Dem Historiker Hans Prutz (gest. 1929) war der Zusammenhang von Arianismus und Islam noch bewusst
Der Zusammenhang zwischen Arianismus und Islam ist in der neueren Diskussion zuerst von Günter Lüling erkannt und dann mit Nachdruck von Uwe Topper vertreten worden [Lüling, Topper]. Auch Karl-Heinz Ohlig neigt in Anlehnung an Lüling zu dieser Auffassung [Ohlig 63]. Ohlig macht allerdings Einschränkungen in Bezug auf den Koran, den er für ein „vorarianisches” Buch hält. Das muss er tun, weil er an der verzerrenden Darstellung des Arianismus durch die katholische Theologie festhält, die er dann freilich nicht im Koran wiederfindet [Ohlig/Puin 399].
Die inhaltliche Nähe von Arianismus und Islam war lange Zeit vergessen worden. Im 19. Jahrhundert wird sie aber von einem damals namhaften Historiker erinnert, der heute fast nur noch in Literaturverzeichnissen auftaucht und es nicht einmal mehr zu einem Eintrag in der deutschen Wikipedia bringt (die englische Wikipedia kennt ihn dagegen durchaus [Wikipedia]): Es handelt sich um Hans Prutz (1843-1929), Sohn des Literaturhistorikers Robert Eduard Prutz. Prutz lehrte von 1877 bis 1902 Geschichte an der Universität Königsberg. Er hat unglaublich viel geschrieben, darunter ein Standardwerk über die Völkerwanderung, eine vierbändige Geschichte Preussens, ein Buch über Entwicklung und Untergang der Templer und dann 1883 auch seine Kulturgeschichte der Kreuzzüge, um die es im Folgenden gehen wird [Prutz].
In Kulturgeschichte der Kreuzzüge vertritt Prutz die Meinung, dass Islam und Christentum sich eigentlich sehr ähnlich sind und immer friedlich neben einander hätten existieren können, wenn nicht der Streit um das Heilige Land sie gegeneinander aufgebracht hätte. Im Grunde war der Islam nichts weiter als eine christliche Häresie, ähnlich dem Protestantismus, der katholischerseits schon mal als „Tochter Mohammeds” bezeichnet wurde.
Diese Häresie ist nun nach Prutz identisch mit dem aus der Kirchengeschichte bekannten Arianismus, der sich später zum Islam weiter entwickeln sollte. Prutz nennt mittelalterliche Autoren, die dieser Ansicht waren. Auch zitiert er Dante, der Mohammed und Ali nicht als Religionsstifter, sondern als Spalter, also Häretiker, kennt. Dante schreibt im Buch 28 des Inferno:
„Sieh, wie verstümmelt Mahommed ist! Weinend geht Ali vor mir her, im Angesicht vom Kinn hinaufgespalten bis zum Stirnhaar. Und all die andern, die du hier erblickst, weil Unruh’ sie und Spaltung ausgestreuet im Leben, sind anjetzt also zerspellt.” [Dante 111] („Vedi come storpiato è Maometto! Dinanzi a me sen va piangendo Alì, fesso nel volto dal mento al ciuffetto. E tutti li altri che tu vedi qui, seminator di scandalo e di scisma fuor vivi, e però son fessi così.” [Dante zitiert bei Prutz 501])
Prutz erkannte sogar, dass der Islam in Reaktion auf das byzantinische Christentum entstanden war, und versteht ihn mit August Friedrich Gfrörer als Protest gegen Justinians Kirchenpolitik: „Als Reaktion gegen das entartete byzantinische Christenthum und die verwerfliche Kirchenpolitik Justinians faßt den Islam auch Gfrörer.” [Gfrörer II, 437 ff., zitiert bei Prutz 502; zu Gfrörer siehe E-ADB] Damit formuliert Prutz fast die gleiche Auffassung, die ich in Unkenntnis von seinem und Gfrörers Werk in meinen beiden Arianer-Beiträgen vorgetragen habe – mit dem Unterschied, dass es sich aus meiner Sicht bei Justinians Christentum um den Ursprung des Katholizismus handelt, den Prutz sicherlich nicht als „entartet” bezeichnet hätte [Beaufort (2008) und (2009)].
