Dem Historiker Hans Prutz (gest. 1929) war der Zusammenhang von Arianismus und Islam noch bewusst

Der Zusammenhang zwischen Arianismus und Islam ist in der neueren Diskussion zuerst von Günter Lüling erkannt und dann mit Nachdruck von Uwe Topper vertreten worden [Lüling, Topper]. Auch Karl-Heinz Ohlig neigt in Anlehnung an Lüling zu dieser Auffassung [Ohlig 63]. Ohlig macht allerdings Einschränkungen in Bezug auf den Koran, den er für ein „vorarianisches” Buch hält. Das muss er tun, weil er an der verzerrenden Darstellung des Arianismus durch die katholische Theologie festhält, die er dann freilich nicht im Koran wiederfindet [Ohlig/Puin 399].

Die inhaltliche Nähe von Arianismus und Islam war lange Zeit vergessen worden. Im 19. Jahrhundert wird sie aber von einem damals namhaften Historiker erinnert, der heute fast nur noch in Literaturverzeichnissen auftaucht und es nicht einmal mehr zu einem Eintrag in der deutschen Wikipedia bringt (die englische Wikipedia kennt ihn dagegen durchaus [Wikipedia]): Es handelt sich um Hans Prutz (1843-1929), Sohn des Literaturhistorikers Robert Eduard Prutz. Prutz lehrte von 1877 bis 1902 Geschichte an der Universität Königsberg. Er hat unglaublich viel geschrieben, darunter ein Standardwerk über die Völkerwanderung, eine vierbändige Geschichte Preussens, ein Buch über Entwicklung und Untergang der Templer und dann 1883 auch seine Kulturgeschichte der Kreuzzüge, um die es im Folgenden gehen wird [Prutz].

In Kulturgeschichte der Kreuzzüge vertritt Prutz die Meinung, dass Islam und Christentum sich eigentlich sehr ähnlich sind und immer friedlich neben einander hätten existieren können, wenn nicht der Streit um das Heilige Land sie gegeneinander aufgebracht hätte. Im Grunde war der Islam nichts weiter als eine christliche Häresie, ähnlich dem Protestantismus, der katholischerseits schon mal als „Tochter Mohammeds” bezeichnet wurde.

Diese Häresie ist nun nach Prutz identisch mit dem aus der Kirchengeschichte bekannten Arianismus, der sich später zum Islam weiter entwickeln sollte. Prutz nennt mittelalterliche Autoren, die dieser Ansicht waren. Auch zitiert er Dante, der Mohammed und Ali nicht als Religionsstifter, sondern als Spalter, also Häretiker, kennt. Dante schreibt im Buch 28 des Inferno:

„Sieh, wie verstümmelt Mahommed ist! Weinend geht Ali vor mir her, im Angesicht vom Kinn hinaufgespalten bis zum Stirnhaar. Und all die andern, die du hier erblickst, weil Unruh’ sie und Spaltung ausgestreuet im Leben, sind anjetzt also zerspellt.” [Dante 111] („Vedi come storpiato è Maometto! Dinanzi a me sen va piangendo Alì, fesso nel volto dal mento al ciuffetto. E tutti li altri che tu vedi qui, seminator di scandalo e di scisma fuor vivi, e però son fessi così.” [Dante zitiert bei Prutz 501])

Prutz erkannte sogar, dass der Islam in Reaktion auf das byzantinische Christentum entstanden war, und versteht ihn mit August Friedrich Gfrörer als Protest gegen Justinians Kirchenpolitik: „Als Reaktion gegen das entartete byzantinische Christenthum und die verwerfliche Kirchenpolitik Justinians faßt den Islam auch Gfrörer.” [Gfrörer II, 437 ff., zitiert bei Prutz 502; zu Gfrörer siehe E-ADB] Damit formuliert Prutz fast die gleiche Auffassung, die ich in Unkenntnis von seinem und Gfrörers Werk in meinen beiden Arianer-Beiträgen vorgetragen habe – mit dem Unterschied, dass es sich aus meiner Sicht bei Justinians Christentum um den Ursprung des Katholizismus handelt, den Prutz sicherlich nicht als „entartet” bezeichnet hätte [Beaufort (2008) und (2009)].

Prutz führt nicht mehr aus, wie aus der arianischen, immer noch christlichen Häresie die neue islamische Religion entstehen konnte. Die Gleichsetzung von Arianern und Schiiten kam ihm freilich nicht entfernt in den Sinn: Diese Vermutung konnte erst auf der Grundlage der Illig’schen Mittelalterthese formuliert werden. Mit aller Klarheit sieht Prutz aber, dass der Arianismus vorübergehend eine sehr weit verbreitete, „siegreich vordringende” Bewegung war, die im Abendland nur mit Mühe „aufgehalten”, „niedergekämpft” und endlich „ausgerottet” werden konnte. Im Morgenland erlebte sie dagegen „unter der Fahne Mohammeds” eine Verjüngung, um dann in „einem Siegeslaufe sonder gleichen die halbe Welt zu erobern”.

