sie durchwegs gefälscht sind. Dieses Ergebnis ist freilich Wasser auf die Mühlen der ‘Phantomzeit’ (s. Anwander ab S. 518; auf Faußner ist hier noch einmal zurückzukommen.)

Wenn Krojer auf Fomenko et al. zu sprechen kommt, bin ich zum Glück nicht schuld, sondern er entwickelt Verständnis dafür, dass großangelegte Fälschungen in den Wissenschaften viele Durchschnittsmenschen dazu bringen, “in der Wissenschaft mehr Scharlatanerie [zu] vermuten als in der Scharlatanerie selbst” [K. 433]. Hinzufügen ließe sich, dass eine bequeme Geschichtswissenschaft gar nicht herausarbeitet, wo sich bei Fomenko die offensichtlichen Schwachstellen finden. Wenn ihre Vertreter bei jeder Gelegenheit “absurd” schreien, nur um sich Arbeit zu ersparen, dürfen sie sich über die Folgen nicht wundern. Wildwuchs kann nur eingedämmt werden, wenn der mainstream seine Grundlagen auf Widerspruchsfreiheit prüft und bereinigt.

Nun geht der Astronomiespezialist zur Dendrochronologie über, wobei er allein auf Mike Baillie vertraut. Dabei wäre es durchaus nützlich gewesen, auch andere Argumente zu kennen. So quält er sich mit dem Aachener Ringanker herum [K. 335 f.], ohne zu ahnen, dass der mittlerweile von Trierer Spezialisten als nicht mehr dendrochronologisch datierbar erachtet wird [vgl. Illig 2000a, 479 f.]. Dann bringt er eine Reihe römischer Holzfunde [K. 446-449], als ob dadurch unsere Kritik hinfällig würde. Wir setzen schließlich auf verdoppelte Teilsequenzen innerhalb der Standardsequenzen, auch wenn Baillie das für ausgeschlossen hält. Der bemerkt nicht, dass in Europa immer mehr regionale Eichenstandardsequenzen gebraucht werden, um mit all den Widersprüchen und Asynchronizitäten fertig zu werden. Nach unserer Meinung bleiben die römische Datierungen an ihren angestammten Plätzen und besitzen keinerlei Beweischarakter gegen die Phantomzeit.

Zweifel kommen selbst Krojer, wenn er der von Baillie postulierten großen Katastrophe (dendrochron. 536–554) nachgeht. Dieser und David Keys’ Katastrophe von 535 hatte ich die Kontinuität in Byzanz vom einfach weitergeführten Bau der Hagia Sophia bis zu den unvermindert weitertobenden Kriegen entgegengehalten [Illig 1999b, 668 f.] – das überlas Krojer, um dann wie ich Prokop aufzuschlagen und festzustellen: Dass die Geschichte “scheinbar unbehelligt von den äußeren Umständen weiterlief, erzeugt eine ungewisse Nachdenklichkeit” [K. 451], was immer man sich darunter vorzustellen hat.

krojer0001Katastrophenwinter 763/64: Frühmittelalterliche Jahrringchronologien von Tanne, Buche und Eiche (jeweils 1 Kurve) aus Hölzern von Ausgrabungen in Mittelfranken, Ober- und Niederbayern [Herzig 1997, 151]. Gemäß diesen Kurven wäre der Winter 706/07 noch schlimmer gewesen, was aber mangels Berichten ignoriert wird [vgl. Illig/Anwander 127 ff.].

Zum Glück findet er gleich eine neue Katastrophe: 763/64, von der auch Einhard gesprochen hat. So weist er triumphierend auf die Baumringe von Pfettrach in Niederbayern (s.u.) und in Haithabu. Und so formuliert er auf der vorletzten Textseite seines Buches den Satz:

“Wenn nach den kalendarischen Problemen die vermeintliche archäologische ‘Fundleere’ des frühen Mittelalters der Ausgangspunkt der Illigschen Phantomzeittheorie gewesen sein soll, dann frage ich mich, wie Illig angesichts der vielen dendrochronologisch gut datierbaren Funde aus Haithabu und Umgebung überhaupt zu einer solchen Ansicht gelangen konnte, denn so offensichtlich, wie Illig dies behauptet, ist diese Fundleere nicht festzustellen; sie muss schon extra konstruiert werden, indem sowohl Funde als auch Überlieferungen aus dem frühen Mittelalter in andere Zeiten katapultiert werden” [K. 457].

Zu diesem Urteil kann nur finden, wer sich gründlich abschottet. Nachdem er doch alles von mir liest, hätte er auch den Bayern-Doppelband von Anwander und mir zur Hand nehmen können, der exakt diesem Problem gewidmet ist und mehr als ein halbes Jahr von seinem eigenen Buch erschienen ist. Dann wüsste er, dass die Fundleere auf 70.000 qkm von uns nicht konstruiert, sondern evident ist. Dort stehen die Antworten zur Dendro-Chronologie und auch zu Pfettrach, wo man sich eigens wegen Einhard darauf geeinigt hat, das eigentliche Minimum zu ignorieren (s. Grafik auf S. 498). Aber wenn sie stören, dann blendet Krojer diese 957 Seiten einfach aus, genauso wie die 459 Seiten des C14-Crashs von Christian Blöss und Hans-Ulrich Niemitz. Genauso wenig interessieren ihn die in den Zeitensprüngen geschilderten Grabungsergebnisse, ob aus Aachen, Großbritannien, dem islamischen Raum, Katalonien, Köln, Polen, Ungarn, etc. etc.

Beim fortlaufenden Besprechen des Buches habe ich 18 Seiten übergangen. Denn dort wird die Emotion bedient. Er will zunächst ein Beispiel dafür bringen, dass die von uns betriebene Spurensuche keineswegs immer zu gültigen Resultaten führt. Das Amsterdamer Judenviertel ist untergegangen; seit den ersten Razzien von 1941 wurden und werden dort die kläglichen Überreste dem Erdboden gleichgemacht. Nur wenige Bauten – das Rembrandt-Haus, zwei Synagogen und zwei Gebäude aus dem 17. und 19. Jh. – haben inmitten einer neuen Straßenplanung überdauert; die Spuren des alltäglichen Leben im Ghetto sind verloren. Diese Verluste werden in einem Buch von 1970 beschrieben, wobei erwähnt wird, dass uns z.B. eine Schilderung von Egon Erwin Kisch und Bilder von Max Liebermann vorliegen [K. 346 ff.]. Zehn Seiten zuvor hat Krojer meine einschlägige Position abgedruckt:

“Das dritte Reich hat unendlich viele Spuren hinterlassen – Bauwerke, Kriegsschäden, Propagandamaterial, gegnerische Berichterstattung, Zeitzeugenaussagen sonder Zahl etc. etc. –, die ein bedrängendes Zeugnis jener Zeit ablegen. Gerade hier kann eine Prüfung der Evidenz niemals zu dem Schluss führen, dass diese Zeit nie stattgefunden habe” [K. 336].

Die Evidenz im Falle Amsterdams ist genauso klar: Wir haben auf den ersten Blick einige wenige Bauten, Beschreibungen der alten Stadt, Berichte, Bilder. Es gibt mit Sicherheit propagandistische Nazi-Zeugnisse, viele weitere Zeitzeugenberichte, Pressemeldungen vor wie nach 1945, insbesondere Fotos und Filmaufzeichnungen des modernen Abrissgeschehens. Wir haben also ein Bild der Verluste, ohne dass ein Archäologe bereits mit seinen Methoden die Spuren unter den modernen Straßen und Plätzen gesucht hätte. Natürlich sind die “Menschen, Schicksale und Illusionen, Erwartungen” zum allergrößten Teil verloren. Wie sollte es anders sein? Hätte ich je davon gesprochen, dass jedes Einzelleben, gar jedes Gefühl archäologisch belegbar sei? Es ging und geht immer darum: Jahrzehnte und Jahrhunderte gelebten Lebens hinterlassen in besiedelten Gebieten so viele Spuren, dass ihre Existenz mit Hilfe schriftlicher wie archäologischer Quellen nachweisbar ist.