Prutz führt nicht mehr aus, wie aus der arianischen, immer noch christlichen Häresie die neue islamische Religion entstehen konnte. Die Gleichsetzung von Arianern und Schiiten kam ihm freilich nicht entfernt in den Sinn: Diese Vermutung konnte erst auf der Grundlage der Illig’schen Mittelalterthese formuliert werden. Mit aller Klarheit sieht Prutz aber, dass der Arianismus vorübergehend eine sehr weit verbreitete, „siegreich vordringende” Bewegung war, die im Abendland nur mit Mühe „aufgehalten”, „niedergekämpft” und endlich „ausgerottet” werden konnte. Im Morgenland erlebte sie dagegen „unter der Fahne Mohammeds” eine Verjüngung, um dann in „einem Siegeslaufe sonder gleichen die halbe Welt zu erobern”.
Abschließend zum Beleg der obigen Anmerkungen ein längeres Zitat aus Prutz’ Kulturgeschichte [Prutz 22-24]:
„Besonders zahlreich und augenfällig sind die Entlehnungen aus dem Christentum. Deshalb haben Manche den Islam geradezu als eine christliche Häresie und die Mohammedaner als christliche Sektirer bezeichnen wollen. Hat man dabei zunächst den Arianismus im Auge, so wird sich dagegen nicht viel einwenden lassen. Denn gemeinsam mit dem Arianismus ist dem Islam die nachdrückliche Betonung der absoluten Einheit Gottes, gegen welche alle übrigen dogmatischen Elemente als untergeordnet und nebensächlich zurücktreten. Ferner aber begegnen sich beide in der entschiedenen Leugnung jeder Art von Inkarnation. Für unsere moderne Anschauung hat diese Zusammenstellung von Islam und arianischem Christenthum zunächst viel Befremdliches; doch hat das seinen Grund wohl darin, daß der Islam uns nicht in seiner ursprünglichen, reineren Gestalt vorsteht, sondern in dem Zustande der Entartung und Verkommenheit, in welchem er sich befindet, seitdem die osmanischen Türken für uns seine Hauptvertreter geworden sind. Dem Mittelalter, welches als solche die reich beanlagten und hoch entwickelten Araber vor sich hatte, ist die Zusammenstellung des Islam mit dem Arianismus gar nicht so fremd gewesen. Mehrfach ist dieselbe von unbefangenen Köpfen bestimmt ausgesprochen worden. Guibert von Nogent stellt Mohammeds Thätigkeit neben die des Arius, und Peter der Ehrwürdige, der Abt von Cluny, bekennt in einem Briefe an Bernhard von Clairvaux, nicht zu wissen, ob er den Islam als eine Häresie oder als Götzendienst bezeichnen solle, und giebt zu, daß derselbe viel Wahres enthalte. Und noch Dante faßt Mohammed auf als Urheber eines Schisma in der Christenheit und den Islam als eine arianische Sekte. Es wird ja Niemand in Abrede stellen wollen, daß im Vergleich mit dem Arianismus sowohl wie mit dem Islam der orthodoxe Katholizismus einen Fortschritt bezeichnete, wie er nur im Abendlande gemacht werden konnte und auch dort ohne die Vertiefung der philosophischen Spekulation nicht möglich gewesen wäre. Aber eben in der Gleichartigkeit ihres Gegensatzes zu der Lehre der katholischen Orthodoxie offenbart sich die Geistesverwandtschaft von Islam und Arianismus. Denn seinem Kern nach war der Arianismus doch nichts Anderes als ein Protest des menschlichen Verstandes gegen das ihm unfaßbare Mysterium der christlichen Kirche, wie dasselbe in der Lehre von der Göttlichkeit Christi zum Ausdruck kam, die auf Kosten der Erlösungslehre zum Mittelpunkte des ganzen Dogmas gemacht worden war. Es ist bekannt, wie erbittert zwischen beiden Lehren um die Herrschaft gerungen worden ist, wie lange es gedauert und welche Gewaltmittel es gekostet hat, den anfangs in siegreichem Vordringen begriffenen Arianismus erst aufzuhalten, dann niederzukämpfen und endlich auszurotten. Völlig unterlegen aber – so kann man behaupten – ist der Arianismus doch nur im Abendlande; im Morgenlande hat er sich unter der Fahne Mohammeds in verjüngter Gestalt wieder erhoben und in einem Siegeslaufe sonder gleichen die halbe Welt erobert. Die Richtigkeit dieser Auffassung wird bezeichnender Weise bestätigt namentlich von Seiten der katholischen Orthodoxie: denn einige besonders eifrige Vorkämpfer derselben bezeichneten die Reformation geradezu als eine Tochter Mohammeds! Ja, ein spanischer Schriftsteller hat von diesem Standpunkte aus die Parallele zwischen der Kirche der Reformation und dem Islam in allen Einzelnheiten durchgeführt, während andere die Prädestinationslehre Calvins mit dem Fatalismus der Mohammedaner identifizierten, oder das Lutherthum als eins mit dem Islam darstellten, weil beide den Bilderdienst verwerfen.”
