Hermann Redl – Donaukurier:
Eichstätt (DK) Die [Der] Stiftungsvorstand er Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt hat der Leiterin der Universitätsbibliothek die Aufarbeitung der Bestände der so genannten Kapuzinerbibliothek verboten. Grund ist der Verdacht, dass etwa 100 000 Bücher als Altpapier vernichtet worden sind.
Damit reagierte der Vorstand unter Vorsitz des Eichstätter Altlandrats Konrad Regler auf Berichte im DONAUKURIER, denen zufolge Bibliothekschefin Angelika Reich aus bayerischen Kapuzinerklöster[n] stammende[n] Bibliotheksbestände[n], die der Eichstätter Einrichtung überlassen wurden, im großen Stil der Altpapierverwertung hat zuführen lassen. Wie Gottfried Freiherr von der Heydte, Kanzler der Universität und damit auch Dienstvorgesetzter Reichs, gestern erklärte, scheinen unter Leitung von Reich im Zeitraum von Juni 2005 bis Oktober 2006 insgesamt 80 Tonnen Bücher in 17 Containern unterschiedlicher Größe in die Altpapierverwertung gekommen und damit vernichtet worden zu sein. Dies hätten seine Recherchen ergeben, so von der Heydte.
Unter anderem sollen Bücher vernichtet worden sein, die vor dem Jahr 1802 erschienen sind und damit Eigentum des Freistaats Bayern sind. Insgesamt, so wird geschätzt, wurden über 100 000 Bände und damit zumindest ein Viertel der insgesamt etwa 350 000 Bände umfassenden Bibliothek der bayerischen Kapuziner vernichtet. Ein Teil davon wohl, ohne überhaupt eingehend und fachmännisch auf seine bibliothekarische Bedeutung, seinen materiellen wie ideellen Wert als Kulturgut hin überprüft worden zu sein.
Von der Heydte kündigte eine „genaue Untersuchung“ an, deren Ergebnisse von eine[r] unabhängigen bibliothekarischen Institution bewertet werden sollen, soll nun folgen. Angelika Reich, die Anfang 2005 die Leitung der Universitätsbibliothek übernommen hatte, bleibt als Bibliotheksdirektorin im Amt.
Quelle: Donaukurier, Nr. 40, Freitag, 16. Februar 2007, S. 14.
Das Vernichten unwiederbringlichen Wissens ist ein Verbrechen gegen die Menschheit! Aber wenn die für die Bewahrung der Bestände verantwortliche Bibliotheksleiterin erklärt, dass es sich bei mehreren Regalkilometern in die Tonne gekloppter Bücher um wertlose Doubletten gehandelt habe, dann ist ihr das nicht zu widerlegen. Motive und Anstifter dieser Untat werden voraussichtlich im Dunklen bleiben.
In diese Angelegenheit kann Licht gebracht werden: Daß hat etwas mit neoliberalen Begrifflichkeiten wie Effektivität, Innovation oder Wettbewerb zu tun. Das Alte wird als Hindernis bei der Entfaltung des Neuen begriffen und folglich vernachlässigt oder eben auch zerstört. Die Verklappung oder Versteigerung von Bibliotheksbeständen ist nichts Neues. Daß die Teilvernichtung gerade dieses Archivs in überregionalen Medien Beachtung fand, liegt an der forschen und offenen Abwicklung der geringgeschätzten Kapuziner-Bestände.
Es handelt sich hier nur um die Spitze des Entsorgungs-Eisbergs in der Bibliotheksszene. Wer z.B. in Nicholson Bakers Buch »Der Eckenknick« über die Büchermassaker im elektronischen Zeitalter blättert, wundert sich schon lange nicht mehr über die Taten in Eichstätt oder über die Versuche Inkunabeln oder Drucke aus Kirchenbibliotheken und Landesarchiven zu veräußern. Auch die flotte Bibliotheksleiterin aus dem Altmühltal hatte schon früher, nach einem Verkauf von 3000 Schallplatten aus einem Nachlaß eine extravagante Begründungen für ihr Tun parat: »Geschenkt ist geschenkt, und mit Geschenken kann die Bibliothek machen, was sie will.«
Wer hinschaut, wird auch vor Universitätsbibliotheken immer wieder Papiercontainer sichten können. Zum Beispiel Ende 2005 an der Berliner Humboldt-Universität: In ihm fanden sich etliche Bücher sowie komplette Sammlungen von Zeitschriften mit nicht unbeträchtlichem Wert. Solche Aktionen werden heute, wie Eichstätt zeigte, ohne große Scham durchgezogen. Im Namen von Innovation, Geld- oder Platzmangel ist die Vermüllung von Archivbeständen oder angeblicher Dubletten per Papierpresse schon länger üblich.