Für Amsterdam liegt die korrekte Antwort längst vor, unbestritten, weil niemand Phantomzeitliches erwartete:

“Geschichtlicher Überblick

‘Keine einzige römische Ruine, keine Hinterlassenschaft Karls des Großen, auch keine romanische Kirche, nicht einmal eine Kathedrale’. Kurz und gut, nichts. Die Einleitung eines berühmten Buches über Amsterdam lässt keinen Zweifel: unter den großen Städten Europas ist Amsterdam die jüngste, ohne antike Vergangenheit, ohne ein Erbe, das weit in die Geschichte zurückführt. Dies leuchtet ein, wenn man weiß, dass die Stadt offiziell erst vor wenigen Jahren (1975) siebenhundert Jahre alt wurde. Die Bataver, ein legendäres Volk, das den Rhein entlangzog, um sich schließlich an der Mündung der Amstel anzusiedeln, hinterließen keine Spuren. Die Römer schenkten diesem ungesunden, sumpfigen und gefährlichen Überschwemmungen ausgesetzten Land keine Beachtung, und nicht einmal dem Heiligen Römischen Reich oder Karl dem Großen gelang es, eine sichere Kontrolle über diese nebligen Küsten auszuüben” [Leonardis 3].

Krojer kümmern solche prinzipiellen Unterschiede nichts, denn er befindet:

“Wenn er [Illig] aber glaubt, seine ‘Phantomzeittheorie’ stünde gänzlich über der jüngsten deutschen Geschichte und alle diesbezüglichen ‘Ängste’ seien unbegründet, dann kann man ihm einfach nur Blindheit vorwerfen, nicht nur bei den Karolingern” [K. 349].

Das mit der Blindheit kann insoweit stimmen, dass ich nur an die gedacht habe, die von Argumenten erreicht werden.

Krojer scheint trotz aller Zuversicht und mächtig geblähtem Buchumfang seinen astronomischen Argumenten nicht zu trauen. So tappt er nun ein zweites Mal [K. 348 f.] in die “Auschwitzfalle”, die er schon glücklich überwunden glaubte [K. 42]. Er verfällt auf eine neue Art der Verleumdung. Wenn er schon von mir selbst keine einschlägige Äußerung findet, dann sucht er in meinem Bekanntenkreis, bis er glaubt fündig geworden zu sein. Die fragliche Äußerung stammt aus einer Newsgroup, bei der die fürs Internet vorgegebene Netikette längst vergessen ist. Ich selbst schaue dort nicht hinein, da mir vollauf genügt, was an Invektiven kolportiert wird. Ich erachte diese Gruppe für eine verrohende Veranstaltung, weil sich manche ihrer Diskutanden bis zum Äußersten reizen, was durchaus zu der Empfehlung gehen kann, die Zeitensprünge und Heinsohns wie meine Bücher dem Feuer zu übergeben (was bei Krojer keine Reaktion hervorgerufen hat). Würde ich alle im Kreis für satisfaktionsfähig halten, käme ich aus dem Prozessieren wegen Beleidigung und Verleumden nicht heraus.

Eine Feinfühligkeit sei noch gekontert, weil sie auf zarte Weise die Geschichte kräftig zurechtbiegt. Für Krojer zeigt sich

“meines Erachtens durchaus, dass Befürchtungen, wie Johannes Fried sie auch in der Assoziation ‘Karls-Lüge – Auschwitz-Lüge’ andeutete, berechtigt sind und keineswegs nur hervorgezogen wurden, um Illig damit einen Schlag unter die Gürtellinie zu verpassen” [K. 349].

Hier vertauscht Krojer Ursache und Wirkung. Prof. Fried wusste 1995 weder etwas von mir, von meiner zukünftigen Beachtung noch von meinen Mitstreitern oder dermaleinstigen Internet-Auftritten des Mantis Verlages. Er brauchte mich in seinem Vortrag dringend als Vertreter einer negativen, illusionären, gefährlichen Phantasie und forcierte das Verständnis für meine angebliche Gefährlichkeit schlicht und einfach dadurch, dass er die Begriffe “Karlslüge” und “Karlsleugner” kreiert hat. Er hat nicht die “Assoziation ‘Karlslüge – Auschwitzlüge’” angedeutet [K. 349], wie Krojer das sanft umschreibt, sondern er hat ihr überhaupt erst den Nährboden geliefert, auf dass unbedarfte Sittenwächter aktiv werden können.

Allerdings taugt Krojer keineswegs als Sittenwächter in heikler Mission, nachdem er im persönlichen, direkt überschaubaren Bereich versagt. Dafür gibt es zwei Zeugen. Zum einen Constantin Faußner. Nach einem Telefonat mit ihm hatte Krojer nichts eiligeres zu tun, als den Inhalt des Gespräches unautorisiert im Internet öffentlich zu machen, wie er selbst mitteilt. Diese Fassung steht auch in seinem Buch [K. 427]. Dr. Faußner hat mich ermächtigt. folgendes Statement abzudrucken: Er ist sehr verärgert darüber, wie ein Privatgespräch nicht nur öffentlich gemacht, sondern auch völlig verzerrt wiedergegeben worden ist, denn das “grauenhaft” war nicht auf die Phantomzeitthese bezogen. Krojer wird nicht mehr sein Gesprächspartner sein.

Der zweite Zeuge bin ich selbst – in durchaus objektivierbarer Weise. Krojer zitiert aus dem Brief, den ich seinem Freund Heinz Jacobi geschrieben habe [K. 336]. Jacobi stellte – gleiche Schule – mein Schreiben schnell ins Internet, selbstverständlich ohne um Erlaubnis zu fragen. Zum anderen zitiert Krojer aus einem Brief von mir an ihn [K. 335]. Keiner der beiden Abdrucke ist autorisiert. Ihm ist völlig fremd, dass es hierzulande eine Privatsphäre gibt, die juristisch geschützt wird.

Dieses strafrechtlich relevante Verhalten weist darauf hin, dass Krojer nicht allein eine These falsizifieren will; darüber hinaus geht es ihm um den Nachweis, dass ihr Urheber in astronomischen Fragen vollkommen inkompetent sei und in die Nähe des Rechtsradikalismus gerückt werden dürfe. Er selbst jedoch ist intangibel, führt er doch einen Kreuzzug gegen alle, die es wagen, das Wort Präzession in den Mund zu nehmen, auch wenn es für das Buch überhaupt keine Bedeutung hat, wie im Falle von Kroeber oder v. Dechend. Hier wird ein inquisitorischer Zug sichtbar: Das Böse, das sich ihm vor allem in Immanuel Velikovsky personifiziert, also “die Vorhut eines vorwissenschaftlichen Weltbilds” [K. 68] – muss mit Stumpf und Stiel ausgerottet werden, was wie beim übergesetzlichen Notstand den Rechtsbruch mit einschließt. Inquisitoren alten Schlages brauchten sich ohnehin nicht durch geltendes Recht eingeschränkt zu fühlen.

Interessant scheint die Relation zwischen ihm und Vertretern verschiedener Wissenschaftsdisziplinen. Sie haben “ausnahmslos und bereitwillig und in hohem Maße” ihre Hilfe gewährt [K. 15]. Beim Durchblättern fielen mir folgende Korrespondenten Krojers auf, die sich mit knappen Auskünften, aber auch mit weitreichender Hilfestellung beteiligt haben (Titelnennung entsprechend Krojer): Mike Baillie [K. 339, 444 f., 448], Prof. Arno Borst [161], Prof. Edmund Buchner [88], Dr. Benno van Dalen [139], Prof. Hertha von Dechend [128, 229], Harry Falk [307], Robert Harry van Gent [119, 200], Dr. Michael L. Gorodetsky [242], Prof. Jens Uwe Hartmann [326], Prof. Erik Hornung [101, 118], Prof. Hermann Hunger [180 f., 295, 394, 398, 406], Alexander Jones [402 ff.], Richard Jenko [436], Dr. Wolfgang Kokott [114, 244, 252], Gary W. Konk [259], Prof. Paul Kunitzsch [128, 208], Raymond Mercier [314, 320], Leslie Morrison [182], Dr. Johann Reiter [88], Dr. Peter van Wagner [203, 209] (nur bei ihm wird von einer Druckgenehmigung gesprochen), Dr. Dorothea Weltecke [209, 211], David Womersley [276].