Literatur
Alighieri, Dante (o. J.): Dantes Göttliche Komödie; übers. von Philalethes, erl. von Edmund Th. Kauer, Berlin
Beaufort, Jan (2008): Arius und Ali. Über die iranischen Wurzeln des Christentums und die christlichen Wurzeln des Islam. Eine Antwort auf Zainab A. Müller; in Zeitensprünge 20 (2) 314-331
Beaufort, Jan (2009): Arianer und Aliden. Über die gnostischen Ursprünge des Christentums und der Shi’at ‘Ali; in Zeitensprünge 21 (1) 92-108
E-ADB = Allgemeine Deutsche Biographie, Elektronische Version, hg. von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften und der Bayerischen Staatsbibliothek (2003): Gfrörer, August Friedrich
Gfrörer, August Friedrich (1874): Byzantinische Geschichten; hg. von J. B. Weiß, Graz
Illig, Heribert (1999): Wer hat an der Uhr gedreht? Wie 300 Jahre Geschichte erfunden wurden; München
Lüling, Günter (1974): Über den Ur-Qur’an. Ansätze zur Rekonstruktion vorislamischer christlicher Strophenlieder im Qur’an; Erlangen
Müller, Zainab A. (2007): Zur Gleichsetzung von Ali und Arius und zur Identität der Arianer; in Zeitensprünge 19 (3) 600-609
Ohlig, Karl-Heinz (2005): Wie der Koran wirklich entstand; in Publik-Forum 2005 (21) 62-63
Ohlig, Karl-Heinz / Puin, Gerd-R. (Hg.) (2005): Die dunklen Anfänge: neue Forschungen zur Entstehung und frühen Geschichte des Islam; Berlin
Prutz, Hans (1883): Kulturgeschichte der Kreuzzüge; Berlin
Topper, Uwe (1999): Erfundene Geschichte. Unsere Zeitrechnung ist falsch; München
Wikipedia, englisch (2009): Hans Prutz; Abfrage vom 20. Mai 2009
Ich schrieb oben zu Ohlig, dass er im Koran ein „vorarianisches“ Buch sieht, „weil er an der verzerrenden Darstellung des Arianismus durch die katholische Theologie festhält, die er dann freilich nicht im Koran wiederfindet“. Nun trifft es zwar zu, dass Ohlig häretisierende Begriffe, Darstellungen und Zuschreibungen der katholischen Theologie gelegentlich unhinterfragt übernimmt. Das dürfte aber nicht der einzige Grund dafür sein, dass Ohlig im Koran nichts Arianisches findet:
Nach der in Arianer und Aliden verteidigten These wurde der Arianismus erst zu Justinians Zeiten verurteilt (die Verurteilung beim Konzil von Nicaea mag eine historische Fiktion gewesen sein). Die Bezeichnung „arianisch“ zielte dabei generell auf jenes gnostische Urchristentum, das Jesus nicht für den Sohn Gottes hielt. Dieses vorkatholische, gnostische Christentum hat verschiedene Gestalten angenommen – auch jene Form, die Ohlig erwähnt: also eine Variante, nach der der Logos hypostasiert und als Demiurg gesehen wird.
Nun hat Muhammad Kalisch, den ich im besagten Beitrag ausführlich zitiere, daran erinnert, dass auch die Shi’a gnostische Wurzeln hatte (Islamische Theologie ohne historischen Muhammad). Wie diese genau ausgesehen haben, können wir heute nur noch vermuten, denn das gnostische Schrifttum der frühen Shi’a (die so genannten Gulat) wurde vernichtet. Kalisch hält auch den Koran für ein ursprünglich gnostisches Buch. Da wir es beim heute bekannten Koran mit der überarbeiteten Version eines Urkoran zu tun haben (wie auch Ohlig meint), ist aus dieser Sicht anzunehmen, dass die Spuren der frühen Gnosis, die der (m. A. n. schiitische) Urkoran noch enthalten haben mag, getilgt wurden. Wenn also der Koran „vom Arianismus nicht betroffen“ sei, wie Ohlig glaubt (Die dunklen Anfänge, S. 399), dann liegt das nicht daran, dass der Koran ein „vorarianisches“ Buch wäre. Vielmehr haben wir es beim heutigen Koran mit einem „postarianischen“ Buch zu tun.