Abschließend zum Beleg der obigen Anmerkungen ein längeres Zitat aus Prutz’ Kulturgeschichte [Prutz 22-24]:

„Besonders zahlreich und augenfällig sind die Entlehnungen aus dem Christentum. Deshalb haben Manche den Islam geradezu als eine christliche Häresie und die Mohammedaner als christliche Sektirer bezeichnen wollen. Hat man dabei zunächst den Arianismus im Auge, so wird sich dagegen nicht viel einwenden lassen. Denn gemeinsam mit dem Arianismus ist dem Islam die nachdrückliche Betonung der absoluten Einheit Gottes, gegen welche alle übrigen dogmatischen Elemente als untergeordnet und nebensächlich zurücktreten. Ferner aber begegnen sich beide in der entschiedenen Leugnung jeder Art von Inkarnation. Für unsere moderne Anschauung hat diese Zusammenstellung von Islam und arianischem Christenthum zunächst viel Befremdliches; doch hat das seinen Grund wohl darin, daß der Islam uns nicht in seiner ursprünglichen, reineren Gestalt vorsteht, sondern in dem Zustande der Entartung und Verkommenheit, in welchem er sich befindet, seitdem die osmanischen Türken für uns seine Hauptvertreter geworden sind. Dem Mittelalter, welches als solche die reich beanlagten und hoch entwickelten Araber vor sich hatte, ist die Zusammenstellung des Islam mit dem Arianismus gar nicht so fremd gewesen. Mehrfach ist dieselbe von unbefangenen Köpfen bestimmt ausgesprochen worden. Guibert von Nogent stellt Mohammeds Thätigkeit neben die des Arius, und Peter der Ehrwürdige, der Abt von Cluny, bekennt in einem Briefe an Bernhard von Clairvaux, nicht zu wissen, ob er den Islam als eine Häresie oder als Götzendienst bezeichnen solle, und giebt zu, daß derselbe viel Wahres enthalte. Und noch Dante faßt Mohammed auf als Urheber eines Schisma in der Christenheit und den Islam als eine arianische Sekte. Es wird ja Niemand in Abrede stellen wollen, daß im Vergleich mit dem Arianismus sowohl wie mit dem Islam der orthodoxe Katholizismus einen Fortschritt bezeichnete, wie er nur im Abendlande gemacht werden konnte und auch dort ohne die Vertiefung der philosophischen Spekulation nicht möglich gewesen wäre. Aber eben in der Gleichartigkeit ihres Gegensatzes zu der Lehre der katholischen Orthodoxie offenbart sich die Geistesverwandtschaft von Islam und Arianismus. Denn seinem Kern nach war der Arianismus doch nichts Anderes als ein Protest des menschlichen Verstandes gegen das ihm unfaßbare Mysterium der christlichen Kirche, wie dasselbe in der Lehre von der Göttlichkeit Christi zum Ausdruck kam, die auf Kosten der Erlösungslehre zum Mittelpunkte des ganzen Dogmas gemacht worden war. Es ist bekannt, wie erbittert zwischen beiden Lehren um die Herrschaft gerungen worden ist, wie lange es gedauert und welche Gewaltmittel es gekostet hat, den anfangs in siegreichem Vordringen begriffenen Arianismus erst aufzuhalten, dann niederzukämpfen und endlich auszurotten. Völlig unterlegen aber – so kann man behaupten – ist der Arianismus doch nur im Abendlande; im Morgenlande hat er sich unter der Fahne Mohammeds in verjüngter Gestalt wieder erhoben und in einem Siegeslaufe sonder gleichen die halbe Welt erobert. Die Richtigkeit dieser Auffassung wird bezeichnender Weise bestätigt namentlich von Seiten der katholischen Orthodoxie: denn einige besonders eifrige Vorkämpfer derselben bezeichneten die Reformation geradezu als eine Tochter Mohammeds! Ja, ein spanischer Schriftsteller hat von diesem Standpunkte aus die Parallele zwischen der Kirche der Reformation und dem Islam in allen Einzelnheiten durchgeführt, während andere die Prädestinationslehre Calvins mit dem Fatalismus der Mohammedaner identifizierten, oder das Lutherthum als eins mit dem Islam darstellten, weil beide den Bilderdienst verwerfen.”

 

Literatur

Alighieri, Dante (o. J.): Dantes Göttliche Komödie; übers. von Philalethes, erl. von Edmund Th. Kauer, Berlin

Beaufort, Jan (2008): Arius und Ali. Über die iranischen Wurzeln des Christentums und die christlichen Wurzeln des Islam. Eine Antwort auf Zainab A. Müller; in Zeitensprünge 20 (2) 314-331

Beaufort, Jan (2009): Arianer und Aliden. Über die gnostischen Ursprünge des Christentums und der Shi’at ‘Ali; in Zeitensprünge 21 (1) 92-108

E-ADB = Allgemeine Deutsche Biographie, Elektronische Version, hg. von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften und der Bayerischen Staatsbibliothek (2003): Gfrörer, August Friedrich

Gfrörer, August Friedrich (1874): Byzantinische Geschichten; hg. von J. B. Weiß, Graz

Illig, Heribert (1999): Wer hat an der Uhr gedreht? Wie 300 Jahre Geschichte erfunden wurden; München

Lüling, Günter (1974): Über den Ur-Qur’an. Ansätze zur Rekonstruktion vorislamischer christlicher Strophenlieder im Qur’an; Erlangen

Müller, Zainab A. (2007): Zur Gleichsetzung von Ali und Arius und zur Identität der Arianer; in Zeitensprünge 19 (3) 600-609

Ohlig, Karl-Heinz (2005): Wie der Koran wirklich entstand; in Publik-Forum 2005 (21) 62-63

Ohlig, Karl-Heinz / Puin, Gerd-R. (Hg.) (2005): Die dunklen Anfänge: neue Forschungen zur Entstehung und frühen Geschichte des Islam; Berlin

Prutz, Hans (1883): Kulturgeschichte der Kreuzzüge; Berlin

Topper, Uwe (1999): Erfundene Geschichte. Unsere Zeitrechnung ist falsch; München

Wikipedia, englisch (2009): Hans Prutz; Abfrage vom 20. Mai 2009