Es ließe sich darüber spekulieren, wie viele von ihnen Druckerlaubnis erteilt haben. Nachdem mir zwar begründete Zweifel (s. S. 512), aber keine Dementis bekannt sind, will ich davon ausgehen, dass die Corona bereitwillig nicht nur Hilfe, sondern auch ihre Namen zur Verfügung gestellt hat. So entsteht ein seltsames Bild: Ausgewiesene Wissenschaftler – bis hin zu Hermann Hunger als einem der Sprecher des bislang größten Chronologie-Projektes – fanden es für richtig, einen ‘Hobby-Astronomen’ gegen den “Hobby-Historiker” zu munitionieren. So müssen sie nicht selbst in den ihnen lästigen Streit (“damnatio memoriae”) eingreifen und sehen doch ihr Anliegen vorangetrieben. Despektierlich ließe sich allerdings auch an die Sieben Schwaben denken (“Hannemann, geh du voran ! Du hast die größten Stiefel an”).

Ungeachtet des peinlichen Bildes, das hier Wissenschaftler abgeben, folgten rasche Reaktionen auf Krojers Buch. Die Süddeutsche Zeitung hatte vier Monate mit dem Problem gerungen, das Bayern-Buch zu rezensieren. Herausgekommen ist nach einem langen Gespräch und vielem Bedenken eine Reportage vorwiegend zu meiner Person [Unterstöger], abgedruckt im Bayern-Teil der Zeitung. Obwohl nun die von Krojer präsentierten astronomischen Problemkreise wesentlich schwieriger zu durchdringen sind als archäologische Grabungsberichte, war dafür in höchstens vier Wochen eine Rezension fürs Feuilleton fertig [Kühne]. Ihr Verfasser hat durchaus Probleme mit Kalender und Astronomie, wenn er etwa grübelt:

“Der Leser wundert sich derweilen, ob astronomische Ereignisse nach dem Jahr 614 überhaupt verschieden sein sollten. Schließlich bleibt ihr zeitlicher Abstand zu heute mit oder ohne Umdatierung gleich, und erst vor dem Jahr 614 fehlen Illigs 297 Phantomjahre” [Kühne].

Da wäre es doch nützlich gewesen, dem Buch wie auch dem Objekt seiner Kritik längere Aufmerksamkeit zu schenken. Dann hätte sich der Rezensent auch nicht ausgerechnet vom Kanopus-Dekret beeindrucken lassen, dessen Darstellung in keinem einzigen strittigen Punkt weiterhilft. Kommentar:

“Spätestens auf Seite 100 [Kanopus; HI] beschleicht den Leser das ungute Gefühl, dass Krojer womöglich mit Atombomben auf Knallfrösche schießt” [Kühne].

In Sachen Phantomzeitthese muss jedoch das Kanopus-Dekret als Knallfrosch eingestuft werden, weil es nur ablenkt (die dort aufgestellte Behauptung, Ägypten habe unter den Römern die Schaltregel akzeptiert, gilt im Übrigen nur für Alexandria, nicht für das übrige Ägypten). Immerhin war sich Kühne daraufhin sicher [ebd.], dass nunmehr

“jeder aufgeklärter Skeptiker überzeugt sein und Illigs Theorie als eine sehr reizvolle, aber leider nicht haltbare These zu den Akten legen” wird.

Bald darauf folgte eine Gefälligkeitsrezension in der Naturwissenschaftlichen Rundschau. Verfasst hat sie Krojers Freund Johann Reiter, weshalb sie nur einen einzigen kritischen Halbsatz enthält. Dafür behauptet sie, M. Schütz habe längst Buchners Rekonstruktion der Sonnenuhr des Augustus “in allen wesentlichen Punkten widerlegt, so dass Illigs Argumente überhaupt nicht greifen”. Nachdem ich die Arbeit von Schütz vor Jahren in den Zeitensprüngen vorgestellt habe [Illig 1992], habe ich natürlich diese Argumente beachtet.

Richtig blamieren wollte sich das Spektrum der Wissenschaft. Sein Redakteur Christoph Pöppe demonstrierte, dass die besten Polemiken dann gelingen, wenn ihr Urheber nichts in der Sache weiß.

“Ich habe von dieser Idee mehrfach gehört, aber nie ernsthaft darüber nachgedacht. […] Franz Krojer vom Institut für Informatik der Universität München hat es nun unternommen, sie mit astronomischen Mitteln zu widerlegen. […] Die Widerlegung ist überraschend mühsam – die antiken Aufzeichnungen lassen viel Interpretationsfreiheit – , aber überzeugend.
Schön, dass jemand so sorgfältig mit dem Unfug aufräumt. Aber es bleibt das fassungslose Staunen, das auch durch die Wiedergabe der umfangreichen Polemik beider Seiten nicht nachlässt: Wie konnte sich dieser Unfug so weit verbreiten?” [Pöppe]

Immerhin, die Überschrift war passend gewählt: “Absurdes”. Allmählich staune ich nicht mehr fassungslos, wenn ausgerechnet Naturwissenschaftler die größtmögliche Kombination aus Arroganz und Ignoranz bieten. Ich erinnere an die Kritik in Sterne und Weltraum, in der Dr. Ulrich Bastian vom Astronomischen Rechen-Institut Heidelberg stolz darauf war, vor seinem Verriss keine Zeile von mir gelesen zu haben (“Wir kennen das Buch von Herrn Illig nicht, würden uns aber nicht wundern, wenn …” [vgl. Illig 2000a, 482]). Es muss ein erhebendes Gefühl sein, ein Rechnerprogramm bedienen zu können, weil man dann Parameter so lange verändern kann, bis das gewünschte, mainstream-gerechte Ergebnis ausgeworfen wird.

Zusammenfassung

Krojer hat mit Unterstützung vieler Wissenschaftler die ausführlichste Kritik an der Phantomzeitthese geübt. Das erscheint mir verdienstvoll, wird doch vieles geklärt, verbessert und ergänzt. Das Ergebnis ist allerdings anders ausgefallen, als Krojer sich vorgestellt hat. Im nicht-astronomischen Bereich kann er nichts Stichhaltiges bringen. Innerhalb der Astronomie hat der Fachhochschulingenieur für Physikalische Chemie und nun als Systemadministrator arbeitende Programmierer wesentlich besser gearbeitet als etwa Prof. Dieter B. Herrmann, der in der Not sogar auf ihn zurückgegriffen hat. Doch Krojers eigenes Fazit, schon in der Einleitung vorgegeben, lautet:

“Die vermeintliche Exaktheit der Astronomie war dabei starken Belastungsproben ausgesetzt, denn sie hatte sich zu bewähren in und gegenüber einer historischen Überlieferung, in der es eben nicht wie in einer exakten Naturwissenschaft zugeht” [K. 15].

Nach meiner Prüfung kann ich sagen: Die vermeintliche Exaktheit der Astronomie scheitert einmal an der historischen Überlieferung, zum anderen an den zu wenig reflektierten Grundlagen der vermeintlichen Exaktheit.