Das Konzil von Nicaea war sicher keine kirchliche, sondern eine weltliche Zusammenkunft nach dem Sieg Konstantins im Osten. Ägypten mit seiner Metropole Alexandria wollte selbständig und sich von der Dioziöse Oriens trennen, deren Metropole wiederum Antiochia war. Später wurde hieraus ein Kirchenkonflikt konstruiert.
Aber Vorsicht: Im 6. Jh. tauchen dann wieder den “Arianern” vergleichbare “Monophysiten” au, deren Zirkusfarbe grün gewesen sein soll. Theodora soll diese Monophysiten unterstützt haben.
Beide Richtungen hat es aber sicher gegeben, so dass sich die Frage stellt, welche Richtung real und welche verfälscht ist.
Zu DB, Kommentar 2:
Ihre These über das Konzil von Nicaea erscheint mir plausibel, mich würde eine Quelle interessieren.
Theodora war m. W. Koptin, also gerade eine Gegnerin der Arianer, wie Justinian. Der Begriff “Monophysiten” zielte damals wohl auch auf die Kopten.
Die Namen “Arianismus” und “Monophysitismus” sind Begriffe der katholischen Häresiologie und nicht Selbstbezeichnungen der betreffenden Gruppierungen. Es ist anzunehmen, dass sie den Blick auf den Gegenstand bereits verstellen. Aus der Sicht der überlieferten, spätantiken und mittelalterlichen katholischen Theologie lässt sich wohl kaum ein Bild anderer Glaubensrichtungen gewinnen, das einigermaßen deren Selbstverständnis entsprochen hätte. Erst aus der Distanz der heutigen Zeit wird vielleicht eine sachliche Rekonstruktion möglich.
Wir bewegen uns auf völlig neuem Gebiet. Da gibt es keine Quellen, sondern hilft nur eigenes Denken. Ich schließe eine bischöfliche Hierarchie parallel zur römischen Kaiserhierarchie vollständig aus.
Den Begriff “Kopten” würde ich zwar erst nach der Eroberung Ägyptens ansetzen, aber Theodora soll sich den Monophysiten in Ägypten verbunden gefühlt haben. Diese betonten die Göttlichkeit Christi und folgten der Tradition des Mithra.
Wäre auch für mich sehr unwahrscheinlich. Man könnte sich überlegen, ob nicht Diokletians Einteilung des Reiches in Diözesen am Anfang der kirchlichen bischöflichen Hierarchie stand. Die Bischöfe waren dann bis spätestens Justinians Reform dem Kaiser, danach den Patriarchen unterstellt.
Die Kopten selbst führen ihre Kirche auf das Wirken des Evangelisten Marcus zurück, der ihr erster Papst gewesen sei. Mir ist das vorerst weiterhin plausibel. Die koptische Kirche dürfte die älteste existierende Kirche sein, die an einen Gottessohn Jesus glaubte. (Der Katholizismus entstand m. A. n. später und übernahm diesen Glauben.) Dass gerade die ägyptischen Christen einmal der Tradition des Mithra folgten, kann ich nicht erkennen. Gibt es Hinweise darauf? Generell stimmt es natürlich, dass das Christentum Elemente des Mithraismus übernommen hat.
Ich meine nicht, dass das Christentum Elemente des Mithrismus übernahm, sonder dass der Gedanke des Gottessohnes vom Mithrismus abgeleitet ist.
Mit dem Begriff “Katholizismus” würde ich vorsichtiger umgehen: Auch beide syrischen und die armenische Kirche, vermutlich noch mehr, betrachten sich als katholisch, daher ist deren Kirchenoberhaupt immer Katholikos
Dies galt natürlich auch in der römischen Reichskirche; sie war katholisch, da Erdkreis umspannend. Soweit ich weiß hatte sie aber keine Katholikos, sondern dafür eben den Kaiser. Der Papst kam erst später nach 1054, vermutlich noch deutlich später.
ACK. Der Gedanke vom Gottessohn bzw. Christus ist in meinen Augen “urchristlich”. Erst später wurde der Gottessohn/Christus in manchen Kreisen mit Jehoschua/Jesus gleichgesetzt. Für die Kopten (Marcus-Evangelium) wurde dieser Jesus zu einem Menschen mit einer Caesar-ähnlichen Biographie (vgl. Carotta).