Die vielen Buchseiten zur Kalenderrechnung erledigen sich mit dem gleichzeitigen Einsatz der Rechnerprogramme, Ptolemaios ist kein Garant für den antiken Himmel, präzis bewiesene Sonnenfinsternisse werfen in ihrer Seltenheit neue Probleme auf, babylonische Sternbeobachtungen wurden in seleukidischer Zeit zugegebenermaßen ‘frisiert’ und auf alt getrimmt, Papyrusfunden fehlt die letzte Genauigkeit, alte Horoskope bleiben zu vage, Kometendurchgänge können nicht beliebig in die Vergangenheit rückgerechnet werden. So blieb Krojer nur die Flucht nach ‘Auschwitz’.
Insofern ist er in seiner angestrebten Rolle des Brutus gescheitert. Wie schrieb Shakespeare? “Denn Brutus ist ein ehrenwerter Mann. Das sind sie alle, alle ehrenwert.”

Ausblick

Nach Krojer wollen wir den größeren Rahmen abstecken. Weil die herrschende Chronologie seit rund einem Jahrhundert nicht mehr geprüft worden ist – so Prof. Stefan Weinfurter in einem Interview zu meiner These [vgl. Illig 1997, 127] –, drängt nun die lang vergessene Kritik nach vorn. Gerade weil die Fachwissenschaftler derartige Bewegungen nur lächelnd oder angewidert abtun, entstehen immer mehr derartiger Ansätze, gute und schlechte [vgl. K. 350 f.]. Sie werden sich weiter ausbreiten, wenn der Mainstream nicht in seinem eigenen Kompetenzbereich aktiv wird – nicht etwa durch weitere Verleumdungen. Es ist zwar begrüßenswert, wenn ein Außenseiter wie Franz Krojer zahlreiche Wissenschaftler zusammenführt, um den kalendarisch-astronomischen Aspekt gründlich zu prüfen. Aber es wird nicht genügen, dass sich die Spezialisten hinter selbsternannten Präzessionskoryphäen verschanzen und ihnen zuarbeiten. Da muss endlich ein Ruck durch die Fakultäten gehen – doch selbst eine derart Herzogliche Aufforderung lässt vorerst nichts erwarten.

Nach Prüfung von Krojers Buch sehe ich keine Veranlassung, meinen Ansatz als gescheitert zu betrachten – ganz im Gegenteil. Neuerlich bestätigt sich, dass die antike wie die spätere Tradition erstaunlich vage ist, wenn es um die von Krojer beschworene Präzision geht. Ich habe im letzten Heft [Illig 2003, 402 f.] klargestellt, dass die keineswegs konstruierte oder erfundene Fundsituation in der fraglichen Zeit auch dann eine Erklärung braucht, wenn ein realer Himmel über phantomzeitlichem Boden gesichert wäre. Doch auch und gerade nach dem Auftritt so vieler einschlägiger Spezialisten – die ja nun alle denkbaren Argumente versammelt haben sollten – bleiben im frühen Mittelalter Boden und Himmel gleichermaßen fiktiv.

Es geschieht nun das, was anderen Fakultäten wie etwa der Volkswirtschaftslehre längst vertraut ist: Die Mediävistik spaltet sich in zwei Schulen auf. Die herkömmliche setzt weiterhin auf Urkunden, erschwert sich jedoch die eigene Position durch stetes Falsifizieren von Urkunden. Die neue Schule setzt dagegen auf sämtliche Erkenntnismöglichkeiten, weil sie überhaupt erst einen kritischen, wechselseitigen Abgleich ermöglichen. Es wird sich bald zeigen, wo mehr Wissen geschaffen wird.

Literatur

Beaufort, Jan (2001/02): “Die Fälschung des Almagest I+II. Versuch einer Ehrenrettung des Claudius Ptolemäus”; in: ZS 13 (4) 590-616 u. 14 (1) 32-48
Frank, Werner (2002): “Welche Gründe gab es für die Autoren der Gregorianischen Kalenderreform 1582, die Frühlings-Tagundnachtgleiche auf den 21. März zurückzuholen?”; in: ZS 14 (4) 646-655
Fried, Johannes (1996): “Wissenschaft und Phantasie. Das Beispiel der Geschichte”; in: Historische Zeitschrift CCLXIII (2) 291-316
Herrmann, Dieter B. (2000): “Nochmals: Gab es eine Phantomzeit in unserer Geschichte”; in: Beiträge zur Astronomiegeschichte III, 211-214 (Acta Historica Astronomiae, Bd. 10)
Herzig, Franz (1997): “Der Winter 763/64 in der Erinnerung von Bäumen und Menschen”; in: Archäologisches Jahr in Bayern 1996, 151 f.
Illig, Heribert (2003): “Dickhäuter und Schweigegeld. Phantomzeitdebatte?”; in: ZS 15 (2) 396-405
– (2002): “Nachbemerkung zum 25.12.”; in: ZS 14 (4) 655
– (2000b): “Astromanie und Wissenschaft. D. Herrmann · F. Krojer · S. Rothwangl · W. Schlosser”; in: ZS 12 (4) 662-679
– (2000a): “Naturwissenschaftler verteidigen ‘ihren’ Thron. MA-Diskussion mit emotionalen Verwerfungen”; in: ZS 12 (3) 476-494
– (1999b): “Katastrophen zu Zeiten des Menschen. W. Pitman – W. Ryan – F. de Sarre – D. Keys – F. Carotta”; in: ZS 11 (4) 658-670
– (1999a): Wer hat an der Uhr gedreht?; München
– (1997): “Ein Schwelbrand breitet sich aus. Zur Fortführung der Mittelalter-Debatte”; in: ZS 9 (1) 125-131
– (1994): “Hamlet mahlt nun auch auf Deutsch. Rezension zu ‘de Santillana – v. Dechend”; in: ZS 6 (1) 101-104
– (1992): “Der Meridian des Augustus. Die Sonnenuhr des Augustus war keine Stundenuhr”; in: ZS 4 (2) 16-25
– (1991): “Halley, Novae, China. Zur Synchronisierung der Alten Welt”; in: ZS 3 (2) 33-42
Illig, Heribert / Anwander, Gerhard (2002): Bayern und die Phantomzeit; Gräfelfing
Illig, Heribert / Siepe, Franz (2003): “Probleme konventioneller Datierungsmethoden”; in: ZS 15 (2) 244-251
Krojer, Franz (2003): Die Präzision der Präzession. Illigs mittelalterliche Phantomzeit aus astronomischer Sicht. Mit einem Beitrag von Thomas Schmidt; München
Kühne, Ulrich (2003): “Einstürzendes Himmelszelt. Phantomzeitloser: Für Franz Krojer steht das Mittelalter in den Sternen”; in: Süddeutsche Zeitung, 19. Juli
Leonardis, Serena de (o.J.): Amsterdam. (Reihe: Die goldenen Führer); Florenz
Neugebauer, Paul V. / Weidner, Ernst F. (1915): “Ein astronomischer Beobachtungstext aus dem 37. Jahre Nebukadnezars II. (-567/66)”; in: Berichte über die Verhandlungen der Königl. Sächsischen Gesellschaft der Wissenschaften zu Leipzig. Philologisch-historische Klasse, 67 (2) 29-89 (Sitzung vom 1. Mai 1915)
Pöppe, Christoph (2003): “Absurdes” [Krojer-Rezension]; in: Spektrum der Wissenschaft, Heft 10, 96
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Simmering, Klaus (1996): Dreihundert Jahre erstunken und erlogen? Über Zweifel an unserer Zeitrechnung; Erstsendung am 19. 2. 1997 im MDR, Leipzig
Unterstöger, Hermann (2003): “Willkommen im Jahr 1706!”; in: Süddeutsche Zeitung, 7. Februar
Velikovsky, Immanuel (1983): Stargazers and Gravediggers. Memoirs to Worlds in Collision; New York
Weidner, Ernst (1967): “Gestirn-Darstellungen auf babylonischen Tontafeln”; in: Österreichische Akademie der Wissenschaften. Philosophisch-historische Klasse, Sitzungsberichte, 254. Band, 2. Abhandlung; Wien
– (1915): Handbuch der babylonischen Astronomie. Erster Band: Der babylonische Fixsternhimmel. Beiträge zur ältesten Geschichte der Sternbilder; Leipzig
– (1911): Beiträge zur babylonischen Astronomie; Leipzig

II. Die Fälschung des Almagest und ihre Verdrängung durch Franz Krojer

Jan Beaufort

Illigs Phantomzeitthese lässt sich nur verteidigen, wenn der Almagest des Claudius Ptolemäus – wie er uns heute vorliegt – eine Fälschung ist: Das war ein wichtiges Zwischenergebnis der im Frühjahr 2001 geführten Diskussion in der Newsgroup de.sci.geschichte, an der sich neben meiner Person auch Franz Krojer und sein jetziger Co-Autor Thomas Schmidt beteiligten. Aus dieser Diskussion ist das vorliegende Buch Die Präzision der Präzession hervorgegangen.

Begründet wurde genanntes Ergebnis u. a. damit, dass sich anhand des 1.025 Sterne zählenden Katalogs des Almagest das Fortschreiten der Präzession berechnen lässt. Heutige Sternlängen sind im Durchschnitt um 27° höher als die Werte des Almagest. Wenn Illig recht hat, dürften sie jedoch nur um 22° bis 23° höher sein. (Von katastrophischen Szenarien nach der Römerzeit hatte mich der astronomisch hervorragend bewanderte, immer redlich und präzise argumentierende Thomas Schmidt abgebracht. Das gelang um so leichter, als sich bald die Fruchtbarkeit der Fälschungsthese zeigte.)1

Das damals erzielte Zwischenergebnis hat Thomas nicht vergessen, denn er schreibt im Krojer-Buch [361] völlig zu Recht, dass auch seine jetzt vorgelegten Überlegungen zu antiken Planetenstellungen nur richtig sind unter der Voraussetzung, „dass die historischen Beobachtungen nicht aus einer späteren Zeit stammende Fälschungen sind“.

Ganz anders Krojer. Er erinnert zwar [380] an die “dsg”-Diskussion, hat aber ihren Verlauf allem Anschein nach weitgehend verdrängt. Das ist kein Wunder, hatte er sich doch just in dem Augenblick aus der Diskussion verabschiedet, als ihm die Argumente ausgingen (unter dem Vorwand, dass ihm „langweilig“ wurde …). Kein Wunder wohl auch, dass Krojer dann nicht mehr die Umarbeitung meiner Diskussionsbeiträge zu einem Artikel für die Zeitensprünge registriert hat. Diesen Artikel (Die Fälschung des Almagest), der meine Internet-Argumentation erweitert und vertieft, blendet er vollständig aus.

Das mag mit daran liegen, dass das Thema „mittelalterliche Fälschungen“ nicht gerade das Lieblingsthema Krojers ist. Ein Kapitel seines Buches heißt Nur ein Blick auf viele Fälschungen. Der Titel passt, denn Krojer hat auf das Thema Fälschungen in der Tat nur einen flüchtigen Blick geworfen. Das war wohl zu wenig, um sehen zu können, dass im Mittelalter etwas häufiger gefälscht wurde als sonst üblich. Bei der in diesem Kapitel demonstrierten Ignoranz gegenüber dem Problem des mittelalterlichen Fälschens und Pseudepigraphierens verwundert es nicht, dass Krojer in seinem Buch schnell fertig ist mit meiner These, auch der Almagest sei im Mittelalter gefälscht worden.

Dabei ging es in der erwähnten Internet-Diskussion am Ende doch ausschließlich um diese These. Als ich damals fragte, warum denn der heute vorliegende Almagest keine Fälschung sein sollte, antwortete mir Thomas Schmidt, er könne sich zwar die Fälschung einzelner Urkunden vorstellen, nicht aber die des Almagest. Denn das würde die Existenz eines Proto-Almagest voraussetzen, dessen Exemplare sämtlich vernichtet wurden:

„All diese Exemplare ausnahmslos zu finden und zu vernichten (inklusive anderer Werke, welche den Proto-Almagest kommentierten oder Auszüge zitierten) wäre wohl doch deutlich schwieriger als bei Urkunden.“ [Beitrag vom 16. April 2001]

Darauf konnte ich postwendend antworten, dass genau das die Hauptthese des angesehenen Münchner Arabisten Paul Kunitzsch ist: Kunitzsch hatte anhand von Spuren in einigen wenigen Kommentaren entdeckt, dass es einen heute vollständig verschollenen Ur-Almagest gegeben haben muss. In seinem Buch Der Almagest (das mir ausgerechnet Krojer empfohlen hatte) führt Kunitzsch aus, dass von diesem Ur-Almagest einst eine mittelpersische (Pahlavi), syrische und arabische Version existierte. Weder diese alten Almagest-Übersetzungen noch eine vorphantomzeitliche griechische Fassung sind erhalten geblieben. Dabei unterschied sich der Ur-Almagest sowohl terminologisch als auch in den Sternkoordinaten erheblich von den heute vorliegenden Fassungen.

Nach meiner Antwort zog sich Thomas Schmidt aus der Diskussion zurück – vermutlich, weil ab jetzt an erster Stelle historisch und nicht mehr astronomisch zu argumentieren war. Krojer beteiligte sich zwar weiter, weiß aber offensichtlich heute nicht mehr, warum sich Schmidt damals zurückgezogen hat. Denn er bringt merkwürdigerweise erneut Schmidts Argument, in Byzanz können „unmöglich alle alten Versionen des Almagest vernichtet und durch die neuen ersetzt worden sein“ [Kr. 381]. Diese Wiederholung einer bereits widerlegten Behauptung kann angesichts Kunitzschs Befund, mit dem sich Krojer in seinem Buch an keiner Stelle ernsthaft auseinandersetzt, nur als Frechheit bezeichnet werden. Vorphantomzeitliche Exemplare des Almagest sind schlicht und einfach nirgendwo und in keiner Sprache mehr vorhanden – ob dies nun goutiert wird oder nicht. Wenn Krojer meint, dass es sich anders verhält, ist er in der Pflicht, solche Exemplare vorzuzeigen. So lange er das nicht tut, sind seine Behauptungen haltlos.

Selbstverständlich übergeht ein sich so gebärdender Autor auch weitere von Kunitzsch angesprochene Schwierigkeiten der Almagest-Überlieferung. Insbesondere schweigt er zum Problem der Herkunft des Namens „Almagest“ – obwohl Kunitzsch dem Thema zehn Seiten widmet. Das Problem besteht darin, dass der Name „al-mgsti“ (arabische Wörter schreibe ich hier ohne diakritische Zeichen) zweifellos eine arabische Ableitung des griechischen „megiste (syntaxis)“ ist, der Name „megiste syntaxis“ („Größte Zusammenstellung“) jedoch in der griechischen Werküberlieferung nicht vorkommt:

„Die griechische Textgeschichte des Almagest weist jedenfalls im Werktitel die Superlativform ‘megiste’ nicht auf; hier ist lediglich die Grundform des Adjektivs, ‘megale (syntaxis)’, belegt.“ [K. = Kunitzsch 1974, 118]

In meinem ZS-Artikel hatte ich die Hypothese formuliert, dass sich der ursprüngliche Name „megiste (syntaxis)“ auf den griechischen Ur-Almagest bezog. Mit der Vernichtung des Werkes verschwand dann auch dessen Name. Ich benutze die Gelegenheit, um diese Hypothese zu korrigieren. In Wirklichkeit dürfte es sich nämlich genau andersherum verhalten haben. „Megale syntaxis“ („Große Zusammenstellung“) war der Name des ursprünglichen ptolemäischen Werkes, die Fälschung hieß von Anfang an „Almagest“.