Mir will scheinen, dass der Katholikos älter ist als der Katholizismus. Den Begriff “Katholizismus” verbinde ich mit dem Glaubensbekenntnis von Nicaea (Nicaeno-Konstantinopolitanum), das sowohl von der orthodoxen als auch von der römischen und protestantischen Kirche anerkannt wird. Darin bekennt sich der Gläubige zur “einen, heiligen, katholischen und apostolischen Kirche”.
Dass die römische Reichskirche keinen Katholikos hatte, entspricht auch meinem Erkenntnisstand. Dafür hatte sie (spätestens seit Justinian) fünf “Patriarchen”: Neben den Patriarchen von Konstantinopel, Alexandrien, Antiochien und Jerusalem gab es auch einen Patriarchen von Rom.
Das römische Papsttum ist m. A. n. dem koptischen Papsttum nachempfunden und frühestens im 10. Jahrhundert gegründet worden. Vor dem 10. Jahrhundert war der Papst bzw. der Bischof von Rom noch der “Patriarch des Westens”.
Zu diesem Thema bringt die Wikipedia, Artikel Patriarch, eine Information, die nachdenklich stimmt:
“Das fünfte altkirchliche Patriarchat Rom ist heute Papstsitz und der Papst Oberhaupt der römisch-katholischen Kirche. Den Titel Patriarch des Abendlandes (oder: Patriarch des Okzidents) führt der Papst seit 2006 nicht mehr; in altkirchlicher Tradition ist er dennoch weiterhin der Patriarch der Westkirche.”
Benedikt XVI. ist also der erste römische Papst, der den alten Patriarchentitel nicht mehr verwendet.
Da Carotta schion erwähnt wurde, wäre im Zusammenhang dieser Diskussion zu klären, worin die innere Aufgabe der Organisation bestand, die als Kirche bezeichnet wird. Der Katholikos war ein Amtstitel, der für einen Amtsträger außerhalb des römischen Reichs bestimmt war, aber etwa gleichrangig zum innerimperialen Patriarchen.
Nach meinem Dafürhalten war die Kirche ursprünglich eine (nicht unbedingt die einzige) soziale oder gewerkschaftliche Organisation innerhalb der Veteranenkolonien, sozusagen ein Reichswehrverband. Daß sie sich mit identitätsstiftenden Ritualen ausstattete, scheint mir ebenso leicht verständlich wie die Wucht, mit der sie zur Zeit Konstantins zu einem unverzichtbaren Machtfaktor werden konnte.
Zu meinem vorherigen Beitrag noch ein Link, wo ich versucht habe, den hier angedeuteten Inhalt etwas zu explizieren: http://expliki.org/wiki/Pontifex-maximus-Theorie
Die Kirche oder Kirchen im persischen Machtbereich dürften eigenständige Organisationen gewesen sein. Das Oberhaupt der Kirche des Ostens war der Katholikos von Seleukia/Ktesiphon. Andere Kirchen im Osten haben diesen Titel wohl übernommen. Im römischen Reich wurden – spätestens unter Justinian – Patriarchen eingesetzt.
Urchristliche Kirchen sind wohl eher griechisch-sprachige Organisationen gewesen. Folgt man der radikalkritischen Theologie (http://www.radikalkritik.de), handelte es sich beim frühesten Christentum um eine gnostische Religion, die als zentrales Ritual die Taufe (baptisma) mit Salbung (chrisma) kannte. Es bezog sich anfänglich noch nicht auf Jehoschua/Jesus, den (fiktiven) Retter Israels, und wusste auch noch nichts von einer Kreuzigung.
Das “arianische” (= aus Aria/Iran) Urchristentum mag im hellenistischen Osten entstanden sein, dort wo griechische Kolonisten mit Persern und Juden zusammen kamen. Das Ritual der Taufe stammt aus Iran, die Vorstellung eines Gottessohnes hat vermutlich ihren Ursprung im Mithraismus, der Mythos von Johannes dem Täufer ist mandäisch. Trifft diese Vermutung zu, dann könnte die Kirche des Ostens die älteste (ur-)christliche Kirche gewesen sein.