Ich liste hier kurz die Hauptgründe für diese Korrektur auf, die im übrigen auch mehr im Einklang mit Kunitzschs Forschungsergebnissen ist:

  1. Ich gehe inzwischen davon aus, dass die Fälschung im islamischen Bereich entstanden ist (s. u.). Die Griechen haben unter Konstantin VII. zwar die Fälschung übernommen, den alten Namen des Werkes aber beibehalten. Das ist plausibler als die umgekehrte Version, nach der die Griechen den Namen des Werkes in “megale syntaxis” geändert, die Araber aber an einem alten Namen “Almagest” festgehalten hätten.
  2. Es ist wenig plausibel, dass ein Werk gleich den Titel „Größte Zusammenstellung“ erhält, ohne dass es sich auf eine vorangehende „Große Zusammenstellung“ bezöge.
  3. Auch alte griechische Texte, etwa der Alexandriner Pappos (um +320) und Theon (um +365), kennen den Namen „megale syntaxis“ [K. 118 f.]. Diese Texte sind allem Anschein nach keine rückdatierten Pseudepigraphien. Von Theons Almagest-Kommentar hat es auch eine alte arabische Übersetzung gegeben. [K. 119]
  4. Der Name „megiste syntaxis“ taucht im Griechischen nur höchst selten und erst spät in Abhängigkeit von der arabischen Bezeichnung auf – z. B. um 1080 bei Symeon Seth, von dem bekannt ist, dass er gut arabisch konnte. [K. 118]
  5. Arabische Astronomen deuten den Titel „al-mgsti“ mit „al-kitab al-akbar“, „das größte Buch“. In den arabischen Almagest-Texten selbst wird das Werk aber einhellig „al-kitab al-kabir“ genannt: „das große Buch“ [K. 120].
  6. Kunitzsch meint zwar, es sei unbedingt daran festzuhalten,
    „daß das Vorbild für arabisch ‘al-mgsti’, eben der griechische Superlativ ‘megiste’, in einer griechischen Quelle gestanden haben muß, da kein Übersetzer […] die griechische Steigerungsform von sich aus gebildet und eingesetzt hätte.“ [K. 119]
    Anders dürfte es sich aber im Falle einer arabischen Fälschung verhalten: Ein gewitzter Fälscher, mit dem Griechischen nicht völlig unvertraut, kann sich durchaus die übersetzte Steigerungsform als neuen Namen gewählt haben. Im übrigen macht Kunitzsch plausibel, dass die arabische Entlehnung „al-mgsti“ eine mittelpersische (Pahlavi-)Form voraussetzt [K. 123 f.]. Die Fälschung wäre demnach im persisch-arabischen, also im abbasidischen Bereich entstanden. Das passt mit meiner anderswo geäußerten Vermutung zusammen, nach der die Zeiterfindung im Werk des persisch-arabischen Historikers at-Tabari einen ihrer Ursprünge hat (s. u.).

Während die griechische Textüberlieferung relativ einheitlich ist, muss die arabische Almagest-Tradition als chaotisch bezeichnet werden. Kunitzsch lässt daran nicht den geringsten Zweifel. Über die erhalten gebliebenen Handschriften heißt es etwa: „Das Bild, das uns diese neun Handschriften vom arabischen Almagest vermitteln, ist äußerst verworren“ [K. 35]. Darüber beklagten sich bereits arabische Astronomen. So schreibt as-Sufi im 10. Jh.:

„Ich habe viele Exemplare des Buches Almagest durchgesehen und fand, daß sie sich untereinander bei vielen Sternen widersprechen.“

Dazu Kunitzsch: Für as-Sufi

„ist bereits im Jahre 964, als er das Fixsternbuch verfaßte, die Textsituation des Almagest im Sternkatalog so verwickelt, daß er in den Einzelanalysen aller 1025 Sterne nie auf einzelne Almagesttexte oder -versionen speziell Bezug nimmt; hierin liegt angesichts seiner sonst bewiesenen methodischen Exaktheit ein beredter Beweis für den schlechten Zustand der Überlieferung […]. Diese ältesten, mit den Übersetzungen fast noch gleichzeitigen Urteile lassen es von vornherein als nahezu aussichtslos erscheinen, daß die Forschung heute, ein reichliches Jahrtausend später, ein klareres Bild von den verschiedenen arabischen Almagest-Textfassungen, zumal den ältesten, gewinnen kann.“ [K. 35 f.]

In einer Anmerkung fügt er hinzu:

„Ähnliche Schwankungen und für immer unauflösliche Vermischungen hat die Forschung sogar im ureigensten Bereich der arabischen Kultur selbst, in der Überlieferung so zentraler und fundamentaler Komplexe wie des Korantexts oder der klassischen altarabischen Dichtung registriert.“ [K. 37]

Anhand mehrerer Beispiele zeigt Kunitzsch, “wie regellos alle Texte ständig schwanken” [K. 155]. Besonders verwirrend ist das Werk des al-Battani. Dessen beide auf dem Almagest fußende Sternkataloge verzeichnen bei den Längenangaben Fehler von 20° und mehr! al-Battanis Herausgeber Nallino spricht in Bezug auf den zweiten Sternkatalog von „crassissimi errores“ und „incredibiles prorsus discrepantiae“. [Nallino 1899, pars II, 292]

Ich zitiere hier so ausführlich, um das Urteil der Experten Kunitzsch und Nallino über die Almagestüberlieferung seiner Einschätzung durch Krojer entgegenhalten zu können. Für Krojer ergibt sich nämlich lediglich „eine etwas verwirrende Situation in der Überlieferung der Koordinatenwerte […] (kein sauberer Abstammungsbaum, sondern ein Netz)“ [Kr. 382; Hvhg. JB]. Auf die vielen Merkwürdigkeiten und Widersprüche der beiden erhaltenen arabischen Textfassungen des al-Haggag und des Ishaq, auf die ich in meinem ZS-Artikel aufmerksam gemacht habe, geht Krojer mit keinem Wort ein. Stattdessen folgt das befremdliche Zitat:

„’Im Ganzen ist der Sternkatalog des Almagest erstaunlich gut überliefert.’ (Telefonat mit Prof. Kunitzsch, 27.4.2001)“ [Kr. 383].

Über diese aus einem Privatgespräch mit Kunitzsch zitierte Bemerkung kommt der informierte Leser ins Grübeln, sagt Kunitzsch hier doch das genaue Gegenteil von dem, was er in seinem Almagest-Buch geschrieben hat. Könnte es sein, dass Krojer etwas falsch verstanden hat? Bezog sich Kunitzschs Aussage möglicherweise nur auf die griechische Überlieferung, die in der Tat relativ variantenfrei ist? Die Vermutung drängt sich auf, dass sich Krojer bei Kunitzsch ein ähnlich unautorisiertes Zitat erlaubt hat, wie er das erwiesenermaßen bei Faußner tat (vgl. den obigen Beitrag von Heribert Illig).

Über die Sternkoordinaten des Ur-Almagest wissen wir praktisch nur noch etwas durch das Opus astronomicum des al-Battani und durch den Traktat Über die Ursachen der Fehler des Arztes Ibn as-Salah. Dass Krojer mein Urteil über letzteren Text völlig verzerrt wiedergibt, kann nach dem Vorangehenden nicht mehr überraschen. Die verwirrenden Sterntafeln des al-Battani lässt er bequemlichkeitshalber ganz weg. Es war wohl zu anstrengend, die drei Bände des Opus astronomicum des Nallino selbst einzusehen.

Zusammenfassend kommt Krojer unter Desavouierung des Kunitzschen Lebenswerkes zu dem Ergebnis:

„Wir können also den Almagest so nehmen wie er sich gibt, nämlich als einen antiken Text, der in der Mitte des 2. Jahrhunderts in Alexandria als Summe des bisherigen astronomischen Wissens entstanden und hauptsächlich über die griechisch-byzantinische, arabische und lateinische Überlieferung auf uns gekommen ist.“ [Kr. 385 f.]

Kein Wort darüber, dass die lateinische Überlieferung von der griechischen und arabischen vollständig abhängig ist und deshalb bei der Beurteilung der frühen Almagest-Tradition überhaupt keine Rolle spielt – Kunitzsch arbeitet das in seinem Buch klar heraus.

Kein Wort auch darüber, dass wir bestenfalls von jenen 36 (sic!) Sternen, von denen Ibn as-Salah die Länge erwähnt, die Längenwerte des Ur-Almagest kennen (al-Battanis Sterntafeln bestätigen nur einige dieser alten Werte, sind sonst aber zu chaotisch, um weiterreichende Schlüsse zu erlauben). Von den Sternen, die nicht von Ibn as-Salah besprochen werden, können wir die ursprünglichen Koordinaten nur noch blind erraten. Das gilt auch für Krojers Leitstern Spica, der bei Ibn as-Salah nicht vorkommt. Spica hat in allen vorliegenden griechischen und arabischen Handschriften den Längenwert 26°40’ [K. 1991, 105]. Das bedeutet jedoch gar nichts, denn die Situation ist bei etwa ζ Leonis mit einer Länge von 0°10’ nicht anders. Für diesen Stern kennen wir aber zusätzlich die um 4° höhere (mit Illigs Theorie exakt übereinstimmende) alte Länge durch Ibn as-Salah.

Krojer bietet für diese und andere Abweichungen (es gibt auch Beispiele mit Längendifferenzen von 5°, was Krojer völlig übergeht, wenn er [Kr. 384 f.] mögliche Unterschiede des verwendeten Präzessionswertes erörtert) keine Erklärung an. Er nennt pauschal und unkritisch Abschreibfehler als Ursache [Kr. 382 f.] – obwohl Ibn as-Salah, der wie ein moderner Kritiker verschiedene Almagest-Versionen vergleicht und jeden von ihm vermuteten Abschreibfehler akribisch vermerkt, bei den genannten Beispielen Abschreibfehler gerade nicht geltend macht [vgl. auch Beaufort 2001/02, 41].

Zugute halten muss man Krojer, dass Kunitzsch selbst an zwei Stellen eine harmonisierende und deshalb verzerrende Bemerkung über den eigenen Befund macht. Krojer greift sie – und das muss man ihm wieder vorwerfen – als repräsentativ für Kunitzschs ganzes Werk heraus. Kunitzsch schreibt nämlich in seinem Ibn as-Salah-Buch:

“Das gesamte Spektrum dieser drei differierenden Blöcke [der alten, verschollenen Fassung und der beiden erhaltenen arabischen Versionen; JB] deckt sich völlig mit den auch für uns noch belegten Varianten in der griechischen Überlieferung” [K. 1975, 82; Hvhg. JB].

Ein Jahr zuvor hieß es im Almagest-Buch noch, dass

“die verschiedenen arabischen Versionen im wesentlichen das Spektrum der bereits aus der griechischen Überlieferung selbst bekannten Varianten widerspiegeln” [K. 1974, VIII; Hvhg. JB].

Diese Einschätzung kommt der Wahrheit zwar näher, verfehlt aber immer noch den entscheidenden Punkt. Würde sie stimmen, dann würde das bedeuten, dass die in den Übersetzungen verschollene Urfassung im Griechischen weitgehend erhalten geblieben wäre.

Unter den 36 von Ibn as-Salah diskutierten Sternlängen gibt es jedoch nicht weniger als 21 Werte mit arabischen Varianten, die sich in keinem griechischen Manuskript finden. Für einige andere Längen sind die arabischen Varianten lediglich als nachträglich hinzugefügte Superskripte in den griechischen Handschriften enthalten (was im übrigen ein weiterer Hinweis darauf ist, dass die nachphantomzeitliche griechische Überlieferung von der arabischen abhängig ist, und nicht umgekehrt – siehe unten). Leser mit Internet-Zugang können diese Angaben überprüfen [Kr. 2001].

Kunitzsch sammelt in einem späteren Werk sämtliche Werte der arabischen Almagest-Überlieferung, zu denen es kein Pendant im Griechischen gibt. Er braucht dafür sechs Seiten [K. 1986, 173-179]. Mit dieser Zusammenstellung widerlegt Kunitzsch seine eigene frühere, die Differenzen zwischen der arabischen und der griechischen Tradition herunter spielende Einschätzung. Als Gesamturteil über den Tradierungszustand des Almagest bleibt demnach festzuhalten:

  1. Die griechische Tradition ist relativ einheitlich. Es gibt zwar gelegentliche starke Schwankungen bei den Sternkoordinaten, aber sie erreichen nicht das Ausmaß, das uns die arabischen Handschriften darbieten. Auch gibt es nicht mehrere Textfassungen wie im Arabischen. Aus der griechischen Überlieferung allein ließe sich nicht auf eine Fälschung des Almagest schließen. Dieser Umstand muss aus der Sicht der Phantomzeittheorie bedeuten, dass die griechische Überlieferung insgesamt nachphantomzeitlich ist (tatsächlich werden die frühesten erhaltenen Handschriften konventionell ins 9. Jh. datiert).
  2. Im Arabischen liegen zwei unterschiedliche Textfassungen des Almagest vor, eine dritte – die älteste – ist verloren gegangen. Diese alte Version wich nachweislich stark von den heute vorliegenden Fassungen ab. Einige sehr wenige halbwegs verlässliche Angaben über sie besitzen wir dank dem Traktat von Ibn as-Salah. Zum Teil bestätigen sie Illigs Mittelalterthese. Zu den übrigen vorphantomzeitlichen Sternkoordinaten fehlt uns jegliche Information. Aus diesem Grund ist der uns heute vorliegende Almagest für die Berechnung des Fortschreitens der Präzession seit der Antike nicht mehr zu gebrauchen.

In einem Punkt hat Krojer schließlich recht. Er bezweifelt, dass eine byzantinische Fälschung in der arabischen Welt unbemerkt geblieben wäre. In meinem Almagest-Artikel vertrat ich noch die Auffassung, die Araber seien durch eine Fälschung des Konstantin VII. irregeführt worden. Ich schloss dies daraus, dass die griechische Überlieferung relativ einheitlich, die arabische dagegen extrem verworren war. In Wirklichkeit lässt sich aus diesem Umstand gar nichts ableiten. Mindestens genauso plausibel ist die Vermutung, persische und arabische Hofastronomen hätten absichtlich Verwirrung gestiftet. Im Grunde lässt sich das komplette Chaos der Sterntafeln des in der Abbasidenresidenz Rakka arbeitenden al-Battani (gest. 929) nur so verstehen.

Wie ich in den Dreißig Fragen zur Phantomzeittheorie ausführe [2002, Frage 21, 22], halte ich inzwischen ein Entstehen der Zeitfälschung im arabischen, genauer im abbasidischen Bereich für wahrscheinlich. Konstantin VII. hätte dann nur mitgemacht – wenngleich konsequenter und systematischer als die arabischen Urheber. Neben anderen Argumenten spricht für diese Sicht, dass Perser und Araber im Vergleich zu den Byzantinern nun mal die größeren Astronomen und Zeitspezialisten, obendrein auch die besseren Märchenerzähler waren.