Den Symbolen nach (Fisch, Schaf, Pfau, Hirte) war das frühe Christentum eine eher friedliche Religion – wie der Mandäismus. Es dürfte sich leicht mit anderen Religionen verschwistert und vermischt haben. So konnte Konstantin der Große es annehmen und mit der römischen Caesar- und Augustusreligion verbinden. Gut möglich, dass sich diese arianische Mischreligion dann auch in der Armee verbreitet hat.
Eine friedliche Religion passte aber weder ins aggressivere Konzept des Justinian noch in das des Islam, die beide scharf zwischen Gläubigen und Ungläubigen trennten. Justinian setzte konsequent auf das Kreuzchristentum als einzig erlaubte Reichsreligion. Plausibel wäre mir, dass erst Justinian die in der Armee und auch sonst verbreitete Caesar- bzw. Kaiser-Verehrung sowie auch die Mithras- und Marsverehrung verboten hat.
Urchristliche Kirchen sind wohl eher griechisch-sprachige Organisationen gewesen. Folgt man der radikalkritischen Theologie (http://www.radikalkritik.de), handelte es sich beim frühesten Christentum um eine gnostische Religion, …Den Symbolen nach (Fisch, Schaf, Pfau, Hirte) war das frühe Christentum eine eher friedliche Religion
Das mag wohl sein, aber zu Carotta paßt es nicht. Und es erklärt nicht, warum aus den mehr oder weniger windigen Inhalten eine starke Organisation entsteht. Nach Carotta ist weder Christus noch der Täufer ein Mythos, sondern es sind die historischen Personen Caesar und Pompeius. Und die religiösen Akte (Taufe etc.) sind Aktionen, die mit dem Eintritt in den und der Zugehörigkeit zum miltärischen Dienst (Musterung) bei Caesar zusammenhängen.
Zugegeben. Das früheste Christentum wird auch kaum stark organisiert gewesen sein. Die einzelnen Gemeinden (ekklesiai) unterstanden Aposteln (die noch nicht mit den späteren Jesus-Jüngern gleichgesetzt waren) oder Aufsehern (episkopoi, Bischöfe, Imame).
Die Caesar-/Kaiserreligion unter dem Pontifex Maximus war dagegen wohl seit jeher streng hierarchisch geordnet. Gut vorstellbar, dass unter Diokletian oder Konstantin diese Ordnung “arianisiert” wurde. (Konstantins “Labarum” verbindet Caesars Tropaeum mit frühchristlicher Symbolik.) Justinians Katholizismus ersetzte das Tropaeum dann endgültig durch das Kreuz.
Carottas großes Verdienst ist m. A. n., dass er erkannt hat, dass dem ältesten Evangelium (Markus) die Caesar-Biographie zu Grunde liegt. Merkwürdigerweise scheint er aber zu meinen, dass das Markus-Evangelium durch eine fehlerhafte Übersetzung vom Lateinischen ins Griechische zustande gekommen sei, sozusagen als Zufallsprodukt. Das halte ich für vollkommen ausgeschlossen. Der Autor des Markus-Evangeliums hatte gewiss ein eigenes Konzept, er hat dem militärischen Führer Caesar bewusst den jüdischen Antihelden Jesus gegenüber gestellt.
Der Mythos vom Täufer scheint älter zu sein als das Markus-Evangelium. Die Mandäer kennen den Täufer noch ganz ohne Jesus. Markus hat Johannes also in die Jesusgeschichte eingearbeitet und dabei Pompeius als Vorbild genommen.
Das ist mir nicht mehr so ganz präsent, nähere Einzelheiten würden mich interessieren. Dass die Taufe ein Initiationsritus ist, ist klar. Aber als religiöser Ritus ist sie auch in Iran und Indien bekannt – gewiss ohne römischen Einfluss. Über den vermutlich mandäischen Ursprung der christlichen Taufe habe ich in Abschnitt IV von Arianer und Aliden etwas geschrieben.
Ich glaube, wir sollten die Diskussion an anderer Stelle in der Foren weiterführen.
zu jb 10: Was ist, wenn Justinian eine Erfindung Ihres Konstantin VII ist ?
Über Carotta bitte weiter unter Forum/Religionsgeschichte. Ich setzte hier an wg. der Namensnennung; und natürlich, weil die These, daß das Konzil von Nicaea einen sehr weltlichen Hintergrund hatte.
Danke an DB und Glasreiniger für die Anregung, im Forum weiter zu diskutieren. Zu Justinian habe ich einen Thread Justinian eine Erfindung? aufgemacht.