Literatur

Beaufort, Jan (2001/02): Die Fälschung des Almagest I+II. Versuch einer Ehrenrettung des Claudius Ptolemäus; in: ZS 13 (4) 590-616 u. 14 (1) 32-48
– (2002): Dreißig Fragen zur Phantomzeittheorie; http://www.mantis-verlag.de/faq.html
Kr. = Krojer, Franz (2001): Zur Kritik der Koordinatenüberlieferung im Sternkatalog des Almagest; http://www.dbs.informatik.uni-muenchen.de/ikrojer/kunitzsch.html
– (2003): Die Präzision der Präzession. Illigs mittelalterliche Phantomzeit aus astronomischer Sicht. Mit einem Beitrag von Thomas Schmidt; München
K. = Kunitzsch, Paul (1974): Der Almagest. Die Syntaxis Mathematica des Claudius Ptolemäus in arabisch-lateinischer Überlieferung; Wiesbaden
– (1975): Ibn as-Salah: Zur Kritik der Koordinatenüberlieferung im Sternkatalog des Almagest mit Übersetzung, Einleitung und Anhang; Göttingen
– (1986): Der Sternkatalog des Almagest. Die arabisch-mittelalterliche Tradition. Band I: Die arabischen Übersetzungen; Wiesbaden
– (1991): Der Sternkatalog des Almagest. Die arabisch-mittelalterliche Tradition. Teil III: Gesamtkonkordanz der Sternkoordinaten; Wiesbaden
Nallino, Carolo Alphonso (Hg.; 1899): Al-Battani sive Albatenii Opus Astronomicum, pars IIII; Mailand

1 Es gibt eine dritte Möglichkeit, die Krojer [Kr. 377-380] erörtert: Ptolemäus, über dessen Leben praktisch nichts bekannt ist, könnte drei Jahrhunderte früher gelebt haben. Diese Möglichkeit ist ernster zu nehmen, als es Krojer tut. Es wären nur relativ wenige Stellen des Almagest zu fälschen gewesen – z.B. der von Krojer [Kr. 379] angeführte Passus, der die astronomische auf die politische Chronologie bezieht. Ptolemäus’ Beiname “Klaudios” – dessen Schreibweise, Herkunft und Bedeutung umstritten sind [K. 1974, 125 ff.] – könnte eine spätere Erfindung sein. Die Verwirrung der arabischen Überlieferung (s. u.) wäre dann auf die Unsicherheit über die Datierung des Almagest selbst zurückzuführen.

III. Krojer und die Auschwitzleugnung

Gunnar Heinsohn

Drei Jahrhunderte, die auf der Erde ohne Funde auskommen müssen, sollen durch astronomische Annahmen und darauf gestützte Berechnungen nunmehr wenigstens am Himmel verankert werden. Auch Franz Krojer will einen Groß-Alfred oder Groß-Karl, für die unstrittige Artefakte fehlen, kosmisch retten. Wie sähe die angemessene Eigenüberprüfung eines solchen Verfahrens aus? Ihre Vertreter müssten ihren Sachverstand mit denselben Methoden bei anderen Grundannahmen testen. Sie müssten z.B. von einer absoluten Zeitachse ausgehen, die – sagen wir – 300 Jahre länger ist als die jetzt akzeptierte. Dann müssten die alten Texte mit astronomischen Angaben, deren Aussagen ja durchweg Deutungen zulassen und für deren Erstellungszeit verschiedene Daten angenommen werden können, auf einen solchen Zeitraum hin ausgelegt und retrokalkuliert werden. Sodann müssten dieselben Texte unter der Annahme einer – sagen wir – 300 Jahre kürzeren Zeit ‘gelesen’ bzw. datiert werden, um wiederum die Retrokalkulationen vorzunehmen. Wenn sich auf allen drei Wegen ‘sinnvolle’ Resultate erzeugen lassen, kann die Methode nicht als zuverlässig gelten.
Da aber alle einschlägigen alten Texte Leerstellen haben, die von heutigen Philologen nach ihrem Glauben ergänzt werden müssen, und Maßangaben aufweisen, die in die heutigen mit allen daraus resultierenden Fehlerquellen übersetzt werden müssen, ist auch bei ehrlichstem Bemühen Willkür unvermeidlich und entsprechend das Errechnen ganz anderer Ergebnisse möglich.

Wegen Unterlassung der beiden Eigenkritiken schwächt Krojer sein Argument so erheblich, dass er ihm auf andere Weise Durchschlagskraft verschaffen will. Wer mit der Annahme arbeite, dass etwas nicht existiere oder nicht existiert habe, unternehme – so insinuiert er – nicht etwa eine der wichtigsten wissenschaftlichen Standardoperationen, sondern arbeite wie ein Auschwitzleugner. Krojer will dabei besonders geschickt vorgehen, indem er solche Anwürfe nicht selber formuliert, sondern andere zitiert, die das bereits getan haben [Kr. 349]. Er hätte diese anderen aber gerade für die Beiziehung ungehöriger Analogien kritisieren müssen, wenn er im wissenschaftlichen Kontext hätte bleiben wollen. Er hat am Ende also nicht nur die gebotene Selbstüberprüfung, sondern auch eine kritische Analyse seiner Zeugen unterlassen. In Wirklichkeit hat er sich bloß nach Bündnispartnern gegen Illig umgeschaut und nicht nach überzeugenden Argumenten für die Existenz von drei in Abrede gestellten Jahrhunderten. Das ist ein Verfahren, das in der Politik üblich ist, dem wissenschaftlichen Streit aber nicht angehören darf.

Bei aller Schäbigkeit von Krojers Vorgehen darf es gleichwohl nicht überbewertet werden. Der von ihm verursachte Hauptschaden liegt im Morschwerden der Verbalkeule. Wenn ihr Einsatz gegen wirklich böse Federn einmal unverzichtbar wird, erweist sie sich plötzlich als wirkungslos. Die Zeitgenossen haben dann so häufig erlebt, dass die Auschwitzkeule für unpassende Gelegenheiten – Stärkung einer politischen Position, Überspielung fehlender Argumente etc. – missbraucht wurde, dass sie selbst dann unansprechbar bleiben, wenn sie einmal dringlichst und dann sogar mit doppelter Wucht geschwungen werden muss. Das Vorgehen Krojers erleichtert den tatsächlichen Leugnern und Verharmlosern ihr Werk also dadurch, dass er sie gegen die Keule durch ihren übermäßig häufig wiederholten Einsatz immun macht.

Nun treffen Anwendungen der Auschwitzkeule nur in Ausnahmefällen Deutsche. Gegen die These von 300 fiktiven Jahren ist die Variante “so schlimm wie Auschwitzleugner” zum Zuge gekommen. Die wird im Gesamtspektrum des Auschwitzmissbrauchs aber viel seltener in Einsatz gebracht als die Variante „so schlimm wie Auschwitztäter”. Zählt man einmal hundert durchschnittliche Schläge mit dieser Waffe weltweit nach, dann sind in wohl 98 Prozent die Juden Israels das Hauptziel der Angriffe, und in beinahe ebenso vielen Fällen wird sie von Islamisten und ihren westlichen Sympathisanten eingesetzt. Israelis – so heißt es da unisono – täten Arabern und Muslimen an, was in Auschwitz Juden erlitten haben. Die hätten Nazimethoden oder betrieben einen Dauerholocaust gegen Palästina etc.
Wenn man nun in dieselbe Ecke wie das kleine Land in Nahost geknüppelt wird, dann steckt man noch lange nicht in derselben Gefahr wie seine bedrängten Bewohner. Erst wenn Krojer gewissermaßen Bomben in unseren Bus werfen wollte, wäre erhöhte Aufmerksamkeit vonnöten. Er würde uns dann dafür bestrafen wollen, dass die Eliminierung Groß-Karls aus der Historie so schlimm sei wie die Ermordung von Juden. Man muss nach den bisherigen Ausfällen darauf gefasst sein, dass die Verfechter des mediävistischen Dogmas auch nach dieser Variante greifen werden. Dass sie mit einem solchen Vergleich den Holocaust nun wirklich verniedlichen und dann in der Tat nahe bei seiner Leugnung landen würden, dürfte ihnen nicht einmal bewusst werden.

Literatur

Krojer, Franz (2003): Die Präzision der Präzession. Illigs mittelalterliche Phantomzeit aus astronomischer Sicht. Mit einem Beitrag von Thomas Schmidt; Differenz-Verlag, München